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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0655

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3°2

MODERNE KUNST.

einige Seitentische besetzt, die grosse Tafel inmitten ganz verlassen. Doch die
Klubdiener in der Erkenntnis ihrer Herren trauten dem Frieden nicht und
steckten während der Pause neue Kerzen auf.

Als der Morgenwind in den Ulmen auf der Terrasse wühlte, Tanzplatz
und Hallen verödeten und im Saal kaum noch zwanzig Paare, allerdings die
Unermüdlichen, tanzten, stürmte ein Tross junger und alter Männer in das Spiel-
zimmer und umringte den grünen Tisch wie eine hungrige Hunnenhorde ein
gastlich rauchendes Gehöft. Viele waren angeheitert, hatten rote Gesichter und
heisere Stimmen; auf die anderen, die übernächtig und müde antraten, wirkte
der Anblick des grünen Tuches belebend wie Wein, sie bekamen wieder Farbe
und ihre Augen erglänzten.

Tickell sass schon und mischte die Karten. Doch da rief eine tiefe dröhnende
Stimme „Halt!“ Ein schöner alter Mann, das graue Haar noch voll und kraus,
das furchenreiche Gesicht durch einen heiteren, leutseligen Ausdruck verjüngt,
trat, auf Brummells Arm leicht sich stützend, dicht an den Spieltisch und sah
mit dem sieghaften Selbstbewusstsein
eines Moses auf die lüsternen Sünder.

Alle verstummten, nicht etwa aus Ehr-
furcht, denn ein Dandy hat vor nichts
und niemand Ehrfurcht, sondern aus
Neugier, was der „bekannte“ Parlaments-
redner und „geschätzte“ Theaterdichter
Richard Brinsley Sheridan sagen werde.

Ein langer Speech war nicht zu fürchten,
denn Sheridan gehörte selbst zu den
grössten Spielratten Londons.

„Bevor Ihr dem Laster fröhnt,“
begann er, „lasst uns des teuren Toten,
unseres Charles Fox gedenken*), der an
dieser Stelle so manche Nacht durch-
wacht! Auf diesen verdammten Tisch
hat er denkwürdige, ewig wahre Verse
gedichtet, die Ihr anhören sollt. Die
Propheten haben Israel nicht bekehrt,
und so werden auch Euch weder Pre-
digten noch Verse bessern. Doch ich will
niemals wieder würfeln oder Karten
spielen, wenn Ihr danach nicht zugesteht,
dass Ihr samt und sonders Taugenichtse
seid. Und es ist immer was schönes um
die Selbsterkenntnis. Hört!

„Ich kenn’ ein Land — Du vielgereister

Mann,

Die Zone sag’ und Gröss’ und Grenzen gieb

mir an!

Dort wächstkein Baum, und wogt kein Aehren-

feld,

Nicht Berg und Thal beleben jene Welt.

Kein Farmer pflegt den Grund und doch

gedeiht,

Doch trägt er durch das ganze Jahr sein

Kleid.

Von Menschen angelegt, erglänzt dort helle

Gar mancher Teich, ein Goldfisch jede Welle.

Der Grund, so weit er reicht, ist Goldgebiet,

Nicht Indien mit seinem Elfenbein,

Demanten, Perlen, Gold kann reicher sein

Und dennoch Heil ihm, der dies Eiland flieht!

Des Krieges ist, der Greuel da kein Ende,

In einen Sumpf taucht Ihr die reinen Hände,

An diesen Küsten lauert blasser Geiz,

Da schäumt die Wut, da züngeln Hass und Neid ■

Im Herzen auf, und einen kurzen Reiz
Büsst Ihr mit langer Reu’, tötlichem Leid.

Es giebt dort Könige wie anderswo,

Doch seiner Herrschaft wird dort keiner froh;

Ein Bube, ohne Ahnen, ohne Namen

Wie Cromwell, droht den Rittern und den Damen.

Wenn er nur Glück hat, hat er Recht
Und macht den König sich zum Knecht.

O Briten, dass euch nie gelüste,

Nie nach dem Goldglanz dieser Küste!“**)

Nicht sowohl die Verse, als die mächtige Stimme, der schwungvolle Vortrag
machten tiefen Eindruck. Brummell brach die Stille. „Tickell, geben Sie Mr.
Sheridan die Karten!“ sprach er. „Ich schlage vor, dass unser ehrenwerter
Freund Sheridan zum Lohn die Bank hält.“

Das Spiel wurde verhängnisvoll für Brummeil. Als man aufbrach, tippte

*) Charles James Fox starb in Wirklichkeit einige Zeit nach dem Fest der Freunde,
im September 1806.

**) Der Urtext: „The gaming-table" bei Captain Jesse a. a. O.

ihn Tickell auf die Brust. „Hören Sie, lieber Freund, erst der Ball, dann das
Jeu — wieviel kostet Ihnen der heutige Abend?“

Der Beau hatte zum ersten mal auf eine kecke Frage keine spitze Antwort.
Nachdem er mit bewundernswerter Ruhe und feinstem Anstand gewaltige
Summen verloren hatte, wurde er jetzt einfach grob.

