Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0035

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MittwoÄ, 7. Januar 1903. Gvftes Blatt. 45. Jahrgang. — U' 5

Lrschcint täglich, Sonntags ausgenov^nen. Preis mit FamilienLlättern monatlich 50 Psg. in's Haus gebracht, bei der Expedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Pfg. Durch

die Post bezogen vierteljährlich 1.35 Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

Snzeigenpreis: 20 Psg. f»r die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmtcn Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattaseln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschlagftellen. Fernsprecher 82.

Die Mlion gegen Penezueta.

Ein Newyorker Telegramm des „Daily Expreß giebt
solgende Einzelbeiten nder die Landung deut-
scher Trnppen in Puerto Cadello am 3.
Januar:

Die Deutschen ruderten in kleinen Booten an das
Ufer und eine große Menschenmenge Versammelte sich auf
der Werft, um die Landung zu verhindern. Je näher
die Deutschen kamen, desto mehr zogen sich die Venezo-
laner zuriick und als die deutschen Nlariuesolöaten die
Werft erreicht hatten, war von den Einheimischen fast
nichts mehr zu sehen. Die Marinesoldaten entfernten
einige kühne Venezolaner aus der Nachbarschaft und
umringten dann die Docks. Der Stadtkommandant sandte
einen Boten, um von den Deutschen Aufklärung zu ver-
langen, es erfolgte abec keine. Dies vergrößerte die Aus-
regung nnd viele Männer sowie alle Frauen und Kinder
slüchteten in die Umgebung der Stadt. Diejenigen,
welche zurückblieben, warfen in den Straßen Barrikaden
auf, nber noch ehe sie dieses Werk ausgeführt hatten,
waren alle Schiffe aus dem Hafen hinausgeschafst wor-
den und die Marinesoldaten kehrten zu ihren Schiffen
zurück. Dke so mit Beschlag belegten Fahrzeuge —
etwa 40 an Zahl — waren alle sehr klein, einige kaum
größer als Ruderboote. Der Gesamtwert derselben wird
auf 160 000 Mark geschätzt. Diese Schiffe zusammen
nrit den früher mit Beschlag belegten, ungefähr 60, werden
nach Port of Spain gebracht. Nur wenige Boote haben
eine Mannschaft.

Es versteht sich wohl von selbft, daß diese Schiffe als
Privateigentum nicht konfisziert werden können, zumal
sie nicht dcn Versuch gemacht haben, die Blokade zn
brechen.

Brüssel, 6. Jan. Ein Gewährsincmn dcs „Petit
Bleu" erachtct es als dringend notwendig, daß das
HaagerSchiedsgericht eine V o l l st r e ck u n g s -
gewalt einsetzc nnd in Forin einer internationalen
Kommissioii, die die v e n e z o l a n i s ch e n Finanzen
im Jnteresse der europäischen Glänbiger zu verwalten hätte.
Von den Einnahmen Venezuelas würen die vom Schieds-
gericht festgesetzten Jahresrateu vorweg abzuziehen. Wenn
das Haager Schiedsgcricht so den Mächten ein Pfand iu
die Hände gäbe, diente es nicht nur deni Frieden, sondern
schützte auch seine eigene Würde und dazu die Jnteressen
Vcnezuelas. Die Türkei und Acgypten hätten infolge der
Verwaltung ihrer Finanzen durch internationale Kommis-
stonen ihr finanziellcs Gleichgewicht wiedergefnnden; behandle
man Venczuela ebenso, so würdeu dort die Ursachen aller
Finanznöte und Revolutionen verschwinden uud der curo-
päische Unteruehmungsgcist fände eine feste Grundlage zur
künftigen Entfaltung seiner Tätigkeit.

Port of Spain (Jnsel Trinidad), 6. Jan. Ein
Prisengericht ist hier gebildet worden, das die
Giltigkeit der Beschlagnahme sämtlicher venezolanischeu
Schiffe sowie den Prisenwert in Erwügung ziehen soll. !
Unabhängig hiervon wurden Schritte unternommen, um die !
Schiffe wieder freizulassen, im Falle das Schiedsgericht
zusammentrete.

Aie sächsische Kronpnnzessin.

Einc D a r st e l l u n g vou toskanischer
S c i t c.

