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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0383

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MODERNE KUNST.

177

gings ans Nimmerwiedersehen. Die Linden dufteten so weich; mein Herz klopfte
so dringend — war es Sehnsucht nach meiner Braut, war es nur das allgemeine
Liebesbedürfnis? Ich weiss es nicht!“

Asta schwieg.

„Also ich ging an diesem verräterischen Sommerabende an der Alster
bummeln. Sie wissen, wenn man nichts sucht, findet man gewöhnlich etwas.
Dort, .wo die kleinen Tische unter den grauen Zelten stehen, dort war es, dort
sah ich sie.“

„Aha — ein Mädchen — doch wer hätte Ihnen auch sonst zum Schicksal
werden können.“

Fritz Staude fuhr in plötzlicher Erregung auf:

„O du grosser Schutzheiliger des ehrsamen Konditor-Gewerbes! Hätte ich
sie doch nie gesehen! Sie ass, ass Windbeutel — zwei, drei — vier — was
weiss ich wieviel!“

„Und sie hatte eine besondere Art, zu essen?“ — frug Frau Asta.

„Sie war schön. Nicht von jener Schönheit, die ideale Jünglingsherzen zur
Schwärmerei anregt — als Psyche hätte sie kaum Modell stehen können — aber
als „Philine“ vielleicht oder für ein Bild: „Die Schönste vom Rennplätze“ oder
so etwas Aehnliches.“

Frau Asta fing an, das Mädchen mit den Windbeuteln im Geiste zu malen.
„Sie war elegant?“

„Sehr. — Kurz und gut, und gut und kurz — sie war Probiermamsell bei
Klemmholz und Compagnie — ich habe es später nur zu genau erfahren.“

„Soso“ — meinte Asta und sah ihren Freund an, der ganz in den Anblick
der in seiner Phantasie mit leuchtenden Farben aufsteigenden Erinnerung ver-
sunken war.

„Wie alles an ihr sass — das kurze Jackett, das straff die Büste umspannte —
der drall anliegende Rock, das kecke Hütchen! Dann die zarten, feinen Hände!
Ja, meine Gnädigste, ich weiss nicht, ob Sie für so was Sinn haben?“

Frau Asta antwortete mit einer Gegenfrage: „Und sie ass immer weiter,
als sie dort sassen?“

„Ass weiter. Und ich hätte was drum gegeben, wenn ich sie bis in alle
Ewigkeit hätte weiterschlecken sehen können.“

Dafür schien Frau Asta nicht das rechte Verständnis zu haben: „Ja was
ist denn nun weiter zu sehen an einer Pröbiermamsell, die Windbeutel isst?“
Fritz Staude geriet ins Feuer:

„Oh — oh — es war herrlich, wie die weissen kleinen Perlenzähne durch
das knusprige Gebäck brachen — wie die schlanke, rosarote Zunge das leckere
Weiss aus den Mundwinkeln holte — wie die Augen vor Vergnügen leuchteten
— wie das ganze Gesicht nur den einen Gedanken ausdrückte: ich esse heute
Windbeutel und wenn ich die Königin des Schlaraffenlandes wäre, könnte ich
mir keinen seligem Genuss denken.“

„Aber, liebster Freund, Sie übertreiben“ — warf Frau Asta etwas ärger-
lich ein.

„Nein, nein, keineswegs — ich habe nie in meinem Leben wieder irgendwen
so hingebend, so strahlenden Genusses voll, so ganz Zunge, möchte ich sagen,
Windbeutel essen sehen!“

Frau Asta fand das wirklich komisch:

„Und diese Probiermamsell wurde Ihnen zur Windbeutelhexe?“

„Sie lachen, — aber es ist doch sehr ernst, — ja, sie wurde mir zur

Windbeutelhexe. Wie das so geht, — ich kam mit ihr ins Gespräch — wir

verbrachten einen brillanten Nachmittag und ich führte sie dann nach ihrer
Wohnung.“

Fritz Staude machte eine Pause, die Frau Asta unterbrach:

