Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0843

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I.

f.


Mllüw.l?. 29 Wiil 1^)^.

WrOes Blertt.

45. IfchrMll^

Erschrint täglich, Sonntags ausgenommen. PreiS mit FamilienLlättern monatlich 60 Pfg. in'S Haus geöracht, bei der Expedition und den Zweiganfialten abgeholt 40 Pfg.

die Post bezogen vierteljährlich 1.36 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

AnzeigenpreiS: 20 Psg. für die Ispaltige Prtitzeile oder deren Ramn. Reklamezeil« 40 Pfg. Für hiesige GeschLstS- und Privatanzcigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Angetgen
an bestimmten Tagen tmrd keine VerantwortliLkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprecher 8L.

-S——SS——----- __.. »», ———S!

I

Präsident Loubet iu Tunis.

T u n i s, 27. April. Um 12 Uhr gab Präsident
LonLet im Palast des Geimralresidenten dem Vesitzer
des Uönigreiches Tunis, Sid M u hamed B e y, nnd
den Notabeln der Stadt ein Frühstück zu 10 Gedecken.
Auf eine Ansprache des Bey dankte Loubet für dessen
Worte, die die Anbahnung und Pslege sreundschaftlicher
Beziehungen zur Republik gegolten hätten. Während sci-
ner 20jährigen Regentschaft haüe der Vater des Bey. Sidi
Ali, seinen Nachfolgern die Wege vorgezeichnet die sie
zu wandetn haben. Der regierende Bey habe an dem Vei-
spiel des Vaters eingesehen, daß sein Herrscherhaus, wenn
es sich mit dem Vertreter Frankreichs vcrständige, nichts
von der französischen Schutzherrschaft zu befürchtcn habs,
die vielmehr einc sichere Stütze geworden sei. Mit Fren-
den erkenne er, der Präsident, das herzliche Einvernebmen
des Bey nnd des Residenten zur Durchführung des Werkes
an, das -Frankreich in dem ni i t ihm u n l ö s I i ch v e r-
bundenenLande begonnen habe. Erst vor 20 Jah-
ren sei die Schutzherrschaft auf die Anregung Jnles Fer-
rys errichtet worden. Aber nach den erzielten Ergeb-
nissen i'önne es scheinen, als bestehe die französische Schntz-
herrschast seit einem halben Jahrhundcrt. Die öffent-
liche Ordnung, die Sicherheit der Personen und des
Eigentums seien gewährleistet, das Grnndeigentnm rube
nuf vortrefflichen Gesetzen, die Finanzen werden mit
grotzer Einsicht geleitet, 2600 Kitonwtcr Landstraßen seicn
angelegt, vier größere Häfen gebaut worden. Der Um-
sang des Eisenbahnnetzes sei von 230 Kilometer auf 1000
Kilometer gewachsen. Der jährliche Handel habe sich von
20 auf 100 Miilionen gelwben. Ohne Zweisel sei das
Werk noch nicht beendet. Aber das schcm Vollbrachts gäbe
eine sichere Gewähr für die Zuknnft. Lonbet sprach dann
den Nnsiedlern im Namen des AiUtterlandes Tank und
Glückwünsche aus, spcndete ein warmes Lob der einhei-
mischen Bevölkerung, die von dcn Absichten Frankreichs
unterrichtct sei und, der Achtung ihrer Ueberliesernngen
und ihres Glaubens sicher, sich dem Werke der Wiederauf-
richtnng des Landes angeschlossen habe. Tas Beispiel
Tunesiens werde zeigen, daß das völlige Jneinanderaus-
gehen der Ansiedler nnd der Eingeborenen nicht ein not-
wendiges Erfordernis der Einigung sei, nnd daß eine
Volksvcreinigung, in der die Achlung der Eigenart nnd
der Eigenheiten der Bestandtcile Grundsatz sei, nichr we-
niger sriedlich und' sruchtbar sein könne. Zum Schlntz
begrüßte der Präsident die Fremdenkolonie, namentlich dis
Angehörigen einer „befreundeten Nation" (Jtaliener),
und wandte sich cndlich zn den Bcamten der General-
residentschast, deren Eifer, Klugheit und Mäßiaung cr
feierte. _

Ein Lustmord vor dem Schwurgericht.

