Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Heigel, Karl von: Brummells Glück und Ende, [8]: Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0681

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

3>4

Cardcross zog den Dreisten hastig mit sich fort, dann liess er den Arm des
Begleiters los und grollte:

„Das hätten Sie nicht sagen sollen!“

„Was! Wenn er uns nicht dankt!“

„Was kann Ihnen heute noch daran liegen? Mir zulieb mussten Sies über-
sehen! Sie gehen, ich bleibe. Also lässt ers mich entgelten. Denn er wird
nie vergessen: Der ist dabei gewesen.“

Brummeil lachte. „Sie machen mir Spass, Cardcross.“

„Und Sie bereiten mir Verdruss. Ich hab es nicht um Sie verdient.“
„Stecken Sie doch nicht den Kopf so zwischen die Schultern! Sie glauben
nicht, wie hässlich das aussieht!“

„Sie rechnen auf meine Langmut, Sir!“

„Ich rechne auf unsere alte Kameradschaft, Sir! Ich rechne auf Ihren
Wagen, Sir!“

„Was ich verspreche, halt ich. Mein Wagen wird Punkt neun an der be-
wussten Ecke sein.“

„Und fahr zum Teufel, denken Sie in diesem Augenblick von Ihrem
Freunde Brummell.“

„Alles hat seine Grenzen.“

„Ich wills in andrer Weise wieder gutmachen. Sie erkundigten sich vorhin
nach meinem Reisegeld —“

„Es war nur eine Frage.“

„Glaub ich nicht, doch will ich Ihnen jetzt mit wahrhaft kindlicher Auf-
richtigkeit darauf antworten: Ich trage ungefähr zwanzigtausend Franken bei mir.

Das ist im Lande der Froschesser ein Vermögen.Hören Sie, Cardcross:

Die Begegnung' mit dem Kalifen erspart Ihnen und kostet mich mindestens
fünfhundert Pfund!“

Cardcross musste wider Willen schmunzeln. „Brummell, Sie sind ein
Original!“

Als einige Minuten später Brummell allein seine Wege ging, sagte er sich
in einem Anflug von Galgenhumor: So ists, wir werden immer an dem Gliede
gestraft, mit dem wir sündigten. Und wenn tausend Pfund auf dem Spiele

standen, ich hätte das Maul nicht halten’ können.

Um neun Uhr harrte der Beau in einer öden, schlecht beleuchteten Gasse,
an die der Park der Rothesays grenzte. In der Parkmauer war eine kleine Thür,
an dieser lehnte er horchend, in jeder Fiber gespannt. Der Schlüssel steckte,
wie er sich fühlend überzeugte, von innen im Schloss. So wars verabredet.
Aber wird Anna kommen?!

Sie kam. Er hörte ein Rascheln, dann tastete jemand an der Thür und
machte schwächliche Versuche, das Schloss zu öffnen. Brummell drückte sich
an die Pforte und sagte: „Ich bin da.“

„Ach Gott, der Schlüssel schliesst nicht —"

„Versuch’s nur! Mut!“ Endlich drehte sich der Schlüssel, die Thür ging
auf, und Brummell umfing die Geliebte.

„Meine Anna!“

„Sie sind ein schrecklicher Mensch, George! Was haben Sie von mir ver-
langt! Wenn mich Mademoiselle vermisst, schlägt sie Lärm. Und unten ist
grosse Gesellschaft.“

„Mary ist klug und treu. Geschwind zum Wagen!“

Sie klammerte sich zitternd an'Brummell, um ihn festzuhalten.

„Nein, George, ich habe schon genug in diesem grässlichen Park ausge-
standen. Ich wäre am liebsten umgekehrt, aber der Gedanke, dass Du — dass
Sie die ganze Nacht hier auf mich warten würden, gab mir Mut. Plätten Sie
gewartet?“

„Wir verlieren die Zeit. Komm!“

„Nein, George, nicht weiter! ich fürchte mich. Ich habe alles überlegt.

