328
MODERNE KUNST.
gedeiht Frankreich. Vorher quälte ein dumpfer Druck, die Ahnung neuer
Umwälzungen die Gemüter. Das ist vorbei, die Luft frisch, der Horizont rein.“
Veron sah mit Genugthuung auf seine Zuhörer. Ihre ungeduldige Miene machte
ihn stutzig. „Mylady spricht das Französische wie wir,“ lenkte er ein; „Sie
beide wohnen so lange in Paris, dass ich frei von der Leber rede. Ich bitte
mir zu verzeihen, wenn ich politische oder soziale Anschauungen verletzt haben
sollte.“
„Keineswegs,“ erwiderte Lady Cardcross. „Wir sind König Louis Philipp
zu Dank verpflichtet und ergeben. Doch Sie erwähnten Brummells, und
Mr. Brummell war so viele Jahre lang mit meinem Frederic bekannt —“
„Gut mit ihm gekannt!“ fiel Cardcross, endlich lebendig, ein. „Doch so
gehts in der Welt; die besten Freunde, Brüder verlieren sich aus den Augen.
So lange Brummell in Calais war, las man in den Zeitungen, hörte man durch
Reisende immer wieder von ihm. Dann — warten Sie — ja, nach König Georgs
Tod kam er als Konsul hierher.“
„Vierspännig, ein Grandseigneur. Leider dauerte die Herrlichkeit nicht
lange. Er war dem Amt gewachsen, doch nicht dazu geeignet. Denken Sie
sich den Beau, in einer Kanzlei Pässe visierend! Das Konsulat wurde auf-
gehoben.“
„Auf Palmerstons Antrieb. Damals hörte ich zum letzten Mal von Brummell.
Daheim erlebten wir selbst soviel Trauriges. Meine Schwiegereltern starben —
unser Kind — —“ Cardcross brach ab.
Die roten Flecke auf Lady Annas Wangen warnten den Arzt. „Wenn Mylady
wünscht, sprechen wir von Politik.“
„Nein, nein“, rief sie, „Mr. Brummell interessiert mich! Jetzt steht er mir
lebendig vor Augen. Unbegreiflich, dass wir Jahre lang nichts von ihm gehört
haben. Zwischen Paris und Caen —“
„Bedenke, liebe Anna, im Wirbel von Paris! Erst waren wir wie berauscht,
dann ernüchterte uns die Revolution. Dann fing der Saus und Braus von vorne
an. Zuletzt wurdest Du leidend. Da dacht ich doch wahrhaftig nicht — Und
ausserdem-Lebt er denn noch?“
„Er lebt noch, ja,“ erwiederte der Arzt, „aber —“
Einem Windstoss gab ein Fenster nach, es sprang mit dem inneren Laden
auf — die weissen Vorhänge flogen, die Lampen blakten, die Lichter auf dem
Tisch erloschen. Doktor Veron sprang ans Fenster und schloss es nicht ohne
Mühe. Draussen tobte ein Sturm, am schwarzen Himmel flackerten die ersten
Blitze auf.
Die Diener, denen Cardcross geklingelt hatte, traten ein und alsbald strahlten
wieder festlich alle Kerzen.
„Hat schon lange gedroht“, meinte Veron. „Es ist eine Erquickung. Aber
Mylady bekam einen Schreck.“
„Ich leugne nicht.“ Lady Cardcross lachte, hustete und lachte wieder. „Ich
bin seit einiger Zeit leicht erregbar und überhaupt keine Freundin von Gewittern.“
„Soll ich die Kammerfrau rufen? willst Du Dich zurückziehen, liebe Anna?“
„Ich habe weder den Wunsch, noch das Bedürfnis. Und das Gespräch
interessiert mich. Also Mr. Brummell lebt, wohnt noch hier?“
„Wohnt in Caen und zwar unter einem Dach mit Ihnen.“
„O!“ stiess Cardcross hervor. Lady Anna sah den Arzt mit grossen Augen
an, dann lehnte sie sich zurück. „Wie oft der Zufall spielt —!“
„Früher wohnte Mr. Brummell bei einer alten Dame in der Rue des Cannes
Nach wenigen Tagen war er hier von aller Welt gekannt, geliebt, gesucht. Ich
sollte ihn zum ersten Mal in grosser Gesellschaft treffen. Als ich in den Saal
trat, waren mir viele Gestalten fremd, aber ich blieb keine Sekunde unschlüssig,
ging sofort auf den Einen los und sagte ihm die Hand reichend: Mr. Brummell!?
