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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Schlichting, Max: Rede bei der Eröffnung der Grossen Berliner Kunstausstellung 1912
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0683

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REDE BEI DER ERÖFFNUNG DER GROSSEN BERLINER KUNSTAUSSTELLUNG 1912

rechte Sinn für die Betrachtung der Kunst-
werke fehle. Wie man im Automobil an einem
einzigen Tage ein ganzes Gebirge durchrast, so
wünscht man sich auch in der Kunst eine be-
queme Häufung der Genüsse: eine kleine Aus-
stellung, bei der eine flüchtige Stunde hundert
Sensationen liefern soll: wir aber wünschen uns
zur Betrachtung einen Wanderer, der die Mühe
eines langen Weges nicht scheut, auch nicht
durch Strecken, die ihm reizlos erscheinen, um
dann mit doppeltem, selbst erworbenem Genuß
auf den ausgewählten Höhen mit Ruhe und

Muße zu verweilen. Denn darüber soll man

sich keiner Täuschung hingeben; auch die Freude
an der Kunst kann nur durch Arbeit erworben
werden. Ohne heißes Bemühen um die Natur,
ohne manchmal mühseliges Eindringen in die
persönliche Auffassung des Künstlers
kein Verständnis und darum keine
Freude an der Kunst.

Zu solcher segensreichen Arbeit
unser Volk immer wieder aufzurufen,
bietet die Eröffnung einer großen
Kunstausstellung eine willkommene
Gelegenheit.

Erinnern wir uns zunächst der
historischen Bedeutung der Kunst!

Wir lernen ja schulgemäß manches
aus den vergangenen Jahrhunderten,
aber vieles bleibt doch toter Buch-
stabe: lebendiger Geist ist für uns
eigentlich nur das, was noch heute
auf uns wirken kann: Kunst und
Wissenschaft. Noch heute rührt der
griechische Dichter unsere Herzen,
und der Geist des Altertums spricht
am stärksten zu uns im antiken Kunst-
werk. So kommt man zu der Erfah-
rung, daß ein gut Stück von dem, was
von einem Volke bleibt, Kunst ist
oder sich in Kunst verkörpert. Die-
jenigen also, die von unserer Zeit
groß denken — und ihre Zahl ist
ja nicht gering — dürfen wohl, wenn
sie um das Gedächtnis der Zukunft
besorgt sind, der Kunst der Gegen-
wart nicht vergessen.

Aber freilich in erster Linie ist
die Kunst der Gegenwart für die
Gegenwart da, und da meine ich,
ist sie so recht geeignet, ein Gegen-
mittel zu sein gegen die Fehler
unserer Zeit.

Wer sich die innere Ruhe erwirbt,
sich in ein Kunstwerk mit voller
Seele zu vertiefen, der findet darin
ein Gegengewicht gegen das Hasten
und Treiben des Erwerbslebens, und

wenn wir, ein vielleicht zu schnell reich gewordenes
Volk, nun auch die Schäden des Reichtums
spüren, dann kann für eine würdige Verwendung
des Geldes die Kunst wohl genannt werden,
denn der Besitz von Kunstwerken ist ein Luxus,
der nicht verweichlicht.

Ich möchte aber hier auch des Fehlers ge-
denken, der uns Künstler besonders angeht, der
sich am Hause der Kunst selbst einnisten will:
ich meine den Schmutz in Wort und Bild, der
nicht nur versteckt auf Hintertreppen, sondern
offen in manchen Zeitschriften sich breit macht.
Wie weit jemand darin gehen kann, durch
Ausbeutung der niederen Instinkte der Menschen
seinen eigenen Geldbeutel zu füllen, das ent-
scheiden die Behörden: aber unsere, der Künstler
Sache ist es, dagegen Widerspruch zu erheben,

ENTWURF WARENHAUS L. TIETZ-KÖLN. LICHTHOF

GEORG WICKOP B. D. A.-DARMSTADT

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