Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Aus Ludwig Richters Dresdner Erinnerungen: Dresden, 1836-1847
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AUS LUDWIG RICHTERS DRESDNER ERINNERUNGEN
in welcher die älteren Lehrer selbst erzogen und
gebildet worden waren, eine Richtung, die jetzt
mit dem Namen Zopfzeit bezeichnet wird. Ge-
wiß war unter so mancherlei Auswüchsen und
Verschiedenheiten jener Periode nichts so störend,
alles wahre Naturgefühl vernichtend, als die Schule
Zinggs im Fache der Landschaft; und in dieser
Methode unterrichtete mein Vater.
Wie sehr jetzt dadurch seine Stellung an der
Akademie gefährdet war, erkannte ich wohl, und
meine Befürchtungen trafen nur zu bald ein. Der
treue und langjährige Lehrer ward plötzlich seines
Postens enthoben und mit Pension in den Ruhe-
stand versetzt. Ich war dem Minister von Carlo-
witz unterstellt und bestimmt worden, in einer
Stadt des Erzgebirges als Zeichenlehrer an einer
der neu zu errichtenden Gewerbeschulen angestellt
zu werden. Diese Aussicht war
für mich trostlos; ja es erfaßte
mich eine Art innerer Ver-
zweiflung, wenn ich bedachte,
daß ich dadurch noch mehr, als
in den vergangenen sieben
Meißner Jahren, aus allem Ver-
kehr mit Gleichstrebenden ge-
rissen werde und in einer ab-
gelegenen Fabrikstadt mit
meinen künstlerischen Idealen
verkümmern müsse; hätte ich
nicht Weib und Kind gehabt,
oder hätte ein auch kleines
Vermögen für einige Zeit meine
Existenz gesichert, so würde
ich jetzt den dürftigen Faden,
der mich an mein Vaterland
hielt, durchschnitten haben und
wäre nach München übergesie-
delt. Unsäglich niederdrückend
und entmutigend war die Er-
fahrung, daß ich trotz meiner
bisherigen Bestrebungen und
Leistungen von der akademi-
schen Behörde als eine Bürde
behandelt wurde, deren man
sich zu entledigen suchte. In
dieser Not wandte ich mich
an den Minister von Carlowitz,
stellte ihm vor, daß ich mich
in Rom zum Landschafter aus-
gebildet habe und in diesem
Fache Unterricht wohl er-
teilen könne, nicht aber
im Omamentzeichnen, das an
einer Gewerbeschule doch die
Hauptsache sei. Er hörte
meine Darlegung freundlich
an und versprach, meine
Wünsche möglichst zu berück-
sichtigen. Einige Wochen darauf erhielt ich ein
akademisches Schreiben, welches mir die Stelle
meines pensionierten Vaters übertrug. Diese An-
stellung versetzte mich aufs neue in die peinlichste
Lage um meines Vaters willen, der, schwer ge-
kränkt durch seine unerwartete Entlassung, diese
den Schikanen eines Kollegen zuschrieb. Herr
v. Quandt, dem ich meine Situation klagte, fertigte
mich kurz und bündig mit den Worten ab: „Wenn
Sie die Stelle nicht annehmen, so suchen wir
einen anderen, und ihr Vater bleibt doch ent-
lassen.“ Ich mußte mich also fügen, und zum
Glück faßte mein Vater, zwar nicht gleich, doch
mit der Zeit, die Amtsnachfolge seines Sohnes
als eine Milderung der ihm widerfahrenen Krän-
kung auf.
Nachdem ich den Unterricht im Landschafts-
ES WAR EINMAL. BRONZE FERD. LIEBERMANN-MÜNCHEN
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in welcher die älteren Lehrer selbst erzogen und
gebildet worden waren, eine Richtung, die jetzt
mit dem Namen Zopfzeit bezeichnet wird. Ge-
wiß war unter so mancherlei Auswüchsen und
Verschiedenheiten jener Periode nichts so störend,
alles wahre Naturgefühl vernichtend, als die Schule
Zinggs im Fache der Landschaft; und in dieser
Methode unterrichtete mein Vater.
Wie sehr jetzt dadurch seine Stellung an der
Akademie gefährdet war, erkannte ich wohl, und
meine Befürchtungen trafen nur zu bald ein. Der
treue und langjährige Lehrer ward plötzlich seines
Postens enthoben und mit Pension in den Ruhe-
stand versetzt. Ich war dem Minister von Carlo-
witz unterstellt und bestimmt worden, in einer
Stadt des Erzgebirges als Zeichenlehrer an einer
der neu zu errichtenden Gewerbeschulen angestellt
zu werden. Diese Aussicht war
für mich trostlos; ja es erfaßte
mich eine Art innerer Ver-
zweiflung, wenn ich bedachte,
daß ich dadurch noch mehr, als
in den vergangenen sieben
Meißner Jahren, aus allem Ver-
kehr mit Gleichstrebenden ge-
rissen werde und in einer ab-
gelegenen Fabrikstadt mit
meinen künstlerischen Idealen
verkümmern müsse; hätte ich
nicht Weib und Kind gehabt,
oder hätte ein auch kleines
Vermögen für einige Zeit meine
Existenz gesichert, so würde
ich jetzt den dürftigen Faden,
der mich an mein Vaterland
hielt, durchschnitten haben und
wäre nach München übergesie-
delt. Unsäglich niederdrückend
und entmutigend war die Er-
fahrung, daß ich trotz meiner
bisherigen Bestrebungen und
Leistungen von der akademi-
schen Behörde als eine Bürde
behandelt wurde, deren man
sich zu entledigen suchte. In
dieser Not wandte ich mich
an den Minister von Carlowitz,
stellte ihm vor, daß ich mich
in Rom zum Landschafter aus-
gebildet habe und in diesem
Fache Unterricht wohl er-
teilen könne, nicht aber
im Omamentzeichnen, das an
einer Gewerbeschule doch die
Hauptsache sei. Er hörte
meine Darlegung freundlich
an und versprach, meine
Wünsche möglichst zu berück-
sichtigen. Einige Wochen darauf erhielt ich ein
akademisches Schreiben, welches mir die Stelle
meines pensionierten Vaters übertrug. Diese An-
stellung versetzte mich aufs neue in die peinlichste
Lage um meines Vaters willen, der, schwer ge-
kränkt durch seine unerwartete Entlassung, diese
den Schikanen eines Kollegen zuschrieb. Herr
v. Quandt, dem ich meine Situation klagte, fertigte
mich kurz und bündig mit den Worten ab: „Wenn
Sie die Stelle nicht annehmen, so suchen wir
einen anderen, und ihr Vater bleibt doch ent-
lassen.“ Ich mußte mich also fügen, und zum
Glück faßte mein Vater, zwar nicht gleich, doch
mit der Zeit, die Amtsnachfolge seines Sohnes
als eine Milderung der ihm widerfahrenen Krän-
kung auf.
Nachdem ich den Unterricht im Landschafts-
ES WAR EINMAL. BRONZE FERD. LIEBERMANN-MÜNCHEN
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