Er wars. O, an den Kleidern lag es nicht. ,Wenn Sie aus einer Gesellschaft
Weggehen, muss man nicht wissen, was Sie anhatten — dann waren Sie gut
gekleidet.1 Mit diesem Grundsatz ist man doch kein Kleidernarr! Nein, die
Kleider machten es nicht. Es war sein persönlicher Zauber. Ich weiss alle
seine Fehler. Doch — an der Hobelbank bleibt man kein Klaviervirtuos. Er
war ein Gesellschaftsvirtuos. Sein Talent war auch sein Verhängnis. Denn
wir zahlen nur den, der einen Titel hat. Ach, Mylady, ich werde weitschweifig,
verliere mich in Grübeleien-da! das Gewitter ist über uns!“
Die häufigen Donnerschläge, das Prasseln der schweren Regentropfen und
Schlossen gestatteten kein Gespräch. Während Cardcross an einem Fenster in
die Lohe sah, beobachtete der Arzt Lady Anna. Sie hatte ein Spitzentuch über
den Kopf gezogen und sass in Gedanken versunken, ganz versunken.
.... Sobald der Donner nachliess, rüttelte sie sich auf und begann aufs
neue ihren Gast über Brummell auszufragen. „Ach, Mylady“, sprach Veron, „ich
würde kein Ende finden, wenn ich erzählte, wie er uns alle in Atem erhielt.
Seine Geldnot war kein Geheimnis. Er kam tiefverschuldet von Calais und
machte, nachdem er seinen Gehalt eingebüsst, neue Schulden in Caen. Das
hätte jeden anderen sofort gebrandmarkt und abgethan. Mr. Brummell erhielt
sich lange. Ich entschuldige ihn nicht, aber muss es sagen: Händler und Hand-
werker kannten seine Lage wie seine Schwächen und führten ihn dennoch immer
•wieder in Versuchung. Wir waren im Punkte Brummell alle abergläubisch,
erwarteten irgend eine ausserordentliche Wendung, ein Wunder zu seinen
Gunsten .... Doch die Wende war tieftraurig. Seine Amtsentsetzung — er
trug sie doch schwerer, als er uns glauben liess. Mich beunruhigte, dass er
plötzlich auf die politischen Grundsätze bei seinem Umgang sah. Das wider-
sprach seinem Wesen. Und was erwartete er im anderen Lager, er ein geborener
Brite, ein heiterer Lebemann, ein offener Kopf und kein Harpagon!
„Zweites Anzeichen: Die Flaare gingen ihm aus und er verlor drei Zähne in
einer Woche.“
„O Gott!“ seufzte Mylady.
„Haare haben wir von Watier und White alle nicht mehr“, sagte Cardcross
und fuhr über den blanken Scheitel, „aber beissen kann ich noch.“
„Langes Elend muss man kurz erzählen“, fuhr Veron fort. „Brummells
Gläubiger erwarteten endlich doch kein Wunder mehr. Mr. Brummell wanderte
in das Schuldgefängnis. Stellen Sie sich, vor: Er, der sein Morgenbad gewohnt
war und sich dann noch öfter als ein Muselmann unter Tags wusch, in unserem
leider Gottes sehr schmutzigen, niemals gelüfteten, immer übervölkerten Ge-
fängnis.
„Nach langer Haft wurde er durch englische Unterstützung frei. Er zog aufs
neue in diesen Gasthof, doch ein Andrer! Eine schmähliche Fratze des einstigen
Dandys sass er nunmehr an der Wirtstafel, aufdringlich, schwatzhaft, gefrässig
unsauber, dabei wahnsinnig eitel — auf seine Perrücke!
„Und nach und nach war der Notpfennig der Freunde aufgezehrt, Brummell
siedelte aus dem ersten Stock in den vierten über, und nach und nach war auch das
bischen Verstand, das er aus dem Gefängnis gerettet, aufgebraucht, und jetzt —“
Cardcross sprang vor Erregung auf, er hatte Thränen in den Augen. „Und
jetzt?“ rief er. Lady Anna jedoch sagte nur ein Wort: „Hilf!“
Auch der Arzt erhob sich. „Ihm ist nicht mehr zu helfen. Er ist wahn-
sinnig, ein Narr, kein böswilliger, gemeingefährlicher, aber unheilbarer Narr.
