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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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Frcita». 15. Mai 1SV3. Erftes Blatt. 45. Iahraaaa.-«-113.

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r

Sozialdemokratie und Handelsverträge.

Bei Beratung des Zolltarifs erklärte Bebel in seiner
teidenschaftlichen Weise, die Sozialdemokraten würden
Segen jeden auf Grund des neuen Tarifs abgeschlossenen
Handelsvertrag stimmen. Von der Partei ist dieses Wort
«ufgenommen worden und es fand seine Erweiterung in
der mit dem Brustton der Ueberzeugung vorgetragenen
Bersicherung, daß mit diesem Tarif der Abschluß von Han-
delsverträgen überhaupt nicht möglich sei. Auch im sozial-
demokratischen Wahlaufrufe wird er ausdrücklich als aus-
ges-chlossen bezeichnet. Jnzwischen ist es der Sozialdemo-
kratie ob dieser Aussprüche doch etlvas bange geworden;
lie fühlt, daß sie damit auf den Sand geraten ist und sie
sucht möglichst wieder in freies Fahrwasser zu gelangen.
So bringen die sozialdemokratischen Blätter lange Artikel,
rn denen auseinandergesetzt wird, daß, wenn keine neuen
'Handelsverträge zustande kommen, daß dann die alten
berhältnismäßig günstigen Verträge in Kraft bleiben und
daß man unter solchen Umständen so lange auf die Regie-
rung driicken kann, bis die Verträge, die sie vorlegt, gün-
istige sind'. Das klingt nach etwas, ist aber total verkehrt.
Crstens sind Handelsverträge, die immer nur von Jahr
Au Jahr stillschweigend verlängert werden, elwas so un-
sicheres, daß unsere Indnstrie daraufhin ihre Produktion
nicht einrichten kann; wir müssen Verträge auf längere
Zeit haben. Sodann sind wir der Gefahr ausgesetzt, daß
andere Staaten uns die Verträge kündigen. Und zum
dritten: wie will die Sozialdemokratie die Regierung zu
günstigen Verträgen zwingen, wenn der Abschluß solcher
nach ihrer ausgesprochenen Ueberzeugung überhaupt nicht
Möglich ist? Hierin steckt doch ein vollkommener Wider-
spruch! Nach alle dissem ist der Sozialdemokratie in Bezug
auf neue Handelsverträge absolut nicht zu trauen. Wer
also für Handelsverträge ist, der darf stch von der Sozial-
demokratie nicht umgarnen lassen. Das wirtschaftliche
Wohl des Landes hängt von ihnen äb, die Soziäldemo-
kratie aber zeigt, daß sie auch in dieser Angelegenheit die
Lage der Dinge nicht richtig erfaßt hat, daß der Haß
gegen den neuen Zolltaris sie verblendet und daß sie mit
bitterem Uebelwollen an alle Handelsvertragsvorlagen
herangehen wird, um an ihnen ihr Mütchen wegen des
Zolltariss zu kühlen.

Deutsches Reich.

— Jn den Wahlartikeln der s o z i a l d e m o k r a -
tischen Presse kehrt immer die Behauptung wieder, die
arbeitenden Massen seien die Schöpfer aller
Reichtümer und würden trotzdem in Not und Unfreiheit
gehalten. Das scheint zu einer fixen Fdee geworden zu
sein. Schöpfer aller Reichtümer und Bahnbrecher allen
Fortschritts sind aber die geistigen Leiter, die die Pläne
vnd Entwürse ausdenken, die Erfindungen und Verbesse-
rungen machen, die Produktionsprozesse in Gang halten,
Menu stch unter den Massen ein genialer Kopf findet, der
dies vermag, so bleibt er kein Arbeiter, sondern er rückt
auf. Die Massen, die nur ausführen, was Andere erdacht
haben, sind keineswegs die Schöpfer aller Reichtümer,
sondern sie nehmen an dem Ertrag der ArbAt"der geistig
Schaffenden teil. Die jetzt glücklich vorübergegangene Ge-
schäftskrisis hätte die sozialdemokratischen Wortführer über-
zeugen können, daß die Massen allein nichts vermögen.
Wenn sie es verschmähen, der Leitung anderer zu folgen, so
können ste protestieren, streiken, Räder still stehen lassen:
äber auch nur ein einziges Rad in Bewegung setzen —-
sa, da haperts schon! Wahlzettel abgeben, ist kein produk-
kives Geschäft, und die sozialdemokratischen Wähler haben
dieses Recht nur bisher benützt, um Hindernisse zu bereiten.
Wenn sie die Mehrheit hätten, so würden sie sich und Andere
viit dem ganzen Reich ins llnglück bringen. An diesen her-
^en Wahrheiten ändern alle Schimpfereien nichts.

