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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Riegel, Ernst: Goldschmiedearbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0945

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DIE FARBE DES LEBENS

goldenen Fäden um dörflich bunt gekleidete
Mädchen. Kaum, daß einige kärgliche Bäume
und sorgsam gezüchtete Rasenflächen das Weben
der Urnatur ihm noch vortäuschen. Und
schließlich muß der Großstädter, zumal wenn er
Berliner ist, ja noch froh sein, wenn die Häuser
ihre graue Uniform anbehalten und ihm nicht
kühne Fantasien billig wirtschaftender Archi-
tekten seine Spaziergänge verleiden. Aber am
Ende kann nur kulturlose Stumpfheit ohne jeden
koloristischen Anreiz für das Auge auskommen.
Und da von unseren Straßen aus konventionellen

KOKOSNUSSBECHER

Gründen die allzu farbigen Gewänder für die
Frauen verbannt sind, und die Anzüge der
Männer fast so uniform wirken wie die Häuser,
so mußte die Buntheit durch ein vollkommen
fremdes Element in die Gasse hineingetragen
werden. Ließ versteckte Sehnsucht nach der
freien ungefesselten Natur Berlin die Fülle von
Blüten aufgreifen, von denen man Plätze und
ganze Straßenzüge jetzt übersät findet? Und
leitete der Instinkt ihrer ungebrochenen, stets
genußbereiten Lebensfreude sie, als sie diesen
purpurnen Blumensegen in die graue Stadt
brachten? Zuerst erschie-
nen freilich, fast wie ein
schüchterner Yersuch, in
den Sommermonaten nur
Geranientöpfe in allen
Schattierungen von Rot auf
den Balkons, zogen sich
wie leuchtende Ketten an
den grauen Häusermauern
entlang. Zwar wurde ihret-
wegen manch anzügliches
Wort über den hypnoti-
schen Zwang der modi-
schen Vorschriften gesagt.
Aber niemand sollte ver-
gessen, daß die Mode
trotz ihrer scheinbaren
Launen stets eine Folge
psychologischer Erschei-
nungen bleibt, eine An-
nahme, die jedes Blatt
der Kulturgeschichte be-
stätigt. Die roten Gera-
nien, die den griesgrämigen
Steinen zu einem fröhlichen
Leben verhalfen, müssen
mit ihrer beschönigen-
den, daseinsfreudigen Far-
bigkeit den Augen über-
hetzter Großstädter doch
wohl getan haben, sonst
könnten heute nicht Tul-
pen, Azaleen, Päonien und
das ganze Heer rot ge-
färbter Pflanzen sich einen
so breiten Raum im Bilde
der Stadt erobert haben.
Aber hoffentlich kommt es
nicht, wie so oft mit sol-
chen Errungenschaften.
Man meint, sich in Ge-i
nüssen nicht beschränken
zu müssen, und wandelt
mit einer Überschwemmung
von an sich guten Dingen
ERNST RIEQEL-darmstadt das ästhetische Wohlbe-

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