MODERNE KUNST.
III
der unter seinen Brüdern der stärkste war, hat
bei allen Vorführungen in Berlin und auch in
andren Städten unverminderte Anziehungskraft
auf alle Besucher bewiesen. Unsere Abbildung
giebt die Scene wieder, in welcher sich der Führer
des Riesentieres auf dessen Stosszähne ge-
schwungen hat und sich so aus der Arena
tragen lässt, was stets grossen Jubel bei allen
Zuschauern hervorrief.
Wer Madame Rejane, die bekannte
französische Schauspielerin, im vergangenen
Winter in ihren seidenrauschenden, brillanten-
blitzenden Toiletten auf der Bühne des Berliner
Schauspielhauses sah, wer von ihren Triumph-
zügen durch die grossen Städte der Welt hörte, wer
in den Zeitungen las, dass niemand besser das
Wesen der modernen Französin auf der Bühne zu
verkörpern wisse, als gerade sie — der würde kaum
zu glauben imstande gewesen sein, dass diese selt-
same Frau sich Sinn und Geschmack am häuslichen
Leben bewahrt hat, dass sie die kleinen Freuden
naiver Kinder zu würdigen und nachzufühlen ver-
mag. Und doch ist das so. Unser nebenstehendes
Bild zeigt Madame Rejane wie sie zur Belustigung
ihrer Kinder über das Seil springt. Die Pracht-
gewänder haben einem leichtgeschürzten Rock
weichen müssen; die brillanten Frisuren liegen im
Kasten; die Hände, die so bedeutungsvoll den
Fächer auf der Bühne zu handhaben verstanden, schwingen das Seil. Und vielleicht
ist Madame Rejane beim Jubel ihrer Kinder fröhlicher, als wenn ihr brausender Bei-
fallslärm aus Parkett und Logen entgegenhallt. Wer das Bild
betrachtet, wird finden, dass sich die natürliche Anmut, welche die
grosse Bühnendarstellerin so wirkungsvoll in den Dienst der Kunst
zu stellen vermag, auch bei einer naiven Thätigkeit, wie das
Seilspringen, unwillkürlich äussert. Arthur Stiehlcr.
Madame Rejane springt zur
Belustigung ihrer Kinder über das Seil.
Moderne Jongleurkunst. Der aus dem
Wettstreit der Artisten hervorgehende Drang,
Neues, Originelles und noch nicht Dagewesenes
zu schaffen, bringt die ausübenden Künstler der Varietebühne
oft auf die sonderbarsten und aussergewöhnlichsten Einfälle. Am
meisten tritt dies auf dem Gebiete der Jongleurkunst zu l äge.
Das Milieu dieser Kunst ist in dem letzten Jahrzehnt bedeutend
verfeinert worden. An Stelle des im Trikot arbeitenden Künstlers
ist zumeist der
Jongleur ge-
liebe die Deko-
Cafes wählt, in
schiessen lässt,
teller bis zum
stehend das Bild
heit haben wird
im eleganten Salonkostüm auftretende Gentleman-
treten, der zu seiner äusseren Staffage mit Vor-
ration und Einrichtung eines Restaurants oder
dem er dann seiner Kunst und tollen Laune frei die Zügel
und alles, was sich in der Lokalität befindet, vom Porzellan-
Piccolo für seine Produktionen benutzt. Wir bringen neben-
eines Künstlers, welcher demnächst auch bei uns Gelegen-
seine neuen, eigenartigen und sensationellen Künste zu pro-
duzieren. Es ist der bekannte Jongleur Paul Spadoni, der auch
bei dem deutschen Publikum durch seine früheren Leistungen, die
er gemeinsam mit seiner Schwester Agnes ausführte, in gutem An-
gedenken steht. Seine hervorragendste Leistung ist gegenwärtig das
Balancieren eines vollständigen Wagens, den er
mit einem Pferde bespannt, selbst kutschierend
auf die Bühne führt, um hierauf die Räder
auf die Scherbäume zu placieren, und
erstere in Drehung setzend den ganzen
gewichtigen Wagen balanciert. Besonders her-
vorzuheben ist auch aus dem Repertoir des vor-
trefflichen Künstlers das Jonglieren mit einem
fünfteiligen Kaffeeservice und einem zerlegten
Fahrrade, dessen einzelne Teile er in der
Luft herumwirbeln lässt. A. T.