F r e i b u r g, 27. April. Der Schwurgerichtssaal bot heute
Vormittag dassclbe Bild wie acht Tage vorher, nur datz eine
cinzige Verson — cine starke, breitschultrige Gestalt von ruhi-
gcrHaltung, aber brutalcmGesichtsausdrucku.scharfcm, durch-
dringcndcm Blick — die Anklagebank einnimmt. Ein zahl-
reiches Publikum hat sich eingefunden, handelt es sich dbch um
ein Vcrbrechen, welches cbenso wie die anfangs letztcr Woche ver-
handelten Straftaten das grötzte Aufsehen erregt hat: den Mord
vom 17. Februar an der 6 Jahre alten Stefame Ullrich,
als desscn Täter Heinrich P f i st e r, e,n 87jähriger lediger
Taglöhner aus Ebnet, angcklagt ist.

Am Montag Abend (16. Fcbruar) hatte Pfister spat noch
einen Strcit mit zwei Burschcn aus Littenweiler, in dessen Ver-
lauf cr von diescn so mitzhandclt wurde, daß er blutetc und
noch ani andern Tag Schmerzen verspürte. Auch ein blaues
Auge trug der Geprügelte davon. Die Nacht verbrachte er in
seiner Behausung, ging dann am nächsten Vormittag nach Frei-
burg, trieb stch jetzt schon in der Nähe des Friedhofs herum
und kam etwa um 10 Uhr in die Wirtschaft Rösch in der Hoch-
bergstraße. ^ ^ .

Von der Wirtschaft Rösch bcgab sich Pfister (nach semer
Crzählung) wieder in die Nähe des Friedhofs. Als cr auf dem
Gang um die Mauer zu den Tujahccken kam, habe er plötzlich
„ein armes Kind" tot daliegen sehen. Er sei „zusammenge-
fahren wic tot", so sehr habe der Anblick ihn crschreckt. Das
Mädchcn sei entblötzt gewesen und habe die Klcider neben sich
liegen gehabt. Genaueres über Aussehen und Grötze des Kin-
des habe cr tn seiner Errcgung nicht bcobachten können. Als
Zcit seiner Entdeckung gibt der Angeklagte die Mittagszeit gegen
2 Uhr an. Es könne auch etwas srüher gewescn sein. Er sei
-- eine ganze Stunde lang (!) —mit sich zu Rate gegangen,
ob er die Sache anzeigen solle, hätte sich aher dazu aus dem
Grunde nicht cntschließen können, weil er fürchtete, als der
Mörder des Kindes zu gelten, denn er habe von der Schlägerei
om vergangenen Abend noch Blut an seinen Kleidern gehabt.
Schlietzlich sei er längs der Hochbergstratze und durch's Roh-
gätzle in's freie Feld geschritten, habe dort — weil von den
letzten Nächten her noch schlafbedürftig — eine zeitlang unter
einem Baume geschlummert („jetzt weitz ich nicht mehr, wär es
ein Nußbaum oder war es ein Kirschenbaum"), sci dann wieder

DeuLsches Ncich.

— Der Beginn des D e I e g i e r t e n t a g e s der
nationalliberalen Partei am Sonntag, den 3. Mai, ist auf
IIH2 Uhr vormittagsimgrotzenSaale des
„K aiserh 0 fe s"-Berlin festgesetzt.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 28. April.

Nach Erledigung einer Rechnungssache wird die I n-
terPellati 0 n betrefsend die P r ü f u 11 g s v 0 r-
schriften für Fleischbeschau besprochen.

Abg. Kohl (Ztr.) begründet die Jnterpellation. Die
Ausführungsbestimmungen enthielten Härten. Der Bundes-
rat dürfe überhaupt keine Prüfungsvorschrift erlassen, bor
allem nicht diese; er übertrete damit seine Befugnis.

Staatssekretär Dr. Graf v. Posadowsky: Der Bun-
desrat sei berechtigt gewesen, die Vorschriften zu erlassen, und
zwar durch den Reichstagsbeschlutz, nach dem er Vorschriften
über den Nachweis genügender Kenntnisse in der Fleischbeschau
erlassen kann. Nachträgliche Prüfungen seien nichi absolut
notwendig, Bei einer wesentlichen Aenderung der früheren
Bestimmungen müsse aber für ganz Deutschland Einheitlichkeit
geschaffen werden und die Fleischbeschauer müßten eine ganz
gleichmäßige Qualifikation haben. Auf allen Gebieten, auf
denen man einen sozialen Fortschritt herbeiführen wolle, fin-
den sich auch immer Jnteressenkreise, die dieses nicht für nö-
tig halten.