Morgen oder übermorgen wird er in die Irrenabteilung unseres Spitals zum
Guten Heiland gebracht. Seine Pflege dort wird aus den Stiftgeldern bestritten.“
Lord und Lady Cardcross schwiegen erschüttert.
„Am Tage schläft er“, fuhr Veron fort, „oder verbringt die Zeit in stumpfem
Hinbrüten. Seltsamerweise — das . heisst, für mich nicht seltsam! — flackert
das Flämmchen da drin“ — def Arzt tippte an die Stirn — „nur nachts, regel-
mässig mit dem Glockenschlage Zehn, auf. Dann hält der arme Teufel in seiner
Stube — der barmherzige Wirt hat ihm nämlich die Kammer droben auf meine
Verantwortung hin lang genug gelassen, auch eine Wärterin gestellt —“
„Was hält Mr. Brummell“, fragte die Lady ungeduldig.
„Erkennt er dann seine Umgebung?“
„Er schaut nur Schemen. Ich, Sie, Jeder kann eintreten, ihn ansprechen.
Brummell sieht und hört nichts als seine gespenstischen Gäste. Ich habe dies
und das versucht.“ Doktor Veron hatte bei dieser Bemerkung ein besonderes
Lächeln. Das Lächeln des Fachmanns. „Es war umsonst. Und warum soll
man ihn darin stören!“
„Ich will ihn sehen“, sagte Cardcross mit entschlossener Miene.
Mylady wurde von einem Schauder geschüttelt.
Doktor Veron zog seine Uhr. „Wenn Sie wünschen —“ erwiderte er trocken.
„Gefahr ist keine dabei . . .“
Im vierten Stock war der Flur nur vom Mond beleuchtet, der am wieder
aufgeklärten Himmel stand. Der Arzt berührte seinen Begleiter leicht am Arm,
und trat an ein Fenster. „Die Mauer da drüben umhegt den Spitalgarten, das
grosse Gebäude dahinter ist das Spital zum Guten Heiland. Dort beschliesst
Beau Brummell seine Tage.“
Sie traten vom Flur in eine enge, kahle Kammer, in der neben einem Feldbett
eine alte Frau bei einer Nachtlampe strickte. Eine zweite Thür — die Flügel
waren ausgehoben und lehnten an der Wand — führte in eine grössere Stube.
,Nun?“ fragte der Arzt die Alte.
„Er ist schon auf.“
Veron nahm den Engländer unterm Arm und trat mit ihm an die Schwelle
der zweiten Kammer. Inmitten derselben stand ein langer Wirtstisch mit vier
Gartenleuchtern. In dreien brannten bereits die Kerzenstümpfe. Ueber den
vierten beugte sich eben, mit dem Rücken gegen die Thür, eine schmächtige
Gestalt in einem verschlissenen Schlafrock, ein Greis mit kahlem Schädel; mit
zittrigen Händen bemüht, das vierte Licht anzuzünden — bedächtig, vorsichtig.
Da begann von einer nahen Kirche die Turmuhr zu schlagen. Der Alte horchte
auf und nickte bei jedem Schlage sonderbar mit dem Kopf.
Zehn! Jetzt wandte sich der Mann im Schlafrock um.
„Brummell!“ rief Cardcross aufschluchzend.
Mr. Brummell hörte nicht die Stimme seines ehemaligen Freundes, er sah
mit leerem Blick auf das Paar in der Thür. Plötzlich richtete er sich auf, sein
welkes, runzeliges Gesicht belebte sich, er that einen Schritt vorwärts, dann
verneigte er sich tief und liess dabei — wieder in einer-sonderbaren Weise —
die Arme niederhängen. Wieder aufgerichtet, sagte er mit einer verfallenen,
Stimme: „Der Herzog von York! . . . Königliche Hoheit, ich schätze mich
glücklich —“ Und er wies zum Tisch. „Ich bitte —“ Und wieder warf er sich
vorwärts: „Ihre Durchlaucht die Herzogin von Rutland, ah, und Lord South-
hampton — ich schätze mich glücklich, bitte! — Marquis von Wellesley, will-
kommen —“
„Monseigneur“ sagte eine Stimme hinter Cardcross. Er drehte sich um;
sein französischer Kammerdiener war eingetreten. „Monseigneur, ich bitte,
kommen Sie rasch . . . Madame . . . Mylady wurde ohnmächtig“.