Die Uniformen der I. deutschen
Jonglieren mit den ostasiatischen Brigade. Von der
feilen eines Zweirades, preussischen Pickelhaube ist so viel —
Kluges oder Ungereimtes — gesprochen worden, dass es viele
Leute in der Welt geben mag, die noch heute dieselbe als
Symbol des deutschen Militärtums auffassen, just wie man
ehedem den Soldatenkopf sich nicht anders vorstellen konnte,
als mit dem Zopf behängt; und nun sind es gerade die sehr
ehrenwerten Zopfträger im Lande der Mitte, um derentwillen
unsere „Ostasiaten“ die Pickelhaube mit dem kecken Stroh-
stürmer vertauschen konnten. Wer zum ersten Male die neue Kunde
las: das deutsche Militär trägt Strohhüte, der nickte wohl bedenk-
lich mit dem Kopfe; wer aber die strammen Jungen dann in ihrer
Chinauniform feldmarschmässig ausgerüstet durch die Strassen
ziehen sah, fand, dass die Hüte sehr schmuck aussehen. Da der
eigenartige Kopfschmuck der deutschen Soldaten von so kurzer
Lebensdauer war, wird das unten stehende Bild eine interessante
Erinnerung an den Feldzug gegen die Chinesen bleiben. A. v. R.
* :5:
*
Vom Rössli-Spiele. Neben den Drahtseilbahnen, den Kur-
kapellen und Aktienhotels haben die Schweizer als höchste Errungen-
schaft moderner Fremdenindustrie nun auch noch der Spielbank
Eingang in die freie Schweiz verschafft. Zwar ist es nicht das
Roulette aus dem Kasino von Monaco, zu der man die von den Naturschönheiten
der Alpenpanoramen und den Table d’hötes auf 3000 m Höhe Uebersättigten
lädt — das Hazardspiel, das in allen Hauptkurorten der von Fremden bereisten
Kantone neuerdings so schwunghaft betrieben wird,
hat einen unschuldigeren, ich möchte sagen treu-
herzigeren Namen: es nennt sich „Rösslispiel“ —
im Kursaal von Interlaken „Isebähnli“ — und in
dem von Genf und Montreux „les petits chevaux“.
Aber dem Kern nach ist es trotz des geringeren
Maximaleinsatzes, der nach dem Spielreglement zu-
lässig ist — es sollen nie mehr als „5 Fränkli“ auf
eine Nummer gesetzt werden — genau dasselbe
wie die vielgelästerte Spielhöllenkollegin dort unten
im Süden. Und so erklingt denn heute statt des
fröhlichen „Ju — hu — hu — hu!“ das einst aus
breiter Männerbrust die Landsleute Teils in die
Alpenluft hinausjubilierten, — von trockenen, spröden,
müden Croupierslippen das beträchtlich weniger
melodische: „Faites votre jeu, Messieurs! — Le jeu
est fait; rien ne va plus!“ Das war eine bunte
Gesellschaft, die ich da im letzten Winter im Spiel-
saal von Montreux um die grünen Tische
veftammelt sah: Männlein und Weiblein,
Junge und Alte, Gesunde und Kranke,
in drei- und vierfacher Kette um-
zingelten sie die billardähnlichen Ein-
satzfelder und verfolgten das Hin
und Her der über das platte Tuch
gleitenden Ein-, Zwei- und Fünffrankstücke und den Gang des
originellen Apparats, indem die mit Nummern versehenen Renn-
pferdchen sich im Kreise jagten — so lustig und niedlich an-
zuschauen, als ob’s ein Weihnachtsspielzeug für artige Kinder sei.
Die Mehrzahl der Spielenden bestand übrigens aus Damen — eleganten
Medaille auf die Pariser Pariserinnen, Russinnen und Genferinnen, am Chic ihrer Toilette sofort
Weltausstellung 1900. allf ihre Nationalität hin taxierbar. Doch auch viel deutsche Damen sah
'ch ihr Glück versuchen. Old England war natürlich gleichfalls in der kleinen
Spielhölle vertreten. Auch der etwas verdächtige Trupp jener internationalen
Jeuratten, denen die launische Frau Fortuna das Weiterspiel in Monaco oder Spaa
unmöglich gemacht haben mochte, hatte sich einge- funden. Es handelt
sich im günstigsten Falle um dreissig Franken, die ein Spieler bei einem
jeden der Rennen gewinnen kann. Neun Pferde sinds, deren be-
treffend nummerierte Felder man auf dem benach- jr barten Kassentisch
mit 1—5 Franken belegen kann. Die
Nummern 1—4 stehen links, 6—9 rechts,
Soldat der I. deutschen ost-
asiatischen Brigade.
/JAU-
TM f
Das Rössli-Spiel in Montreux.