Abg. Baudert (Soz.): Es sci nicht angängig, nach dem
Willen der Jnterpellanten das Gesetz zu durchlöchern. Was
heute gut an dem Gesetz sei, wolle seinc Partei erhalten.

Es sprachen noch mehrere Redner. Jm allgemeinen gingen
die Anschaungen dahin, daß man sich die Wirkung dcs Ge-
sctzes so lästig und so teuer nicht vorgcftellt habc.

Der Reichstag fuhr dann in der Beratung der Kran-
kenkassen - Novell efort bei dem politisch wichtigsten,
viel umstrittenen Paragraphen 42, welcher der Aufsichtsbe-
H1: de das Nccht gibt, Vorstandsmitglicder ihres Amtes zu ent-
heben, wenn grobe Pflichtverletzungen vorliegen oder wenn sie
durch gerichtliche Verfügung in der Verwaltung ihres Vcrmö-
gens beschränkt oder durch gerichtliches Urteil Ler Fähigkeit
zur Bekleidung öffentlicher Aemter oder der Ehrenrechte ber-
lustig erklärt sind. Solange eine solche Anklage schwebt, sind
sie vom Amte zu suspendieren. Außerdcm mutz für jede Klasse
eine Dienstordnung erlassen werden, welcher der Genehmigung
der Aufsichtsbehörde unterliegt. Die Sozialdemokraten, und
sie nicht allein, sondcrn von den heutigen Rednern auch der
freisinnige Herr Rösicke, erblicken in diesen neuen Bestimmun-
gen einen schweren Eingriff in die Selbstverwaltung und die
Absicht, die Sozialdemokraten aus der Leitung der Kassen
herauszudrängen, deren sie sich zur Zeit bemächtigt haben.
Daß diese Tendenz obwaltet, ging auch aus den Ausführun-
gen drs konservativen Herrn v. Richthofen hervor. Die Ver-
treter der Regierung bemühen sich durch die Anführung zahl-
reicher Fälle von Willkür und Unredlichkeit nachzuweisen, datz
die Aufsichtsbehörde die Möglichkeit haben müsse, unwürdige
Vorstandsmitglieder zu entfernen. Die sehr ausgedehnte und
teilweise erregte Debatte wurde hcutc noch nicht zu Ende ge-
führt.

Bns der KÄrllsruher Zeitnvg

— Seine Königliche Hoheit der Grohherzog habcn

(gegcn 145 Uhr) bci Röschs eingckehrt, um einige Glas Bier zu
trinken. — Wie Pfistcr, immer mit der gleichcn Breitspurigkeit,
weiter erzählt, ging er dann wieder zu dcr Leiche zurück, „um
zu sehcn, ob das Kind schon von Jemand gesehen worden sei",
kehrte die Leiche dann um und bedeckte sie mit dem nebenliegen-
Len Röckchen. Als er die Tote umkehrte, könne Blut an seine
Hände gckommen sein. Später begab Pfister sich in die Stadt,
aß in der Speiseanstalt des evangelischen Stifts zu Abend und
nächtigte in der „Herberge zur Heimat".

Der Vorsitzende hält dem Angeklagten seine Aussagen vor
dem Untersuchungsrichter vor, wonach er an dem kritischen Tag
gar nicht in der Nähe des Friedhofs und vor allem nicht an der
Stelle gewesen sei, wo man die Leiche fand.

Der Angeklagte behauptet, er habe dem Untersuchungsrichter
nur deshalb geleugnet, damit „die andre Sache" (die Schlä-
gerei am Vorabend des 17. Februar) genau untersucht und
dadurch festgestellt werde, datz die Blutspuren an seinen Klei-
dern von jenem Streit herrührten. . .