„Sonst nichts?“

„Doch.“

„Nun?“

„Ich traf sie wieder — schon am nächsten Tage — ich weiss nicht, wie es

kam, aber, sagen Sie, was Sie wollen, ich konnte mir in jenen Tagen nichts

Schöneres denken, konnte mir nichts Reizenderes vorstellen, als das Mädchen
mit den Windbeuteln.“

„Kostbar!“

„Ich hätte sie gern gemalt — ich habe es auch versucht; aber es gelang
mir nicht, jene graziöse Lüsternheit, jene gesunde, anmutige Schleckerhaftigkeit,
die das ganze Wesen des Mädchens ausströmte, auf die Leinewand zu bannen.“
„Sie hätten ja die sorgfältigsten Studien an dieser Probiermamsell vor-
nehmen können,“ sagte Frau Asta anzüglich.

„Erraten. Ich machte Studien, eingehende Studien — Tag für Tag, so oft
sie nur Zeit hatte.“

„Das heisst: Sie assen mit ihr Windbeutel?“

„Sehr wohl, meine Gnädige,, sie ass die Windbeutel und ich —“

„Sie bezahlten den Schaum“ — ergänzte Frau Asta lachend.

„Pünktlich um die festgesetzte Stunde stellte sie sich ein und gab der
grossen Leidenschaft ihres Lebens nach — wie sie es nannte — und ich weidete
mich an ihrem Anblick.“

Er schwieg und schaute verlorenen Auges vor sich hin.

„Sie denken nach?“ meinte Asta.

„Es war ja auch sonst ein ganz aimables Kind.“

„Aha.“

„O, denken Sie nichts Schlimmes von ihr — sie war wirklich ein artiges,,
durchaus reputierliches Mädchen.“

„Nun und dann?“

„Ja dann? — Ich war mit Hilfe ihrer gastronomischen Kunst- und Eil-
fertigkeit in den paar Wochen mit ihr so ziemlich vertraut — herzlich vertraut
geworden.“

„So so — und was sagte denn Elinor zu diesem herzlichen Vertrautsein?“
frug Frau Asta, „sie hatte wohl nicht das richtige Verständnis für Ihre Wind-
beutelhexe?“ — Fritz Staude seufzte:

„Nein, leider nicht. Hören Sie mich an, lassen Sie mich das jämmerlichste
Missgeschick erzählen, das je einem Bräutigam passierte. — Elinor kam zurück,
heiterer denn je, die Wangen gerundet — mit glänzenden Augen flog sie mir ent-
gegen, hing sich an meinen Arm und plauderte mit ihrer weichen, hellklingenden
Stimme so lustig auf mich los, dass es mir ganz warm wurde.“

„Aber von Ihrer Windbeutelei erzählten Sie nichts?“

„Nein. — Es stellte sich bald heraus, dass Elinor den Aufenthalt an der
See praktisch ausgenützt hatte. Sie hatte ihrem Papa vorgeschwatzt, dass es
doch weit besser wäre, wenn wir bald — schon im nächsten Winter heirateten.
Papa Schwartenbeck mochte schliesslich das Nutzlose seines Widerstandes ein-
gesehen haben, und sagte Ja und Amen zu ihren Plänen. Unser Glück wurde
von einem freundlichen Zufall gütigst unterstützt: der alte Schwartenbeck musste,
um zu seinem Gelde zu kommen, eine kleine reizende Villa, die er hoch beliehen
hatte, käuflich übernehmen. Sie stand draussen in der Ahornstrasse — wissen
Sie, die mit dem Renaissance-Giebel —“

„Doch nicht die entzückende Villa mit dem zierlichen kleinen Amor als
Brunnenfigur im Vorgarten?“ rief Frau Asta in lebhaftestem Enthusiasmus.

