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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [1]: Roman von Karl von Heigel
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Plaudereien aus der Berliner Hofgesellschaft, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0432

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196

MODERNE KUNST.

Dutzend Herren versammelt, mehrere Lords, einige Offiziere und ein paar
Schöngeister, die gegenwärtigen Freunde und Gesellschafter des Thronfolgers.
Würfelbecher und Goldhaufen auf einem grünbezogenen Tisch verrieten ihre
Beschäftigung; jetzt ruhte dieselbe, denn der Prinz war in geheimnisvoller
Weise, wie es in Opern und Schauspielen zu geschehen pflegt, zum Empfang
irgend Jemands abgerufen worden. Da er das Leben für eine Komödie hielt,
verschmähte er zuweilen kleine Bühnenkniffe nicht.

„Es ist William Pitt,“ sagte Lord Cardcross. „Ich kenne die Sänfte des
Premiers. Sie stand vor dem kleinen Thor, als ich in meinem Diable an der
Halle vorfuhr. Leugnen Sie nicht,“ wandte er sich an den Adjutanten des
Prinzen, „der Premier ist bei Seiner königlichen Hoheit.“

„Aber was will der Minister bei unserem Prinzen?“ fragte der Dichter
Morris.

„O Sie Unschuld!“ rief Sir Tickell, der sich durch Freimut und Grobheit
einen Namen gemacht. „Wissen Sie denn nicht, dass alle Missvergnügten zum
Kronprinzen gehen? Und Pitt ist missvergnügt. Er hat den Iren als Köder die
Emancipation der Katholiken versprochen.“

„Er hat ihnen mancherlei versprochen.“

„Aber das setzt er bei Seiner Majestät nicht durch. König Georg III. ist in
Glaubenssachen ein rocher de bronze.“

„Was setzt man nicht durch?“ fragte Kapitän Brummell, der unter die
Freunde trat. Alle waren über seine Ankunft erfreut. Lords, Offiziere und
Schöngeister streckten ihm mit gleicher Herzlichkeit die Rechte entgegen.
„George!“ — „Kapitän!“ — „Endlich!“

„Was setzt man nicht durch?“ sagte Brummell, während er noch immer
Hände zu schütteln hatte. „Mit festem Willen setzt man alles durch.“

„Wir sprachen von Seiner Majestät und unserem Premier,“ bemerkte vor-
sichtig der Adjutant.

„Der Minister ist in diesem Augenblick bei Seiner Königlichen Hoheit zur
Audienz.“

„Pitt bei unserem Prinzen?“

„Sehen Sie, Mr. Brummell wundert sich auch!“

„Ich wundere mich über nichts, Mr. Morris. Doch wenn Pitt heute beim
Prinzen von Wales ist, haben wir morgen andere Minister.“

„Hoffentlich keinen andern Premier! Wir Engländer können in diesen Zeit-
läufen William Pitt nicht missen.“

„Niemand ist unersetzlich, lieber Morris. Doch lassen wir die Welt gehen
wie sie geht. Sagen Sie nicht selbst

In schweren Zeiten leichtes Blut!

William Pitt in Carlton-PIouse! Der nützlichste Mann Englands und — wir sind
;ja unter uns! — die grössten Taugenichtse unter einem Dach! Ist das nicht
lustig?“ Er blickte auf den Spieltisch. „Ich an Stelle des Prinzen würde mich
in einer angenehmen Beschäftigung durch alle Premiers der Welt nicht stören
lassen.“ Er trat an den Tisch und schüttelte den Würfelbecher.

„Zugegeben, Sie und ich sind Taugenichtse,“ sagte der Dichter. „Aber der
Prinz bei seinen ausserordentlichen staatsmännischen Anlagen —“

„Manchmal zeigen Sie Anlagen zum Hofmann, lieber Morris. Jedenfalls
hält uns die Abwesenheit des Hausherrn von einem kleinen Interimsspiel nicht ab.“
Einige meinten, man sollte die Rückkehr des Prinzen abwarten, doch die
Augen aller blickten begehrlich. „Unser gnädigster Prinz verlangt nie das Un-
mögliche,“ rief Brummell. „Abwarten angesichts des grünen Tisches und die
Taschen voll Gold!?“

„Einen Augenblick Geduld, meine Herren,“ sprach der Adjutant, „Seine
Königliche Hoheit kommt bereits zurück.“

Bald darauf erschien der Herr des Hauses, Se. königliche Hoheit Georg
Prinz von Grossbritannien, kurfürstlicher Prinz von Braunschweig und Lüne-
burg u. s. w., Prinz von Wales. In der Blüte und Kraft der Mannheit, gut ge-
baut, wenn auch nicht mehr schlank, hätte er unter allen Umständen als hübscher
Mann gegolten, als Thronerbe war er für viele nicht nur ein schöner, sondern
der schönste Mann.