—-*>- Ende -<=r—
MODERNE KUNST.
gedeiht Frankreich. Vorher quälte ein dumpfer Druck, die Ahnung neuer
Umwälzungen die Gemüter. Das ist vorbei, die Luft frisch, der Horizont rein.“
Veron sah mit Genugthuung auf seine Zuhörer. Ihre ungeduldige Miene machte
ihn stutzig. „Mylady spricht das Französische wie wir,“ lenkte er ein; „Sie
beide wohnen so lange in Paris, dass ich frei von der Leber rede. Ich bitte
mir zu verzeihen, wenn ich politische oder soziale Anschauungen verletzt haben
sollte.“
„Keineswegs,“ erwiderte Lady Cardcross. „Wir sind König Louis Philipp
zu Dank verpflichtet und ergeben. Doch Sie erwähnten Brummells, und
Mr. Brummell war so viele Jahre lang mit meinem Frederic bekannt —“
„Gut mit ihm gekannt!“ fiel Cardcross, endlich lebendig, ein. „Doch so
gehts in der Welt; die besten Freunde, Brüder verlieren sich aus den Augen.
So lange Brummell in Calais war, las man in den Zeitungen, hörte man durch
Reisende immer wieder von ihm. Dann — warten Sie — ja, nach König Georgs
Tod kam er als Konsul hierher.“
„Vierspännig, ein Grandseigneur. Leider dauerte die Herrlichkeit nicht
lange. Er war dem Amt gewachsen, doch nicht dazu geeignet. Denken Sie
sich den Beau, in einer Kanzlei Pässe visierend! Das Konsulat wurde auf-
gehoben.“
„Auf Palmerstons Antrieb. Damals hörte ich zum letzten Mal von Brummell.
Daheim erlebten wir selbst soviel Trauriges. Meine Schwiegereltern starben —
unser Kind — —“ Cardcross brach ab.
Die roten Flecke auf Lady Annas Wangen warnten den Arzt. „Wenn Mylady
wünscht, sprechen wir von Politik.“
„Nein, nein“, rief sie, „Mr. Brummell interessiert mich! Jetzt steht er mir
lebendig vor Augen. Unbegreiflich, dass wir Jahre lang nichts von ihm gehört
haben. Zwischen Paris und Caen —“
„Bedenke, liebe Anna, im Wirbel von Paris! Erst waren wir wie berauscht,
dann ernüchterte uns die Revolution. Dann fing der Saus und Braus von vorne
an. Zuletzt wurdest Du leidend. Da dacht ich doch wahrhaftig nicht — Und
ausserdem-Lebt er denn noch?“
„Er lebt noch, ja,“ erwiederte der Arzt, „aber —“
Einem Windstoss gab ein Fenster nach, es sprang mit dem inneren Laden
auf — die weissen Vorhänge flogen, die Lampen blakten, die Lichter auf dem
Tisch erloschen. Doktor Veron sprang ans Fenster und schloss es nicht ohne
Mühe. Draussen tobte ein Sturm, am schwarzen Himmel flackerten die ersten
Blitze auf.
Die Diener, denen Cardcross geklingelt hatte, traten ein und alsbald strahlten
wieder festlich alle Kerzen.
„Hat schon lange gedroht“, meinte Veron. „Es ist eine Erquickung. Aber
Mylady bekam einen Schreck.“
„Ich leugne nicht.“ Lady Cardcross lachte, hustete und lachte wieder. „Ich
bin seit einiger Zeit leicht erregbar und überhaupt keine Freundin von Gewittern.“
„Soll ich die Kammerfrau rufen? willst Du Dich zurückziehen, liebe Anna?“
„Ich habe weder den Wunsch, noch das Bedürfnis. Und das Gespräch
interessiert mich. Also Mr. Brummell lebt, wohnt noch hier?“
„Wohnt in Caen und zwar unter einem Dach mit Ihnen.“
„O!“ stiess Cardcross hervor. Lady Anna sah den Arzt mit grossen Augen
an, dann lehnte sie sich zurück. „Wie oft der Zufall spielt —!“
„Früher wohnte Mr. Brummell bei einer alten Dame in der Rue des Cannes
Nach wenigen Tagen war er hier von aller Welt gekannt, geliebt, gesucht. Ich
sollte ihn zum ersten Mal in grosser Gesellschaft treffen. Als ich in den Saal
trat, waren mir viele Gestalten fremd, aber ich blieb keine Sekunde unschlüssig,
ging sofort auf den Einen los und sagte ihm die Hand reichend: Mr. Brummell!?
