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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Lohmeyer, Julius: Alpenglühen, [3]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0083

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MODERNE KUNST.

39

kleinerer Kinder drängte
sich mit lauter Ungeduld
und Lärmen aus der Thür
hervor dem dampfenden
Mittagssüpplein daheim ent-
gegen. Die zierliche kleine
Schulschwester in ihrer
schwarzen Tracht und dem
weissenHäubchen, mitihren
allzeit fröhlichen glänzenden
Augen stand unter der Thür
und entliess ihre Kinder-
schar, hier mahnend und
wehrend, dort freundlich
zunickend, von all den blon-
den Köpfchen und blauen
Kinderaugen, die mit Ehr-
furcht und Liebe zu ihr auf-
schauten, den Mittagsab-
schied entgegennehmend.

Der Rat, der seit Jahren
die Schwester kannte, bat
den Professor, einen Augen-
blick vom Wege ablenken
zu dürfen, und begrüsste
seine kleine Freundin mit
herzlichem Handschlag, den
sie mit offener Freude er-
widerte. Dann stellte er ihr
seine Nichte vor, welche
Schwester Benigna schon
aus seinen früheren Mittei-
lungen über seine Familie
kannte. Die Augen der bei-
den Mädchen fanden sich
vom ersten Momente an in ,
teilnehmendem Zutrauen.

Der Professor, der ziem-
lich verständnislos auf die
Gruppehinüberschaute, war
zurückgeblieben und wartete
ungeduldig in einiger Ent-
fernung. Schwester Benigna
trat freundlich auf ihn zu
und ruhte nicht, bis auch
er ihr, allerdings ziemlich
widerwillig, in ihr Stübchen
hinauf folgte.

Es war ein freundlicher,
mittelgrosser und tagheller
Raum im ersten Stockwerk
des früheren Klosters, mit
roher gefirnisster Bretter-
wand bekleidet, aber voll
Licht und Sonnenglanz und
von blitzender Sauberkeit.

Aus den Fenstern, die in
buntem Sommerblumenflor
prangten, sah man auf tief-
stille, weite grüne Matten-
gründe und über wenige verstreute Alpenhütten. Im Hintergründe erhob sich
die mächtige Pyramide des Ganter. Einige Stühle, ein Bett, ein Tisch, ein
Regal, einige bunte Heiligenbilder an der Wand und ein geschnitztes Kreuz über
dem Bett waren der Schmuck und das Mobiliar des einfachen Zimmers, das
ihnen jetzt die kleine anmutige Schwester von Enemetten mit glückstrahlender
Miene wies, als wollte sie sagen: „WTie? Ist es hier nicht schön bei mir? Habt
Ihr je ein schmuckeres Nest gesehen als das meinige? Bin ich nicht reich?“

Es war eine Lust sie dabei zu betrachten in ihrer heiteren Sicherheit und
Fröhlichkeit. Man fühlte, es konnte kein einfältigeres, gottvergnügteres, dank-
erfüllteres Dasein geben als das ihrige. Sie zeigte Edith beglückt alle ihre
kleinen Schätze, die sie gelegentlich von Besuchern für „ihre Kinder“ erhalten
hatte: Bücher und Bilder, Versteinerungen, Bergkrystalle und allerlei andere
Alpenfunde, die Edith mit ehrlicher Bewunderung in Augenschein nahm.

„O, das ist schön, lieber Herr Rat“, wandte sich die Schwester immer
wieder an den alten Herrn und man sah ihr die Freude und Dankbarkeit an,
„dass Sie mich wieder einmal besuchen und mir Ihre Nichte mitgebracht haben!“

„Und was haben Sie inzwischen erlebt, liebe Schwester?“

„Viel Schnee und Gestürm, sonst, dass ich nicht wüsste, Herr Rat. Einmal
im Frühjahr war Feuer im Oertl drüben.“

„Und waren Sie stets
gesund, Schwester?“

„Alleweil“, lachte sie
und liess vergnügt ihre
blanken Zahnreihen blitzen.
„Die Kindle sind guet und
fleissi“, berichtete sie weiter.
„Ein klein' lieb’ Mädle ist
mir gestorbe, das Vronli aus
dem Endlibuch. Und im
März hat mi die Oberin von
Luzern besucht“, fügte sie
wichtig hinzu, um doch ja
ihr grösstes Erlebnis nicht
zu vergessen; dann ent-
schuldigte sie sich aber und
eilte rasch hinaus.

Edith erfreute sich an
dem friedlichen sonntäg-
lichen Raum mit dem Blick
auf der Matten Einsamkeit,
und auch Ruthard blieb
nicht unempfänglich für
den Eindruck tiefsten
Seelenfriedens.

„Wie Gott will!“ stand
über dem Eingang und auf
dem frohgemuten Gesicht
der Schwester hell zu lesen.

Bald kam sie lachend
wieder herein, einen Krug
voll Milch in den Händen,
und bedachte jeden ihrer
Besucher mit einem vollen
Glase.

Edith bat die Schwester,
ihr ein Andenken schicken
zu dürfen. Der Rat aber
mahnte zur Weiterwande-
rung und warf dabei ein
Geldgeschenk in die „Kin-
der-Armenbüchse“ an der
Thür.

An der Wegscheide
nahmen sie Abschied. Doch
blieb die Schwester lange
an der Brücke stehen, strich
sich in sinnender Fröhlich-
keit die Schürze glatt und
sah den Abziehenden nach.
Es war ihr das heute ein
schönes, helles Erlebnis,
dessen sie in ihrer Einsam-
keit gewiss noch lange ge-
dachte.

„Wahrhaftig ergreifend,
aber doch im Grunde ein
etwas blödes Dasein“,meinte
Ruthard in fast entschuldi-
gendem Tone.

„Das kann ich in der That nicht finden. Ich meine, man könnte die
Schwester eigentlich beneiden“, antwortete Edith.

„Ich bitte Sie“, sagte der Rat, der die Worte Ruthards gehört hatte, fast
verletzt, „was können Sie denn höher auf der Welt preisen, als ein so glück-
liches, weltvergnügtes Dasein wie das dieser Schwester in ihrer Einsiedelei!“
„Wohl, aber doch nur ein Glück stumpfer Einfalt.“

„Nun, ich habe allen Respekt vor der Einheit dieser mit Gott und Welt in
Harmonie stehenden Natur und dem treulichen, aufopfernden Thun in ihrem
kleinen Kreise. Ich bitte Sie, was ist denn, von einem höheren Standpunkt
aus gesehen, all unser Thun, unser eingebildeter Geistesreichtum, unser
Weitblick? Eine Lächerlichkeit! Ehrfurcht, ehrfürchtige Unterordnung, gleichviel
wo man sie findet, dankbar-freudige Weltbejahung bleibt doch unter allen Um-
ständen das Höchste, Köstlichste, zu dem wir kommen können.“

„Nun, wahrhaftig, ich wollte doch lieber in lodernden Lebensflammen ver-
sprühen, als so, gleich einem verknisternden Dochte in versiegendem Oellämpchen,
verglimmen!“ fuhr Ruthard auf.

„Ich bedaure, dass wir uns nicht verstehen, dass Sie dieses Glück treuen
Wirkens und freudigen Entsagens nicht zu schätzen wissen“, meinte der Rat
etwas resigniert.

Joh. Bcnk: Gruppe der österreichischen Zuckerindustrie.
 
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