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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Dincklage-Campe, Friedrich von: Wie fährt unser Kaiser?, [1]: Eine Wanderung durch den Fahrstall
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0056

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MODERNE KUNST.

Organisation dieses Zweiges der kaiserlichen Hofhaltung, deren fertige Resultate
freilich der Berliner mit berechtigtem Lokalpatriotismus etwa in dem Satze aus-
drückt: „Unser Marstall ist doch wahrhaft kaiserlich — kaiserwürdig. — Wo gäbe
es sonst Pferde wie unsere Ostpreussen?“

Und — sie haben recht. Wohl sind die kaiserlichen Marställe zu Wien und
Petersburg in Zahl der Pferde dem deutschen — dem preussischen — dem Ber-
liner, nicht unerheblich überlegen, aber an Güte des Materials, in der Vortrefflich-
keit der Ausbildung, in der Präcision, die als Resultat einer echt preussischen
Disciplin auch hier hervortritt — gewiss nicht!

Der gesamte Marstall — Reitstall und Fahrstall zusammen — steht unter
Leitung des Oberstallmeisters Grafen von Wedel.

Von der Gesamtzahl der 340 Pferde fallen auf den Fahrstall in Berlin
etwa 200, während der Equipagenstall in Potsdam 40 bis 45 Pferde aufweist, die
im Marstallgebäude am Neuen Markte stationiert sind. Ueber dem Mittelthor
dieses Baues erhebt sich in Sandstein ausgeführt, eine Quadriga —, ein Vier-
gespann vor eine Kalesche aus dem 17. Jahrhundert gespannt und durch einen
bezopften Kutscher geführt. Ein Stück Kunstrealismus aus dem vorigen Jahr-
hundert. Die Pferde dieses Fahrstalles sind sämtlich Rappstuten. Die Leitung
ist dem kgl. Stallmeister Herrn Schollwer anvertraut.

Der Berliner Fahrstall, auch die Detachierung beim neuen Palais, ist dem
kgl. Stallmeister Herrn Nestler unterstellt und zum grössten Teile an der Breiten
Strasse, im eigentlichen Marstallgebäude, untergebracht. Der Neubau ist ein
hervorragender Schmuck für unsere Kaiserstadt und ein Ehrenmonument für
die Baukunst am Schlüsse des 19. Jahrhunderts. Freilich — Millionen hat die
kaiserliche Kronkasse hineinstecken müssen, doch dürfte eine bedeutende Quote
der Unkosten durch den Verkauf der Marstallsgrundstücke in der Dorotheen-
strasse gedeckt werden. Die Parterreräume des neuen Marstallgebäudes sind
zu Stallungen eingerichtet, während durch sinnreich angelegte Lifts die Equipagen
in den ersten Stock hinauf gehoben werden sollen. Dort, in grossen hellen
Remisen, werden die hunderte von Wagen und Schlitten des Marstalles über-
sichtlich ihren Platz finden. Durch das Hauptportal arr der Breiten Strasse in
das Marstallgebäude eingetreten und nach gewährter Erlaubnis durch den kgl.
Stallmeister, betreten wir das ,Pferdeschloss1. Ein freundlicher Stallbeamter
übernimmt bereitwillig die Führung und durch die breiten hellen Stallgassen
geht die Wanderung. Unter blauen, gelbrot eingefassten Decken mit dem könig-
lichen W. und Krone in gelb gezeichnet, stehen sie da, die sorgsam gepflegten
edlen Pferde — durchweg Rapphengste Trakehner Blutes. Die breiten Kasten-
stände sind von messingbeschlagenen Pilaren begrenzt und tragen Fliesentäfelung
an den Wänden. Namentafeln über den Raufen geben Auskunft über Ab-
stammung und Alter. Alle Metallteile glänzen — Reinlichkeit bis in das Kleinste
tritt überall entgegen und der wohlthuende Eindruck wird gehoben durch die
Haltung und den Anzug all der jungen, frischaussehenden Männer, die mit
roten Stalljacken bekleidet und in weissen Lederhosen mit Stulpstiefeln da
beschäftigt sind, — alles gediente Kavalleristen. Der Stalldienst wird durchaus
militärisch gehandhabt. Jeder Zug — 8 Pferde — steht unter einem , Ober-
kutscher“ — als Berittführer, der von Stallwachen befreit ist und vier
,Kutscher1 — als Pferdewärter unter sich hat. Eine Reihe solcher Beritts ist
einem Wagenmeister unterstellt, im Range den Sattel-
meistern des Reitstailes gleichgestellt und zu den Hof-
offizianten zählend, wie die Hoffouriere etc. Dieser
leitet den Dienst des Stalles, bestimmt über die zu
stellenden Wagen für Hofbeamte und Hofchargen, trägt
die universelle Verantwortung für Stalldienst, Fütterung,

Präcision. Bespannung, Beschlag, hält Appell ab u. s. w.

Die Wagenmeister, deren es 10 giebt, statten täglich
früh dem Stallmeister Rapporte ab, deren Zusammen-
stellung an den Oberstallmeister geht.