Dem „Fräiikischen Kurier" gehen von eincr dem
großherzoglich t o s k a n i s ch e ir Hof e nahesteheiideii
^ Persönlichkeit Mitteilungen über den L i e b e S r o m a n
der Kronprinzesstn oon Sachsen zu, die sich gegen
^ die in der Wiener „Zeit" geinachten Angaben - diese
! werden entstellt genannt — wenden, und welche äls eine
i Offenbarung der Wahrheit in einer authentischen Dar-
! stellung bezeichnet werden. Jnivieweit das wirklich der
! Fall ist, läßt sich natürlich nicht nachprüfen. Es wird
s darin behauptet: sowohl die Kronprinzessin als ihr Bru-
i der Erzherzog Leotzold hätten in ihrer Darstellung v e r-
schwiegen, wie das Verhältnis zwischen der Kron-
prinzessin nnd Giron entdeckt worden sei, ebenso welche
Aufgabe der Bruder der Flüchtigen Erzherzog Josetzh im
- Auftrage des Kaisers Franz Josetzh des Ersten zu er-
füllen hatte, als er der Krontzrinzessin nach Genf nach-
reiste. Darüber wird nun Folgendes mitgeteilt:

Die Aufgabe Erzherzogs Josephs lautete: Der Kron-
prinzessin das Wort des Kaisers zu überbringen, daß
ihr keine Kränkung zugefügt werden werde und daß sie,
wenn ihr Gatte sich weigern sollte, ihr in Sachsen einen
Anfenthalt zu bieten, sie diesen außer Wien in Oesterreich
wählen tonne, wo es ihr gefalle; er 'verbürge sich mit
seinem kaiserlichen Wort dafür, daß ste weder in ein
Kloster noch in eine Heilanstalt gebracht wecden solle; nnr
inöge sie von ihrer krankhaften Neigung lassen, nnd der
Pflichten ihres Standes, als Gattin des Thronerben
eines Landes, dessen Bevölkerung sie geliebt habe, und
als Mutter ihrer Kinder gedenken nnd zurückkehren. Als
Antwort auf das hochherzige Anerbieten des greisen Kai-
sers erhielt Erzherzog Ioseph die Bemerkimg: „Jch
danke, äber ich will michj darüber erst mit Andre
(Giron) und Leotzold besprechen!" Und der Aben-
tenrer Andre Giron wurde von der Ki-onprinzessin ge-
rufen, um mit ihm über das Wort des Kaisers Franz
Joseph von Oesterreich zu verhandeln: Mit ihm zugleich
erschien Erzherzog Leopold Ferdiiignd, welchen sein Brn-
der auch deshalb ignorierte, weil er es duldete, daß ein
Giron an einem Kaiserwort deuten sollte! Erzherzog
Joseph verließ beim Eintritt der beiden unwillig das
Zimmer seiner Schwester; als er nach Beendigung der
Unterredung wieder kam, erklärte ihm seine Schwester,
daß sie das Anerbieten des Kaisers abIehn e. Zweifel-
los hatte Giron seinen Einfluß auf die Kronprinzessin
geltend gemacht, denn als Erzherzog Joseph mit seinep
Schwester sprach und ihr die Wortc des Kaisers mitteilte,
war diese schweigsam in sich gekshrt nnd Tränen drängten
sich in ihre Augen. Erzherzog Joseph reiste daraus so-
fort zuück, um dem Kaiser, dem die Angelegenheit sehr
nahe ging, Bericht 'zu erstattegi.

Erzherzog LeoPotd hat sich darüber beschwert,
daß man il»n nachsage, er habe seine Schwester, die
Kronprinzessin von Sachscn zur Flucht beredet. Es ist
'dies aus bestimmten Gründen keine grundlose Ver-
mutung. Diese Vermutung mutz jedem einleuchten, da
der Brnder Erzberzog Leopold die K o r r e s P o n d e n-
z e ii seiner verheirateten S-chwester mit Andrö Giron
v e r m i t t e l t e. Sollte Erzherzog Leopold diese Tat-
sachen lengnen. oder'in ein aiidercs Licht stellen wollen,