III
der unter seinen Brüdern der stärkste war, hat
bei allen Vorführungen in Berlin und auch in
andren Städten unverminderte Anziehungskraft
auf alle Besucher bewiesen. Unsere Abbildung
giebt die Scene wieder, in welcher sich der Führer
des Riesentieres auf dessen Stosszähne ge-
schwungen hat und sich so aus der Arena
tragen lässt, was stets grossen Jubel bei allen
Zuschauern hervorrief.
Wer Madame Rejane, die bekannte
französische Schauspielerin, im vergangenen
Winter in ihren seidenrauschenden, brillanten-
blitzenden Toiletten auf der Bühne des Berliner
Schauspielhauses sah, wer von ihren Triumph-
zügen durch die grossen Städte der Welt hörte, wer
in den Zeitungen las, dass niemand besser das
Wesen der modernen Französin auf der Bühne zu
verkörpern wisse, als gerade sie — der würde kaum
zu glauben imstande gewesen sein, dass diese selt-
same Frau sich Sinn und Geschmack am häuslichen
Leben bewahrt hat, dass sie die kleinen Freuden
naiver Kinder zu würdigen und nachzufühlen ver-
mag. Und doch ist das so. Unser nebenstehendes
Bild zeigt Madame Rejane wie sie zur Belustigung
ihrer Kinder über das Seil springt. Die Pracht-
gewänder haben einem leichtgeschürzten Rock
weichen müssen; die brillanten Frisuren liegen im
Kasten; die Hände, die so bedeutungsvoll den
Fächer auf der Bühne zu handhaben verstanden, schwingen das Seil. Und vielleicht
ist Madame Rejane beim Jubel ihrer Kinder fröhlicher, als wenn ihr brausender Bei-
fallslärm aus Parkett und Logen entgegenhallt. Wer das Bild
betrachtet, wird finden, dass sich die natürliche Anmut, welche die
grosse Bühnendarstellerin so wirkungsvoll in den Dienst der Kunst
zu stellen vermag, auch bei einer naiven Thätigkeit, wie das
Seilspringen, unwillkürlich äussert. Arthur Stiehlcr.
Madame Rejane springt zur
Belustigung ihrer Kinder über das Seil.
Moderne Jongleurkunst. Der aus dem
Wettstreit der Artisten hervorgehende Drang,
Neues, Originelles und noch nicht Dagewesenes
zu schaffen, bringt die ausübenden Künstler der Varietebühne
oft auf die sonderbarsten und aussergewöhnlichsten Einfälle. Am
meisten tritt dies auf dem Gebiete der Jongleurkunst zu l äge.
Das Milieu dieser Kunst ist in dem letzten Jahrzehnt bedeutend
verfeinert worden. An Stelle des im Trikot arbeitenden Künstlers
ist zumeist der
Jongleur ge-
liebe die Deko-
Cafes wählt, in
schiessen lässt,
teller bis zum
stehend das Bild
heit haben wird
im eleganten Salonkostüm auftretende Gentleman-
treten, der zu seiner äusseren Staffage mit Vor-
ration und Einrichtung eines Restaurants oder
dem er dann seiner Kunst und tollen Laune frei die Zügel
und alles, was sich in der Lokalität befindet, vom Porzellan-
Piccolo für seine Produktionen benutzt. Wir bringen neben-
eines Künstlers, welcher demnächst auch bei uns Gelegen-
seine neuen, eigenartigen und sensationellen Künste zu pro-
duzieren. Es ist der bekannte Jongleur Paul Spadoni, der auch
bei dem deutschen Publikum durch seine früheren Leistungen, die
er gemeinsam mit seiner Schwester Agnes ausführte, in gutem An-
gedenken steht. Seine hervorragendste Leistung ist gegenwärtig das
Balancieren eines vollständigen Wagens, den er
mit einem Pferde bespannt, selbst kutschierend
auf die Bühne führt, um hierauf die Räder
auf die Scherbäume zu placieren, und
erstere in Drehung setzend den ganzen
gewichtigen Wagen balanciert. Besonders her-
vorzuheben ist auch aus dem Repertoir des vor-
trefflichen Künstlers das Jonglieren mit einem
fünfteiligen Kaffeeservice und einem zerlegten
Fahrrade, dessen einzelne Teile er in der
Luft herumwirbeln lässt. A. T.
