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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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45. Iahraaiiq

Monta^ 18. Mai 1903.

Erscheint täglich, Sormtags ausgenommen. Preis mit Fümtlienbinttern monmlich r>0 Pfg. in's Hous gebracht, bei der Expedition und den Zweigstationen abgeholt.40 Pfg. Durch di« Poft

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Eine Rede Chamberlams.

Birmingham, 13. Mai. Jn einer hiesigen
Wählerversammlung hielt Kolonialminister Chamber-
lain eine Ansprache, in welcher er erklärte, von der
Reichspolitik in den nächsten Jahren werde es abhängen,
ob das britische Weltreich als freie Nation gegen die ganze
Welt zusammenstehen werde, oder in getrennte Staaten
zersalle, welche selbstsüchtig den eigenen Jnteressen nach-
gehen und dabei die Vorteile verlieren würden, die nur
die Einigkeit geben kann. Wenn es erreicht werden könnte,
daß, wenn Großbritannien in Gefahr wäre, alle Hilfs-
guellen der Kolonien zur Verfügung des Mutterlandes
ständen, würde dies eine wunderbare Errungenschaft sein,
die fast jedes Opfer wert wäre.

Jm weiteren Verlauf feiner Rede bemerkte Cham -
berkain, Deutschland bestehe darauf, Kanada
fo zu behandekn, als wäre es ein Lcmd für sich, und es
weigere stch, Kanada als Teil eines Reiches anzuerkennen,
welches berechtigt sei, Vorzugsrechte für sich in Anspruch
zu nehmen. Deutschland sehe in diesem Vorzugsverhält-
nis etwas mehr als eine häusliche Angelegenheit und habe
Kanada durch Erhebung von Zuschlagszöllen bestraft.
Deutsche Blätter sprachen es ganz offen aus, daß dies
eine 'Politik der Wiedervergeltung sei, darauf berechnet,
andere Kolonien davon abzuschrecken, England die gleichen
Vorteile einzuräumen. Es liege deshalb darin nicht bloß
eine Bestrasung Kanadas, sondern auch eine Drohung
gegen Südafrika, Australien und Neuseeland. Diese Po-
litik werde durch die Annahme gestützt, Großbritannien
sei mit seinem Finanzsystem so eng verwachsen, daß es
seine Kolonien nicht verteidigen könne, und daß jeder,
der es versuche, eine Art von Spezialbeziehungen mit Eng-
land anzuknüpfen, dies auf eigene Gefahr tue, und man
es ihrn überlassen müsse, die Feindschaft des Auslandes
zu tragen. Dies bedeute nichts anderes, als uns in eine
demütigende Stellung herabzudrücken. „Das will ich auf
keinen Fall, und ich weiß, was fotgen wird, wenn man
diesen Gedanken Platz greifen lätzt."

(Ehambertain irrt, wenn er meint, Deutschland wolle
drohen; Deutschland will in Bezüg auf Kanada nichts als
Gerechtigkeit. Die deutsch-englische Gleichberechtigung üe-
zieht stch auch auf Kanada, so beansprucht Deutschlaud in
Kanada dieselben Begünstigungen, die England selbst dort
genießt. Von dieser Ausfassung wird Deutschland nicht
abgehen, mag Chamberlain sagen, was er will.)

Jm weiteren Verlaufe seiner Rede führte Chamberlain
aus, die ganze Lage habe sich seit den Tagen Cobden's
und Brigth's geändert. Die gegenwärtige Lage sei eine
solche, welche die Pioniere des FreihandelS
nicht imAuge gehabt hätten. Er könns nicht
glauben, daß, wenn dieselben jetzt lebten, sie gezögert
hätten, Verträge auf Vorzugsbehandlung und Gegenseitig-
keit mit Engtands eigenen Kindern abzuschließen. Seiner
Meinung nach sei die ganze, der F r e i h a n d e l s I e h r e
gegebene t ü n st l i ch e faIsche AusIegung auf den
kleinen Rest von „Klein-Engländern", dew Anhängern der

KLeine ZeLLung.

— Hochschulnachrichten. Jn Göttingen starb nach lan-
ger, schwerer Krankheit Konsistorialrat Prof. Dr. theol. et phil.
Hermann Schultz., Abt bon Bursfelde, welcher 1874
bis 1876 ord. Prosessor der Theologie in H e i d e lb e r g war.
Cr gehörte wie sein Kollege Ritschl der freien theologischen
Richtung an. Unter seinen Schriften stnd hervorzuheben: „Die
Voraussetzungen der christlichen Lehre von der Unsterblichkeit",
»Zu den kirchlichen Fragen der Gegenwart", Alttestamentliche
Theologie", Die Lehre von der Gottheit Christi", „Das katho-
lische und evangelische Lebensideal", „Zur Lehre vom HI-
Abendmahl", „Grundriß der evangelischen Dogmatik",
»Grundriß der evangelischen Ethik".

