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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Winter äen (J/mfissen äes Itleßerßreftls.

VL) \ie „Kehrseite“ einer Theaterbühne, wie sie sich hinter den Coulissen zeigt,
hat für jedermann einen eigenen, geheimnisvollen Reiz. Für viele mag dies
eine Enttäuschung sein, für viele wiederum eine reiche Quelle der Beobach-
tungen und des Studiums; — — der Zuschauer draussen im Fauteuil hat ja in den
seltensten Fällen eine Ahnung von all’ den hunderterlei Mitteln und Mittelchen,
die hinter den Coulissen in einander greifen ihn für eine kurze Spanne Zeit
angenehm hinwegzutäuschen. Die Coulissen sind ja schliesslich doch nur be-
malte Leinwandfetzen, und der elegante, feine Salon, den er auf der Bühne
„stehen“ sieht, ist doch nur erbärmliches Stückwerk, das in zwei Minuten aus-
einandergetragen werden kann, dass keine Spur davon zurückbleibt. In der
Nähe sieht sich all’ dieses Zeug ganz anders an; — man möchte darüber lächeln,
wie primitiv oft unsere Phantasie zu kühnem Fluge angeregt werden kann.

Dafür hat aber das Leben und Treiben hinter den Coulissen seinen ganz
besonderen Reiz. Das bunte Volk der Künstler in wirrem Durcheinander mit
Maschinisten und Theaterarbeitern, Tapezierern und Coulissenträgern
Tohuwabohu, das kaum lösbar scheint und das doch
sofort in wunderbare Ordnung kommt, wenn der
Inspizient das Glockenzeichen zum Anfang giebt.

Viel komplizierter und wirrer geht es hinter
den Coulissen des Freiherr von Wolzogenschen
„Ueberbrettis“ zu. Das „Bunte Theater“, das sich
bekanntlich als eine Art litterarischen Variötes re-
präsentiert, erfordert auch, wohl mit Rücksicht auf
das „Bunte“ seiner verschiedenartigen Darbietungen,
viel mehr scenische Abwechselung als die gewöhn-
liche Theaterbühne. Ausserdem sind die Behelfe
ganz anderer Natur, wie nicht minder das gesamte
Um und Auf, das sich teils in den mitwirkenden
Künstlern, in deren Art hinter den Coulissen, in den
Besuchen, die sie hier empfangen, u. s. w. äussert.

Im Mittelpunkt des Lebens und Treibens hinter
den Coulissen des Ueberbrettis steht Baron Wol-
zogen selbst. Er ist überall dabei, ordnet alles, über-
sieht alles, bestimmt alles: Er ist Regisseur und
Oberregisseur, Darsteller und Arrangeur, Inspizient
und Künstler — er ist alles in einer Person! Dabei
findet er noch Zeit, seinen Mitgliedern Anordnungen
zu erteilen, mit dem Publikum sich zu unterhalten,
die täglich ins Theater einlaufenden hundert Briefe
zu lesen, die ihm hier überreichten Manuskripte und
Kompositionen zu prüfen und schliesslich auf der
Bühne Besuche zu empfangen. Bald ist es Suder-
mann, der die Zwischenpause benutzt, um sich auf
der Bühne beim Direktor des Ueberbrettis für den
köstlichen Genuss zu bedanken, bald ist es ein
anderer hervorragender Litterat — oder auch nur
der Impresario irgend einer „Varidte-Nummer“, der
beim Ueberbrettl sein Glück versuchen möchte. Es
ist kaum zu glauben, was alles hier engagiert sein
will! Da meldet sich ein weiblicher Ileldenbaryton,
bald eine Phantasietänzerin, hier wieder ein Humorist
mit „durchaus selbstverfasstem Original-Repertoir“ ä la Otto Reutter und da
gar eine Dame, die alles kann: Harfe spielen, Pantomime, tanzen, singen und
weiss der liebe Himmel was noch.

Die Theaterarbeiter scheren sich um derlei Besuche, sehr wenig, sie haben
auch keine Zeit dazu, und so wird der Gast oft aus einer Ecke in die andere
gejagt — überall ist er aber irgend jemand oder irgend etwas im Wege. Kaum
entrinnt man der Gefahr, von einer Coulisse erschlagen zu werden, stolpert man

über umgestürzte Möbel oder über irgend ein Mitglied des „Ueberbrettis“, das
eben aus der Garderobe kommt und auf seinen „Auftritt“ wartet.

Wie eine mächtige Telegraphenstange ragt aus diesem Getriebe der endlos
lange Kapellmeister Oscar Strauss empor. Schön ist er freilich nicht, aber ein
tüchtiger Künstler, der entzückende Melodien erfinden kann. Sein „Tanz-Duett“
wird bald so populär werden, wie es dies redlich verdient. Auch er ist überall
dabei — er muss es wohl, denn er allein hat die gesamte Musik des Abends zu
bewältigen, und das ist keine Kleinigkeit. Kein Wunder somit, wenn er hier
und da nervös wird und sich leise hinausstiehlt, irgendwo im Freien eine Cigarette
zu rauchen. Das beruhigt ihn, und er spielt dann um so schöner.

