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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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Dmistaq. 31. März 1903. Cvftes Blatt.

-- -

45. IahrWig. —- .W 76.

Srscheint täglich, Sonntags ausgenommen. PreiS mit Familienbläüern monatlich 60 Psg. in's Haus gcdracht, bei der Expedition und den Ztveiganstalten abgeholt 40 Pfg ^dür^ ^

die Post bezogen vierteljährlich 1.6ö Mk. ausschlietzlich Zustellgebühr.

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Aie Uarteien in^ngtand.

London, 28. März.

Angesichts des gegenwärtigen P a r t e i k a m p f e s
rn Englan 'd darf ein Aufsatz aus der Feder von Dri
Carl Peters in der Londoner „Finanz-Chronik" be-
londeres Jnteresse beanspruchen. Unter der Spitzmarke
,,Die Parteien in England" siihrt der Verfasser in der
aktuellen Abhandlung aus:

„Die Konservativen sind bei den Nachwahlen in
Woolwich, Rye und North Fermagh geschlagen worden;
drei Parlamentssitze sind von der Regierung an die Oppo-
sition übergepangen. Was immer die Regierungspresse
hierzu sagen mag: sür seden Unbefangenen ist diese Tat-
sache das „Mene Tekel" sür das Kabinett Balfour. Eng-
land hat zur Zeit genug von der Herrschaft der Cecil-
Familie. Die Ursachen für den Umschwung der öffent-
lichen Meinung in den vereinigten drei Königreichen
sind nicht schwer zu finden. Die vielen unangenehmen
Enthüllungen gegen die Verwaltung des Kriegsmini-
steriums fallen, wenn auch unbilliger Weise, der Partei,
welche gerade im Amte ist, zur Last. Die hohe Be-
steuerung, verursacht durch den südafrikanischen Krieg,
Macht die Konservativen unpopulär im Lande. Das
Schulgesetz, welches die Kontrolle des öffentlichen Unter-
richts der Kirche von England zuschiebt, ist ein sehr ern-
ster Gegenstand für die öffentliche Kritik. Dazu kommt
sicherlich auch die Entente mit Deutschland in der Vene-
zuela-Frage, welche den Unwillen der Nation gegen das
Kcibinett Balsour alifgeregt hat — sehr nnberechtigter
Weise. Denn diese Entente war mindestens so sehr im
Jnteresse Großbritanniens als des Deutschen Reiches.
Zu diesen Ursachen politischer und inehr sentimentaler
Ratur kommt die fortdaucrnde Gedrücktheit der Londoner
Vörse. Die Nation ist tatsächlich ärmer geworden unter
der Verwaltung Lord Salisburys und seines Neffen,
nnd jeder Einzelne fühlt dies, mehr oder minder, in sei-
nem eigenen Säckel- Mr. Chamberlains Reise nach
Südafrika hat augenscheinlich nicht dazu geführt, diese
Verhältnisse irgendwie aufzubessern. Zu seiner City-
rede bemevkte die „Cape Times", das Qrgan der Loya-
listen, es sei ihr unmöglich, Chamberlains Meinung zu
nnterschreiben, daß ein besseres Gefühl zchischen Hollän-
dern und Engländern in Südafrika eingetreten sei.
Solche Sümmen von Ort und Stelle kontrastieren sicher-
lich mit den Fanfarenstößen in der Londoner Presse, be-
treffend den Riesenerfolg der Expedition von Mr. und
Mrs. Chamberlain nach Südafrika. Diese Wahrheit ist
auch den Massen in England zum Bewußtsein gekommen
uüd hierin ist ein anderer wesentlicher Grund für das
Pendeln der öffentlichen Meinung von der konservativen
Seite zu suchen. Deutschland ist an diesen Dingen
sehr nahe i n t e r e s s i e r t. Die Konservativen ha-
ben mit dem Hof seit Jahrhunderten stets eine Tendenz
Zu einem Einvernehmen mit dem deutschen Reiche gehabt,
während die Liberalen über den Kanal nach Frankreich
dlicken. Die ösfentliche Meinung in England ist zur
Zeit durchaus für die letztere Politik gestimmt. Ein
französisch-englisckies Einvernehmen wübde das deutsche
Reich sicherlich nicht direkt bedrohen. Soweit würde die
britische Politik unter keinen Umständen gehen. Aber
ein solches Einvernehmen würde jedenfalls das bestehende
Gleichgewicht der Kräfte ins Schwanken bringen können.
Während die Konservativen in England „wohlwollende

