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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Droste, Carlos: Kunstleben in Dessau
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0252

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MODERNE KUNST.

117

nicht minder Vorzügliches und ergänzt auf das Glücklichste die hohe künstlerische
Vollendung und den feinen Stil der bereits gewürdigten scenischen Darbietungen
in Dessau. August Klughardt ist aber auch als feinsinniger und formgewandter
Komponist mit ungewöhnlichem Erfolg thätig gewesen. Seine
vielerorts mit Beifall aufgenommenen Opern „Gudrun“ und „Iwein“,
seine prächtige C-moll-Sinfonie, ferner zahlreiche Orchester- und
Kammermusikwerke und nicht zum wenigsten sein oft aufgeführtes
Oratorium „DE Zerstörung Jerusalems“, eines der vornehmsten und
edelgeartetsten Werke dieser Gattung,
geben davon beredtes Zeugnis. Der
Raum dieser Skizze verbietet es
leider, den einzelnen vortrefflichen
Mitgliedern der
Dessauer Oper
eine nähere Be-
trachtung zu wid-
men. Nur einige
der vom Publi-
kum bevorzugte-
sten seien hier
genannt und im
Bilde aufgeführt,
so vor allem der
aus einer hochbe-
rühmten Künst-
lerfamilie stam-
mende Baritonist
Kammersänger
Rudolf VQn
Milde, ein un-
gemein gediege-
ner Gesangskünstier und vorzüglicher
Interpret besonders Wagnerscher Rol-
len — sein Sachs ist einer der besten der
deutschen Bühne — und daneben als Kon-
zert- und Oratoriensänger in ganz Deutsch-
land, in Holland und in der Schweiz be-
liebt und gefeiert, ferner das Künstler-
paar Feuge-Gleiss — Frau Kammer-
sängerin Emmi Feuge-Gleiss eine an-
mutige und mit selten schönen Stimm-
mitteln begabte Vertreterin des Koloratur-
und höheren Opernsoubrettenfaches, Herr
Oscar Feuge ein jugendfrischer und
sympathischer lyrischer Tenor.—, und
endlich die dramatische Sängerin Fräulein
West.endorff, deren machtvolles und
prächtig gebildetes Stimmmaterial be-
sonders im Hinblick auf die grosse Ju-
gend der Künst-
lerin für die
Zukunft noch
ganz Ausserge-
wöhnliches ver-
heisst. Dass
neben der aller-
dings im Vorder-
grund stehenden
Pflege der Ton-
kunst auch das
Schauspiel, fer-
ner die Malerei,

Bildhauerei und
Architektur in
Dessau sich aus-
zubreiten und
zu gedeihen ver-
mochten, dankt
diese freund-
liche Residenz-
stadt ebenfalls der schützenden Hand, die das anhaitische
Fürstenhaus über die Ausübung aller Künste gestreckt hält,
so dass wir mit Fug und Recht von Dessau als von einem
deutschen Ferrara reden können, das durch den Kunstsinn
edler Herrscher zu Ruf und Ansehen bei den Gebildeten unserer Nation gelangt ist.
Dass an einer Stätte, wo geistige Interessen hochgehalten werden, wo Geschmack,
künstlerisches Urteil und Erfahrung herrschen, sich auch ein lebhafter und an-
regender gesellschaftlicher Verkehr der Künstler und Kunstfreunde unter ein-
ander entwickelt hat, ist nur ganz natürlich. Wenige Städte aber dürften ein

so schmuckes, trautes und originelles Heim aufzuweisen haben, wie es Dessaus
Künstlerschaft seit Jahren, in seinem Künstlervereinshaus besitzt. Der
Dessauer Künstlerverein wurde im Jahre 1896 von den Herren Rudolf von Milde
und Kunstmaler Professor Riess ins Leben gerufen; seine Mit-
gliedschaft setzte sich zusammen aus Künstlern aller Berufsarten:
Musikern, Sängern, Schauspielern, Malern, Bildhauern, Architekten
u. s. w. Dem sich bald fühlbar machenden Bedürfnis nach einem
eigenen Domizil wurde abgeholfen durch den Ankauf eines Häus-
chens, dessen Umbau in seine jetzige
Gestalt das Werk des Architekten
Schultz war, während das Innere von
den Gebrüdern Riess ausgemalt wurde.

Unmittelbar hin-
ter dem im Stile
des Berliner
Opernhauses er-
bauten, nach dem
Brande von 1855
in der Wall-
strasse neu auf-
geführten Her-
zoglichen Hof-
theater erhebt
sich das Künst-
lerhaus in vor-
zugsweise ro-
manisch gehalte-
ner Bauart; den
ersten Stock ziert
ein schmucker
Erker und über
dem reich ausgeführten Portale blickt
das steinerne Reliefbildnis des Schutz-
patrons der Maler, Lucas, freundlich
lächelnd auf die Eintretenden herab. Zur
Ausstattung des Innern des Hauses hat
jedes Vereinsmitglied nach Kräften bei-
getragen; ernste Motive wechseln mit hei-
teren ab und dem Auge des Beschauers
bieten sich in malerischem Durcheinander
die seltsamsten Dinge, auf die eine er-
finderische Phantasie und ausgelassene
Künstlerlaune zu verfallen vermochten.
Nach der Strassenfront zu ist das ge-
räumige Kneiplokal gelegen, wo es sich
an einfachen Holztischen bei braunem
Gerstensaft oder perlendem Wein gar
gemütlich sitzt und plaudert; allerhand
Hausrat steht umher oder hängt an
den Wänden und
auch ein Klavier
fehlt nicht, denn
bei den gesell-
schaftlichen Zu
sammenkünften,
welche regel-
mässig, Freitags
sogar mit Da-
men, stattfinden,
wird fleissig mu-
siziert und vor-
getragen. Ein
kleiner Garten
und die reizende
Osteria oder
Gartenterrasse,
welche unser
Bild zeigt, die-
nen für den
Sommer zum

kühlen Aufenthalt. Ausserdem enthält das Künstlerhaus
noch ein ebenfalls von Professor Riess ausgemaltes Spiel-
zimmer, in dem ein Wandgemälde sogleich den Blick auf
sich zieht, welches das Bild Monte Carlos mit einem
soeben durch Selbstmord geendeten ausgeplünderten Spieler im Vordergrund
als warnendes Beispiel den am grünen Tische etwa allzu Waghalsigen vorhält.
Ein Vorstands- und ein Lesezimmer vervollständigen die Einrichtung des
Künstlerhauses, an das gewiss jeder Besucher, der einmal in seinen gast-
lichen Mauern geweilt hat, oft und gern zurückdenkt. C. Droste


XV. 30.
 
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