ZUR ERZIEHUNG DES KUNSTHISTORIKERS
bedeuten unsere Universitäten nicht mehr und
nicjit weniger als was sie anderen Berufen gegen-
über auch sind und was nicht zuletzt die Kunst-
akademien zunächst scheinen: Künstliche Brut-
anstalten für Halbtalente und niedere Begabungen,
die den wenigen wahrhaft Berufenen überall den
Weg versperren und obendrein zu so unlogischer
Verallgemeinerung anlocken, wie sie der Aufsatz
des Herrn Hermann in Hülle und Fülle preisgibt.
Aber daran ist beim schlechten Kunsthistoriker
so wenig wie beim schlechten Juristen die Er-
ziehung schuld, sondern das akademische System
überhaupt, das jeden nach eigener Fasson selig
werden lassen will und schließlich auch für
die unbegabteste Hartnäckigkeit und das talent-
loseste Sitzfleisch den Doktorhut in allen Ehren
bereithält.
Wollen Sie wirklich bessern, Herr Hermann,
dann wagen Sie den Gang zum Kultusminister
herauf und verlangen Sie, daß zu akademisch
Berufenen nur noch Leute zugelassen werden, die
nach strenger Probezeit das Zeugnis wirklichen
Talentes erhalten, ungeachtet ihres Standes und
Vermögens. Können Sie das erreichen, dann
will ich gerne mit Ihnen die Embryonen der
Kunstgeschichte auf Herz und Nieren prüfen,
ob sie eine lebendige Beziehung zum Künst-
lerischen haben. Die wir solchen Schatzes für
wert erachten,
sollen möglichst
schnell ihr akade-
misches Pensum
absolvieren
(mögen sie meinet-
wegen auch aus
3 X 12 Büchern
ihre Doktorarbeit
zusammen-
schreiben ) und
hinein in die Praxis
und das Leben,
hin zum Verkehr
mit den Künstlern
selbst, von denen
sie immer noch
das meiste lernen
werden, auch wenn
sie keinen geraden
Strich zeichnen
können. Denn die-
ses eigenen Dilet-
tierens bedarf es
nicht, weshalb ich
Ihnen auch gern
den Zeichenlehrer
schenke, mit dem
wir niemals tüch-
tige Kunsthistoriker
bekommen hätten (wofür ich Beweise geben
kann!).
Diese jungen Gelehrten werden dann ohne
Anleitung und weitere Bevormundung sehr bald
entdecken, auf welchen Gebieten zu Zeiten das
künstlerische Schwergewicht liegt, ob auf dem
der Malerei, der Plastik, Architektur etc.
Bekanntlich hat sich zu Zeiten dies Ver-
hältnis immer verschoben (ihre Verallgemeinerung
kann deshalb auch in diesem Punkte nicht
stichhaltig sein), und es wird ganz gleichgültig
sein, welche Spezialfächer ihnen etwa beim
Studium entgangen sind, ob sie vom Rokoko
und Ostasien wissen oder nicht. Das alles lernt
sich in der Praxis tausendmal besser als vor dem
Skioptikon des kunsthistorischen Apparates. Was
sich aber nicht lernen läßt, das ist das Mit-
empfinden einer künstlerischen Schöpfung, der
Widerklang dieser in der eigenen Seele und
die Erkenntnis der kulturpsychologischen Voraus-
setzungen vom Werden eines Kunstwerkes und
seinen Beziehungen zur Zeit. Für die braucht
es Begabung trotz der akademischen Erziehung.
Und wer die nicht hat, werde lieber gleich Philo-
loge, damit er nicht der Gefahr verfällt, Philologie
in der Kunst zu treiben.
Es ließe sich noch vieles zu diesem Thema
sagen, das der Diskussion wert wäre, wenn man
den Dingen ein-
mal auf den Grund
gehen will. Doch
dazu braucht es
vieler Seiten. Zu
einer Kritik in
Ihrem Sinne, sehr
verehrter Herr Her-
mann, scheint es
mir dagegen noch
nicht an der Zeit.
Die Kunsthistorie
ist eine junge
Wissenschaft.
Gewiß haften ihr
Mängel an, und
doch sind die,
selbst verdreifacht,
gegenüber dem,
was diese Disziplin
für die moderne
Kultur gewirkt,
noch lange nicht
groß genug, um
eine Verurteilung
des Systems in
Bausch und Bogen
zu rechtfertigen.