Neutralität" gegen den Dreibund zum Pol für die euro-
päische Politik machten, sirtd dieLiberalen mehr ge°
neigt, „wohlwollende Neutralität" gegen
den Zweibund zn üben un'd dies enffpricht ohne
Frage zur Zeit den Anschauungen der Mehrheit in die-
sem Lande." _

DeuMes Reich.

— Zum Prozeß Rothe Lemerkt die „Frff.
Ztg." sehr richffg: Der Prozetz, der sich eben sechs Tage
hindurch vor einer Berliner Strafkammer abgespielt hat,
war viel weniger ein Prozeß gegen das, Blumenmedium
Anna Rothe, als ein Prozeß gegen den Aberglau -
ben der Menschen. Freilich, das Blumenmedium ist
verurteilt worden, wegen Betruges in 60 Fällen zu
Isch Jahren Gefängnis und 600 Mk. Geldstrafe. Aber
wenn das auch juristisch einwandsrei sein mag, kann man
doch, rein menschlich, die Anna Nothe nicht als eine große
Verbrecherin ansehen, und beina'he könnte sie einem leid
tun. Denn was hat sie schließlich getan? ^ Sie hat Ta-
schenspielerstücke vorgeführt, die sich im Wesen von denen
nicht unterscheiden, die man auch in Tingeltangels sehen
kann, und sie hat dafür Preise genommen, die sich über
die Eintrittspreise dieser sVcrgnügungsanstalten nicht
erheben- Jhre Schuld liegt nur darin, daß sie ihr'en Knn-
den erklärte, was sie da vormache, sei nicht Schein, son-
dern Wahrheit, jwahrc Vorgänge, ausgeführt durch über-
natürliche Kräfte. Aber was ist wohl beschämender —
diese Täuschung oder der Glaub'e, den sie in weiten Krei-
sen gefunden hat? Saß nicht eigentlich auf der An-
klagebank statt der Anna Rothe die lange Reihe von
Zengen. die ihre Uebcrzeugung von der übernatürlichen
Herknnft der Blnmen, Geisterreden usw. bekundeten?
Freilich nicht auf der juristischen Anklagebank, wohl äber
auf der, welche der Geist der Kultur anfstellt.

— Der in Mentone weilende Herzog von Sach -
sen - AItenburg hat dort beim Ausgleiten auf der
Treppe des Gasthofes, in dem er wohnt, einBein ge -
b r o ch e n. Der Herzog steht im 77. Lebensjahr.

Baden.

— Jn ihrer Abonneiiientseinladmig schreibt die „Karlsr.
Zig." von sich: Auf dem Boden nnbedingtsteer Treue zn
Kaiser und Reich, für Fürst nnd Vatcrland wirkend, tritt
sie ein für die Forterl, altung und den vernunft-
gemäßen Ausbau unserer vcrfassnngsrc chtlichen
Einrichtungen in gemäßigt-liberalem Sinne.

— Am lctzten Sonntag svrach Rcktor Kopsch aus
Berlin in Bruchsal, in einer freisinnigen Versammlung,
der indessen auch zahlreiche Angehörigc anderer Parteien
anwohnten. Die auf den Vortrag folgende Diskussion, die
sich bis über Mitternacht hinaus ausdehntc, knüpfte nach
dem Bericht der „Kraichg. Ztg." an verschiedcne etwas
übermütige Zwischenrnfe an, die während der Rede des
Herrn Kopsch gefallen nnd die von letzterem, weil allzu
ernst und tragisch anfgefaßt, mit großer Schärse zurückge-
wiesen worden waren. So der Zwischenruf „blasser Neid!"
den der sozialdemokratische Abgeordnete Kolb sich leistete/
als Hcrr Kopsch von den aus den Beiträgcn der Arbeiter
bezahlten sozialdem. Reichstagsabgeordneten sprach. Außer
Herrn Kolb ergriffen noch die Herren Frühauf, Florus