Er war für die Hoftafel gekleidet. Auf dem rotseidenen Rock funkelte ein
Stern. „Brummell,“ rief er, „wo zum Teufel steckten Sie denn?“ Fluchen ge-
hörte damals zum guten Ton.

„Halten zu Gnaden, königliche Hoheit. Ich bin wie befohlen Punkt 9 Uhr
angetreten.“

„Die Taschen voll Gold,“ sagte Tickell.

„Voll Gold?!“ rief der Prinz. „Heraus damit! Es ist nicht saurer verdient
als das meine. Wie lange sind Sie gefahren, Brummell?“

„Lassen Sie mich beschämt darüber schweigen, königliche Hoheit. Meine
einzige Entschuldigung ist, dass ich sechsundfünfzig Meilen gegen den Wind fuhr.“

„Sie sollen dafür belohnt werden. Wo ist Jakob der Wohlthäter?“

„Königliche Hoheit befehlen?“ antwortete der Kellermeister Jakob, ein
Alter, dem gewohnheitsmässige Ehrfurcht mehr als die Jahre den Rücken krümmte.

„Portwein — Xeres — Claret — ein hübsches Allerlei, mein guter Jakob,
und keine Fingerhüte, sondern Tummler!“ Der Prinz liess sich auf einen Stuhl
fallen. „Das war eine schwere halbe Stunde, Freunde! Wer, denkt ihr, war
bei mir, wer?“

„Lord Cardcross hat das Geheimnis bereits verraten: Pitt.“

„Sie haben mich um einen Spass gebracht, Cardcross. Ich wollte sie alle
raten lassen. Wir hätten erbauliche Dinge gehört! . . . Ja, der Premier-Minister
war bei mir. Er ist übel daran. Seine Majestät will die schönen Verheissungen,
mit denen Pitt die Iren ins Garn lockte, nicht erfüllen. Nun wendet er sich an
mich. Er meinte, wenn ich einmal etwas fest verlangte, wenn ich meinem
königlichen Vater staatsmännischen Ernst bewiese — das war unverschämt.
Doch widerstehe einer Pitts satanischer Beredsamkeit! Ich würde ihm das
Blaue vom Himmel versprochen haben. Und im Grunde hat er recht. Ich habe
in eurer Gesellschaft mehr Zeit totgeschlagen, als weiland Prinz Heinrich mit
Fallstaff und Genossen. Die Lage ist ernst und ich will mich fortan mit ernsten
Dingen beschäftigen. Und warum sollen die Katholiken nicht die gleichen
Rechte und Freiheiten wie die anderen Briten haben? Die Guy Fawkes kommen
nicht wieder.“ Er sprang auf und warf sich in die Brust. „Es ist königlich,
das verpfändete Wort gegen eine wilde See zu behaupten . . . Auch für Sie,
Kapitän Brummell, wär’ es an der Zeit, in sich zu gehen. Ihr Oberst hat wieder
bitter über Sie geklagt. Dass Sie zu jeder Uebung zu spät kommen, ist eine
alte Sache; dass Sie aber vergangene Woche Ihre eignen Leute nicht mehr
kannten und mit Kapitän Armstrongs Schwadron ritten, geht doch über den Spass.“

„Ich bitte königliche Hoheit mit meiner Kurzsichtigkeit Erbarmen zu haben.
Da hatte ich einen baumlangen Schotten mit einer merkwürdig blauen Nase
unter meinen Leuten. Diese Lapislazulinase war für mich das Wahrzeichen
meiner Eskadron. Wie konnte ich wissen, dass der Oberst meinen Schotten
zwischen Reveille und Aufbruch der Schwadron Armstrongs zugeteilt? An
meiner Verspätung war wie immer mein Pferd schuld. Atemlos vor Wut und
Eifer sprenge ich die Reihen entlang, sehe das blaue Fanal und schliesse natür-
lich, ich sei bei meinen Leuten.“

