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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Stiehler, Arthur: Jan Styka: das Martyrium der Christen im Cirkus des Nero
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0028

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MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

r5

Blick auf die Langseite des Cirkus.

#s giebt wohl kaum ein Kunstwerk, dessen Betrachtung in
der Seele des Beschauers zugleich herzererschütterndes
Grauen vor dem dargestellten Sujet und dabei ungeteilte
Bewunderung vor der Kunst des Malers in so hohem Maasse hervor-
ruftj als Jan Stykas Kolossalgemälde „Das Martyrium der Christen
im Cirkus des Nero“.

Wir müssen uns zurückdenken in das Jahr 64 n. Chr. Der Hass
des entnervten Römertums gegen die junge Christenheit verführte
zu den ungeheuerlichen Massenkreuzigungen der Christen. Man war
nicht zufrieden damit, die letzten Augenblicke der sterbenden Be-
kenner christlicher Lehre mitzuerleben, — das wäre ein zu kurzer
Moment des sinnenkitzelnden Grausens gewesen — nein, eine
Christenhinschlachtung war ein ganzer Tag schaudervollen Genusses.
Für Huiiderttäusende hatte Nero gastliche Sitze bereit, und Hundert-
tausende kamen gern zu seinen Festen. — Drunten in der Arena
ist des Jammers kein Ende. In langen Reihen aufgestellt, ragen
Holzkreuze aus blutgesättigtem Sande empor. Die christlichen
Opfer werden hereingestossen, von rohen Händen ans Kreuz ge-
schlagen und winden sich in ihrem Schmerze. Greise mit hohlen
Augen, Männer in strotzender Kraft, Frauen mit ausbrechendem
Wahnsinn im Blicke; Knaben, die halb neugierig, halb apathisch
den Vorbereitungen zu ihrer Kreuzigung zuschauen, jungfräuliche
Mädchen, umwallt von der Flut ihres thränendurchfeuchteten
Haares, Kinder im zarten Alter — immer grössere Scharen werden
herbeigeführt und die Reihen der Kreuze wachsen zusehends unter
der kundigen Hand der Henker. Mit roher . Faust schleift man die
halbtoten Opfer über den Erdboden, reisst Mann von Frau und Vater
von Kind. Die einen sehen gleichgiltig ihr Schicksal herannahen,
der grausige Anblick hat längst all ihr Gefühl ertötet; andere heben
drohend die Hände. Verwünschungen, Flüche, Jammer dringen empor
in den Lärm, der alle Räume des Cirkus durchtobt. Des Festes Höhe-
punkt ist noch nicht erreicht — der Cäsar ist noch nicht erschienen
— seine Loge ist noch leer. Da dringen jubelnde Rufe durch die Halle.
Aller Blicke wenden sich nach der Loge des Herrschers, denn dort
wird er sichtbar, der Veranstalter dieser schaudervollen Premiere,
Nero, der kaiserliche Schauspieler, der mit regiekundiger Hand die
Vorbereitungen zu diesem Blutfeste selbst angeordnet hat. Ge-
schmückt mit allen Zeichen seiner Würden, umhüllt von einer
amethystfarbenen Tunica, auf elfenbeinernem Stuhle zeigt er sich

Spina.

Statue des Caligula

Gesamtansicht des Cirkus.

Obelisk von Heliopolis.

Kreuzigung Petri.

ui um dei? Chiusfen im Ciukus des Heim

seinem Volke. Neben ihm steht Tigellinus, sein getreuer Mitgeselle,
sein maitre de plaisir bei allen Festen. Ihm gegenüber sitzt die
schöne Poppäa Sabina, die reiche, sittenlose, geile, aber geistvolle
Gemahlin des Cäsaren. Links von der kaiserlichen Loge sind zur
mehreren Verherrlichung des Augenblicks die Vestalinnen in weissen
Gewändern placiert, während rechts die bedeutendsten Senatoren
sitzen. Den Hintergrund bildet die kaiserliche Leibgarde, mit ihren
von dunkler Bronze glänzenden Brustharnischen. — Die Sonne war
langsam dem westlichen Horizonte nahegekommen; ihre purpurnen
Strahlen brachen sich an dem bunten Marmorgestein; an den Säulen
spielten die zarten Lichter des ersten Abendrotes, da — ein Wink
des Tigellinus: unten in der Arena flammen die Reisigbündel auf,
die man den Gekreuzigten zu Füssen gelegt hatte, Rauch steigt
empor; kleine Flammen umzüngeln die Leiber der Gemarterten,
ein tausendfältiger Schmerzensschrei dringt empor und wird ver-
schlungen von den Ausrufen der Bewunderung über die grauenhafte
Grossartigkeit des Schauspiels In bestialischer Freude weiden sich
die schönen Augen der Römerinnen an den letzten Schmerzens-
zuckungen der sterbenden christlichen Märtyrer Wahrlich, ein
wahnwitziger Augenblick der Weltgeschichte, dessen Vorstellung
unser Herz erschaudern lässt'

Jan Styka ist ein Ungar, der 1858 in Leopoldstadt in dem
Komitat Neutra geboren wurde. Nach Studien in der Heimat und
in Krakau ging er 1877 nach Wien; 1888 nach Paris und 1893 wieder
in die Heimat. Die Sujets seiner übrigen Bilder sind der Geschichte
seines Vaterlandes oder auch zum Teil der biblischen Historie ent-
nommen. Seine Malweise und sein Kunstschaffen ist in deutlich
ersichtlicher Weise von drei bekannten Malern beeinflusst, von
Matejko, Makart und Munkacsy, wer das hier vorliegende Bild
Stykas betrachtet, der wird die Spuren dieser drei Meister erkennen.
An Matejko erinnert die des öfteren angewendete Zusammen-
stellung greller Farbenkontraste und die Freude an grossen Kom-
positionen. Makart mag ihm etwas von seinem dekorativen Genie
hinterlassen haben, während er von Munkacsy das historische
Licht, vielleicht auch die staunenswerte ethnographische Realität
herübernahm. Unter allen Umständen ist Jan Styka ein ausser-
gewöhnlicher Künstler und sein „Martyrium der Christen im Cirkus
des Nero" ein Kunstwerk, das bewundernde Anerkennung, wenn
auch natürlich nicht heitere Freude erregt. Arthur Stiehler.

Vestalinnen.

Tigellinus. Nero.

Poppäa.

Die Loge des Kaisers.

Senatoren.
 
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