Er wars. O, an den Kleidern lag es nicht. ,Wenn Sie aus einer Gesellschaft
Weggehen, muss man nicht wissen, was Sie anhatten — dann waren Sie gut
gekleidet.1 Mit diesem Grundsatz ist man doch kein Kleidernarr! Nein, die
Kleider machten es nicht. Es war sein persönlicher Zauber. Ich weiss alle
seine Fehler. Doch — an der Hobelbank bleibt man kein Klaviervirtuos. Er
war ein Gesellschaftsvirtuos. Sein Talent war auch sein Verhängnis. Denn
wir zahlen nur den, der einen Titel hat. Ach, Mylady, ich werde weitschweifig,
verliere mich in Grübeleien-da! das Gewitter ist über uns!“
Die häufigen Donnerschläge, das Prasseln der schweren Regentropfen und
Schlossen gestatteten kein Gespräch. Während Cardcross an einem Fenster in
die Lohe sah, beobachtete der Arzt Lady Anna. Sie hatte ein Spitzentuch über
den Kopf gezogen und sass in Gedanken versunken, ganz versunken.
.... Sobald der Donner nachliess, rüttelte sie sich auf und begann aufs
neue ihren Gast über Brummell auszufragen. „Ach, Mylady“, sprach Veron, „ich
würde kein Ende finden, wenn ich erzählte, wie er uns alle in Atem erhielt.
Seine Geldnot war kein Geheimnis. Er kam tiefverschuldet von Calais und
machte, nachdem er seinen Gehalt eingebüsst, neue Schulden in Caen. Das
hätte jeden anderen sofort gebrandmarkt und abgethan. Mr. Brummell erhielt
sich lange. Ich entschuldige ihn nicht, aber muss es sagen: Händler und Hand-
werker kannten seine Lage wie seine Schwächen und führten ihn dennoch immer
•wieder in Versuchung. Wir waren im Punkte Brummell alle abergläubisch,
erwarteten irgend eine ausserordentliche Wendung, ein Wunder zu seinen
Gunsten .... Doch die Wende war tieftraurig. Seine Amtsentsetzung — er
trug sie doch schwerer, als er uns glauben liess. Mich beunruhigte, dass er
plötzlich auf die politischen Grundsätze bei seinem Umgang sah. Das wider-
sprach seinem Wesen. Und was erwartete er im anderen Lager, er ein geborener
Brite, ein heiterer Lebemann, ein offener Kopf und kein Harpagon!
„Zweites Anzeichen: Die Flaare gingen ihm aus und er verlor drei Zähne in
einer Woche.“
„O Gott!“ seufzte Mylady.
„Haare haben wir von Watier und White alle nicht mehr“, sagte Cardcross
und fuhr über den blanken Scheitel, „aber beissen kann ich noch.“
„Langes Elend muss man kurz erzählen“, fuhr Veron fort. „Brummells
Gläubiger erwarteten endlich doch kein Wunder mehr. Mr. Brummell wanderte
in das Schuldgefängnis. Stellen Sie sich, vor: Er, der sein Morgenbad gewohnt
war und sich dann noch öfter als ein Muselmann unter Tags wusch, in unserem
leider Gottes sehr schmutzigen, niemals gelüfteten, immer übervölkerten Ge-
fängnis.
„Nach langer Haft wurde er durch englische Unterstützung frei. Er zog aufs
neue in diesen Gasthof, doch ein Andrer! Eine schmähliche Fratze des einstigen
Dandys sass er nunmehr an der Wirtstafel, aufdringlich, schwatzhaft, gefrässig
unsauber, dabei wahnsinnig eitel — auf seine Perrücke!
„Und nach und nach war der Notpfennig der Freunde aufgezehrt, Brummell
siedelte aus dem ersten Stock in den vierten über, und nach und nach war auch das
bischen Verstand, das er aus dem Gefängnis gerettet, aufgebraucht, und jetzt —“
Cardcross sprang vor Erregung auf, er hatte Thränen in den Augen. „Und
jetzt?“ rief er. Lady Anna jedoch sagte nur ein Wort: „Hilf!“
Auch der Arzt erhob sich. „Ihm ist nicht mehr zu helfen. Er ist wahn-
sinnig, ein Narr, kein böswilliger, gemeingefährlicher, aber unheilbarer Narr.
