MODERNE KUNST.
_J
XVII
^Mmtnungen.
Komponisten bei der prbeit.
Von Leopold Schmidt.
Ge
-— [Nachdruck verboten.]
Ljenau wie der Poet oder der bildende Künstler
hängt der Tondichter von Stimmungen und aller-
hand äusseren Einflüssen ab, die ihm sein Pro-
duzieren erleichtern, erschweren oder gar unmöglich
machen. Unberechenbar ist die günstige Stunde, die
ungerufen, aber auch unabweisbar der Genius weiht,
und der nur zu oft Perioden gänzlichen Unvermögens
folgen. Dem Wechsel produktiver undunproduktiver
Stimmungen ist jeder unterworfen; es hängt von der
Natur des Individuums ab, ob er leichter empfunden
wird, oder psychische Depressionen bewirkt, die
sich mitunter zu den qualvollsten Zuständen steigern.
Im allgemeinen kann man sagen, dass gerade die
Musikgeschichte die frappantesten Beispiele schier
unermüdlicher Schaffenskraft darbietet. Nun wäre
es aber ein Irrtum zu glauben, dass darum das Kom-
ponieren eine verhältnismässig leichte Thätigkeit
wäre. Auch in den glücklichen Stunden ringt das
Genie nach Gestaltung seiner Ideen, oft mit Auf-
bietung all seiner geistigen und physischen Kräfte,
wenn auch die aufgewendete Spanne Zeit uns manch-
mal unglaublich kurz erscheint. Auch die Kom-
ponisten „arbeiten“ im eigensten Sinne des Wortes.
Ueber die Art, wie der Tonkünstler konzipiert und
schafft, herrschen in weiten Kreisen die abenteuerlichsten Vorstellungen. Das ist
nicht verwunderlich, denn wie der Dichter seine Gedanken in Worte kleidet, wie der
Architekt nach einem Plane sein Haus baut, wie der Maler Menschen und Dinge in
Farben wiedergiebt, das kann der Laie sich allenfalls klarmachen; wie man aber
auf eine neue Melodie kommen, wie man ein vielstimmiges Gewoge von Tönen
ersinnen, behalten und durch die Schrift fixieren kann, das wird nur denen wirk-
lich begreiflich sein, die einen, wenn auch noch so geringen Grad dieser Begabung
selber in sich tragen. Das blitzartige Entstehen eines musikalischen Gedankens,
das Auftauchen seines ersten Keimes in der Phantasie des Musikers wird freilich
stets ein unergründliches Geheimnis bleiben, dem wir vergebens nachspüren
würden. Von dem Moment an aber, wo dieser Keim weiterentwickelt und ver-
arbeitet wird, lässt sich der Schaffensprozess sehr wohl verfolgen. Es giebt Ton-
Ilerzog Franz Josef. Herzogin Elisabeth.
Herzog Ludwig Wilhelm,
lerzogin Karl Theodor. Herzog Karl Theodor.
Leibjäger des Regenten. Hofjagdinspektor von Krembs.
Prinz Ludwig von Bayern. Prinzregent. Obersthofstallmeister v. Wolfskeel. Prof. v. Angerer. Baron v. Rodewils.
Der Prinzregent von Bayern mit seinem Gefolge auf der Brückenau bei Hohenschwangau.
Nach einer photographischen Aufnahme von B. Dittmar, Hofphotograph, München.
Herzog Karl Theodor in Bayern und Familie.
Nach einer photographischen Aufnahme von B. Dittmar, Hofphotograph. München.
Setzer, die ihre Einfälle alsbald notieren müssen, andere, die die einmal empfangenen
treu im Gedächtnis behalten. Zuweilen schiessen die Neubildungen wie die
Krystalle an das Vorhandene an, dem so seine Entwicklung in sich gegeben ist; in
anderen Fällen stehen die Gedanken für sich, und erst der Kunstverstand, die
Technik, spinnt sie weiter. In jedem Falle aber ist dies Fortspinnen eine ernste,
mühselige Arbeit und nichts ist verkehrter, als sich die tonschüpferische Thätig-
keit des Gehirns, wie so häufig geschieht, als eine Art Rausch vorzustellen. Es
giebt ja genug Anekdoten, die von den Wunderthaten trunken gemachter, wo-
möglich eingesperrter Komponisten erzählen: sie alle sind in das Bereich der
Fabel zu verweisen. Wenn wirklich Mozart seine Don Juan-Ouverture in einem
Zuge niedergeseffrieben hat, so war sie sicherlich in seinem Kopfe bis ins
einzelne ausgearbeitet, und lfpr sein wunderbares Gedächtnis konnte über den
thatsächlichen Vorgang täuschen.
