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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Malkowsky, Georg: Eine Werkstätte der Bühnentracht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0072

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30

MODERNE KUNST.

I

die Führung. Da ist zunächst die AVerkstätte des
Rüstmeisters. Ein Werkstück nach dem andern weist
er vor und erläutert seine Vorzüge. „Sehen Sie, unsere
Beinschienen sind alle direkt nach dem Unterschenkel
modelliert. Sie sitzen wie angegossen. Die Finger der
Eisenhandschuhe und die Charniere des Nackenschutzes
federn, ganz wie anno dazumal.“ „Aber das Gewicht der
Rüstung müssen Sie doch herabsetzen.“ Ein mitleidiges
Lächeln gleitet über seine Züge. „Wir denken garnicht
daran. Es handelt sich höchstens um eine Differenz von
ein paar Pfund. Barnay hat einmal ganz richtig gesagt:
Der Schauspieler muss fühlen, dass er ein Eisenkleid anhat.
Sonst tanzt er nur auf der Bühne herum. Es geht eben
nichts über die Echtheit.“

Für den Rüstmeister und für den Schwertfeger
giebt es in unseren Bühnenausstattungen keinen trüge-
rischen Schein mehr. Solinger Klingen stecken in Körben
und Griffen aus geschnittenem Eisen, und die Scheide
eines geraden maurischen Kriegsschwertes ist mit echten
Emaillen geschmückt. Es giebt auf der Bühne Waffen,
die beinahe ebenso kostspielig sind wie die Originale.
Muss einmal im Zweikampf ein Schwert zerbrochen
werden, so ist dafür gesorgt, dass der Schaden nicht
unreparierbar ist. An der Klinge läuft eine Schiene
hinunter, die mit einem Ringe die Bruchstelle umschliesst.
Durch einen Fingerdruck wird sie nach dem Griff hinauf-
gezogen, und die untere Hälfte fällt klirrend zu Boden.

Natürlich hat auch die Echtheit ihre Abstufungen. Wo die Komparserie
anfängt, tritt das Blech in seine Rechte, der Filz und — der Bindfaden. Wenn
die Schlacht bei Azincourt geschlagen wird, müssen sich Engländer und Fran-
zosen gleichmässig vor unbedachten Kopfhieben hüten. Ein heruntergeschlagener
„Morion“ würde im Klange des Aufschlagens nicht von einem weichen Schlapp-
hut zu unterscheiden sein, denn das Material, aus dem er hergestellt wird, ist
— Filz. In runden oder viereckigen Stücken liegt er in der litttntacherei.
Der Meister taucht ihn in heisses Wasser und zieht und dehnt ihn über einem
Modellkopf, bis er bestimmte Formen annimmt und zu einem „Wallensteiner“,
einem „Boerenhut“ oder einer Eisenhaube wird. Im letzteren Fall wird das
Bronzieren mit dem entsprechenden Metallstaub vorgenommen. Der Filz ist in
den Theaterwerkstätten ein ausserordentlich gesuchtes Material, weil er leicht
zu formen ist. Auf dem Kamin in der Eintrittshalle steht eine Majolikavase,
die statt eines Sprunges — einen Riss aufzuweisen hat. Filzvasen sind un-
zerbrechlich, aber zerreissbar.

Kettenpanzer werden in der Passementerie hergestellt, d. h. gestrickt.
Als Material verwendet man Bindfaden, die mit einem Metallüberzug versehen
werden, oder silberbesponnenes Garn. Der Strickstrumpf bekommt hier eine
kriegerische Bedeutung, von der unsere Grossmütter sich nichts träumen Hessen.
Und nun geraten wir immer tiefer in die Welt des trügerischen Scheins. Der
Klempner tritt an die Stelle des Rüstmeisters. Für Operette, Ballet und Aus-
stattungsstück müssen Blechpanzer genügen, die einen Lacküberzug erhalten.
Aus einem einfachen Topf giesst der Lackierer die Farbe über die Metallfläche hin,
und die Brustplatte erstrahlt in einem glänzenden Grün, das im Rampenlicht eine
höchst unwahrscheinliche, aber gerade darum märchenhafte Wirkung hervorbringt.

Ausserordentlich leistungsfähig ist die Abteilung für Sattlerei und sonstige
Lederarbeiten. Zaumzeug und Schwertgürte, Schuhe und Ritterstiefel werden
hier trotz aller Schnellarbeit in einer Dauerhaftigkeit hergestellt, die dem
feurigsten Phantasietanz und dem wuchtigsten Heldenschritt standhält. Natür-
lich muss bei der Massenfabrikation der Fussbekleidung auf die verschiedensten
Grössen Rücksicht genommen werden. Das Sohlleder liegt in mehreren Schichten

ist sicher, gut und nicht zu teuer bedient zu werden. Es ist ein vielgliedriger
Organismus, der hier für Bühnenzwecke in Thätigkeit gesetzt wird. Handelt es
sich doch um nichts geringeres, als ganze Epochen mit dem ihnen eigentüm-
lichen Milieu, mit ihrem Hausrat und ihrer Kleidung, wirklichkeitstreu vor den
Augen des Zuschauers erstehen zu lassen.

In der Leibnitzstrasse in Charlottenburg erhebt sich ein roter Ziegelbau im
phantasievollen Sehringstil, mit Rundbogenfenstern und statuengeschmückten
Nischen, seltsam gegen seine nüchterne Umgebung abstechend. Ein stiller Vor-
hof mit lagernden Sphynxen und wasserlosen Wandbrunnen, und dann ein
zweiter Hof, dessen ganze Ausstattung an eine mittelalterliche Burg erinnert.
Unregelmässige Fenster schauen auf den grasbewachsenen Hof herab, von dem
aus man seitwärts in einen engen Garten blickt. Dem Eingang gegenüber steht
ein Geschütz auf seiner Lafette, und ein eisenbeschlagenes Thor wird rechts
und links von ein paar rostzerfressenen Böllern flankiert. Man muss einen
Blick auf das Firmenschild des Hauses: „Verch & Flothow, Fabrik für Theater-
ausstattungen“ werfen, um sich davon überzeugen, dass selbst der Rost der Ge-
schützrohre künstlich hergestellt ist.

Knarrend öffnet sich das „Burgthor“ und wir betreten eine hohe, durch
zwei Etagen gehende Halle mit geschnitzter Treppe und offenen Galerien. Das
Ganze macht mit seinem hohen Kamin, mit seinen Täfelungen und Schnitzereien
den Eindruck einer mittelalterlichen Diele. Der Eingangsthür gegenüber steht
eine Rüstung, die genau der im Zeughaus befindlichen des Kurfürsten Joachim II.
nachgebildet ist, daneben ein Prunkharnisch in den Formen des XVI. Jahr-
hunderts, auf dessen Brustseite der Kampf um die Leiche des Patroklos nach
dem Corneliusschen Karton in getriebener Arbeit dargestellt ist. An der Längs-
wand stampft ein vollgepanzertes Tournierross den Boden, darüber hängen
phantastisch mit Fähnchen und lang herabwallenden Decken geschmückte Helme
und bunt bemalte Wappenschilde, und an den Schmalseiten reihen sich ciselierte
Plattenrüstungen in gotischen und Renaissanceformen an. All diese Prunkstücke
sind in den eigenen Werkstätten genau nach den Originalen hergestellt.

Der Herr des Hauses, von seinem Geschäftsführer gefolgt, übernimmt

E. Thiel:

Eine Werkstätte der Bühnentracht.
Hutmacher.
 
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