Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Fechner, Hanns: Motiv und Genrebild, [1]
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HANS FECHNER, MOTIV UND GENREBILD
ABBILDUNG 5
Richtig tot haben sie sie gekriegt. Aber wie
wollen sie sie nun fortschaffen? Die zwei allein?
Er hatte das noch gar nicht ausgedacht, so
war auch schon ein ganzerTrupp der anderen Schar
da hinten zur Stelle, als hätten die beiden Wege-
lagerer sie herbeigerufen.
„Das glaub ich, so mags wohl gehen. Aber
ausgezeichnet, wie sie sich das einteilen, wie
ein jedes am rechten Fleck zupackt, ’
Was sagt ihr denn aber hierzu?“
Er legte ihnen Hindernisse in den Weg;
Baumzweige, Steine, was ihm in die Hand kam.
Sie ließen sich nicht ableiten, nicht verblüffen,
nicht entmutigen. Sie nahmen jedes Hindernis
mit Ruhe und Kraft. Sie kletterten über die
Steine, mühselig an ihrer schweren Last dabei
schleppend. Es fiel ihnen nicht ein, die Störungen
zu umgehen, die kuriosen Tiere, obwohl es
vielleicht weniger Zeit gebraucht hätte. Sie
hatten ihr Ziel im Auge, oder im Kopf, und
dem strebten sie zu, schnurgerade, ohne Ab-
weichen, es koste, was es wolle.
„Sehr richtig,“ sagte der Maler, der ihnen
aufmerksam zusah. „So muß es gemacht werden,
ihr kleinen Malefizviecher. Durch. Drauflos.
Ein fester Wille ist die Hauptsache. Bei uns
großen Leuten auch. In meinem Beruf auch.
Weiß ich, weiß ich.“
ln seine Gedanken eingesponnen, schaute er
gradaus, ohne zu sehen. Erst nach und nach
kam es ihm zum Bewußtsein, wohin er blicke.
Durch eine kleine Lichtung abwärts auf ein
Marienbild unten am Wege; dem Wege, den er
nachher einschlagen wollte. Er hatte es, von
drüben heraufkommend, vorhin noch gar nicht
bemerkt. Eine Bank stand zu Füßen des Bild-
nisses und auf der Bank saß ein altes Mütterchen
mit einem Kinde. Das Mütterchen steinalt, ver-
schrumpelt, gebückt; das Kind sehr herzig, rosig,
frisch und rund. Der Maler lächelte. Wie lange
wars denn her, da hätte das da ein sehr malens-
wertes „Motiv“ abgegeben. Aber jetzt — selbst
wenn mehr von der „sozialen Frage“ darin läge,
würde es heute schon nicht mehr „ziehen“; das
Mütterchen war zwar alt und nicht schön, aber
das Kind war viel zu hübsch und gesund.
Der Maler war diesen Erwägungen zum Trotz
aufgesprungen und die wenigen Schritte durchs
Gebüsch zu der Alten herabgelaufen. Er sah,
daß sie sich erhoben hatte, um weiter zu wandern,
und nach ihrer Trage griff, mit dem einen Arm
schon in der Schlinge.
„Ich helf schon ein wenig, Mutterle. Gelt,
so gehts doch leichter?“
Die Alte nickte dankbar und nahm das Kind
bei der Hand.
„Dein Großmutterl, nicht, du mein Dirndl?“
Und die Kleine: „Na, mei Gödl is.“
„I nimms nur so mit herauf, die Kloan, auf
Mittewald zu, zum Bäcken, der is verwandt zu
ihr, und kein Vattern hots net.“
„So. Und Ihr?“
„I? Ja wissen S’, i bin nur a Einliegerin, die
alt Moserin, wissen S’, ma schafft nix rechts mehr
mit die alten Knochen. No, bald wer i mei
Ruh hab’n. I mach’s nimmer lang. B’hüt Gott.“
ABBILDUNG 6
70
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Richtig tot haben sie sie gekriegt. Aber wie
wollen sie sie nun fortschaffen? Die zwei allein?
Er hatte das noch gar nicht ausgedacht, so
war auch schon ein ganzerTrupp der anderen Schar
da hinten zur Stelle, als hätten die beiden Wege-
lagerer sie herbeigerufen.
„Das glaub ich, so mags wohl gehen. Aber
ausgezeichnet, wie sie sich das einteilen, wie
ein jedes am rechten Fleck zupackt, ’
Was sagt ihr denn aber hierzu?“
Er legte ihnen Hindernisse in den Weg;
Baumzweige, Steine, was ihm in die Hand kam.
Sie ließen sich nicht ableiten, nicht verblüffen,
nicht entmutigen. Sie nahmen jedes Hindernis
mit Ruhe und Kraft. Sie kletterten über die
Steine, mühselig an ihrer schweren Last dabei
schleppend. Es fiel ihnen nicht ein, die Störungen
zu umgehen, die kuriosen Tiere, obwohl es
vielleicht weniger Zeit gebraucht hätte. Sie
hatten ihr Ziel im Auge, oder im Kopf, und
dem strebten sie zu, schnurgerade, ohne Ab-
weichen, es koste, was es wolle.
„Sehr richtig,“ sagte der Maler, der ihnen
aufmerksam zusah. „So muß es gemacht werden,
ihr kleinen Malefizviecher. Durch. Drauflos.
Ein fester Wille ist die Hauptsache. Bei uns
großen Leuten auch. In meinem Beruf auch.
Weiß ich, weiß ich.“
ln seine Gedanken eingesponnen, schaute er
gradaus, ohne zu sehen. Erst nach und nach
kam es ihm zum Bewußtsein, wohin er blicke.
Durch eine kleine Lichtung abwärts auf ein
Marienbild unten am Wege; dem Wege, den er
nachher einschlagen wollte. Er hatte es, von
drüben heraufkommend, vorhin noch gar nicht
bemerkt. Eine Bank stand zu Füßen des Bild-
nisses und auf der Bank saß ein altes Mütterchen
mit einem Kinde. Das Mütterchen steinalt, ver-
schrumpelt, gebückt; das Kind sehr herzig, rosig,
frisch und rund. Der Maler lächelte. Wie lange
wars denn her, da hätte das da ein sehr malens-
wertes „Motiv“ abgegeben. Aber jetzt — selbst
wenn mehr von der „sozialen Frage“ darin läge,
würde es heute schon nicht mehr „ziehen“; das
Mütterchen war zwar alt und nicht schön, aber
das Kind war viel zu hübsch und gesund.
Der Maler war diesen Erwägungen zum Trotz
aufgesprungen und die wenigen Schritte durchs
Gebüsch zu der Alten herabgelaufen. Er sah,
daß sie sich erhoben hatte, um weiter zu wandern,
und nach ihrer Trage griff, mit dem einen Arm
schon in der Schlinge.
„Ich helf schon ein wenig, Mutterle. Gelt,
so gehts doch leichter?“
Die Alte nickte dankbar und nahm das Kind
bei der Hand.
„Dein Großmutterl, nicht, du mein Dirndl?“
Und die Kleine: „Na, mei Gödl is.“
„I nimms nur so mit herauf, die Kloan, auf
Mittewald zu, zum Bäcken, der is verwandt zu
ihr, und kein Vattern hots net.“
„So. Und Ihr?“
„I? Ja wissen S’, i bin nur a Einliegerin, die
alt Moserin, wissen S’, ma schafft nix rechts mehr
mit die alten Knochen. No, bald wer i mei
Ruh hab’n. I mach’s nimmer lang. B’hüt Gott.“
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