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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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MODERNE KUNST.

IX

>er erste Jplumenkorso
auf Helgoland.

cyr

[Nachdruck verboten.]

u Beginn der dritten Augustwoche
dieses Jahres konnte man in der
belebtesten Strasse Helgolands die Bade-
gäste an der amtlichen Ankündigungstafel
in ungewöhnlich lebhaften Gruppen stehen
sehen und aufgeregt debattieren hören.

„Das wird ja eine nette Blamage
werden“, lachte ein junger Berliner.

„Blumenkorso auf Helgoland! Ein ein-
ziges Pferd ist auf der ganzen Insel vor-
handen, denn die vierbeinigen Beester
können den salzigen Hafer hier nicht ver-
dauen. Ein Blumenkorso ohne Hottehüs
— einfach lächerlich.“

„Das verstehen die ,Beliner‘ nich“,
entgegnete ironisch ein Hamburger Herr,

„auf dem Oberlande gedeihen die Schafe
prächtig trotz der Salzkräuter und trotz
der massenhaft vorhandenen ,Beliner‘.

Warum sollen die Blumenwagen auf
Plelgoland nicht durch — Hammel in
Bewegung gesetzt werden — nech?“

„Meine Herrschaften“, entschied ein
seit drei Lustren in Berlin lebender
Wiener, „warum wollen wir uns denn
das Köpken des Herrn Badedirektors
zerbrechen? Nee, nich in die Lamäng!

Wir Oesterreicher san froh, dass jelegent-
lich des siebzigsten Geburtsfestes unseres
Kaisers Franz Josef zum erstenmal ein Blumenkorso veranstaltet wird. Die
Ehre wissen wir zu schätzen. Wer wird denn auch nur den geringsten Zweifel
in das prächtige Gelingen dieser Veranstaltung setzen? Der Blumenkorso muss

gelingen! Das Gegenteil — jiebts ja jar nich!“-—

Am Vorabend des Geburtsfestes war das Theater bis auf das letzte Plätzchen
gefüllt. Der Zettel versprach ein Festspiel „Auf Helgoland“. Drei Sterne be-
zeichneten den Verfasser. Der Vorhang rauschte empor. Wir erblicken am
fernen Horizont die Düne. Die Bühne stellt den Landungsplatz von Helgoland
dar, die berühmte und gefürchtete Lästerallee. Kein Schiffspassagier kann die
Insel betreten, ohne die Lästerallee zu durchschreiten. Welche Spöttereien
müssen die armen Seekranken über sich ergehen lassen. Am nächsten Tage
aber stehen sie auch in der Allee und lästern tapfer mit!

Eine fesche Ungarin ist froh, dass sie von den Lästerern nicht allzu hart
behandelt wurde und giebt ihrer Freude Ausdruck, wieder auf der eigenartigen
Insel festen Fuss gefasst zu haben. Erstaunt bemerkt Vilma, dass die Insel fest-
lich geschmückt ist. Vilmas Gatte, ein fescher Wiener, besingt alles, was auf
Helgoland schön und — verbesserungsbedürftig. Er schliesst mit dem Refrain:

Das ist mein Helgoland, mein liebes Helgoland,

Dahin da ziehts mich hin, dahin da geht mein Sinn,

Das ist mein Helgoland,

Perle am Nordseestrand

Nach einer Aufnahme von Hofphotograph Schensky, Helgoland.

Eine hübsche Helgoländerin, Stina Riemers, schwärmt von ihrer Insel in den
hellsten Tönen. Nach und nach finden sich die Helgoländer in Scharen ein und
die angekommenen Oesterreicher tanzen ihnen einen echten Wiener Walzer vor.
Da müssen die Helgoländer doch auch ihre Künste zeigen und der originelle
Siebenabsprung wird zum Besten gegeben. Zweimal wöchentlich können die
Fremden in der Meereswoge die Einheimischen beim Tanzen beobachten. Auf
der Bühne aber waren die schönsten Helgoländerinnen, die kräftigsten Helgo-
länder vereint, um den ländlichen Tanz auszuführen, und der Tanzmeister von
Helgoland liess es sich nicht nehmen, selbst das Kommando zu führen. Die
Oesterreicher und die Helgoländer haben sich bald gegenseitig ins Herz ge-
schlossen und mit einer Huldigung an der Büste des greisen Monarchen endet
das gelungene Festspiel.

Jetzt, nachdem die Feier im Theater glücklich vorüber und nur eine Stimme
des Lobes über das Festspiel und über die Darstellung vom „Versprechen
hinterm Herd“, in dem neben Fräulein Lobe als Nandl, Wilhelmi als Stritzow
besonders gefiel, bei sämtlichen Zuhörern zu vernehmen war, dürfen wir ver-
raten, dass die Beschaffung der Büste des österreichischen Kaisers dem Komitee
viel Sorge und Kummer verursachte. Die Büste wurde aus Berlin verschrieben,
aber sie kam nicht. Im letzten Augenblick entschloss man sich, Kaiser Franz Josef
durch — Kaiser Wilhelm I. zu ersetzen. Kein Mensch im Publikum merkte dies
und selbst die preussische Pickelhaube wurde nicht störend befunden. Ein Oester-
reicher verstieg sich sogar zu dem Ausruf: „Die Pickelhaub'n
is richtig und muss sein. Helgoland gehört zum Deutschen
Reich und wenn unser Franzi auf die Insel kommt, muss er doch
zu Ehren des deutschen Kaisers preussische Uniform tragen
und a Pickelhaub’n aufsetzen. Quod erat demonstrandum!“
Seit zweiundzwanzig Sommern besucht dieser Oester-
reicher alljährlich Helgoland; er war die Seele aller Ver-
anstaltungen. Was ist Rom ohne Papst, was ist Helgoland ohne
Herrn — da fällt mir ein, dass der Wackere sich jedweden
Dank und vor allem verbeten hat, mit Namen in dieser kleinen
Plauderei genannt zu werden, nennen wir ihn also Blauberg,
trotzdem die erste Farbe der Helgoländer Flagge grün ist,
ein Berg auf dem ganzen Inseleiland nicht zu entdecken und
auf dem Oberland nur Feld an Feld zu erblicken ist.

Ein Kanonenschuss jagt uns aus dem Theater ins Freie,
an das Ufer des Meeres; Raketen steigen empor und grün-
weiss-rote Leuchtkugeln — schwarz-gelbe waren beim besten
Willen nicht aufzutreiben — schweben vom sternbesäeten
Himmel hernieder. Wir aber müssen uns eilen, um noch ein
Plätzchen im Fremden Willkomm bei dem gastlichen Herrn
Riechers zum Festbankett zu erhaschen.

Das einzige Pferd auf dem Helgoländer Blumenkorso.
Nach einer Aufnahme von Uofphotograph Schensky, Helgoland.
 
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