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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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»» beitimmte« Taaen wird keine Berantwortlichkeit übcrnommen. — Anichlaa der Inserate ans dcn Vlakattafeln der Seidelberaer Zeituna und den städtischen Anschlaastellen. Nernsvrechcr 8L.

Von der Kieler Woche.

> Kiel, 27. Juni. Zum Stapellauf des gro-
?^n Kreuzers „E rsatz für Kaifer" waren er-
Menen die höheren Offiziere, die Werftbeamten, die Ar-
^iteralwrdmingen und die Offiziere des ame-
^ikanischen G e s ch w a d e r s. Um 10 Uhr trafen
Kaifer und dieKaiserin, Prinz und Prinzessin
^inrich, die Prinzen Adalbert, August Wilhelm und Os-

k.

P ein. Nachdenr der Kaiser die Front der Ehrenkompag-

^ abgeschritten hatte, hielt Feldmarschall WaIdersee
?ie Taufrede und gab dem Schifse den Namen „R o o n".
^ach der Taufe, bei der die Sektmarke „Söhnlein Rhein-
8old" verwendet wurde, brachte Graf Waldersee ein drei-
faches Hurrah auf den Kaiser aus. Unter Fanfaren und
^alut der Schiffs glitt der Kreuzer ab. Vor der Abfahrt
^ahm der Kaiser die Vorstellung des Arbeiterausfchusses
^tgegeri.

Ter Kaiser begab sich gegen 1 Uhr an Bord des
?fNLrikanischen Flaggschiffes „Kearsage", wo er das Früh-
Itiick einnehmen wird. Außer dem Kaiser begaben sich Prinz
^einrsch^ ReichskanUer Graf Bülow und der amerikanische
^otschaster Tower an Bord des Schiffes, das die Flagge
"as dentschen Kaisers gehißt hatte.

And Anlatz des heutigen Stapellauses verlieh der
E aiser za l lreiche O- r d e n und Ehrenzeiche n an
^ugesiellte nnd Arbeiter der kaiserlichen Werft. Am Vor-
^hittag vörte der Kaiser den Vortrag des Vertreters des
^tiegsministerS, Generalleutnants v. E i n e m, und den
^ortrag deo Reichskanzlers. Nach dem Stapellauf über-
trichte der Kaiser an Bord der 'Jacht „Hohenzollern" den
iracht-BesiLern der an der Regatta Dover-Helgoland be-
^iligt gewesenen Jachten die S i e g e s P r e i s e. Die
^aiserin empfing heute Vormittag die zum Stapellauf
Madenen Mitglieder der Familie ö. Roon in Audienz.

Washington, 27. Juni. Auf das Telegramm
°ds dentschen Kaisers erwiderte !Präsid-ent
^ ooseveIt: „J-ch danke -Ew. Majestät für die huld-
^lle Bemillkommnung des Geschwaders der Vereinigten
^taaren nnd die von Ew. Majestät ausgesprochenen an-
^kennenden Worte. Ich habe pon Admiral Cotton bereits
Etteilung über die Zreundlichkgrt erhalten, Me Ew.
^ajestär ihm und seinem Geschwader erwiesen haben.
^iese Zeichen der Freundschaft und des Wohlwollens Ew.
sbkajestät sür die Vereinigten Staaten haben aus mich einen
^efen Eindruck gemacht, und ich erwidere die von Ew.
^ajestät zum Ausdruck gebrachten Gefühle aufs herz-
"chste. T h e o d o r R o o s e v e l t."

Washington, 27. Iuni. In Marinekreisen ist
^an über das liebenswürdige Urteil des deutschen
E'aisers über die amerikanische Marine sehr erfrent.
Fdmiral Cottons Bericht an das Marinedepartement
^utet etwa folgendermaßen: Der Kaiser traf Mittwoch
Fbend an Bord der „Hohenzollern" in Kiel ein. Auf dem
^reuzmast der Jacht wehte die amerikanische Flagge, im
droßmast die Kaiserstandarte. Als die Jacht querab von
o^r „Kearsage" war, dippte sie die Flagge. Der Kaiser
Teivährte mir und den Kommandanten'der Schiffe sofort
Audienz an Bord der „Hohenzollern" und hietz in
^hßerst herzlichen Worten das Geschwader in Deutschland
Allkommen. Soeben hat der Kaiser, begleitet von seinem
^kab, eiiiAl amtlichen Besuch an Bord der „Kearsage"
^Macht, wo er von mir und- den Schiffskommandanten
Geschwaders empsangen und mit allen ihm gebühren-
T" Ehren begrüßt wurde. Er war sehr herzlich und leut-
!^ig, besichtigte die Mannjchaft und das ganze Schiff und
^brach den Kommandanten gegenüber seine hohe Anerken-
^Ung aus.

