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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Paulsen, Friedrich: Paul Wallot
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0044

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PAUL WALLOT

ITALIENISCHER FRAUENKOPF

Die Kunst wird hierbei nicht aus dem Zweck
geboren.

Die triviale Verwendung manches Raumes im
Reichstagshause entspricht nicht der künstlerischen
Form. Aber auch diese Räume dienen dem
Ganzen, und das Ganze einer Idee bestimmt die
Form. Es ist getadelt, daß man sich eine
Linsensuppe kauft in einem Prachtsaal; das sei
stillos. Aber wenn dieser Saal, ein Teil des
Sitzes der Volksvertretung, gewissermaßen zufällig
als Restaurant benutzt wird, so tritt eben der
profane Gebrauchszweck zurück.

Die Idee des Hauses der Volksvertretung
ist von Wallot verkörpert, und je reiner dieser
Gedanke ausgedrückt ist, desto überzeugender
wirkt das Werk. So zeigen diese Fassaden
Kraft, Reichtum, gehaltenes Pathos, sie fesseln
den Blick und lenken die Aufmerksamkeit auf
die geschmückten Teile, die Giebel und turm-
artigen Aufbauten der Ecken. Diese Kompositions-
kunst lenkt ab von der Betrachtung des Einzelnen.
Und das ist gut, denn unsere Zeit läßt die
glückliche Einseitigkeit manch anderer Epoche

FERD. HODLER

nicht mehr zu. Es wird immer schwieriger,
in den Teilen des Werkes, die als solche zu
Vergleichen mit Bekannten herausfordern, all-
gemeinen Beifall zu erringen. Je weniger bei
der Betrachtung der Gesamteindruck der Massen,
die Gruppierung, die Haltung, beurteilt werden, je
mehr man die Teile betrachtet, ob das nun ganze
Säulenstellungen oder einzelne Ornamente sind,
destomehr werden die Urteile auseinandergehen,
ja desto mehr Disharmonien zwischen dem indi-
viduell gebildeten neuen und den historisch stil-
gerechten Elementen können empfunden werden.

Diese Kritik aber ist der Boden neuer Er-
kenntnis. So hat auch Wallot die Werke großer
Zeiten kritisiert und aus ihnen gelernt, über-
nommen vielfach, was ihm assimilierbar war,
woraus er Neues aufbauen konnte. Es ist ein
Auslesen des jeweils Nutzbaren, kein Festsetzen
unbedingter Werte, ein Auf-sich-beziehen, nicht
auf das Absolute ausgehen. Es ehrt beide, das Werk
und seine Richter, während apodiktische Wert-
urteile, zum Beispiel „Gipfel der Geschmack-
losigkeit“ nur einen ehren.

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