Die Uniformen der I. deutschen
Jonglieren mit den ostasiatischen Brigade. Von der
feilen eines Zweirades, preussischen Pickelhaube ist so viel —
Kluges oder Ungereimtes — gesprochen worden, dass es viele
Leute in der Welt geben mag, die noch heute dieselbe als
Symbol des deutschen Militärtums auffassen, just wie man
ehedem den Soldatenkopf sich nicht anders vorstellen konnte,
als mit dem Zopf behängt; und nun sind es gerade die sehr
ehrenwerten Zopfträger im Lande der Mitte, um derentwillen
unsere „Ostasiaten“ die Pickelhaube mit dem kecken Stroh-
stürmer vertauschen konnten. Wer zum ersten Male die neue Kunde
las: das deutsche Militär trägt Strohhüte, der nickte wohl bedenk-
lich mit dem Kopfe; wer aber die strammen Jungen dann in ihrer
Chinauniform feldmarschmässig ausgerüstet durch die Strassen
ziehen sah, fand, dass die Hüte sehr schmuck aussehen. Da der
eigenartige Kopfschmuck der deutschen Soldaten von so kurzer
Lebensdauer war, wird das unten stehende Bild eine interessante
Erinnerung an den Feldzug gegen die Chinesen bleiben. A. v. R.
* :5:
*
Vom Rössli-Spiele. Neben den Drahtseilbahnen, den Kur-
kapellen und Aktienhotels haben die Schweizer als höchste Errungen-
schaft moderner Fremdenindustrie nun auch noch der Spielbank
Eingang in die freie Schweiz verschafft. Zwar ist es nicht das
Roulette aus dem Kasino von Monaco, zu der man die von den Naturschönheiten
der Alpenpanoramen und den Table d’hötes auf 3000 m Höhe Uebersättigten
lädt — das Hazardspiel, das in allen Hauptkurorten der von Fremden bereisten
Kantone neuerdings so schwunghaft betrieben wird,
hat einen unschuldigeren, ich möchte sagen treu-
herzigeren Namen: es nennt sich „Rösslispiel“ —
im Kursaal von Interlaken „Isebähnli“ — und in
dem von Genf und Montreux „les petits chevaux“.
Aber dem Kern nach ist es trotz des geringeren
Maximaleinsatzes, der nach dem Spielreglement zu-
lässig ist — es sollen nie mehr als „5 Fränkli“ auf
eine Nummer gesetzt werden — genau dasselbe
wie die vielgelästerte Spielhöllenkollegin dort unten
im Süden. Und so erklingt denn heute statt des
fröhlichen „Ju — hu — hu — hu!“ das einst aus
breiter Männerbrust die Landsleute Teils in die
Alpenluft hinausjubilierten, — von trockenen, spröden,
müden Croupierslippen das beträchtlich weniger
melodische: „Faites votre jeu, Messieurs! — Le jeu
est fait; rien ne va plus!“ Das war eine bunte
Gesellschaft, die ich da im letzten Winter im Spiel-
saal von Montreux um die grünen Tische
veftammelt sah: Männlein und Weiblein,
Junge und Alte, Gesunde und Kranke,
in drei- und vierfacher Kette um-
zingelten sie die billardähnlichen Ein-
satzfelder und verfolgten das Hin
und Her der über das platte Tuch
gleitenden Ein-, Zwei- und Fünffrankstücke und den Gang des
originellen Apparats, indem die mit Nummern versehenen Renn-
pferdchen sich im Kreise jagten — so lustig und niedlich an-
zuschauen, als ob’s ein Weihnachtsspielzeug für artige Kinder sei.
Die Mehrzahl der Spielenden bestand übrigens aus Damen — eleganten
Medaille auf die Pariser Pariserinnen, Russinnen und Genferinnen, am Chic ihrer Toilette sofort
Weltausstellung 1900. allf ihre Nationalität hin taxierbar. Doch auch viel deutsche Damen sah
'ch ihr Glück versuchen. Old England war natürlich gleichfalls in der kleinen
Spielhölle vertreten. Auch der etwas verdächtige Trupp jener internationalen
Jeuratten, denen die launische Frau Fortuna das Weiterspiel in Monaco oder Spaa
unmöglich gemacht haben mochte, hatte sich einge- funden. Es handelt
sich im günstigsten Falle um dreissig Franken, die ein Spieler bei einem
jeden der Rennen gewinnen kann. Neun Pferde sinds, deren be-
treffend nummerierte Felder man auf dem benach- jr barten Kassentisch
mit 1—5 Franken belegen kann. Die
Nummern 1—4 stehen links, 6—9 rechts,
Soldat der I. deutschen ost-
asiatischen Brigade.
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TM f
Das Rössli-Spiel in Montreux.