und Hoffmann das Wort, um einzelne Pnnkte der Aus-
führungen des Herrn Kopsch zu widerlegen bezw. zn recht-
fertigen. Tie Diskussion nahm sogar gegen Schluß einen
sehr erregten Charakter an bei den Auseinander-
setzungen zwischen Herrn Hoffmann und Frühauf über das
Verhalten der beiderseitigen Parleicn, der freis'nnigen und
demokratischen. Bemerkenswert war dabei die von Herrn
Hoffmann — jedenfalls doch im Eiiwerständnis mit
seinen Parteigenossen — abgegebene Erklärung daß die
Demokraten bei einer etwaigen Stichwahl zwischen
Nationalliberalen und S ozia l de m okrat en wiederum,
wie bor 5 Jahren, mit den letzteren stimmen würden. —
Jm Ucbrigcn wurden die beborstehenden Wah'en nur bei-
läufig, und die Kandidatenfrage gar nicht berührt. Auf eine
Anfrage, mit wem die Frcisinnigen bei einer Stichwahl
stimmen würden, erwiderte Herr Frühauf, daß man sich
darüber noch nicht schlüssig gemacht habe. — Registriert zn
werden verdient noch, daß beide freisinnigen Redner, Herr
Kopsch wie auch 5zerc Frühauf, sich jedes Angriffs auf die
nationalliberale Partci cnthalten haben.

Radolfzell, 30. März. Die Deutsche Volks-
partei stellte für den 1. badischen Reichstagswahlkreis
Herrn Rechtsanwalt Venedey in Konstanz als Kan-
didaten auf.

Freiburg i. B., 29. März. Sicheren Nachrichten
der „Frankf. Ztg." zufolge beabsichtigen die Bischöfe
der oberrheinischen Kirchenprovinz, also Frei-
burg, Fnlda, Limburg, Mainz nnd Rottenburg, tns-
gesamt unmittelbar nach den Osterfeiertagen die Rom-
fahrt anzutreten, nm an der Spitze ihrer Bisthums-
angehörigen dem Papste ihre Huldigung darzubringcn.
Jnzwischen lauten die Nachrichten über das Befinden
des Papstes, trotz gegenteiliger Preßstimmen, höchst
bedenklich. Die Erschöpfung war am 3. März, dem
Jubiläumstage, höchst kritisch und hat sich inzwischcn
kaum wesenklich gehoben. Das Demcntieren in den
Zeitungen bessert den Zustand nicht; nur wird man sich
unvermittelt eines Tages vor einer nicht abzuleugnenden
Tatsache finden.

Freiburg, 30. März. Reichstagsabgeordneter
Marbe hat sich laut „Bad. Veob." bereit erklärt, wie-
derum die ihm angetragene Kandidatur anzunehmen.

Offenburg, 30. März. Reichstagsabg. Schüler
(Zentr.) hat sich bereit erklärt, eine Kandidatur für den
7. Wahlkreis (Offenburg-Kehl) wieder anzunehmen.

Karlsruhe, 30. März. Die Vertranensmänner-
versammlung des 10. badischen Reichstagswahlbezirks
Karlsruhe-Bruchsal hat beschlossen, dem Reichs-
tagsabgeordneten Bassermann die Kandidatur anZu-
tragen.

Ans den K«elsr«tzcr Zeiturrg.

— Scine Königlichc Hohoit der Grotzhcrzog haben
Schloßverwalicr Hcinrich Fleig in Schüvctzingen nnd die
Offiziantcn Hngo Kilian und Lorcnz Muttcr in Karlsruhe
auf 1.- April ds. Fs. wegen vorgerückten Alters in den Ruhe-
stand vcrsctzt, ferner dcn Ofsizianten I o r a m unter Ernen-
nung zum Hausmeister mit der Versehung der Schloßverwalter-
stelle in Schwetzingen betraiü, sowie die Lataicn Josef R e b -
holz, Ernst Riffcl und, Jakob Schmidt zu Offfzicrnten
ernannt.