— Tem bisherigen Botschafter in Washington, Wirkl.
^eh. Rat Dr. vonHolleben siud, wie jetzt amtlich be-
kannt gemacht wird, die Brillanten zum Roten Adlerorden
Erster Klasse mit Eichenlaub verliehen worden.

Bayern.

— Auch in der Pfalz macht sich der Lehrerman -
8 e I bedeutend fühlbar. Jn Ludwigshafen und
^ a i s e r s l a u t e r n sollten eine Anzahl neuer Stellen
^esetzt werden; die nötigen Gelder waren von den Städten
-bereits bewilligt. Doch die Regierung versagte den Be-
kverbern die Annahme der Stellen, da auf dem Lande
Lehrermangel herrschte uud sich die Städte durch Kombi-
^ation von Klassen, Häufung der Schülerzahl usw. eher
oelfen könnten. Auch eine Persönliche Vorstellung der lei-
«nden Aemter konnte die Erfüllung des Wunsches nicht
Turchsetzen.

Elsasi-Lothringcn.

Bitsch, 14. Mai. Staatsrat Iannez sagte in
der Ansprache, die er am Bahnhof an den Kaiser rich-
tete, unter anderem:

Dankerfüllt über die Ehre des allerhöchsten Besuches ju-
belt Ew. Majestät heute eine Bevölkerung zu, die in
harter Arbeit dem heimatlichen Boden ihren Lebensunterhalt
abringen muß, eine Bevölkerung, die sich nicht durch Reichtum
auszeichnet, wohl aber durch die altbewährten Tugenden des
lcthringischen Charakters, durch die Achtung vor der Autorität,
durch das streng konservative Festhalten an dem Geist der
Zucht und der Ordnung, vor allem aber durch einen begei -
sterten Rohalismus, welcher in Eurer Majestät den
Herrscher erblickt, auf den wir Lothringer stolz sind und
dem wir uns in Lieb und Treue ergeben haben. Jn
dieser Gesinnung haben sich die Abgeordneten des Kreises
Saargemünd zum Bezirkstag und Kreistag, sowie die Bür-
germeister und Beigeordneten hier versammelt und bitten
Euere Majestät, das Gelöbnis unverbrüchlicher
Anh äng.li ch keit und Treue huldvollst entgegenzuneh-
men.

Der Kaiser erwiderte darauf, er kenne die loyale Ge-
sinnung der Lothringer, käme infolge dessen gerne hierher
und habs ein besonders warmes Herz für die
Lothringer. Bei der Abfahrt ließ der Kaiser, der
über den Empfang und die Begrüßung in Bitsch sichtlich
erfreut war, durch den Kreisdirektor der Bevölkerung
seinen besonderen Dank aussprechen.

Mecklenburg.

— Ein eigenartiges Mißgeschick ist derRegierung
von Mecklenburg-Schwerin Psssiert. Sie'ver-
öffentlicht in Nr. 17 ihres Regierungs-Amtsblatts die Be-
kanntmachung, betr. Abänderung des Wahlregle-
ments für den deutscheu Reichstag. Darin
heißt es nun im Z 38: „Sämtliche Verhandlungen, sowohl
über die Wahlen in den Wahlbezirken, als über die Zu-
sammenstellung der Ergebnisse, werden von dem Wahl-
kommissar unverzüglich der zuständigen Behörde einge-
reicht, welche dieselben der Zentralverwaltungsbehörde zur
weiteren Mitteilung an den Reichstag des Norddeut -
schen Bundes vorzulegen hat." Jn einer Anlage 6.
bringt dies Regierungsblatt ferner ein Verzeichnis der
Wahlkreise. Dortselbst sind nur die Staaten des ehe-
maligen Norddeutschen Bundes aufgezeich-
net, während ganz Sü d de u t s ch I a u d mit Elsaß-
Lothringen f e h l t. Dagegen wird das einen Preußischen
Kreis Lildende Herzogtum Lauenbnrg noch als
selbständiger Staat „Herzogtum Lauenbnrg" aufgeführt.
So geschehen in Mecklenburg-Schwerin.