Den eigentlichen Leibzug bilden die Pferde, die
speziell zur Verfügung Ihrer Majestäten unter der Auf-
sicht des Wagenmeisters Borchard stehen und 4 Paar
Rappen für die Kaiserin, 3 Paar Rappen für den Kaiser,

16 ungarische Schimmel (Juckerzüge) und 3 Dogcart-
Pferde zum Selbstfahren für Se. Majestät umfassen. ■—

Die Remonten für den Fahrstall werden nach
Einstellung sofort unter dem Sattel gearbeitet, wie die-
jenigen des Reitstalles — alle Zugpferde sind daher
auch als Reitpferde ausgebildet und werden ja zum
grossen Teile — durch die Spitzreiter z. B. — auch als
solche benutzt. Alle Stallbediensteten sind zugleich
Reiter und auch ältere Pferde werden ab und zu
wieder unter dem Reiter gearbeitet oder bewegt. Der
Reitunterricht ist ganz analog dem der Kavallerie, und
wenn auch mit den Zugpferden nicht wie im Reitstalle
Springübungen vorgenommen werden, so wird doch
das jüngere Personal dauernd in Uebung gehalten.

Sogar die Freiübungen, die den Reiter vom Pferde
unabhängig und sicher machen sollen und bei der
Kavallerie durch Waffenübungen, Lanzenfängen u. s. w.
vervollständigt werden, finden Ersatz in einer Art

Ballspiel zu Pferde, durch Leib-Stallmeister Plinzner eingeführt. Das ist
natürlich nur auf älteren Pferden ausführbar, nicht auf Remonten.

Für die ersten Monate — Oktober bis etwa März — stehen die Remonten
zur Vermeidung von Ansteckung separiert im Stalle des Neuen Palais. Durch
einen Wagenmeister und unter den jüngsten Vorreitern oder Hiilfsstalldienern
vorgearbeitet — meist im Freien, nur bei ungünstigem Wetter in der Bahn —
werden die Remonten zum Frühjahr mit ihrem demnächstigen Beruf zuerst durch
das „Gängeln“ bekannt gemacht, nachdem sie an das Geschirr gewöhnt wurden.
Einige Stallleute hängen sich an die verlängerten Zugstränge und lassen sich
durch die unter dem Reiter befindliche Remonte vorwärts ziehen. Eine weitere
Uebung bildet das Ziehen einer Schleife und dann folgt die Arbeit vor dem
Wagen — eingespannt neben einem Schulmeister — einem älteren,
ruhigen Pferde. Doch bald geht's auch ohne den Schulmeister und es werden
zwei Remonten zusammengespannt. Die eigentliche Arbeit des Einfahrens beginnt
aber erst, wenn am Winterschluss die Remonten nach Berlin übersiedeln. Da giebt
es in den belebten Strassen zahllose Pferdeschrecknisse zu überwinden. Jedes
Scheuen auf dem glatten Pflaster oder Asphalt wird zur Gefahr für die Knochen
der edlen Tiere. Aber — geschickte Führung überwindet auch diese Gefahren. Vom
Bock des hohen Einfahrwagens aus leitet der Kutscher, den stets ein oder zwei
jüngere Vorreiter oder Stallleute begleiten, die mutigen Pferde durch die Strassen
der Grossstadt. Wohl blitzen die Augen der feurigen Hengste, wohl schnauben
sie bei weit geöffneten Nüstern — aber schon kennen sie ihren Meister, schon
lernten sie den Gehorsam, die erste Grundlage auch der Pferdeerziehung. Die
Berliner aber sehen gern den schönen Rappen nach. „Unsere Ostpreussen!“
klingt es mitunter nicht ohne Stolz aus den Reihen der Vorübergehenden. Nicht
lange — und unsere Ostpreussen haben kein Interesse mehr für das Gewoge
der Grossstadt. — Aber draussen. auf dem Tempelhofer Felde — da, wo das
Volk in Waffen sich bewegt — da giebt es noch Furchtbares. Zitternd und
schnaubend treten die Hengste heran an die Tambours, an die feuernden Schützen!
Und die Artillerie! Doch auch das lernen sie kennen, ja sogar der entsetzliche
Schellenbaum mit seinen Rossschweifen, seinen Glocken und Ketten verliert
seine Schrecken. — Wenn die Remonten recht gehorsam und wohlerzogen sind,
dann kommen sie vielleicht schon im nächsten Jahre in den Viererzug.

Nächst dem Zweigespann benutzen die Majestäten am häufigsten den Vierer-
zug, und zwar wird am meisten älaDaumont, d. h. ohne Kutscher mit Reitern
— Jockeys — auf den Sattelpferden gefahren. Doch fährt auch der Kaiser häufig
mit vier Schimmeljuckern vom Bock — in diesem Falle auch ohne Vorreiter.
Mit Sechsen vom Bock wird selten gefahren. Dagegen fährt Ihre Majestät bei
allen feierlichen Gelegenheiten, Paraden u. s. w. mit Sechsen ä la Daumont.
Achter-Züge kommen nur bei ganz offiziellen Gelegenheiten in Frage. Es werden
dann die Stangenpferde vom Bock gefahren, die übrigen durch Vorreiter zu
Fuss geführt. Dass bei solchen Anlässen die eigentlichen Galawagen und die
reich mit Silber geschmückten Galageschirre benutzt werden, ist selbstverständlich.
Auch die Pferde der Spitzreiter tragen das Kopfzeug der Zugpferde mit Chenille-
verzierung und Straussenfedern. Die grossen Galalivreen sind mit silbernen
Adlertressen so reich besetzt, dass kaum das Tuch sichtbar bleibt, den Kopf der
Marstallleute deckt die sammetne, silberbesetzte Jockeymiitze. [Fortsetzung folgt]

A. Stock: Einfahren der Remonten.
 
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