Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Langhammer, Carl: Kunst und Nichtkünstler: ein Vortrag
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KUNST UND NICHTKÜNSTLER
einige sehr gute und würdige Kritiker haben,
die man nicht hoch genug schätzen kann!
„Ich fürchte die anderen!“ das ist ein Gefühl,
was alle meine Kollegen teilen, denn die Macht
der anderen ist leider genau so groß, wie die
Macht der guten und gediegenen Kritiker.
Diese Macht ist deshalb so groß, weil der
Deutsche nur eine Zeitung liest. In anderen
Ländern liest jeder Bürger in besserer Situation
durchweg seine zwei bis drei Zeitungen. Er
bildet sich objektiv seine eigene Meinung. Aber
der Deutsche kriegt es sogar fertig, sich die
Kritik aus seiner Zeitung auszuschneiden, damit
in die Ausstellung zu gehen und sich nun sagen
zu lassen, was die Kunstwerke wert sind. Da
haben alle Broschüren, die an der Hand von
wechselnden Urteilen derselben Kritiker die
Haltlosigkeit und Stellungslosigkeit bewiesen,
nichts genutzt. Ganz große Künstler haben
solche Broschüren veröf-
fentlicht. Whistler hat eine
Broschüre herausgegeben,
in der er Kritiken über die
Werke von allerersten
Künstlern im Zeitraum von
zwanzig Jahren reprodu-
ziert — es gibt wenig
Scherzhafteres als diese Bro-
schüre! Das möchte alles
noch sein, wenn die Tages-
kritiker sich nicht auch
darauf einließen, die Kunst-
geschichte damit beeinflus-
sen zu wollen oder gar die
Entwicklung vorauszusagen.
Bei dem kurzen Gedächt-
nis, das der Zeitungsleser
im allgemeinen für das, was
er gelesen hat, besitzt, ist
das ja ganz gefahrlos. Aber
es hat auf die schaffende
Jugend, die mit allen Mit-
teln kämpft, überhaupt er-
blickt zu werden, den
Einfluß gehabt, daß sie
sich möglichst den For-
derungen dieser Kritiker
anzupassen suchte und sich
einbildete, für die Kunst-
geschichte reife Werke zu
schaffen, anstatt mit dem
Streben nach dem Erken-
nen der eigenen Persönlich-
keit ohne Rücksicht auf alle
übrigen zu schaffen. Der
gute Kritiker ist sich auch
seiner Verantwortungbe-
wußt, der Verantwortung, die porträtbüste
ihm die Macht auferlegt, welche er besitzt.
Jene vielen, die nur zufällig Beauftragte eines
Verlegers sind, die aber spurlos verschwinden,
wenn zufälligerweise sich für das, was sie
schreiben würden, keine Druckerschwärze mehr
findet, diese arbeiten oft gewissenlos!
Die Gefahr all dieses Treibens ist deshalb
so groß, weil heutzutage die Künstler keine
direkten Beziehungen zum Publikum mehr
haben. Der Weg, auf dem sie sich an das
Publikum wenden, sind Ausstellungen, und es
kann sie ruinieren oder ihnen zum mindesten
schwer schaden, wenn eines Tages über das,
was sie ausstellen, 100000 Lesern gedruckt auf
den Tisch gelegt wird, wie minderwertig, wie
unmodern, wie unreif es ist. Heute ist für
den Künstler der Weg zum Publikum, der in
früheren Jahren ein ganz anderer war, sehr
schwer zu finden. Nur auf Ausstellungen
ERNST OPPLER
697
einige sehr gute und würdige Kritiker haben,
die man nicht hoch genug schätzen kann!
„Ich fürchte die anderen!“ das ist ein Gefühl,
was alle meine Kollegen teilen, denn die Macht
der anderen ist leider genau so groß, wie die
Macht der guten und gediegenen Kritiker.
Diese Macht ist deshalb so groß, weil der
Deutsche nur eine Zeitung liest. In anderen
Ländern liest jeder Bürger in besserer Situation
durchweg seine zwei bis drei Zeitungen. Er
bildet sich objektiv seine eigene Meinung. Aber
der Deutsche kriegt es sogar fertig, sich die
Kritik aus seiner Zeitung auszuschneiden, damit
in die Ausstellung zu gehen und sich nun sagen
zu lassen, was die Kunstwerke wert sind. Da
haben alle Broschüren, die an der Hand von
wechselnden Urteilen derselben Kritiker die
Haltlosigkeit und Stellungslosigkeit bewiesen,
nichts genutzt. Ganz große Künstler haben
solche Broschüren veröf-
fentlicht. Whistler hat eine
Broschüre herausgegeben,
in der er Kritiken über die
Werke von allerersten
Künstlern im Zeitraum von
zwanzig Jahren reprodu-
ziert — es gibt wenig
Scherzhafteres als diese Bro-
schüre! Das möchte alles
noch sein, wenn die Tages-
kritiker sich nicht auch
darauf einließen, die Kunst-
geschichte damit beeinflus-
sen zu wollen oder gar die
Entwicklung vorauszusagen.
Bei dem kurzen Gedächt-
nis, das der Zeitungsleser
im allgemeinen für das, was
er gelesen hat, besitzt, ist
das ja ganz gefahrlos. Aber
es hat auf die schaffende
Jugend, die mit allen Mit-
teln kämpft, überhaupt er-
blickt zu werden, den
Einfluß gehabt, daß sie
sich möglichst den For-
derungen dieser Kritiker
anzupassen suchte und sich
einbildete, für die Kunst-
geschichte reife Werke zu
schaffen, anstatt mit dem
Streben nach dem Erken-
nen der eigenen Persönlich-
keit ohne Rücksicht auf alle
übrigen zu schaffen. Der
gute Kritiker ist sich auch
seiner Verantwortungbe-
wußt, der Verantwortung, die porträtbüste
ihm die Macht auferlegt, welche er besitzt.
Jene vielen, die nur zufällig Beauftragte eines
Verlegers sind, die aber spurlos verschwinden,
wenn zufälligerweise sich für das, was sie
schreiben würden, keine Druckerschwärze mehr
findet, diese arbeiten oft gewissenlos!
Die Gefahr all dieses Treibens ist deshalb
so groß, weil heutzutage die Künstler keine
direkten Beziehungen zum Publikum mehr
haben. Der Weg, auf dem sie sich an das
Publikum wenden, sind Ausstellungen, und es
kann sie ruinieren oder ihnen zum mindesten
schwer schaden, wenn eines Tages über das,
was sie ausstellen, 100000 Lesern gedruckt auf
den Tisch gelegt wird, wie minderwertig, wie
unmodern, wie unreif es ist. Heute ist für
den Künstler der Weg zum Publikum, der in
früheren Jahren ein ganz anderer war, sehr
schwer zu finden. Nur auf Ausstellungen
ERNST OPPLER
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