Aus der Karisrnher Zeitung

— Güterexpcditor Joseph Jtta in Mannheim wurde nach
Kehl, Betriebssekretär Otto Kuttruff in Schaffhausen nach
Kehl und Betriebsassistent Otto Ehrhardt in Ackern nach
Offenburg berseht.

Karlsruhe, 14. Mai. Der Großherzog
nahm heute Vormittag von 11 Uhr an den Vortrag des
Ministers des Jnnern Dr. Schenkel entgegen und em-
pfing um halb 1 Uhr den Kammerherrn und Oberstleut-
nant a. D. Freiherrn von Rotberg von Rheinweiler, wel-
cher früher dem Le.ib-Dragoner-Regiment angehört hat
und sich für Dekorierung bedankte. Die Großherzogin be-
gab sich hente Mittag in Angelegenheiten von Frauen-
Vereins-Anstalten nach Rheinbischofsheim. Die Heimkehr
Jhrer Königlichen Hoheit erfolgt heute Abend nach 9 Uhr.
Jm Lause des abends hörte der Großherzog die Vorträgs
des Geheimrats Dr. Freiherrn von Babo und des Lega-
tionsrats Dr. Seyb. '

Zur Wahlbewegung.

Königsberg, i. O., 13. Mai. Die Anwei-
sung an die Landräte, sich jeglicher Wahlagitation
oder Kandidatnr, außer in den Landesteilen mit Polnischer
Sprache, zu enthalte n, ist, wie die „Königsb. Hart.
Ztg." meldet, vom Minister des Jnnern v o n H a m m e r-
stein veranlaßt worden. Daher rühre die Feindschaft der
K o n s e r v a t i v e n gcgen ihn, da er nach ihrer Auffas-
sung dem Reichskanzler von einem solchen Erlaß hätte ab-
raten müssen.

6. L. W a l d s h u t, 14. Mai. Eine Vertrauens-
männerversammlung der Z e n t r u m s p a r t e i des 3.
Wahlkreises stellte einstimmig den seitherigen Vertreter
Pfarrer Schuler wieder als Kanöidaten auf.

Pforzheim, 13. Mai. Heute Abend um 8 Uhr
fond in dem hiesigen Saalbgn die erste große WahI -
vcrsammlung der n a t i o n a l l i b e r a k e n Par-
tei statt, in welcher von dem Wahlkomitee Herr Albert
Wittn m als Kandidat für den 9. Reichstagswahlkreis
vorgestellt wurde. Nach einer einleitenden Ansprache des
Herrn Fabrikanten Gustav Habermehl begann Herr Wit-
tum, mit Beifall begrüßt, vor einer über dreitausend Köpfe
zählenden Versammlung mit seinen Ausführungen. Nach-

dem der Kandidat die Gründe dargelegt hatte, die ihn
zur Annahme einer Reichstagskandidatur bewogen, wies
er zunächst verschiedene Angriffe, die sich seither gegen
ihn und seine Kandidatur gerichtet hatten, zurück. Und
dies gelang ihm auch mit seiner angeborenen Klarheit,
Ruhe und Sachlichkeit. Hierauf ging der Kandidat darauf
über, zu zeigen, welche Aufgaben den kommenden Reichs-
tag beschäftigen werden und legte seine Haltung diesen
gegenüber in gleicher Ruhe dar. Jn ebenso klaren und
bestimmten Worten kennzeichnete er alsdann das Ver-
halten der Sozialdemokratie und gab an der Hand von
sozialdemokratischen Rednern und Schriften eine Eha-
rakteristik des Wesens der Sozialdemokratie, die nur
zum Umsturz der ganzen Staatsordnung sühre. Auch
das sozialdemokratische Wahlflugblatt wurde gebührend
gewürdigt. Nachdem er die nationalen Bürger aufge-
fordert hatte, am Wahltag ihre Pflicht zu tnn, schloß er
mit dem Motto: Alle Zeit treu bereit. für des Reiches
Herrlichkeit. Mit heller Begeisterung wurde die über
zwei Stunden dauernde Rede aufgenommen. Da freie
Diskussion gestattet war, so meldete sich hierauf auch der
sozialdemokratischs Kandidat Eichhorn zum Wort.
Dieser erging sich in unerhörten Beleidigun -
g en.