so dürften die Bri.efe, die Erzherzog Leopold von dey
Kronpriiizessin für Giron empfangen follte nnd die sich in
gnten Händen befinden, den Beweis tiefern, Es ist nicht
wahr, daß A. Giron btoß der girrende Setadon ist, für
welchen ihn die Kronprinzessin von Sachsen der 'Welt
gegenüber ausstebt. Die Oberhofineisterin der Kron-
prinzessin von Sachsen hat auf eine eigentümliche Art —
wie sie erzählte, ohne ihr Zutnn — Andrs Giron dabei
betreten, als er füsc die Kronprinzessin von Sachsen einen
Brief in einen Versteck tegte, welcher in der nächsten
Viertelstuiide von der Kronprinzessiii betreten werden
iimßte. Dfe Oberhofmeisterin, welche die Manipulation
fah, hat diesen Brief an sich genommen und — sie hat
sich dessen beim 5UonPrinzen selbst deshalb nach Wochen
angektagt — geöffnet. Bevor das geschah, hat die Ober«
hofmeisteriii Andro Giron den Rat erteitt, sofort vom
Hofe nnd aus Dresden zu verfchwinden, und er hcrt
darauf geantwortet mit der Frage: „Und was soll W
beginnen, wenn ich vom Hof weggeschickt werde, da i ch
nicht die Mittet habe; es gehört ein großes
Llapitat dazu, wenn man einige Zeit bei Hof opulenL
zu leben gewohnt ist und nun im Auslande ohne Erwerk
sein Dasein volkbringen soll!" Mit anderen Worten: An-
dro Giron wollte sich den Weg von Len kronprinzlichen
Gemächern znm Bahnhof m it GoId pflastern
lassen. Auch später schob Giron feine Persou in den
Vordergrund; er mutete, seines Einflusses auf die Kron-
prinzessin sicher, dem Erzherzog Joseph und dem Groß-
herzog von Toskana zu, daß mit ihm über die Rückkehr
der Kronprinzessin verhandelt werden solle. Dafür sintz
ebenfalls Betege vorhanden.

Der Großherzog vonToskana werde, so
heißt es zum Schluß, keinen Schritt unternehmen, um
die Aeußerung der Geschwister und Girons abzuivehren,
sondern überlasse es jedem, sich ein Urteit darüber zu
bitden, ob Ettern nicht ihre Pflicht tun, wenn sie eine
Tochter von einem fo folgenjchweren Schritt abzuhalten
fuchen. Das sei von Seite des Großherzogs und des
Kaisers Franz Joseph in icherreichem Maße versucht
worden. Es werde von Seite des Großherzogs nicht
geIeugnet, daß der Kronprinzesstn damit gedro h L
wurde, daß sie in ein Kloste r oder in eine Nerve n-
heiIanstalt geschickt werden solle. Das sei vielleicht
eine über die Grenzen hinausgehende Drohung gewesen,
allein sie sei von dem Kaiser Franz Joseph 'dnrch die
Sendnng des Erzherzogs Joseph an seine Schwester wie-
der gnt gemacht worden.

Deutsches Reich.

— Der Kaiser vcrlieh dem Reichstagsabgeordinten
Dr. Frhrn. v. Hertling den Kioneiiordeii 2. Klasse mit
dem Stern. v. Hertling war bekanntlich Unterhändler in
Rom wegen Errichtung einer kathol.-ihcologischen Fakultät
in Siraßburg.

— Dem scheidenden französischen Boischafter Marquis
de Noaill es verlieh der Kaiser seine Büste in Marmor. —
Dem Setretär der außerordcntlichen geistlichen Angclegen-
heiten beim papstlichen > Stuhl Gasparri ist vom
dentschen Kaiser aus dem glcichcn Anlaß dcr Kro nejn-
orden I. Klasse verliehcn worden.

Kelmholtz als Mrofejsor der Uhysiotogie
in Keidelberg.

Von Leo Ko e n i g s b e r g e r.

(Michaelis 1858 bis Ostern 1871.)

(Fortsetzung.)

Von dieser Zeit geistigen Schaffens spricht Helmholtz,
wenn er 30 Jahre später in seiner berühmten Tischrede,
die er am 2. Novembeü 1891 bei der Jeier seines 70.
Geburtstages gehalten hat, sagt:

"Gs giebt ja viele Leute von engem Gesichtskreife,
die sich selbst höchlichst Lewundern, wenn sie einmal einen
glücklichen Einfall gehabt haben oder ihn gehabt zu
haben glauben. Ein Forscher oder Künstler, der immer
wiederholt eine Menge glücklicher Einfälle hat, ist ja
unzweifelhaft eme bevorzugte Natur und wird als ein
Wohltäter der Menschheit anerkannt. Wer aber will
solche Geistesblitze zählen und wägen, wer den geheimen
Wegen der Vorstellungsverknüpfungen nachgehen, dessen,
was, vom Menschen nicht gewußt oder nicht bedacht,
durch das Labyrinth der 'Brust wandelt in der Nacht."