Vorhin ist schon erwähnt worden,
dass die Fähigkeit zu energischer Kon-
zentration die für den kompositorischen
Vorgang erforderliche Zeit auf ein
Minimum beschränken kann. Dies tritt
zum Beispiel bei der sogenannten „freien
Phantasie“ ein. Bei der Improvisation
fällt Konzeption und Ausführung fast in
eins zusammen. Es ist hierbei zu be-
merken, dass das Gelingen eine an-
geregte Stimmung des Musizierenden
voraussetzt, dass die technische Beherr-
schung des Instrumentes häufig genug
die Erfindung ersetzen muss, von der
nur bei wahrhaft grossen Meistern die
Rede sein kann, und dass selbst diese
in solchen Fällen selten ihr Bestes geben.
Früher liebten es berühmte Kompo-
nisten, selbst öffentlich in ihren Kon-
zerten zu phantasieren; heutzutage
ist man ganz davon zurückgekommen.
Wie fürs Improvisieren, so ist fürs
Komponieren überhaupt ein gutes Ge-
dächtnis, das heisst eine präzise Vor-
stellungskraft unerlässlich. Der Maler
sieht räumlich allmählich sein Bild vor
sich entstehen, er kann jederzeit die
Details unter einander vergleichen; der
Musiker muss schon beim Weiter-
schaffen das zeitlich Voraufgegangene
in der Phantasie reproduzieren können
und so allmählich das Ganze an sei-
nem inneren Ohre vorbeiziehen lassen.
Prof. F. A. v. Kaulbach.
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XVII
^Mmtnungen.
Komponisten bei der prbeit.
Von Leopold Schmidt.
Ge
-— [Nachdruck verboten.]
Ljenau wie der Poet oder der bildende Künstler
hängt der Tondichter von Stimmungen und aller-
hand äusseren Einflüssen ab, die ihm sein Pro-
duzieren erleichtern, erschweren oder gar unmöglich
machen. Unberechenbar ist die günstige Stunde, die
ungerufen, aber auch unabweisbar der Genius weiht,
und der nur zu oft Perioden gänzlichen Unvermögens
folgen. Dem Wechsel produktiver undunproduktiver
Stimmungen ist jeder unterworfen; es hängt von der
Natur des Individuums ab, ob er leichter empfunden
wird, oder psychische Depressionen bewirkt, die
sich mitunter zu den qualvollsten Zuständen steigern.
Im allgemeinen kann man sagen, dass gerade die
Musikgeschichte die frappantesten Beispiele schier
unermüdlicher Schaffenskraft darbietet. Nun wäre
es aber ein Irrtum zu glauben, dass darum das Kom-
ponieren eine verhältnismässig leichte Thätigkeit
wäre. Auch in den glücklichen Stunden ringt das
Genie nach Gestaltung seiner Ideen, oft mit Auf-
bietung all seiner geistigen und physischen Kräfte,
wenn auch die aufgewendete Spanne Zeit uns manch-
mal unglaublich kurz erscheint. Auch die Kom-
ponisten „arbeiten“ im eigensten Sinne des Wortes.
