Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
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Aus Ludwig Richters Dresdner Erinnerungen: Dresden, 1836-1847
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AUS LUDWIG RICHTERS DRESDNER ERINNERUNGEN
der Kritik Anerkennung. Dann illustrierte er
eine billige Ausgabe von „Studenten-, Jäger- und
Volksliedern.“)
Ich muß hier noch einer vorausgegangenen
Arbeit gedenken, nämlich meiner künstlerischen
Beteiligung an dem illustrierten Musäus, welcher
1842 in G. Wigands Verlag erschien.
Mein alter lieber Vetter, Magister Jung, stieg
mit seiner Bücherkiste wie ein Traum aus der
Jugendzeit herauf und langte mir die drei Bänd-
chen seiner Musäusausgabe zu. Wie hatte ich
doch vor Jahren, an langen Sommerabenden am
offenen Fenster sitzend, beim Schwirren der
Schwalben über den Stadtgraben in diesem
Märchenschatze geschwelgt! Die damals aufge-
stiegenen Bilder meldeten sich wieder, und ich
durfte sie jetzt nur mit dem Bleistift aufs Papier
bringen. So sehr ich mich nun auch in solchem
Schaffen glücklich fühlte, so überfiel mich doch
bei dem Gedanken an die hochberühmten Namen
meiner Mitarbeiter am „Musäus“, Jordan und
Schrödter, eine große Bangigkeit. Hatte ich doch
von jeher eine Scheu gehabt, mit meinem Namen
auf den großen Markt der Öffentlichkeit zu treten.
Bei denjenigen meiner bisherigen Illustrations-
arbeiten, die meinen Namen auf dem Titel
nannten, hatte mich vor dem Er-
scheinen jedesmal eine Art Kanonen-
fieber befallen, wie es manche Schau-
spieler, selbst bedeutende und routi-
nierte, vor jedem Auftreten verspüren
sollen. Mir hatte schon in jüngsten
Jahren ein stilles Inkognitoschaffen
vorgeschwebt, bei welchem ich aus
glücklicher Verborgenheit heraus be-
obachten könnte, wie meine Bilder
die Leute in freudige Bewegung ver-
setzten. Um schaffen zu können,
mußten mir Außenwelt und Publikum
ganz entschwunden sein, und der vor-
liegende Stoff mußte sich meiner so
bemächtigt haben, daß ich ganz in
ihm und seiner Bilderwelt lebte.
Dieses gänzliche Versenken und Ein-
leben in die vor mir liegende Ge-
schichte steigerte sich zur innigsten
Freude und Produktionslust. Oft,
während ich noch an einer Szene
komponierte, stiegen schon drei neue
in meiner Phantasie auf, und ich be-
dauerte, wenn der Abend kam und
der Bleistift weggelegt werden mußte;
denn ich hätte am liebsten die ganzen
Nächte fortarbeiten mögen. Dieser
Überreiz der Phantasie trug etwas
Krankhaftes an sich; es folgten Perioden
der Abspannung, und ein nervöser Zu-
stand bildete sich aus, welcher mir
nachts den Schlaf raubte und die Tage
oft schwer machte. Der Wechsel
zwischen Aufgeregtheit und Abspannung
dauerte auch während der Arbeiten
zu „Bechsteins Märchen“ fort. Bei
der Ergiebigkeit meiner Phantasie be-
dauerte ich es, wenn der Kostenan-
schlag des Verlegers nicht zuließ, die,
Bilderzahl auf das Maß der mir vor-
schwebenden Kompositionen zu brin-
gen, und ich verpuffte, nur um meinem
Schaffensdrang zu genügen, manchen
Einfall in kleinen Vignetten und
HEULENDER WOLF. BRONZE PAUL WALTHER-MEISSEN
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der Kritik Anerkennung. Dann illustrierte er
eine billige Ausgabe von „Studenten-, Jäger- und
Volksliedern.“)
Ich muß hier noch einer vorausgegangenen
Arbeit gedenken, nämlich meiner künstlerischen
Beteiligung an dem illustrierten Musäus, welcher
1842 in G. Wigands Verlag erschien.
Mein alter lieber Vetter, Magister Jung, stieg
mit seiner Bücherkiste wie ein Traum aus der
Jugendzeit herauf und langte mir die drei Bänd-
chen seiner Musäusausgabe zu. Wie hatte ich
doch vor Jahren, an langen Sommerabenden am
offenen Fenster sitzend, beim Schwirren der
Schwalben über den Stadtgraben in diesem
Märchenschatze geschwelgt! Die damals aufge-
stiegenen Bilder meldeten sich wieder, und ich
durfte sie jetzt nur mit dem Bleistift aufs Papier
bringen. So sehr ich mich nun auch in solchem
Schaffen glücklich fühlte, so überfiel mich doch
bei dem Gedanken an die hochberühmten Namen
meiner Mitarbeiter am „Musäus“, Jordan und
Schrödter, eine große Bangigkeit. Hatte ich doch
von jeher eine Scheu gehabt, mit meinem Namen
auf den großen Markt der Öffentlichkeit zu treten.
Bei denjenigen meiner bisherigen Illustrations-
arbeiten, die meinen Namen auf dem Titel
nannten, hatte mich vor dem Er-
scheinen jedesmal eine Art Kanonen-
fieber befallen, wie es manche Schau-
spieler, selbst bedeutende und routi-
nierte, vor jedem Auftreten verspüren
sollen. Mir hatte schon in jüngsten
Jahren ein stilles Inkognitoschaffen
vorgeschwebt, bei welchem ich aus
glücklicher Verborgenheit heraus be-
obachten könnte, wie meine Bilder
die Leute in freudige Bewegung ver-
setzten. Um schaffen zu können,
mußten mir Außenwelt und Publikum
ganz entschwunden sein, und der vor-
liegende Stoff mußte sich meiner so
bemächtigt haben, daß ich ganz in
ihm und seiner Bilderwelt lebte.
Dieses gänzliche Versenken und Ein-
leben in die vor mir liegende Ge-
schichte steigerte sich zur innigsten
Freude und Produktionslust. Oft,
während ich noch an einer Szene
komponierte, stiegen schon drei neue
in meiner Phantasie auf, und ich be-
dauerte, wenn der Abend kam und
der Bleistift weggelegt werden mußte;
denn ich hätte am liebsten die ganzen
Nächte fortarbeiten mögen. Dieser
Überreiz der Phantasie trug etwas
Krankhaftes an sich; es folgten Perioden
der Abspannung, und ein nervöser Zu-
stand bildete sich aus, welcher mir
nachts den Schlaf raubte und die Tage
oft schwer machte. Der Wechsel
zwischen Aufgeregtheit und Abspannung
dauerte auch während der Arbeiten
zu „Bechsteins Märchen“ fort. Bei
der Ergiebigkeit meiner Phantasie be-
dauerte ich es, wenn der Kostenan-
schlag des Verlegers nicht zuließ, die,
Bilderzahl auf das Maß der mir vor-
schwebenden Kompositionen zu brin-
gen, und ich verpuffte, nur um meinem
Schaffensdrang zu genügen, manchen
Einfall in kleinen Vignetten und
HEULENDER WOLF. BRONZE PAUL WALTHER-MEISSEN
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