„Justament dieselbe, verehrte Freundin! Dort sollte sich mein Glück voll-
enden, dort sollte ich mit ihr hausen, mit der liebenswürdigen Elinor! Oh, oh,
es schmerzt mich doch noch heute, wenn ich daran denke! Zwanzig Maurer
waren beschäftigt, das Häuschen nach meinem Geschmacke umzubauen. —■
Denken Sie: wir hatten elf Zimmer, einen kleinen schattigen Garten und in der
Mansarde wurde für mich das Atelier hergestellt — mit einem Rauchzimmer
und einer Bibliothek. Im Erker konstruierte man für Elinor einen entzückenden
Schmollwinkel — wie sie lachend sagte. — Donnerwetter, was hatte das Mädel
für prächtige blendende Zähne! Und diese Lippen! Verehrte Freundin, es waren
die schönsten Tage meines Lebens, die ich in jener Zeit verlebte.“

Fritz Staude schwieg und schien ganz in die goldene Vergangenheit versunken
zu sein. Frau Asta sah beobachtend zu ihrem Freund hinüber und frug dann:
„Ihre Windbeutelhexe hatten Sie während dieser Zeit natürlich vergessen.“
„Nicht ganz.“

„Nun — und?“

„Da Elinor doch von der Probiermamsell nichts erfahren durfte — sie
würde ja vor Eifersucht grün geworden sein, — hatte ich denn eines Tages
einen schönen Brief geschrieben: dass ich jetzt viel zu malen, also keine Zeit
habe, könne nicht mehr zum Rendez-vous kommen —■ wünsche alles Gute und
dann schloss das Schreiben: Behalten Sie mich in gutem Andenken, haben Sie
herzlichen Dank für die mir gewährten genussreichen Stunden und verzehren
Sie die beifolgenden sechs Windbeutel auf mein Wohl.“

Frau Astas silbernes Lachen drang wieder zu dem Erzähler herüber:

„Und das liess Sie sich so ruhig gefallen?“

„Hören Sie. Ich liess vom Hofmundbäcker die ganze Sendung, Brief und
Windbeutel, zu ihr schicken —*

„Und Ross und Reiter sah man niemals wieder!“ — mutmaasste Frau Asta
„Doch, meine Teure, ich sah sie wieder!“

„Die Probiermamsell?“

„Nein, die Windbeutel. — Zwei Tage nachdem der „versüsste“ Abschieds-
brief abgegangen war — es war drei Monate vor unserer Hochzeit —
wir schwammen in glutroter Wonne — wurde ich von Elinors Vater zu einem
kleinen Schmause eingeladen: Elinors neunzehnter Geburtstag wurde gefeiert.
Wir sassen in dem kleinen traulichen Speisezimmer, wo die cremefarbenen,
graubraungestickten Gobelins alles mit so vornehmem Hauch einhüllten. Die
Speisen waren von ausgesuchter Feinheit, die Weine süffig und brillant gewesen.
Elinor hatte sich neben mich auf die Chaise-longue gesetzt, es war so lauschig
— nur wenige Gäste, ein paar alte Geschäftsfreunde mit ihren Damen, die sich
an unserer Verliebtheit erfreuten und freundlich lächelten, wenn ich Elinors
kleines weisses Händchen an die Lippen drückte.“

„Mein Gott, wie schwärmerisch Sie das alles erzählen!“ — meinte Asta.
„Warum soll man von seiner Bräutigamszeit nicht schwärmen!. Ich befand
mich an jenem Abend wegen einer besonderen Angelegenheit noch in freudigster
Aufregung. Einige Tage vorher hatte ich ein kleines Bildchen verkauft; es war
also etwas Geld im Beutel. In einer Zeitschrift fand ich das Inserat einer
Blumenhandlung in Florenz, die für den Herbst und Winter blühende Blumen
anbot. Ich. hatte per Eilbrief bei derselben fiori bestellt: rose, garofani et narcissi
und wartete nun den ganze'n Tag auf die Sendung, da ich Elinor die Rosen,
Nelken und Narzissen überreichen wollte. Meiner Berechnung nach mussten die
Blumen schon am Morgen eintreffen — aber sie kamen nicht.

„Wenn eine Sendung an mich kommt, geben Sie dem Paketträger 50 Pfennige,“
hatte ich beim Weggehen zu meiner Wirtin gesagt, „und bedeuten Sie.ihm: die
Sache sei eilig, er solle bei Justus Schwartenbeck mit dem Pakete nach mir fragen.“

XV. 45.
 
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