Die Ordensfrage in der franzöfischen
Deputiertenkammer.

Paris, 26. Juni. (D e p u t i e r t e n k a m m e r.)


Por

d-Mtritt in die Tagesordnung bcschäftigt sich, nach dcm Bericht
^^,„Stratzb. Post" das Haus mit dem letzten Gelbbuche D e l-
^sses. DenisCochin und H u b b a r d^, die den Tag
Beratung ihrer Jntcrpellation über dcn Stand der Be-
Achungen Frankreichs zum päpstlichen Stuhle festgesctzt wissen
!t°llen. geüen dabei ihrer Verwunderung Ausdruck, dah Vas
^lbbuch mit dem 24. Juli 1902 abschlietzt.

- Der Ministerpräsident Combes cntgegnet, die Verhand-
^"gen niit dem Vatikan stünden noch heute genau auf dem
L"nkte, den sie zur Zeit der Abfassung des letzten Gelbbuch-
NKftstücks erreicht hätten. Die gewünschte Fortsetzung des
^lbbuchcs könne er nicht versprechen. Bei der Beratung der
^"terpellation Cochin und Hubbard werde d-ie Regierung die
^animer in die Lage setzen, zu beurteilen, ob das französische
pnbinett scine Pflicht getan habe und noch weiter das Ver-
Fnuen der Volksvertretung verdiene. Die genanntcn Jntcr-
kullationcn werden darauf mit 315 gegen 229 Stimmen den

Erörterung der Vorlagen über die 81 Ermächtigungsgesuche
der unterrichtenden Frauenorden fort.

Gaffier, unabh. Republikaner, wiederholt die bekann-
ten Borwürfe gegen die unduldsame Aussührung, welche die
gegenwärtige Regierung dem Vereinsgesetze gebe. Mit der Ab-
weisung der Frauenlehrorden bezwecke man, den Religions-
unterricht zu untcrdrücken.

Ministerpräs. Combes: Nicht die Schule, sondern dle
Kirche hat Religion zu lehren. Die Unterrichtsfreiheit, in de-
ren Namen man zugunsten der Orden spricht, ist so wenig eine
natürliche Freiheit, daß man, um sie ausüben zu können, lange
Studien nötig hat. Das Unterrichtswesen ist ein öffentlicher
Dienstzwcig, und dcr Staat hat das Rccht, festzulegen, in wel-
chem Mahe die Nonnen dazu heranzuziehen sind, und die
Pflicht, zu untersuchen, ob sie fähig sind, ohne Schädigung der
allgemcinen Jnteresscn Lehrtätigkeit auszuübcn. Der franzö-
sische Staat hat für den Mädchenunterricht auf allen Stufen
ausreichcnd gesorgt und bedarf dcr Unterstützung der Orden
nicht mehr. Wir sind im stande, die 3500 unterrichtenden
Schwestern der 81 Orden, deren Gesuche zur Beratung stehen,
von heute auf morgen durch staatlich geprüfte Lehrerinnen zu
ersetzen. Und auch die Kinder der zu schliehenden Schwestern-
schulen können zum größten Teil sofort in den Staatsschulen
untergebracht werden. Nur für 127 Anstalten — nach der
Schätzung des Herrn Berichterstatters sogar nur für 49 —
wird mit der Schliehung einige Monate gewartet werden müs-
sen, um den Gemeinden Zeit zur Vergrößerung der Schul-
räume zu lassen. Die Regierung fordert die Ablehnung sämt-
licher 81 Gesuche und stellt dafür die Vertrauensfrage. Sie
crinnert daran, daß von früher her ermächtigte Frauenorden
627 Schulanstalten besitzen, die ruhig weiter bestehen werden;
sie weigert sich aüer, diese Zahl zu vermehren.

Leygues, Radikalrepublikaner, (Unterrichtsminister im
Kabinett Waldeck-Rousscau 1898-99): Gewitz hatte das Ver-
einsgesetz das doppelte Ziel, der weiteren Ausdehnung des
Ordenswesens .Einhalt zu tun und die vorhandenen Orden
zum Gehorsam zu zwingen, und ebenso richtig ist,es, daß der
Unterricht eine staatliche Pflicht ist. Aber es ist unzulässig,
die verschiedenartigen Fälle, die in den 81 Gesuchen vorliegen,
ohnc besondcre Einzelprüfung en bioc nbzutun. Das geht
schon darum nicht, weil 29 Gesuche von Lehrorden herrühren,
die gleichzeitig Pflegeanstalten besitzen und Auslandsmissionen
versorgen. Gewitz mutz der staatliche Unterricht gegen den
Wettbewerb der geistlichen Schulen geschützt werden, aber auf
der anderen Seite darf auch die pcrsönliche Jnitiative zu Wer-
ken der Nächstenliebe nicht cntmutigt werden. Denn niemals
wcrdcn Staat und Gemeinde Mittel genug haben, um alles
menschliche Elend zu mildern. (Beifall im Zentrum- und
rechts).