Wir treffen uns morgen — ich schwörs, treffen uns und gehen zusammen zu

Onkel Erskine, werfen uns ihm zu Füssen —“

„Und er giebt uns seinen Segen. Daran glaubst Du doch selber nicht!
Wir müssen frisch wagen. Lass mich die Thür schliessen, unser Weg geht
dorthin.“

„Nein, nein, ich fürchte mich.“

„Kind, an der nächsten Ecke hält mein Wagen. Für Mantel, Tücher, alles

ist gesorgt. Bevor es Tag wird, sind wir in Dover. Ein Schiff ist schon ge-

mietet. Es trägt uns in wenigen Stunden nach Frankreich. Dort sind wir sicher
— glücklich in unserer Liebe — von dort können wir mit den Deinen ver-
handeln.“

„Nein, nein, es ist zu entsetzlich — die Flucht — die Fahrt — die Fremde!
Wenn Du mich liebst, hast Du Geduld.“

„Wie ein Engel, doch leider keine Zeit. Ich muss fort. Mein Lebensglück
hängt an Deinen Lippen. Ja oder nein!“

Indem -er die Zaudernde an sich ziehen wollte, sie jedoch zurückwich, stiess
sie die Parkthür vollends auf. Da diese in den Angeln knarrte, drehte Anna
den Kopf zurück. Wo es vorhin stockfinster war, leuchtete jetzt ein schwankes
Licht. „Dort!“ flüsterte Anna. „Man sucht mich. Mademoiselle war schon
misstrauisch und unser Trotter, der Dummkopf sah mich in den Park ent-
wischen. Ich mache ihnen weis, ich hätte mich im Park verstecken wollen.
Freilich sind sies! Sehen Sie doch, wie sie die Laterne hochheben! Etsch! - , .
Morgen schreib’ ich Dir. Sicher!“

„Morgen bin ich auf dem Meer,“ erwiderte der Beau mit wahrer Leiden-
schaft, die, ungewöhnlich an ihm, das Mädchen einschüchterte. „Lady Anna!“
rief eine Stimme im Garten.

“ Mademoiselle,“ wisperte Anna, „Kuckuck! kuckuck!“ schrie sie plötzlich
in die Bäume hinein, dann drückte sie dem Beau die Hand und flüsterte: „Gute
Nacht! nicht zürnen! — Morgen —“ Und sie war im Park, und die Thür
fiel zu.

Brummell stand gelähmt. Durch den Lärm, der in den Nachbarstrassen
eben jetzt grösser war als vorher, hörte er wieder das spöttische Kuckuck!
kuckuck! Oder war’s eine Sinnestäuschung?

In sich versunken stand er. Ein Ekel an der Welt, am Leben, am Ich
erfüllte ihn. Dann rüttelte er sich auf. Ich war reicher, als ich dachte, sagte
er, ich hatte noch Illusionen!

Da er im Schein der fernen Laterne Gestalten sah, riss er sich von der
Stelle los und ging langsam der Helle entgegen. Plötzlich hielt er, von einem
Gedanken durchzuckt und erheitert, der unverwüstliche Lebemann! im Gange
ein: „Wenigstens hindert mich jetzt nichts mehr, meinen Pudel mitzunehmen!“

XIII.

Herr Leleux, ein biederer Bürger und Hausbesitzer von Calais, brachte am
5. September 1821 seinem englischen Mietsherrn, Mr. Brummell, eigenhändig
die Morgenschokolade. Das hatte Grosses zu bedeuten. Denn zwischen Haus-
herrn und Mieter war das Verhältnis seit längerer Zeit gespannt.

Leleux besass ein hübsches Plaus in der Nähe des Rathauses und Mr.
Brummell bewohnte darin die drei schönsten Zimmer, der wünschenswerteste
Mieter in allen Punkten ausser einem, leider dem allerwichtigsten- Brummell
war nämlich ein saumseliger Zahler, ln den ersten zwei, drei Jahren entrichtete
er die Miete pünktlich, dann leistete er unregelmässige, sozusagen stossweise
Abschlagszahlungen, seit ungefähr einem Jahr hörten auch diese auf. Aller-
dings waren die Boulemöbel, das Sevresporzellan, kurz, alles, was sich Brummell
alsbald nach seinem Einzug aus Paris verschrieben, sehr kostbar, doch Herrn
Leleux wären bare hundert Franken lieber gewesen, als ein Bouletisch, für den
Brummell das Doppelte gezahlt hatte Doch so liebenswürdig, so unterhaltend
war der Engländer, dass Monsieur Leleux noch jede Kündigung vor dem Ablauf
der Frist zurücknahm.