KAMPFSCHNEPFE. KLEINBRONZE MAX ESSER
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bedeuten unsere Universitäten nicht mehr und
nicjit weniger als was sie anderen Berufen gegen-
über auch sind und was nicht zuletzt die Kunst-
akademien zunächst scheinen: Künstliche Brut-
anstalten für Halbtalente und niedere Begabungen,
die den wenigen wahrhaft Berufenen überall den
Weg versperren und obendrein zu so unlogischer
Verallgemeinerung anlocken, wie sie der Aufsatz
des Herrn Hermann in Hülle und Fülle preisgibt.
Aber daran ist beim schlechten Kunsthistoriker
so wenig wie beim schlechten Juristen die Er-
ziehung schuld, sondern das akademische System
überhaupt, das jeden nach eigener Fasson selig
werden lassen will und schließlich auch für
die unbegabteste Hartnäckigkeit und das talent-
loseste Sitzfleisch den Doktorhut in allen Ehren
bereithält.
Wollen Sie wirklich bessern, Herr Hermann,
dann wagen Sie den Gang zum Kultusminister
herauf und verlangen Sie, daß zu akademisch
Berufenen nur noch Leute zugelassen werden, die
nach strenger Probezeit das Zeugnis wirklichen
Talentes erhalten, ungeachtet ihres Standes und
Vermögens. Können Sie das erreichen, dann
will ich gerne mit Ihnen die Embryonen der
Kunstgeschichte auf Herz und Nieren prüfen,
ob sie eine lebendige Beziehung zum Künst-
lerischen haben. Die wir solchen Schatzes für
wert erachten,
sollen möglichst
schnell ihr akade-
misches Pensum
absolvieren
(mögen sie meinet-
wegen auch aus
3 X 12 Büchern
ihre Doktorarbeit
zusammen-
schreiben ) und
hinein in die Praxis
und das Leben,
hin zum Verkehr
mit den Künstlern
selbst, von denen
sie immer noch
das meiste lernen
werden, auch wenn
sie keinen geraden
Strich zeichnen
können. Denn die-
ses eigenen Dilet-
tierens bedarf es
nicht, weshalb ich
Ihnen auch gern
den Zeichenlehrer
schenke, mit dem
wir niemals tüch-
tige Kunsthistoriker
bekommen hätten (wofür ich Beweise geben
kann!).
Diese jungen Gelehrten werden dann ohne
Anleitung und weitere Bevormundung sehr bald
entdecken, auf welchen Gebieten zu Zeiten das
künstlerische Schwergewicht liegt, ob auf dem
der Malerei, der Plastik, Architektur etc.
Bekanntlich hat sich zu Zeiten dies Ver-
hältnis immer verschoben (ihre Verallgemeinerung
kann deshalb auch in diesem Punkte nicht
stichhaltig sein), und es wird ganz gleichgültig
sein, welche Spezialfächer ihnen etwa beim
Studium entgangen sind, ob sie vom Rokoko
und Ostasien wissen oder nicht. Das alles lernt
sich in der Praxis tausendmal besser als vor dem
Skioptikon des kunsthistorischen Apparates. Was
sich aber nicht lernen läßt, das ist das Mit-
empfinden einer künstlerischen Schöpfung, der
Widerklang dieser in der eigenen Seele und
die Erkenntnis der kulturpsychologischen Voraus-
setzungen vom Werden eines Kunstwerkes und
seinen Beziehungen zur Zeit. Für die braucht
es Begabung trotz der akademischen Erziehung.
Und wer die nicht hat, werde lieber gleich Philo-
loge, damit er nicht der Gefahr verfällt, Philologie
in der Kunst zu treiben.
Es ließe sich noch vieles zu diesem Thema
sagen, das der Diskussion wert wäre, wenn man
den Dingen ein-
mal auf den Grund
gehen will. Doch
dazu braucht es
vieler Seiten. Zu
einer Kritik in
Ihrem Sinne, sehr
verehrter Herr Her-
mann, scheint es
mir dagegen noch
nicht an der Zeit.
Die Kunsthistorie
ist eine junge
Wissenschaft.
Gewiß haften ihr
Mängel an, und
doch sind die,
selbst verdreifacht,
gegenüber dem,
was diese Disziplin
für die moderne
Kultur gewirkt,
noch lange nicht
groß genug, um
eine Verurteilung
des Systems in
Bausch und Bogen
zu rechtfertigen.
KAMPFSCHNEPFE. KLEINBRONZE MAX ESSER
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