Der Angeklagte hat vom Borsitzenden öfter ersucht werden
müssen, sich nicht in Einzelheiten zu verlieren oder den an ihn
gcstcllten Fragen auszuweichen, worauf Pfister erwidert: er
halte, was er sage, für wichtig, „damit alle, der Gerichtshof,
d!e Herren Geschworenen und das Publikum, die volle Wahrheit
hören." Das Letztere bringt Pfister wieder mit einer grotzen
Geste und mit einem Augenaufschlag vor, welcher offenbar seine
Unschuld bezeugen sollte. Man wird jedoch nach seiner flietzend
und lebhaft vorgetragenen, aber widerspruchsvollen Darstellung
keincn Augenblick den Eindruck los, daß Ptister eine zuoor
gründlich von ihm einstudierte Lüge vorbringt. Jetzt macht ihn
der Vorsitzende darauf aufmcrksam, daß scin Bcricht sowohl
durch das Sachverständigen-Gutachten wie durch Zeugenaus-
sagen eine Widerlegnng fände. Auch die Zeitangabe widerspreche
dcm, was man sonst über dic Sache wisse.

Uebcr Leichenbefund und Sektion der Leiche geben die Her-
ren Medizinalrat Dr. Winter u. Bezirksassistenzarzt Dr. Gut-
tenberg ihr Gutachten ab, welchem der Angeklagte mit neu-
gierigem Gesichtsausdruck folgt, als ob es sich gar nicht um seine
Person handlc. Beide bestätigen, datz der Tod durch Erwürgen
festgestellt wurde. Ob vor Eintritt desselben ein Mißbrauch
des Kindes in sexueller Beziehung erfolgte, habe nicht erkannt
werden können. Hr. Medizinalrat Dr. Winter gibt nach dem
Zustand des Mageninnern bei der Getöteten der Ansicht Aus-
druck, daß der Mord nicht schon um 2 Uhr habe ausgeführt wer-

dem Kgl. Preutz. Generalobersten Grafen von Haeseler,
kommandierenden General des 16. Armeekorps, den Hausorden
der Treue, dcm Kgl. Preutz. General der Jnfanterte Her-
warth von Bittenfeld, L la suite des Königin Elisa--
beth Garde-Grenadier-Regiments Nr. 3, bisher kommandie-
renden General des 1b. Armeekorps, das Großkreuz des Or-
dens Berthold des Ersten und dem Bureauassistenten Theodor
Schraner in Karlsruhe die silberne Verdienstmedaille ver-
liehen.

Zur Wahlbewegunfl.

— Lcmdger.-Rat Schmitt, der Zentrumskandidat
im 19. bad. Wahlkreis, hat bisher im politischen Leben
keine Rolle gespielt. Er wird als ein überzeugter Katho-
lik geschildert, doch dürfte ihm eine andere Denkart nicht
unbekannt sein, denn sein Water war der langjährige
liberale Landtagsabgeordnete der Stadt Konstanz und zu-
gleich einer der Vorkämpfer d§s Altkatholizismus in der
Seegegend und, irren wir nicht, der Verfasser des Alt-
katholikengesetzes, das als Jnitiativantrag aus der
II. Kammer hervorging.

L ö r r a ch, 27. April. Die Vertrauensmänner deu
Ireisinnigen V 0 lksPartei haben in einer
gestrigen Versammlung Herrn Rcchtsanwalt Vortisch in
Lörrach als. Kandidaten für die Reichstagswahl im
4. Wahlkreis (Lörrach-Müllheim) in Aussicht genommen.

Emweihuug -es Schulhauses im Stadtteil
Neueuhenn.j

Ii Heidelberg, 29. April.

Mit einer einfachen aber erhebenden Feier wurde gestern Vor-
mittag 11 llyr das ncue Schulhaus im Stadtteil Neucnhcim
dem Betrieb übergebcn. Nachdcm sich schon zuvor die Klassen-
zimmer rnit ihrer in festtnglicher Kleidung crschienenen jugend-
lichen Bevölkerung angefüllt hattcn, versammeltc sich in der
geräumigen Mädchenturnhalle im zweitcn Stock, die auch für
die Folge zu Schulfeierltchkeitcii verwendet wcrden wird, eine
stattliche Festgemeindc. Die Spitzen unscrer städiischen und
staatlichen Behörden, der Stadtrat, zahlreiche Mitglieder des
Bürgerausschusses, Vertreter der Geistlichkeit, die Lehrer und
Lehrerinnen der Volksschulen, die Eltern Ler in das neue
Schulhaus aufgenommenen Schüler und die Vorstandsmitglie-
der des Vereins Neuenheiin hatten sich cingefnnden, um dem
Weihe-Akt anzuwohncn. Als Vcrtreter der Oberstcn Schulbe-
hörde war Geh. Hofrat Dr. Wehgoldt aus Karlsruhe er-
schiencn.

