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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Aus Ludwig Richters Dresdner Erinnerungen: Dresden, 1836-1847
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AUS LUDWIG RICHTERS DRESDNER ERINNERUNGEN

Bedeutung genug. Wir können nicht immer und
nicht alle Heiligenbilder machen.

*

22. April 1850.

Kunstunterricht läuft doch meist auf ein me-
chanisches Einschulen allein hinaus. Das könnte
ich mir aber ganz anders denken. Er soll zu-
gleich und hauptsächlich den Kunstsinn wecken,
Erkenntnis und Urteil veranlassen, und womöglich
eine Geschmacksbildung herbeiführen, die den
ganzen Menschen hebt und erweitert, wodurch
er in seinem ganzen sittlichen Dasein gefördert
wird. So ein Unterricht muß viel lustiger,
lebendiger und anregender werden, und ein solcher
Lehrer leistet große, sehr große Dienste. Wer
so seinen Beruf ins Auge faßt, hat gewiß eine
schöne, zum freudigen Lernen und Schaffen an-
regende Aufgabe; denn man lernt doch nicht
für sich allein, sondern fühlt sich erst glücklich,
als ein lebendiges Glied der ganzen Menschheit
auch von seiner Stelle her einzugreifen, und mit
dem kleinsten oder größten Pfunde, was Gott
verliehen, den rechten Wucher zu treiben. Das
nenne ich arbeiten fürs Reich Gottes, denn die
ganze Welt ist für dies göttliche Reich bestimmt.

Mir ist’s nun recht klar in bezug auf den
Zeichenunterricht. Wie nichtsnutzig und leer wird
der meistens betrieben! Die Dilettanten (und
oft auch Kunstjünger) lernen höchstens eine
kleine, alberne Kopie machen, ein Bildchen
schmieren, und haben auch keine Ahnung vom
Wesen der Kunst, von ihrem Zweck, Wert, Reich-
tum und ihrer Geschichte, wissen nichts von ihren
edlen, geistigen, göttlichen Beziehungen; deshalb
so wenig Nutzen für eine edlere Ausbildung des
Lebens. Wie anders verfahre ich mit meinen
Schülern, und ich habe doch die Freude, zu
sehen, wie manch gutes Samenkorn in dieser
Beziehung aufgegangen ist, daß dadurch ihr ganzes
sittliches und geistiges Dasein gehoben, erweitert
worden ist; und dies auch bei minder Begabten.
Die Frucht kommt oft viel später zur Entwickelung,
als während des Unterrichts selber, oder man
spürt die ansetzenden Keime und Knospen nicht.
Wenn ich nicht ein so passendes Feld in den
Holzschnittzeichnungen gefunden hätte, würde ich
mir im Unterrichtgeben eine Erwerbsquelle haben
öffnen müssen, und dann ist’s mir ganz klar,
wie ich da mit Dilettanten verfahren sein würde,
und ich bin sicher, ich würde mir nach und nach
auch da einen Ruf erworben haben.

Die Subjektivität ist die allgemeine Krankheit
unserer Zeit, und macht uns selbst krank. Jeder
will seine Zeit bestimmen nach seiner mehr oder
minder defekten Taschenuhr, weil er die Sonne
leugnet. Wir haben nur Meinungen und An-
sichten, aber keine positive normgebende Wahr-
heit, die sich freilich nicht nach den verkehrten

kleinen Fündlein unserer Vernünfteleien und nach
der immer wechselnden Mode richtet, sondern
die ihren Gang jedenfalls selbständig fortgeht.
Ich gebe mir immer mehr Mühe, meine falsche
Zwiebeluhr nach der Sonne zu richten, die wir
einmal besitzen und für die wir noch keine bessere
selbst erfunden haben.

KÄMPFENDER STEINBOCK. BRONZE

FRANZ BARWIO-WIEN

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