„Wieviel oder wenig, das geht Sie den Deibel an, Mr. Tickell!“

XII.

Bergab!

Brummells Glück im Spiel war sprichwörtlich geworden, jetzt war das
Missgeschick mindestens ebenso hartnäckig. Tickell konnte zuletzt in seiner
hämischen Weise sagen: Brummell verliert, weil er spielt. Auch Wohlwollende
rieten dem Beau, wenigstens eine Zeit lang dem Spiele zu entsagen. Sie waren
alle reich, erfiethen daher nicht, dass das Spiel für Brummell kein Vergnügen
mehr war, sondern eine Arbeit, ein Kampf, ein Fieber, das Verlorene so

ziemlich sein ganzes Vermögen — wieder-
zugewinnen.

Der Prinzregent besuchte die Klubs
jetzt seltener als früher, doch dann
und wann traf er immer noch mit dem
Beau am Spieltisch zusammen. Er ge-
währte dem früheren Freunde nicht ein-
mal kühle Höflichkeit. Brummell spielte
den Gleichgiltigen, spielte seine Rolle
ausgezeichnet, aber — wenn der Aus-
druck bei einem Dandy erlaubt ist —
mit seinem Herzblut. Sein Gegner stand
über der Macht, die Brummell in der
Gesellschaft noch immer besass und jetzt
mit allen Kräften verteidigte. Bei der
Weinflasche im Klubhause, bei einem
Freundesmahl daheim, an den Tafeln
des Herzogs von York oder andrer un-
abhängiger Gastgeber war er König.
Für ihn waren Speise und Getränke nicht
wie für den Feinschmecker die Haupt-
sache, er war immer ganz bei der Gesell-
schaft; um so mehr fühlten sich seine
Wirte geschmeichelt, wenn er dann
durch eine beiläufige Bemerkung, einen
dankbaren Blick sein Verständnis für
die Feinheiten ihrer Küche und die
Perlen ihres Kellers bewies. Er war ge-
sprächig, unterhaltend, niemals ge-
schwätzig. Seine natürliche Anmut,
Schlagfertigkeit, überhaupt seine gesell-
schaftliche Begabung war nie so glänzend
gewesen wie in den Tagen, da es mit
ihm bergab ging. Wenn er redete, hingen
Alle an seinem Munde. Niemand von
den männlichen und weiblichen Tisch-
genossen ahnte, dass dieses Prickeln
und Schäumen mit gemeiner Sorge zu-
sammenhing.

Der Beau und Geldnöte — pfui!
Aber Brummells Lieferanten und
„Geschäftsfreunde“ waren weniger ahnungslos. Sie wussten, wo ihn der Schuh
drückte, und der grosse Dandy war nicht mehr eine feine Kundschaft, sondern
ein säumiger Schuldner. Und für ihn waren alle diejenigen, welche für seine
zahlreichen Bedürfnisse sorgten, fortan Feinde. Er begann gewisse Strassen
zu vermeiden und sich daheim verleugnen zu lassen; auch sein Kammerdiener
kannte den Stand der Dinge und hatte fortan ein fatales Lächeln, das der
unterwürfigen Haltung widersprach.

Die Liebe hat für einen Mann in der Lage Brummells mehr Pein, als
Süssigkeit. Den Zusammenbruch vor Augen fragte er sich: Wird Lady Anna
diese Probe bestehen? und seufzte zur Antwort. Da ihn seine Schöne hangen
und bangen liess, redete er sich mehr und mehr in den Glauben, ohne sie nicht
leben zu können. Auf eine freiwillige Zustimmung der Eltern war nicht zu
hoffen. Mr. Cullen-Smith war für den Beau immer abwesend, seine Gemahlin
empfing zwar Brummell, doch nicht mehr mit der alten Herzlichkeit und nie
mehr in Gegenwart der Tochter. Brummell liess sich nicht einschüchtern. Er
fragte Mylady eines Tages, wodurch er ihre Gunst verscherzt habe, und erinnerte
sie an ihr tapferes Wort, dass die Gnade oder Ungnade des Kronprinzen ihre
Gesinnung niemals ändern werde. Mylady antwortete ihm, dass die Welt böse
sei und dass man Mr. Brummell Absichten unterlege, die sie und ihr Gemahl
niemals billigen könnten. Sicherlich sei Mr. Brummell schuldlos, immerhin das
Gerede unangenehm. „Ach lieber Freund,“ schloss sie mit einem Seufzer, „wie
schön könnte die Welt sein und wie mangelhaft ist sie!“

„Wir müssen sie nehmen, wie sie ist,“ erwiederte trocken Mr. Brummell.

Lilli Lehmann als „Fidelio“.

Nach einer Aufnahme des Kunstmalers Hans Volkmer, München.
 
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