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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0627

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MODERNE KUNST.

291

„Hm, er sagte, dass er diese Partie für seine Nichte nicht für wünschens-
wert halte. ‘‘

„Gab er Gründe an?“

„Na, hören Sie, Brumm eil, vom Standpunkt eines Onkels besehen ist unser
Lebenswandel nicht erbaulich.“

„Die Ehe hat schon grössere Sünder gebessert. Natürlich denk ich nicht
dran. Doch bin ich Ihnen dankbar. Erskine soll die erste Einladung zu unserm
Ball erhalten. Und hängt mich, wenn wir nicht morgens zwischen Vier und Fünf
die Mitgift seiner Nichte bereden!“

„Bedenken Sie, ein Mann von seiner Stellung!“

„Ich habe vor seinem Herrn nicht Respekt, soll ich ihn vor dem Diener
haben! . . . Das alles ist
Spass. Wie gesagt, mein
Herz denkt nicht dran.

Und da wären wir in der
Boltonstrasse. Soll ich oder
soll ich nicht?“

„Kommt königliche
Hoheit heute zu Watier?“

,,Weiss ich nicht. Ich
denke an meinen Glücks-
shilling. Was würden Sie
an meiner Stelle thun?“

„Ich würde mir einen
anderen Shilling bohren.“

„Bravo! Sie müssen
General werden. Treten
wir ein!“

Das Spiel war heute
unter Brummells Genossen
so lebhaft und für die
meisten von so mannig-
fachem Glückswechsel ge-
wesen, dass nach Mitter-
nacht die angespannten
Nerven Ruhe verlangten.

Eine Pause trat ein, ohne
dass jemand sie beantragte.

Ein Dutzend Männer,
sassen sie an der länglichen
Tafel, an der sie gespeist
hatten. Denn so spielwütig
war der Vornehmste von
ihnen, der Prinzregent, ge-
wesen, dass sie es ver-
schmähten, sich in die Spiel-
säle zu begeben oder auch
nur den Tisch zu wechseln.

Einige waren sehr rot
im Gesicht, andere blass,
die einen machten ganz
kleine Augen, andre hin-
wieder hatten sie weit offen
und starr. Manche — und
zwar nicht die Gewinner
— lächelten, fast alle hatten
zittrige Finger.

Es roch im Zimmer
nach allerlei, unter andrem
nach dem Parfüm Tickells,
der alles übertrieb. Ein Neu-
ling würde gesagt haben:

Es riecht hier nach Punsch.

An der einen Längen-
seite der Tafel, dicht an der Wand, sass der Prinzregent allein. Er war bis
unter die Haare rot und ganz in Schweiss. Sein Bargeld war längst alle,
nun trug er die letzten Posten in sein Taschenbuch ein. Ihm gegenüber, einen
Haufen Gold und Banknoten vor sich, sass Brummell, kerzengerade, gedankenlos
mit einem Röllchen Goldstücke spielend.

Ogilvie trat hinter Brummell und gab ihm lachend einen Schlag auf die
Schulter. „Siehst Du wohl, es geht auch ohne Glücksshilling!“

„Unberufen —“

„Wieviel schuld ich Ihnen jetzt, Tickell?“ fragte der Prinz, und die Stimme
verriet seine üble Laune.

„Kleinigkeit, königliche Hoheit, nicht der Rede wert. Neunhundertundvierzig,
königliche Hoheit.“

„Neunhundertundvierzig“, wiederholte und schrieb der Prinz. Dann warf er
den Bleistift vor sich hin und sagte barsch: „Klingeln Sie dem Diener, Brummell!“

Der Beau stutzte über den Ton, dann erwiederte er gelassen, aber deutlich
genug für alle: „Sie haben die Glocke näher, Wales.“

Der Prinz sprang auf und riss am Glockenzug, den er allerdings mit der
Hand erreichen konnte.

Jetzt wurde die Stille bänglich, peinlich. Ein Klubdiener trat ein und wandte
sich an den Prinzregenten, der die Schnur noch in der Hand hielt. „Königliche
Hoheit befehlen?“

„Den Wagen für Mr. Brummell!“

Jetzt fuhr auch der Beau in die Höhe, die beiden Freunde sahen einander
zum letztenmale in die Augen.

„Königliche Hoheit haben meinen Wunsch nicht ganz erraten“, sagte

Brummell nach einerPause,
die den Unbeteiligten eine
Ewigkeit däuchte, „ich
werde zu Fuss heim-
gehen. Die Luft hier war
schlecht .... Cardcrosse,
vergessen Sie nicht, dass
wir morgen die Ballein-
ladungen beraten müssen.“
Man hörte draussen den
Wagen rollen; zwei andere
Aufwärter eilten mit Hut
und Stock und Ueberrock
Brummells herein. Sie, die
den Vorgang nicht kannten,
waren voll Dienstfertigkeit
und Emsigkeit. Der Beau
zog gemächlich die Hand-
schuhe an, dann setzte er
den Hut auf, drückte ihn
leicht in die Stirn und
winkte den Freunden am
Tisch:

„Gute Nacht, meine
Herren.“

XI.

Die Ungnade des Re-
genten war für den Schul
digen zunächst ohne üble
Folgen. Die unabhängige
englische Gesellschaft er-
klärte ihren Liebling nicht
sofort in Acht und Bann,
wie dies in andren Ländern
der Fall gewesen wäre,
sondern bewies ihm ihre
gute Meinung, indem sie
vollzählig auf dem Ball der
Viere erschien. Niemand
hatte die Einladung ab-
gelehnt, obwohl sie auch
vonBrummell unterzeichnet
war. Der Prinzregent selber
nicht; er sagte sein Er-
scheinen zu und hielt Wort.
Nun ward es zwar alsbald
in der Versammlung ruch-
bar, dass der Kronprinz, von
den Festgebern empfangen,
den Vierten keines Wortes,
keines Blickes gewürdigt
habe, doch dieses frag-
würdige Benehmen ge-
reichte Brummell eher zum
Vorteil, als zum Schaden. Sogar die Höflinge behandelten ihn mit Vorsicht.
Wales ist wankelmütig, dachten sie, eben deshalb auch eine rasche Versöhnung
möglich. Zudem gingen Georgs Brüder Frederick und Clarence, und ihr Vetter,
der Herzog von Gloucester, die gleichfalls gekommen waren, mit dem Beispiel
voran, indem sie mit dem Beau herzlichst die Hände schüttelten und ihm
wie Anderen gegenüber mit Bewundrung und Lob der dargebotenen Genüsse
nicht kargten. Und war das Lob nicht verdient? Gewährte nicht das Haus
in allen Räumen, nicht der Tanzplatz, der ins Freie verlegt worden, einen
wundervollen Anblick? Die trockene Witterung war dem kühnen Plan zu gute
gekommen. Der Spielplatz hinter dem grossen Gebäude war durch den Anbau
zweier Flügel, leichtgezimmerter offener Hallen, in einen Saal verwandelt. Eine
breite Steintreppe führte zu einer mit schönen alten Bäumen bestandenen Terrasse.
Diese bildete den Hintergrund. Mit Malerei, Vergoldung, Blattgewinden, Spiegeln
und brennenden Kerzen täuscht^ man über die Stegreif-Schöpfung. [Festsetzung folgt.]

G. Kuehl: Blick auf den Theaterplacz in Dresden.

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