* Karlsruhe, 14. Mai. Gestern fand die Sitzung
des E n g e r e n A u s s ch u s s e s in Verbindung mit den
Abgeordneten und Kandidaten der Nati-
o n a l I ib e r a I e n Partei hiersebst statt. Die Ver-
sammlung war, obwohl man vielfach schon in die Agitation
eingetreten ist, aus allen Teilen des Landes zahlreich be-
sucht. Nach den eiugehenden Mitteilungen, die aus den
verschiedensten Wahlbezirken gemacht wnrden, teils von
den Kandidaten, teils von den anderen Vertrauensmän-
nern, sind die Aussichten für die Nationalliberale Partei
sehr günstige.

Nationalliberalc Vcrsammliing in Heidclberg.

Heidelberg, 18. Mai. Gestern Abend fand im
großen Saale der „Harmonie" eine nationalliberale Wäh-
lerversammlung statt. Sie war sehr stark besucht und
nahm einen außerordentlich anregenden und befriedigen-
den Verlaus. Professor Rohrhu r st eröffnete nnd be-
grüßte die Versammlung, besonders auch die zahlreichen
Mitglieder des Jungliberalen Vereines. Angesichts dieses
Zuströmens der JugenÜ sei es nur ein schöner Traum von
uuseren Gegnern, wenn sie von der Selbstzersetzung der
nationalliberalen Partei sprächen. Jm Gegenteil, es regt
sich überall in unserer Partei; es entstehen überall liberale
Vereine, die Organisation unserer Partei wird ausgebaut,
wodurch die Kraft der Agitation erhöht wird. So blickt
die nationalliberale Partei mit frohem Mute in die Zu-
knnst. Redner sprach dann die Hoffnung aus, daß nnser
ausgezeichneter Reichstagskandidat, der vor fünf Jahren
12 000 Stimmen erhalten hat, auch diesmal wieder mit
dem Vertrauen der Mehrheit der Wähler beehrt werde und
er wies die Angriffe, die auf den Kandidaten gemacht
wurden, als sei er ungeeignet und schlecht, mit Energie
zurück: Dann setzte er auseinander, daß wir dieses Mal
keine allgemeine Wahlparole haben. Man habe deu Zu-
sammenschluß aller bürgerlichen Parteien gegen, die So-
zialdemokratie proklamieren wollen und andererseits dsn
Zusammenschluß aller liberalen Parteien einschließlich der
Sozialdemokratie gegen das Zentrum, doch sei keine dieser
beiden Parolen zur durchschlagenden Geltung gelangt.
Man habe diesmal nur Wahlparolen von lokaler Bedeu-
tuug. Was den Wunsch nach einer großen liberalen
Partei anbetrifft, von den Nationalliberaleii bis zur So-
zialdemokratie, so führte der Redner aus, daß eiu solcher
Zusammenschluß nicht möglich sei, so lange die Sozialde-
mokratie auf nationalem Gebiete versage. Wir wollen
aber in dem Kampfe mit den anderen Parteien und auch
mit der Sozialdemokratie nicht vergessen, daß wir alle
Brüder eines Volkes sind, und überhaupt alles Persönlichs
aus dem Wahlkampf möglichst herauslassen. Redner be-
spricht dann die Ehrhardtschen Ausführungeu vom Tage
zuvor und weist dieselben als haltlos zurück. Dann setzts
er sich mit dem Zentrum auseinander, bei welcher Gele-
genheit auch er entschieden alle Kränkuiigen verurteilte, die
einer Religiou vonAndersdenkenden zugefügt werden, aber
andererseits tadelte er aufs schärfste den Mißbrauch der
Religion zu politischen und insbesondere zu Wahlzweckeu.
Es heiße die Majestät Gottes antasten, wenn man Gott,
wie das seitens des Zentrums geschehen, als Wahlagitator
für deu Ultramontanismus aurufe.

Nachdem der stürmische Beifall, welcher der Rede des
Professors Rohrhurst folgte, sich gelegt hatte, ergriff der
Reichstagskandidat Oberamtmann Beck das Wort. Seine
 
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