Mittlerweile sind die meisten Mitglieder des Ueberbrettis aut die Bühne
gekommen. In irgend einem Winkel kauert der weissangestrichene Pierrot
Spontelli, der sich um keinen Menschen zu kümmern scheint, keinen Menschen
sieht; dort hastet die überreizte, nervöse Olga Wohlbrück herum, die als
reife Künstlerin alle K-reuden, aber auch alle Leiden der Bühne kennt und

deshalb nie ihre sieghafte Sicherheit missen lässt
— da Frau Destrde, die immer heiter ist, immer
lächelt und für jeden nur freundliche Worte hat, da
wieder die tolle, ausgelassene Böhmin Bradskv; sie
umarmt ebenso herzlich den Baron Wolzogen wie
den Gatten der Frau Olga Wohlbrück, den gries-
grämigen Pierrot wie den Sänger Koppel, mit dem
sie das Tanz-Duett singt. Ich glaube, sie hat letzthin
sogar mich umarmt. Lässt ihr diese Beschäftigung
einige freie Zeit, dann tanzt sic hinter den Coulissen
herum und schäkert bald mit dem oder jenem.

Es geht hier oben recht lustig zu. Man will
nicht nur andere amüsieren, man will selbst auch
etwas Unterhaltung haben. Selbst die Bühnen-
arbeiter brummen leise die Melodien mit, die eben
dem Publikum vorgesungen werden und treiben ihre
Allotria — bis Dr. Martin Zickel, der Regisseur der
Secessionsbühne, mit einem Donnerwetter dreinfährt.

Manchmal taucht auch Herr Muszkat auf der
Bühne, hinter den Coulissen auf. Herr Muszkat ist
der geschäftliche Vertreter des Barons Wolzogen —
wenn er kommt, bringt er nur gutes: Geld! Und
Herr Muszkat bringt sehr viel Geld, denn das
Theater ist allabendlich ausverkauft.

Aus dem Zuschauerraum tönt helles Geräusch
herauf, lautes Beifallsklatschen. Das klingt hier so
merkwürdig, als wenn schwere Regentropfen an
Fensterscheiben schlagen .... „Vorhang! Vor-
hang!“, schreit der Baron — und der Vorhang wird
wieder auseinander gezogen, damit sich die Künstler
vor dem Publikum bedanken mögen. „Umbau!“,
kommandiert er dann, und vierzig Hände regen
sich, die Scene umzubauen. — „Rasch, vorwärts“,
eifert er die Arbeiter an, hierbei auf die Uhr
blickend, „wir werden heute wieder so spät fertig.“
Da tritt der Inspizient auf ihn zu: „Ein Herr

wünscht —“ „Schon gut“, unterbricht ihn der geplagte Direktor, „führen Sie
ihn in die Garderobe hinauf, ich komme gleich nach . . .“

Unten brütet der weissangestrichene Pierrot Spontelli über fürchterlicher
Rache nach, seine ungetreue Colombine zu strafen, — oben in der Garderobe
kleidet sich der müde Baron Wolzogen um, legt seinen bürgerlichen Rock an
und vertieft sich in den von Herrn Muszkat überbrachten Kassenrapport. Eine
schöne Beschäftigung — oft schöner als nur Romane schreiben! To.

— ein

Sellin Sc Co., Berlin,, pliot.
Jutta, Prinzessin von Montenegro,
geb. Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz.

p

'-,A£utta, Erbprinzessin von Montenegro. Aus dem Lande der Obotriten
in das der schwarzen Berge mit seiner sagenumsponnenen wilden Natur-
schönheit, seinem wechselreichen Klima, seiner kriegerischen Bevölkerung, die,
bis zum Frieden von San Stephano in stets neuen Kämpfen mit der Pforte die
Unabhängigkeit des Vaterlandes bewahrend, heute noch das Schwert gegen den
unruhigen Nachbarn nur locker in der Scheide trägt! Ein schroffer Wechsel, nun
gar für ein verwöhntes Fürstenkind! Erbprinzessin Jutta von Montenegro ist
von der Einsamkeit des kleinen Balkanstaates, dessen „Residenz“ Cettinje nicht
mehr als 2000 Einwohner zählt, freilich insofern nicht allzu hart betroffen
worden, als sie auch zuvor als Herzogin von Mecklenburg-Strelitz von rauschenden

Festen kaum je etwas genossen hatte. Mit 19 Jahren Braut, kannte sie von der
Welt nichts als was sie auf einigen Reisen in’s Ausland gesehen. Am Berliner
Hofe war sie z. B. noch garnicht vorgestellt und für die Einfachheit ihrer Er-
ziehung bezeichnend ist es, dass sie und ihre um wenig ältere Schwester Marie
als erwachsene Herzoginnen überhaupt keine Hofdame besassen. An Schönheit
steht sie ihren anmutigen Schwägerinnen mindestens gleich, den sechs Töchtern
des Fürsten Nicola, von denen die beiden ältesten seit 1889 mit dem russischen
Grossfürsten Peter Nikolajewitsch und dem Herzog von Leuchtenberg vermählt
sind, die dritte jetzt Italiens Herrscherkrone trägt. Ihr Bild in montenegrischer
Nationaltracht bezeugt, dass auch sic bereits von den vaterländischen Reizen der
 
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