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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Winter, Gotthard: Meissner Porzellan
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0937

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MEISSNER PORZELLAN

werken aller Art in den Handel brachte und
gegen Gold umsetzte. Damals konnte man auf
den Einfall kommen, ein ganzes Palais nur mit
Porzellangeräten auszustatten und König August
dem Starken, dem größten Kunstfreund und
Lebemann der Zeit, ein riesiges Porzellandenkmal
zu setzen.

Die leitenden, als Maler und Gestalter schöpfe-
rischen und maßgebenden Geister dieser Periode
sind Johann Gregor Höroldt und Johann Joachim
Kändler, einer der besten und fruchtbarsten
Bildner Deutschlands überhaupt. Er ist es auch
gewesen, der dem französischen Rokoko Ein-
gang in die Porzellangestaltung gewährt hat,
dem die Eigenart des Werkstoffes so sehr ent-
gegenkommt, daß sie für einander geschaffen
scheinen. Kändler mußte freilich auch noch
den Niedergang des Rokokogeschmackes erleben,
der Ende der sechziger Jahre dem antikisierenden,
klassizistischen Platz machte, der in der Bildnerei
wieder an die Antike, an klassische Vorbilder

EICHHÖRNCHEN. PORZELLANPLASTIK BILDHAUER WALTHER

Ausführung: Königliche Porzellanmanufaktur Meißen

sich anlehnte und mit dem Namen des Grafen
Camillo Marcolini gekennzeichnet wird, der
leider eine Periode des Niederganges mit zieren
muß. Meißen verlor damals seinen Weltruf
und ließ sich künstlerisch und finanziell von
dem Wettbewerb überflügeln. Im nächsten
halben Jahrhundert sind es nicht mehr die
Künstler, die ihr Wesen und ihren Wert
charakterisieren, sondern ein Techniker, der
Bergrat Kühn, der die Erzeugung umgestaltete
und verbesserte, und ein Kaufmann, Raithel,
der die Manufaktur zur höchsten wirtschaftlichen
Blüte brachte und die größten bisherigen Über-
schüsse an die Staatskasse ablieferte. Hatte der
Leiter der Gestaltung, Prof. Leuteritz, im zweiten
Drittel des 19. Jahrhunderts eine Wiederbelebung
des Rokoko versucht, so bemühte sich sein
Nachfolger Andresen, der Porzellanplastik ein
monumentales Gepräge zu geben und eine mehr
akademische Formensprache, während der Vor-
steher der Malerei Ludwig Sturm die farbige
Dekoration und ihre Mög-
lichkeiten zu erweitern be-
müht war.

Die entgegengesetzten
Forderungen der Moderne
machten sich zuerst auf der
Pariser Weltausstellung ge-
bieterisch geltend, die den
Triumph der Scharffeuer-
farben offenbar werden ließ.
Trotz allem Widerspruch
hat sich auch in Meißen
die moderne Richtung
durchgesetzt, die Scharf-
feuerfarbe gilt als das Ideal
aller Bemalung, und die
Bildnerei paßt sich ihr an.
Die Bemalung der Fläche
tritt nicht mehr in Wett-
bewerb mit der Malerei
auf der Leinwand, sondern
sie ist rein keramisch und
dient nur dem Schmucke
des weißen Werkstoffes, der
in modernen Formen aus-
geprägt wird und seine
Vorbilder der Natur, dem
Leben entnimmt. An der
Spitze der künstlerischen
Tätigkeit stehen jetzt der
Bildhauer Professor Hösel
und der Maler Professor
Achtenhagen, dem techni-
schen Teil stehen vor der
Direktor Oberbergrat Dr.
Heintze und Bergrat Dr.
Förster. Der Geschichts-

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