Morgen oder übermorgen wird er in die Irrenabteilung unseres Spitals zum
Guten Heiland gebracht. Seine Pflege dort wird aus den Stiftgeldern bestritten.“
Lord und Lady Cardcross schwiegen erschüttert.
„Am Tage schläft er“, fuhr Veron fort, „oder verbringt die Zeit in stumpfem
Hinbrüten. Seltsamerweise — das . heisst, für mich nicht seltsam! — flackert
das Flämmchen da drin“ — def Arzt tippte an die Stirn — „nur nachts, regel-
mässig mit dem Glockenschlage Zehn, auf. Dann hält der arme Teufel in seiner
Stube — der barmherzige Wirt hat ihm nämlich die Kammer droben auf meine
Verantwortung hin lang genug gelassen, auch eine Wärterin gestellt —“
„Was hält Mr. Brummell“, fragte die Lady ungeduldig.
„Erkennt er dann seine Umgebung?“
„Er schaut nur Schemen. Ich, Sie, Jeder kann eintreten, ihn ansprechen.
Brummell sieht und hört nichts als seine gespenstischen Gäste. Ich habe dies
und das versucht.“ Doktor Veron hatte bei dieser Bemerkung ein besonderes
Lächeln. Das Lächeln des Fachmanns. „Es war umsonst. Und warum soll
man ihn darin stören!“
„Ich will ihn sehen“, sagte Cardcross mit entschlossener Miene.
Mylady wurde von einem Schauder geschüttelt.
Doktor Veron zog seine Uhr. „Wenn Sie wünschen —“ erwiderte er trocken.
„Gefahr ist keine dabei . . .“
Im vierten Stock war der Flur nur vom Mond beleuchtet, der am wieder
aufgeklärten Himmel stand. Der Arzt berührte seinen Begleiter leicht am Arm,
und trat an ein Fenster. „Die Mauer da drüben umhegt den Spitalgarten, das
grosse Gebäude dahinter ist das Spital zum Guten Heiland. Dort beschliesst
Beau Brummell seine Tage.“
Sie traten vom Flur in eine enge, kahle Kammer, in der neben einem Feldbett
eine alte Frau bei einer Nachtlampe strickte. Eine zweite Thür — die Flügel
waren ausgehoben und lehnten an der Wand — führte in eine grössere Stube.
,Nun?“ fragte der Arzt die Alte.
„Er ist schon auf.“
Veron nahm den Engländer unterm Arm und trat mit ihm an die Schwelle
der zweiten Kammer. Inmitten derselben stand ein langer Wirtstisch mit vier
Gartenleuchtern. In dreien brannten bereits die Kerzenstümpfe. Ueber den
vierten beugte sich eben, mit dem Rücken gegen die Thür, eine schmächtige
Gestalt in einem verschlissenen Schlafrock, ein Greis mit kahlem Schädel; mit
zittrigen Händen bemüht, das vierte Licht anzuzünden — bedächtig, vorsichtig.
Da begann von einer nahen Kirche die Turmuhr zu schlagen. Der Alte horchte
auf und nickte bei jedem Schlage sonderbar mit dem Kopf.
Zehn! Jetzt wandte sich der Mann im Schlafrock um.
„Brummell!“ rief Cardcross aufschluchzend.
Mr. Brummell hörte nicht die Stimme seines ehemaligen Freundes, er sah
mit leerem Blick auf das Paar in der Thür. Plötzlich richtete er sich auf, sein
welkes, runzeliges Gesicht belebte sich, er that einen Schritt vorwärts, dann
verneigte er sich tief und liess dabei — wieder in einer-sonderbaren Weise —
die Arme niederhängen. Wieder aufgerichtet, sagte er mit einer verfallenen,
Stimme: „Der Herzog von York! . . . Königliche Hoheit, ich schätze mich
glücklich —“ Und er wies zum Tisch. „Ich bitte —“ Und wieder warf er sich
vorwärts: „Ihre Durchlaucht die Herzogin von Rutland, ah, und Lord South-
hampton — ich schätze mich glücklich, bitte! — Marquis von Wellesley, will-
kommen —“
„Monseigneur“ sagte eine Stimme hinter Cardcross. Er drehte sich um;
sein französischer Kammerdiener war eingetreten. „Monseigneur, ich bitte,
kommen Sie rasch . . . Madame . . . Mylady wurde ohnmächtig“.
—-*>- Ende -<=r—