Ueber die Art, wie der Tonkünstler konzipiert und
schafft, herrschen in weiten Kreisen die abenteuerlichsten Vorstellungen. Das ist
nicht verwunderlich, denn wie der Dichter seine Gedanken in Worte kleidet, wie der
Architekt nach einem Plane sein Haus baut, wie der Maler Menschen und Dinge in
Farben wiedergiebt, das kann der Laie sich allenfalls klarmachen; wie man aber
auf eine neue Melodie kommen, wie man ein vielstimmiges Gewoge von Tönen
ersinnen, behalten und durch die Schrift fixieren kann, das wird nur denen wirk-
lich begreiflich sein, die einen, wenn auch noch so geringen Grad dieser Begabung
selber in sich tragen. Das blitzartige Entstehen eines musikalischen Gedankens,
das Auftauchen seines ersten Keimes in der Phantasie des Musikers wird freilich
stets ein unergründliches Geheimnis bleiben, dem wir vergebens nachspüren
würden. Von dem Moment an aber, wo dieser Keim weiterentwickelt und ver-
arbeitet wird, lässt sich der Schaffensprozess sehr wohl verfolgen. Es giebt Ton-
Ilerzog Franz Josef. Herzogin Elisabeth.
Herzog Ludwig Wilhelm,
lerzogin Karl Theodor. Herzog Karl Theodor.
Leibjäger des Regenten. Hofjagdinspektor von Krembs.
Prinz Ludwig von Bayern. Prinzregent. Obersthofstallmeister v. Wolfskeel. Prof. v. Angerer. Baron v. Rodewils.
Der Prinzregent von Bayern mit seinem Gefolge auf der Brückenau bei Hohenschwangau.
Nach einer photographischen Aufnahme von B. Dittmar, Hofphotograph, München.
Herzog Karl Theodor in Bayern und Familie.
Nach einer photographischen Aufnahme von B. Dittmar, Hofphotograph. München.
Setzer, die ihre Einfälle alsbald notieren müssen, andere, die die einmal empfangenen
treu im Gedächtnis behalten. Zuweilen schiessen die Neubildungen wie die
Krystalle an das Vorhandene an, dem so seine Entwicklung in sich gegeben ist; in
anderen Fällen stehen die Gedanken für sich, und erst der Kunstverstand, die
Technik, spinnt sie weiter. In jedem Falle aber ist dies Fortspinnen eine ernste,
mühselige Arbeit und nichts ist verkehrter, als sich die tonschüpferische Thätig-
keit des Gehirns, wie so häufig geschieht, als eine Art Rausch vorzustellen. Es
giebt ja genug Anekdoten, die von den Wunderthaten trunken gemachter, wo-
möglich eingesperrter Komponisten erzählen: sie alle sind in das Bereich der
Fabel zu verweisen. Wenn wirklich Mozart seine Don Juan-Ouverture in einem
Zuge niedergeseffrieben hat, so war sie sicherlich in seinem Kopfe bis ins
einzelne ausgearbeitet, und lfpr sein wunderbares Gedächtnis konnte über den
thatsächlichen Vorgang täuschen.
Vorhin ist schon erwähnt worden,
dass die Fähigkeit zu energischer Kon-
zentration die für den kompositorischen
Vorgang erforderliche Zeit auf ein
Minimum beschränken kann. Dies tritt
zum Beispiel bei der sogenannten „freien
Phantasie“ ein. Bei der Improvisation
fällt Konzeption und Ausführung fast in
eins zusammen. Es ist hierbei zu be-
merken, dass das Gelingen eine an-
geregte Stimmung des Musizierenden
voraussetzt, dass die technische Beherr-
schung des Instrumentes häufig genug
die Erfindung ersetzen muss, von der
nur bei wahrhaft grossen Meistern die
Rede sein kann, und dass selbst diese
in solchen Fällen selten ihr Bestes geben.
Früher liebten es berühmte Kompo-
nisten, selbst öffentlich in ihren Kon-
zerten zu phantasieren; heutzutage
ist man ganz davon zurückgekommen.
Wie fürs Improvisieren, so ist fürs
Komponieren überhaupt ein gutes Ge-
dächtnis, das heisst eine präzise Vor-
stellungskraft unerlässlich. Der Maler
sieht räumlich allmählich sein Bild vor
sich entstehen, er kann jederzeit die
Details unter einander vergleichen; der
Musiker muss schon beim Weiter-
schaffen das zeitlich Voraufgegangene
in der Phantasie reproduzieren können
und so allmählich das Ganze an sei-
nem inneren Ohre vorbeiziehen lassen.
Prof. F. A. v. Kaulbach.