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog haben

Aus der Arauenwett.

Jn England, wo die Frauen schon scit längerer Zeit als bei
uus jm Erwerbsleben stehen, wo auch der öffeutliche Wohl-
lätigkeitsfimi, der llntcrnehmungsgeist größer sind, gibt es
sahlreiche Heime für erwerbende unü für stu-
bierewde Frauen. Zu den ältesten gehören die soge-
Uannten Shrimpton-Houses, Heime für arbeitcnde Mädchen, die
seir 1877 bcstehen nnd in ihrcn 14 über London dcfftrcuten
Mlialen scit ihrcr Grüdung 28 000 arbeitenden Frauen und
-Aädchen Untevkunft und Schuh gebotcn haben. Bci der Auf-
Uahmeffind Name, Alter, Bcruf und Arbcitgcbcr anzugeben,
sNakelloscr Ruf, Notwendigkcit des selbständigen Lebenserlver-
oes nnd Nachweis von 2 gutcn Reserenzcn sind weitere Auf-
Uahmebcdingungen. Nach der Konsession wird nicmand gc-
Uagt. Nichtsdestoiweniger ist der Charakter dicser Heimc ein
Krschitiden rcligiöser, den alten cnglischen Traditionen ent-
wrechciiM Dic opscrwilligste gegenseitige Hilfsbercitschaft tritt

in diesen Homcs zu Tage; cs ist efftaunlich, zu beobachten,
'vie die Armen und Aermsten sich noch etwas zu versagen ver-
aehcn und stets bcreit sind, sich gegcnseitig zu hclfen. So
?Urden z. B. um ciner armen Gcnossin, die ihr Bein verloren,
ffuKorkbcin zu kauscn, 170 Mark gespart. Mcnschenfrennd-
uhe Aerzte und Zahnärzte geben ihre Hilife unontgeltlich; ab
siud zu ivcrdien von Lehrern und Künstlern einfach vcrständ-
iche Vorträge oder klcine Hauskonzerte arrangicrt, auch ein
!?Ouch i>, der Kunstgaleffe wird gelegentlich nnternommen.

Pension für die Woche beträgt 4,50 Mark lFrüh-
'-Uck, Mittagesscn, Tee nfw.). Geistige Getränkc sind nicht ge-
nattet, und das hat in Engkand, wo die Trunksucht leider
o itcrrk vcrbrcitct und oft vererbt ist, seine volle Berechtigung.

Mcw mird mit 2,50 bis 4 Mark pro Woche bercchnct,
»bei wird Kvischen gemeinsamen Schlafsäleu und Schlafabtei-
.1' .unterschwden. Jeder crhält Bett, Waschtisch, Kommode,
«<ve, SEhke und hat Anrccht aus das Les-ezimmer mit Tages-
° Uung-en, Wochenschriftcn und Büchern. Aehnlich wie in dcn

Shrirnpton-Houses ist die Einrichtung und Handhabung in den
zahlreichen für Lehrerinnen, Buchhalterinnen undi G-esiDistsda-
men eingerichteten Homes; die höhere Gesellschaftsklasse
stimnit den Ton natürlich anders und etwas höher, die Preise
für volle Pension un-d Wohnung schwanken Mischen 12 und 30
Mark pr-o Woche. — Ein ganz neues Akoment brachte di-e
„Damenwohnungsgesellschäft", die das Seoane-Harden-House"
in London begründete. Sie überkätzt alleinstehenden Damen,
die ihrem Erwerb nachzugehen gezwungen sin'd, leere oder
möblierte Zimmer zu angemessenen Preisen in ihrem Riestn-
haus, trägt für das Reinigsn -derselben -Sorge, ebenso für die
Lieferung von Holz.