Die Anfänge waren so schön gewesen. Obwohl jedermann einsah, dass
auch dieser Fremdling nicht freiwillig Calais zu seinem Wohnsitz gewählt habe,
war Brummell sofort der Gegenstand der allgemeinen Neugierde, bald der Teil-
nahme, so wesentlich und zu seinem Vorteil unterschied er sich in seiner Er-
scheinung, in seiner Lebensführung von den andern Briten, welche in der
französischen Hafenstadt auf einen Ausgleich mit ihren Gläubigern oder eine
günstige Schicksalswende warteten. Durch den englischen Konsul ward es
zuerst bekannt, dass der Fremdling der berühmte Brummell, der erste Dandy
der Welt sei. Das Wort Dandy war den Franzosen fremd. Ein Beau, ein
Stutzer; doch die alte Vorstellung von einem Stutzer deckte sich nicht mit der
neuen Erscheinung. Die Provinzler gaben mit erklärlicher Freudigkeit zu, dass
der Dandy, ohne den Eindruck eines Gecken zu machen, ebenso „chic“ gekleidet
sei wie der feinste Pariser Alamodeherr Brummell hatte das Benehmen und
die Gewohnheiten eines Grandseigneurs, aber mehr Geist, als die grossen Herren
in der Regel. Er wurde mit seinem harten englischen Französisch binnen kurzem
der meistbegehrte Gast in grossen und in kleinsten Kreisen und verkehrte in
den besten Häusern. Dieser Mann ohne Titel, ohne Lorbeeren, dieser Mann, der
in keiner Weise nützlich war, dessen Vorzüge, mit der gewöhnlichen Moral ge-
messen, in starker Eitelkeit wurzelten, bezauberte Franzosen und Französinnen,
wie er seine Landsleute berückt hatte. Wenn er im ersten Gasthofe speiste,
flogen die Kellner; wenn er über die Strasse ging, grüsste ihn der vielbeschäftigte
Beamte so zuvorkommend, so von Herzen wie der junge Pflastertreter. Und
was am stärksten für Brummells Macht über die Menschen sprach: die rassigen,
schweissigen Hafenarbeiter betrachteten diesen feingekleideten und wohlriechenden
Plerrn keineswegs feindselig, der Beau war am Hafen und im Arbeiterviertel
ebenso volkstümlich wie auf der Promenade.

Es schien, als ob die Voraussagung Townshends nicht eintreffen würde.
Schon galt Brummell als arm, schon wars ein öffentliches Geheimnis, dass
die wohlhabenden und vornehmen Engländer, die nach dem Sturz Napoleons
massenweise über Calais nach Paris oder anderen Punkten des Festlandes
reisten, den Dandy mit Geldgeschenken unterstützten, gleichwohl hiess er immer
noch der König von Calais. Der Kampf ohne Geld um eine Stellung in der
Gesellschaft, die dem goldenen Kalbe opfert, ist nicht leichter als der Kampf
um das Dasein. Brummell behauptete sich viele Jahre lang siegreich. Warum?
Er war nur ein Dandy, der jedoch voll und ganz, ohne Rücksicht auf die land-
läufigen Wertmaasse, ohne Scheu in der Wahl der Mittel; er war eine Persön-
lichkeit, eine elektrische Kraft

Natürlich scheiterte er dennoch.

„Mein Herr,“ sagte Leleux, als er die Schokolade auf den Tisch setzte, „es
freut mich, Ihnen eine grosse Nachricht überbringen zu können: Ihr König,
Seine Majestät Georg IV kommt heute nach Calais und wird in Dessins Hotel
übernachten.“

Es war elf Uhr vormittags. Brummell hatte bereits sein Bad genommen
und sich ohne tremde Hilfe angekleidet. Auch sein französischer Kammerdiener
 
Annotationen