Jch muß sagen, als Arbeitsfeld sind mir die Ge-
biete, wo man sich nicht auf günstige Zufälle und Einfälle
SU verlassen braucht, immer angenehmer gewesen. Da
ich aber ziemlich oft in die unbehagliche Lage kam, auf
günstige Einfälle harren zu müssen, habe ich darüber,
wann oder wo sie mir kamen, einige Erfahxungen ge-
wonnen, die vielleicht andern noch nützlich werden können.
<2ie ichleichen ost ganz still in den Gedankenkreis ein,
ohne daß man gleich von Anfang ihre Bedeutung er-

kennt; dann hilft später nur zuweiten noch ein zufälliger
Umstand zu erkennen, waiin und nnter welchen Nm-
ständen sie gekommen sind; sonst sind sie da, ohne daß
man weiß woher. Jn andern Fällen nber treten sie
plötzlich ein, ohne Anstrengung, wie eine Jnspiration.
So weit meine Erfahrung geht, kamen ste nie dem ermü-
deten Gehirn und nicht am Schreibtisch. Ich mußte immer
erst mein Probtem nach allen Seiten so viel hin nnd her
gewendet haben, daß ich alle seine Wendnngen nnd Ver-
wicktungeii im Kopfe überschaute nnd sie srei, ohne zn
schveiben, durchlaufen konnte. Es dahin zn bringen,
ist ja ohne längere vorausgehende Arbeit nicht möglich.
Dann mußte, nachdem die dnvon herrührende Ermüdung
vorübergegangen war, eine Stunde vollkommener kör-
perticher Frische und ruhigen Wohlgefühls eintreten,
ehe die guten Einfälle kamen. Oft waren sie wirklich,
den zitierten Versen Goethes entsprechend, des Morgens
beim Aufwachen da, wie auch Gauß angemerkt hat (Gauß'
Werke, Band V, S. 609; das Jnduktionsgesetz gefunden
1836, Januar 23. inorgens 7 Uhr vor dem Aufstehen.)
Besonders gern aber kamen sie, wie ich schoi; in Heidel-
berg berichtet, bei gemächlichem Steigen über waldige
Berge in sonnigem Wetter. Die kleinsten Mengen alko-
holischen Getränks aber schienen sie zu verscheuchen. Solche
Momente fruchtbarer Gedankenfülle waren freilich sehr
ersreulich, weniger schon war die Kehrseite, wenn die
erlösenden Einfälle nicht kamen. Dann konnte ich nüch
wochenlang, moiiatelang in eine solche Frage verbeißen,
bis mir zu Mute war wie dem Tier aiif dürrer Heide:
von einem bösen Geist im Kreis hernmgeführt, und
ringsumher ist schöne grüne Weide. Schließlich war es
oft nur ein grimmer Anfall von Kopfschmerzen, der mich

aus rneinen ^Banne erlöste und mich wiedcr frei für an-
dere Jnteressen machte."

Zu all den großen wissenschaftlichen Arbeiten und'
Ptänen traten nun auch die nicht geringen amtlichen
Verpflichtungen hinzu — aber ihm waren in Heidelberg
! seine Vorlesungen über Physiologie und die allgemeinen
Resultate der Naturwissenschaften sowie die Leitung der
Arbeiten im Laboratorium durchaus nicht Pflichtarbeiten^
denen er etwa mit Unlust nachging. Die Vorlesungen
an der Universität waren ihm nicht nur eine Obliegenheit
gegen den Staat, „der ihm Ullterhalt, wissenschastliche
Hilfsmittel und ein gut Teil freier Zeit gewährte"^
nnd somit auch ein Recht hatte, zn verlangen, daß er in
geeigneter Forni alles, was er mit seiner Unterstützung!
gefiliiden, srei und vollständig seinen Stndierenden sowie
seinen Mitbürgern überhaupt.mitteile; er war sich viel-
mehr dessen stets wohl bewußt, daß -ie Vorlesungen ihn
zwingen, jeden einzelnen Satz scharf zn prüsen, jeden
Schluß korrekt zn sormnlieren und dadurch, daß er nur
ein bestimmtes Maß von Vorkenntnissen bei seinen Zu-
hörern voraussetzen durfte, ihm den für die Durchteuch-
timg und Klarstellung wissenschaftlicher Materien frucht-
bringenden Zwang auferlegten, die Beweise für die von
ihm vertretenen Wahrheiten init so eleinentaren Hilfs-
mittetn als möglich durchzuführen. Die Zuhörer vertra-
ten die Stellp seiner Freunde, die er stch bei seinen wissen-
schaftlichen Veröffentlichungen immer gegenwärtig dachte.
„'Als mein Gewissen gleichsam standen dabei vor rneinev,
Vorstellung die sachverständigsten meiner Freunde; ob sie
es billigen wüvden, sragte ich inich. Sie schwebten vov
miv als die Verkörperung des wissenschaftlichen Geistes
einer idealen Menschheit und gaben mir den Maßstab."'
 
Annotationen