Ministerpräsident Combes: Keiner der in den Vorlagen
betroffenen Orden versorgt Kranken- oder Waisenhäuser. Und
wenn die Mitglieder einzelner dieser Orden Krankenbesuche
machen, so kommt es ihnen nur darauf an, ein Deckschild zu
haben für andere Tätigkeit. Die 81 Frauenorden mögen nach-
träglich neue Gesuche einreichen, in denen sie auf fernere Lehr-
tätigkeit zu verzichten erklären. Wir werden sie prüfen, wie
wir die der drei Männerorden geprüft haben, die nachträglich
mit Teilgesuchen kamen, welche sie freilich auf Veranlassung
des Erzbischofs von Paris wieder zurückgezogen haben.

Die allgemeine Beratung wird geschlossen.
Nachdem der Sozialradikale Loquc und die Radikalrepubli-
kaner Balitrand und L a c o m be erklärt haben, trotz
ihrer Anhänglichkeit an die Regierung der geforderten Enbloc-
Verwerfung der Gesuche nicht zustimmen zu können, wird der
Uebergang zur Artikelberatung mit 286 gegen
269 Stimmen, also nur mit 16 Stimmcn Mchrheit, abge-
lehnt. Damit sind sämtliche 81 Gesuche der Frauenlehrorden
abgewiesen.

Paris, 27. Juni. Bei der gestrigen Abstimmung in
der Deputiertenkammer über die Genehmigungsge-
suche der weiblichen Schulkongrcgationen haben 30
Mitglieder der sonst ministeriellen Union Republicaine, der
Aufforderung des früheren Unterrichtsministers Lehgues ent-
sprechend, gegen die Regierung gestimmt. 6 Ministerielle ent-
hielten sich der Stimme. Außerdem waren 24 Ministerielle
beurlaubt. Die oppositionellc Prcsse erblickt in dieser geringen
Mehrheit, die gestern für den Antrag des Ministeriums ge-
stimmt hat, den Beweis, daß der Block erschüttert sei
und datz er bald zerfallen werde; ein Ministerium, das in
einer für seine Politik so entscheidenden Frage nur eine Mehr-
heit von 16 Stimmen erlange, unter denen sich 6 Stimmen
der Minister selbst befinden, könne nicht mehr lange dauern.
Die radikalen Blätter geben zu, daß die Regierung nur sehr
tnapp gesiegt habe und daß sie sogar gestürzt worden wäre,
wenn der Ministerpräsident nicht erklärt haben würde, datz alle
Genehmigungsgesuche, die einzelne weibliche Schulkongrega-
tionen für ihre Krankencmstalten einbringen würden, mit
Wohlwollen geprüst werden sollen.

Deutsches Reich.

— Wie die „Voss. Ztg." meldet, hat der Oberstaats-
anwalt in Genua ein der A u s l i e f e r u n g des S P i-
ons Wessel an Deutschland günstiges Gut-
achten abgegeben, dem sich in der nächsten Woche dis dor-
tigen Richter jedensalls anschließen werden. Der franzö-
sische General-konsul Meyer in Genua versuchte vergebens
aus diesen Entschluß öes Oberstaatsanwaltes einzuwirken;
es müssen mithin sehr ernste Gründe sür die Auslieferung
Wessels vorliegen.

— Zum einjährig - sreiwilIigen Mili-

t ä r d i e n st der V o l k s s ch n l l eh r e r hat der Kriegs-
minister folgende Verfügung erlassen:

„Die Kandidaten des Volksschulamtes, welche die Berech-
tigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst nachzusuchen

^Kgen Jnterpellationen angereiht, und das Haus setzt diebeabsichtigen, aber das wissenschaftliche Befähigungszeugnis

nicht rechtzeiiig erlangen, werden durch die Seminardirektoren
angewicsen, etwa drei Monate vor Ablegung dcr Lehrerprü-
fung bei der Prüfungskommission für Einjährig-Freiwillige
ordnungsmäßig die Erteilung des Berechtigungsscheines zu be-
antragen. Dem Gesuche ist eine Bescheinigung des Seminar-
direktors dahin beizufügen, daß der Bewerber zur nächsten
Lehrerprüfung zugelassen und das Befähigungszeugnis im
Falle des Bestehens der Prüfung nachfolgen wird."

Außerdem hat der preußische Unterrichtsminister ver-
sügt, daß die Anträge auf Erteilung des Berechtigungs-
schsiues spätestens unmittelbar nach bestandener Prüfung
einzureichen sind und daß verspätet eingereichte Gesuche
von jetzt ab immer ablehnend beschieden werd-en.

Badcn.

