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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Osborn, Max: Moderne Glaskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0152

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MODERNE GL AS KUNST

FENSTERBILD (>/s DER NATÜRLICHEN GRÖSSE)

ENTWURF: BERNHARD JÄGER AUSFÜHRUNG: GOTTFR. HEINERSDORFF-BERLIN

Scheibenstücken bestehen oder gar auf der
einzelnen Scheibe bildartige Wirkungen durch
allerlei ineinander vertriebene Werte ent-
fesseln, würden mehr verwirren als Eindruck
machen. Vielfache Nuancen treten hinzu. Man
kann Glasstücke übereinander legen, kann aus
einem gefärbten Stück Stellen herausschleifen
oder -ätzen, kann, um die koloristisch stark wirk-
enden Partien nicht zu isolieren, die ganz trans-
parenten hellen Felder leicht trüben oder tönen.
Aber immer bleibt als höchstes Gesetz, daß
Färbung und Tönung sich nicht nach dem
Anblick gemalter Ölbilder, sondern nach den
Erfordernissen des Stoffes richten.

Zugleich aber
stellt das Glas der
Zeichnung seine
Bedingungen. Die
Verbleiungen der
Stücke ergeben von
selbst natürliche Li-
nien und Konturen,
die nach Möglich-
keit zu verwerten
sind. Da es jedoch
wiederum Verwir-
rung bringen würde,
wenn für jede nö-
tige Linie eine Ver-
bleiung benützt
würde, wird es un-
umgänglich sein,
auch in die mehr
oder minder gefärb-
ten oder getönten
Felder Linien hin-
einzumalen, für die
von Alters her das
Schwarzlot in Ge-
brauch war. Aber
diese Zeichnung
wird nun doch noch
von den Verbleiun-
gen bestimmt, die
es nötig machen,
den Linien auch
sonst eine gewisse
Breite zu geben
und ihre Zahl zu
beschränken. Alles
läuft also auf ein
Stilisieren hinaus,
und das wiederum
stimmt auch zu dem
dekorativen Beruf
des Glasbildes, das
nicht realistische
Wirklichkeitsillusio -
nen wecken will, nicht als selbständiges Stück
dasteht, unabhängig von seiner Umgebung, son-
dern ein Teil der Wand, des Mauerwerkes, ein
Teil der den Raum begrenzenden und bestim-
menden Flächen, kurz gesagt: ein Teil der Archi-
tektur ist.

Das alles sind allgemeine Grundsätze, aber
so fest sie sind, so wenig schnallen sie den
Künstler, der sich ihnen unterwirft, auf eine
Schablone fest. Die große Glaskunstausstellung,
die kürzlich bei Keller & Reiner in Berlin statt-
fand, hat bewiesen, wie dabei doch jede Indivi-
dualität auf ihre Rechnung kommt, und unsere
Abbildungen, Proben der Stücke, die dort ge-

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