„Brummell, Sie sind unverbesserlich. Und was hatten Sie mit einem ge-
wissen Snodgrass. Dieser Herr, ein angesehener Bürger Brightons, ein Mann
von grosser Gelehrsamkeit — Philosoph, wenn ich nicht irre — hat sich beim
Oberst über Sie beschwert.“ [Fortsetzung folgt.]


^Haudereien aus der

o/gesellscha/t.

(?>

0)Ta, was brachte sie denn nun, diese Saison 1900/1901, die eigentlich gar
G'Jt keine Saison gewesen sein soll? Der Kaiser zum Besuch seiner schwer-
kranken Mutter in dem Taunusbade Homburg v. d. H., das, im Sommer
eine Sammelstätte hypermodernen Reichtums, jetzt still und einsam im Winter-
schlafe dalag. Keine Defiliercour, wie ich sie neulich beschrieb, keine Bälle bei
Hofe, kein Subskriptionsball im Opernhaus. Schon der erste der Kavalierbälle,
der, von den Offizieren der Berliner und Potsdamer Garderegimenter veranstaltet,
sonst in den Sälen des Kaiserhofes die Saison zu eröffnen pflegt, fiel aus. Die
bereits traditionell gewordenen grossen Festlichkeiten im Fürstlich Pless’schen
Palais, beim Grafen und der Gräfin Eckbrecht Dürckheim-Montmartin, beim
Grafen und der Gräfin Beroldingen und wie die eine heitere Geselligkeit prunkvoll
pflegenden Häuser der engeren Hofzirkel weiter alle heissen, gewannen der Trauer
wegen einen beschränkteren und ernsteren Charakter. Soiröen, Diners und Routs
vertraten die Tanzfeste und in Permanenz war der Jourfix erklärt, der Thee-
cmpfang um 5 oder auch erst um 8 Uhr mit oder ohne musikalische Begleitung.

Vor Weihnachten war das erste grosse Gesellschaftsereignis das von der
Gräfin Bülow — der schönsten und geistvollsten Kanzlerin, die das neue deutsche
Reich bisher besessen, sie selbst, Schülerin Lists, eine geniale Klavierspielerin

_ [Nachdruck verboten.]

— im Königlichen Opernhause veranstaltete Konzert für die Hinterbliebenen
unserer Krieger in Ostafrika. In der grossen Mittelloge die Majestäten, als Mit-
wirkende die ersten Künstler, an den Büffets die vornehmsten und anmutigsten
Damen der Aristokratie, als Zuhörerschaft die in der Reichshauptstadt ein-
heimische Hofgesellschaft und die Elite des sonstigen gesellschaftlichen Berlins.
Kein Wunder, dass ein solches Fest einen glänzenden Reinertrag brachte!

Ein ähnliches Unternehmen, im Dezember stattfindend, war die Wohlthätig-
keitsvorstellung zum Zweck der Aufbringung von Mitteln für die Errichtung
adliger Damenheime in Berlin und Potsdam. Der Rahmen des Künstlerhauses
in der Bellevuestrasse umschloss es. Die Frau Erbprinzessin zu Wied hatte das
Protektorat übernommen. Im Komitee zeichneten u. a. Ihre Excellenz Freifrau
von Rheinbaben, Freifrau von Thielemann, Gräfin Kanitz, General Freiherr
von Dincklage-Campe, Freiherr von Hünefeld, Oberleutnant Gynz von Rekowski.

Im bis auf den letzten Platz ausverkauften Saal ein Gewirr von rauschenden
Toiletten, Uniformen und ordenbesternten Fräcken. Darüber hinaus ragte die
schlanke Gestalt des Kronprinzen, dem sich Prinz Joachim Albrecht von Preussen,
sowie die Erbprinzen von Hohenzollern und von Sachsen-Altenburg zugesellten.
Ihre Majestät hatte die Oberhofmeisterin Gräfin Brockdorff, die junge Hofdame
 
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