Jm Auftrage des Heidelberger Sängerverbandes eröffneten
die beiden Neuenheimer Gesangvereine „Eintracht" und
„Sängerbun d" die Feier mit dem wirkungsvoll vorgetra-
genen Chore: „Mit dem Herrn fang Alles an." Sodann er-
griff Oberbürgermeister Dr. Wilckens das Wort zu folgen-
der Ansprache:.

Verehrte Anwesende!

Der heutige Tag ist, wie wir mit Genugtuung feststellen,
dürfen, ein Tag der Freudr für den Stadtteil Neuenheim.
Bringt er doch den Bewohnern desselben die Erfüllung eines
lange gehegten Wunsches, die Eröffnung eines neuen, den An-
forderimgcn der Gegenwart cntsprechenden Volksschulhauses.
DaS scitherigc Neucnheimcr Schulhaus in der Lutberstratze,
welches 1870 in Betrieb genommen worden ist, war schon zur

den können. Hr. Dr. Guttenberg, welcher das Gutachten seines
Kollegen im Wcsentlichen bestätigt, glaubt jedoch, datz von Be-
fund und Sektion der Leiche ein absolut zuverlässiger Rück-
schlutz auf die Zett der Mordtat nicht gezogen werden könne.

Auf eine Anfrage des Vorsitzenden, ob er auf die Gutachten
etwas zu sagen habe, crwidert der Angeklagte: sonst sei das
Mädchcn immcr um 2 Uhr in die Kinderschule gcgangen; ivenn
sie am 17. Februar ganz gcgcn die sonstige Uebung nicht dort
erschien, beweise dies doch, daß sie vorher, d. h. ehe er über-
haupt in die Friedhofnähe knm, crmordet wordcn sci.

Dcr Verteidiger stellt den Antrag, den Angeklagten durch
einen psychiatrischen Sachverständigen auf seinen Geisteszustand
untersuchen zu lassen. Der Gerichtshof lehnt den Antrag zu-
nächst ab. Nach Bcendiguug dcr Beweisaufnahme könne im-
mer noch über den Antrag beschlossen werden. Der Verhand-
lung wird aber zunächst außer den zwei Sachverständigen noch
Herr Mcdizinalrat Fritschi nnwohnen.

Die Rachmittagssitzung, welche um 145 Uhr unter
starkem Andrang des Publikums begann, nahm (wic man er-
warten konnte) einen ungemein svannerideü Verlauf. Das
Jntercsse erfuhr einc stete Stcigerung und nameiitlich die Ver-
nehmung des kleinen Bruders der Ermordeten imd die den
Angeklagten schwer belastenden, in ihrer Knappheit nur um so
schlagenderen Aussagen zweier Ausländcr machten auf die Ge-
schworenen wic ans das Publikum den sichtlich tiefsten Eindruck.

Zunächst wird der Vater der Ermordeten, der 85jährige-
Eisenbahnschaffner Karl Ullrich, verhört. Mit ergriffenem
Ton schildert der Vatcr der Ermordeten seine Nachforschungen
nach dem Kind. Ueber seine Tochter, ein braves, folgsames
Kind, habe er, der Vater, nie zu klagen gehabt. Alle, die
Eltern wie die Geschwister, vermißten dieselbe schwer; am mei-
sten aber sei die Mutter von dem harten Geschick betroffen,
welchcs die Familie heimgesucht hat. — Die Frage, ab die
arme Frau noch immer nachts das Kind nach seiner Mutter
glaubc rufen zu hörcu, beantwortet der Zcuge mit einem
Schluchzen in der Stimme.

Der kleinc Bruder der auf so tragische Weise ums Leben
Gekommenen wird nun in den Saal gerufen. Karl Ullrich gibt
in kluger, präziser Weise Auskunft über die an ihn gerichteten
Fragcn. Bci dcn Nachforschungen nach der verschwundenen
Schwester habe er ganz dcutlich den Mann auf dem Bahn-
damm und sein merkwürdiges Gebahren beobachtet, auch ganz.
gcnau die Farbe des (roten) Taschentuches, mit welchem der

Die heutige srummer umsaßt -rei Vlätter, zusamwen 14 Seiten.
 
Annotationen