Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Aus Ludwig Richters Dresdner Erinnerungen: Dresden, 1836-1847
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AUS LUDWIG RICHTERS DRESDNER ERINNERUNGEN
zeichnen an der Akademie übernommen hatte,
war es mein erstes, bei den Vorgefundenen Schülern
den unglaublich manierierten Zopf der sogenannten
Zinggschen Schule auszumerzen. Dies war keine
leichte Sache, und vor allem mußte ich die Vor-
lagen, welche zum Kopieren vorhanden waren,
ganz beseitigen und anderes Material herbeizu-
schaffen suchen. Da aber brauchbare Studien
neuerer guter Landschafter damals nicht leicht
zu erlangen oder zu teuer waren, so mußte ich
mich mit dem Ankauf der lithographischen Hefte
von Wagenbauer und einigem anderen dieser Art
begnügen und gab das meiste von meinen eigenen
Studien einstweilen zur Benutzung. So verging
das akademische Wintersemester unter fleißigem
Kopieren. Als aber jetzt der Sommer nahte,
draußen alles in Laub und Blüte stand, da kam
es mir doch allzu lächerlich philiströs vor, in
FAUNJUNGE MIT ZWEI JUNGEN BÄREN. BRONZE
diesen vier Wänden eingeschlossen zu sitzen, um
Naturkopien zu kopieren, während außerhalb
dieser Räume die uralten und ewig neuen Ori-
ginale im Leben voller Schönheit zu schauen
waren. Da nun die Umgegend von Dresden
große Verschiedenheit in ihrem landschaftlichen
Charakter bietet, um die mannigfaltigsten Studien
zu sammeln: Felsengründe wie langgestreckte
Heidegegend, idyllische, freundliche Täler, male-
rische Dörfer, Waldhöhen und Flußgebiete, so
kam ich zu dem Entschluß, einen Versuch zu
wagen, die Schüler unmittelbar nach der Natur
zeichnen zu lassen, was bis dahin an der Aka-
demie nicht gebräuchlich gewesen war. Es konnte
dies um so leichter ausgeführt werden, als im
Sommerhalbjahr die Zahl der Schüler acht bis
zwölf nicht überstieg, weil meist nur solche am
Unterricht teilnahmen, die sich ganz dem Land-
schaftsfache widmeten. Es
zeigte sich diese Einrich-
tung auch so erfolgreich
und anregend, daß sie bis
heute (1881) in Anwen-
dung geblieben ist. Die
Abwechslung zwischen
Kopieren und Zeichnen
nach der Natur brachte
mehr Frische und Leben-
digkeit unter die Schüler.
Wenn die Schüler beim
Zeichnen im Freien in der
Wahl der Gegenstände
und deren Behandlung zu
größerer Selbsttätigkeit ge-
nötigt waren und hierbei
ihrer Mängel sich mehr be-
wußt wurden, so entstand
daraus der Vorteil, daß
sie im folgenden Winter-
semester mit größerem
Verständnis und leben-
digerem Interesse ihre
Originale nachzeichneten.
Ich komme jetzt aber-
mals an eines jener kleinen
Ereignisse, dessen Folgen
bedeutsam waren und
meinem ganzen ferneren
Leben eine Wendung ga-
ben, die ich mit den Wor-
ten bezeichnen und diesem
Kapitel meiner Erinnerun-
gen als Überschrift voran-
stellen könnte: „Wie ich1
zum Holzchnitt, oder wie
dieser zu mir kam“; und
abermals war der gute Papa
OTTO pilz-dresden Arnold dabei im Spiele,
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zeichnen an der Akademie übernommen hatte,
war es mein erstes, bei den Vorgefundenen Schülern
den unglaublich manierierten Zopf der sogenannten
Zinggschen Schule auszumerzen. Dies war keine
leichte Sache, und vor allem mußte ich die Vor-
lagen, welche zum Kopieren vorhanden waren,
ganz beseitigen und anderes Material herbeizu-
schaffen suchen. Da aber brauchbare Studien
neuerer guter Landschafter damals nicht leicht
zu erlangen oder zu teuer waren, so mußte ich
mich mit dem Ankauf der lithographischen Hefte
von Wagenbauer und einigem anderen dieser Art
begnügen und gab das meiste von meinen eigenen
Studien einstweilen zur Benutzung. So verging
das akademische Wintersemester unter fleißigem
Kopieren. Als aber jetzt der Sommer nahte,
draußen alles in Laub und Blüte stand, da kam
es mir doch allzu lächerlich philiströs vor, in
FAUNJUNGE MIT ZWEI JUNGEN BÄREN. BRONZE
diesen vier Wänden eingeschlossen zu sitzen, um
Naturkopien zu kopieren, während außerhalb
dieser Räume die uralten und ewig neuen Ori-
ginale im Leben voller Schönheit zu schauen
waren. Da nun die Umgegend von Dresden
große Verschiedenheit in ihrem landschaftlichen
Charakter bietet, um die mannigfaltigsten Studien
zu sammeln: Felsengründe wie langgestreckte
Heidegegend, idyllische, freundliche Täler, male-
rische Dörfer, Waldhöhen und Flußgebiete, so
kam ich zu dem Entschluß, einen Versuch zu
wagen, die Schüler unmittelbar nach der Natur
zeichnen zu lassen, was bis dahin an der Aka-
demie nicht gebräuchlich gewesen war. Es konnte
dies um so leichter ausgeführt werden, als im
Sommerhalbjahr die Zahl der Schüler acht bis
zwölf nicht überstieg, weil meist nur solche am
Unterricht teilnahmen, die sich ganz dem Land-
schaftsfache widmeten. Es
zeigte sich diese Einrich-
tung auch so erfolgreich
und anregend, daß sie bis
heute (1881) in Anwen-
dung geblieben ist. Die
Abwechslung zwischen
Kopieren und Zeichnen
nach der Natur brachte
mehr Frische und Leben-
digkeit unter die Schüler.
Wenn die Schüler beim
Zeichnen im Freien in der
Wahl der Gegenstände
und deren Behandlung zu
größerer Selbsttätigkeit ge-
nötigt waren und hierbei
ihrer Mängel sich mehr be-
wußt wurden, so entstand
daraus der Vorteil, daß
sie im folgenden Winter-
semester mit größerem
Verständnis und leben-
digerem Interesse ihre
Originale nachzeichneten.
Ich komme jetzt aber-
mals an eines jener kleinen
Ereignisse, dessen Folgen
bedeutsam waren und
meinem ganzen ferneren
Leben eine Wendung ga-
ben, die ich mit den Wor-
ten bezeichnen und diesem
Kapitel meiner Erinnerun-
gen als Überschrift voran-
stellen könnte: „Wie ich1
zum Holzchnitt, oder wie
dieser zu mir kam“; und
abermals war der gute Papa
OTTO pilz-dresden Arnold dabei im Spiele,
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