Villingen, 27. Jnni. Der Großherzog und
die Großherzogin trafen heute Na-chmittag 3.46
Uhr mit Gefolge hier ein. Zur Begrüßung am Bahnhos
waren Oberamtmann Dr. Eron nnd Bürgermeister
Osiander erschienen. Ein offizieller Empfang war nicht
gewünscht worden. Nach kurzem Aufenthalt fuhren die
Großherzoglicheil Herrschaften durch die festlich geschmückte
Stadt nach dem WaIdhotel, das die Lenkbar besten
Vorkehrungen für den Aufenthalt geiroffen hat. Heute
Aben-d bringen die -Gesangvereine „Sängerbund", „Män-
nerchor" nnd „Eintracht" dem 'hohen Besuch ein Ständ-
chen.

Sachsen.

— Jn -Sachsen hat es gelegentlich der Affäre der
Kronprinzesstn Luise verschiedene M a j e st ä t s b e l e i -
d i g u n g s p r o z e s s e gegeben. Die Synipathie der
Bevölkerung ist dabei mehr auf seiten der Angeklagten,
als aus seiten deS wenig belie-bten Königshauses. Unter
anderen sitzt der Redakteur der „Dresdener Rnndschau",
Wilhelm Peters, schon wochenlang wegen Majestätsbelei-
digung in Untersuchungshaft wie ein Mörder oder Sitt-
lichkeitsverbrecher. Gegen den Verteger oder Heraus-
geber des ebenfalls in Dresden erscheinenden „Beobachter"
Albin Risse in Dr-esden-Neustadt w-ar vor einiger Zeit
Anklage wegen Beleidigung der wohlbeleibten, nicht mehr
jungen Prinzessin Mathilde, der Tochter des Königs, er-
hoben worden. Die Beleidigung wurde erblickt in einem
Gedichte, das die Ueberschrift trug: „dNathilde hat den
Muff verloren." Jetzt ist auf Veranlassung der Prin-
zessin Mathild-e das Strasverfahren eingestellt nnd der
Strafantrag zurückgezogen wor'd-en.

Preusrcn.

Berlin, 27. Juni. Auf Wnnsch des preußischen
Episkopats hat der Justizminister die Amtsgerichte ange-
wiesen, vor Anberaumung eines Sühneterrnins in
Ehesachen, wenn auch nur ein Gatte katholisch ist, dem
betreffenden kathotischen Pfarrer u n-

v e r z ü g l i ch M i t t e i l u n g z u g e h e n z u l a s s e n.
Hinzuzufügen ist, daß schon vor einer Reihe von Jahren
den Amtsgerichten empfohlen worden ist, vor den in Ehe-
sachen evangelischer Parteien anberaumten Sühneterminen
die zuständigen evangelischen Geistlichen zu benachrich-
tigen.

Aus der Karisruder Keitung

— Seine Königliche Hoheit der Grotzherzog habcn den
ordentlichen Professor der Nationalökonomie und Finanz-
wissenschaft an der Universität Heidelberg Dr. Max Weber auf
sein Ansuchen unter Anerkennung seiner hervorragenden Lei-
stungen wegen leidender Gesundheit auf 1. Oktober 1903 in
den Ruhestand versetzt und demselben gleichzeitig den Charak-
ter als ordentlicher Honorarprofessor an dieser Hochschule ver-
liehen.

Karlsrnhe, 27. Juni. Die Prinzessin Wilhelm
ist heute Vormittag 9 Uhr in Begleitung ihrer Hofdame
Freiin von Gemmingen nach St. PeterSburg abgereist.

Zn den Reichstagswahlen.

— Seine gerechte Strafe für sein vorjähriges Toben
im Reichstage hat der frühere sozialdemokratische Abge-
ordnete U l r i ch erlitten; der hessische Wahlkreis Diebnrg-
Offenbach hat ihn bei der letzten Stichwahl durchsallen
lassen; der Nationalliberale Dr. Becker ist an seine
Stelle getreten. Ulrich war derjenige Abgeordnete, -der
d-urch förmliches Toben am meisten das Anseheil des
deutschen Reichstags vor der großen Oeffentlichkeit ge-
schädigt hat. Als am 27. Novem-ber zuerst im Reichstag
der Antrag Kardorff angekündigt wurde, provozierte
Singer die wüstesten Szenen, ließen scine Genossen Rufe
erschallen, wie Räuberbande, Zuhälter, Diebe, Taschen-
diebe, Raubgesindel, ekelhafte Heuchler, Schufte, Gauner.
Am meisteil tat sich der Genosse Ulrich hervor, er gebärdete
sich, als habe er den Verftand verloren; er schrie, sprang
umher, fuchtelte mit d-en Fäusten in der Luft herum;
er sah aus, als bestehe er nur aus Armen und Beinen.
 
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