Eine besondere Erscheinung sind die „Halls of residence"
für ftudierende Frauen, die nach dem Muster der für die männ-
Iiche stüdierende Jugend bestehenden Colleges eingerichtet stnd.
Das bekannteste dieser Frauen'kolleg-ien ist Newnham-College in
Cambridige. Mehr aks 150 Studentininen kann es m seinen
durch drei bsdeckte Gänge vevbunldenen Gebäuden aufnehmen
und bietet autzetdem der Vorsteherin» ihrer Stellvertreterin und
ciner Anzahl Do-zentrnnen geeignete Wohnräume. Dazu hat
es neun Auditorien, resp. Klassen, ein chemisches Laboratorium
und weitausgedehnte Spielplätze. — Ausländern ist jetzt Gele-
genheit geboten, einen tieferonl Einblick in die Reize und Vor-
teile des College-Lebens in England zu tun. So 'hat Mrs.
Burch ein- bis dreimonatliche Ferienkuffe für Ausländeffn-
nen in Oxford eingerichtet, die von Juli,bis September in St.
Hildas Hall abgehalten iverd-en.

Es sind jetzt 8 Jahre her, seit die iieuffche Frauenbswegung
ihre effte und älteste Führeffn, Luise Otto-Peters,
verlor, die im Alter von 76 Jahren in Leipzig starb. Sie hüt
das Ausblühen einer neuen Zeit von Anfcmg an miterlebt und
sagt darüber gelegentlich folgendes:

„Die heutige Generation nimmt cs als sel-bstverständlich
hin, datz es jetzt überall Fortbildungsschulen für Mädchen
aller Stände gibt, die auch den Unbemittelten zugänglich
sind, überall von und für Fraucn gegründ>ete. Fachschulen:

Koch-, Haus- und Landwirtschaftsschulen, Zsichen-, Model-
licr-, Schneider-, Jndnstrie- und Handelsschulcn der vcffchie-
densten Art, Mägdeherbergen, weibliche Speiseanstalten, un--
entgeltliche St-ellenvermittlungen, Arbeitsnachweisungen, Vor-
träge in, Bereinen von und, für Frauen, Lyceen usw. Das und
vieles andere ist allein durch vereintes Frauenwirken erreicht
worden!

Was heute alltäglich goworden, war vor 30 Jähren
Ausnahme, was' heute Tatsache, damals Jmagination.

Wenn man, wie ich, nicht etwa nur die Eröffmmg d'es cr-
sten dentschen Frauentages, sondern auch 'die Eröffnung der
ersten- deutschen Eisenbahn miterlebte, so weitz man, wie zag-
hast nnd kurzsichtig die Menschen neuen Einrichiungen gegen-
über sind. Jn meiner Kindheit und Jugend gab es cine Eisen-
bahnfragc, -wie es jetzt noch cme Frauenfrage gibt — man
diskutierte damaks wie diese auch jene — man lächelte über die
Hirngespinster dcrer, dic für Eisenbahncn eintraken, bekämpftc
sie als falsche Propheten. Wie wenige wissen jetzt noch ciüvas
dcrvon! Wie komisch, wenn jetzt noch jemand im alten Sinne
von einer Eisenbahnfrage sprechen wollte l-So komisch wird anch
einst das Wort „Frauenfrage" klingen."

Bon der Gememde angestellte Waisen - und Zieh -
k i n - e r p s l e g er i n n e n haben sich in .Königsberg i. Pr.
sehr gut bewährt. Besonders die Pflegestellen der kleinsten
Ziehki-nder werden streng öeaufsichtigt,diemitderUeberwachung
betrauten Damen sind besonders dafür vorgebildet. Jede von
ihn-en hat nur 1 bis 2 Kinddr zu kontrollieren, in der ersten
Zeit gsschah dies fast täglich Die Zubereitung der Milch, die
Reinhaltung der Flaschen und Pfropfen, das Lager des Kindes,
die Luft der Wohnung us-w. sind zu beobachten. Autzerdem
müssen die Kinder in angemessenen Fristen in eigens dazu
angesetzte-n Sprechstundcn der Aerzte, wclche sich der Ueber-
wachung der Ziehkinder annehmen, regelmätzig vorgestellt wer-
den. — Jn dem cinen Jahr, seit dcm diescs -Shslem eingeführt
wovden ist, 'hat die Sterblicksteit der Ziehkindcr nm die Hälfte
abgenommen. Fmmerchin 'hat die Organ'isation noch Mängel,
 
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