— Münchcn, 16. Mai. Bankier Wagner stellte sich we-
gen Depotunterschlagungen dem Gerichte. Ueber
das Vermögen der Bankfirma Woerle u. Wagner wurde Kon-
kurs verhängt.

— Heiligcnhafcn, 12. Mai. Der oertan n t e
Klingelbeutel. Jochen Hamann, ein alter Guts-
laglöhner, der sein Leben lang nicht von der Scholle der
heimischen Teputats-Katenstelle gekommen war, hatte sich
dieser Tage endlich einmal aufgerafft, seinen in Heiligen-
hafen wohnenden Bruder aus Anlatz einer Familienfest-
üchkeit zn besuchen. Im Schmucke eines uralten Geh-
rocks begibt er sich ebenfalls in die Kirche und verfolgt da-
selbst mit ganz besonderem Jnteresse den Umgang des
Klingelbeutets, der ihm unbekannt ist, da diese Einrichtung
in seiner angestammten Dorfkirche längst abgeschafft ist,
weil es sich nicht der Mühe verlohnt, Gaben zu sammeln.
Wer dort einmal einen Pfennig oder gar zwei übrig hat,
lut ihn oirekt in Len ArmenLloL an dcr Kirchentür. Ans-

Manchesterschule, zurückzuführen. Das Land dürfe abok
nicht, soweit Landsleute der Engländer in Betracht kom-
men, durch irgendeine technische Begriffsbestimmung des
Freihandels gebunden werden. Man dürfe nicht zögern,
wenn nötig, zu Vergeltungsmaßnahmen zu schreiten, wenn
immer die zwischen England und den Bürgern seiner Ko-
lonien bestehenden Jnteressen bedroht seien. Chamberlain
sagt schließlich, er glaube nicht, daß die atIgemeinen
Wahlen nahe seien, doch würde, wenn sie kommen,
der Ausfall derselben von der Frage abhängen, ob das Volk
bereit sei, alles zu tun, selbst wenn es gelegentlich gegen
seine vorgefaßte Meinung gehe, was nötig sei, um das Reich
zu festigen,, das nur durch Jnteressenbeziehungen ebenso-
wohl, als durch Gesühlsbeziehungen erhalten werden
könne.

Deutsches Reich.

— Der ErbPrinzBernhardvonSachsen-
Meiningen, bisher kommandierender General des
6. Armeekorps, ist nach Meldung des „Meining. Tagebl."
vom Kaiser zum General-Jnspekteur der 2.
Armeeinspektion ernannt worden. Zu der Jn-
spektion, die-nach Meiningen Verlegt werden soll, gehören
das 5. und 6. prenßische und die beiden sächstschen, 12. und
20. Armeekorps.

— Der Kaiser ernannte aus dem Paradeselde in
Metz den Gouverneur von Metz, Generat der Jnfanterie
Stoetzer, zum kommandierenden General
des 16. A r m e e k o r p s. — Louis Stoetzer, geb. am
1. August 1842 zu Römhild im Herzogtum Meiningen,
trat nach Absolvierung der Realschule in Meinmgen aii'.
17. April 1861 als Freiwilliger beim damaligen sachsen-
meiningenschen Jnfantericregiment ein, wurde 1863 znm
Leutnant und 1866 zum Oberleutnant befördert. Jm
Jnfanterie-Regiment Nr. 61 nahm er am Feldzug gegen
Frankreich teit, konnte allerdings crst während der Bela-
gerung von Paris zur Feldarmee kommen, da er anfangs
zum Ersatz-Bataillon kommandiert war. Er besuchte 1871
bis 1873 die Kriegsakademie, wurde 1874 Hauptmann
und Lehrer an der Kriegsschule in Kassel, bis er 1879 als
Kompanieches zum Grenadier-Regiment Nr. 110 versetzt
wurde. 1881 zum Großen Generalstab versetzt, war er
dem Stab der 29. Division des 13. Armeekorps und zuletzt
dem Großen Generalstabe zugeteilt, in dem er 1888 Ab-
teilungschef wurde. Drei Jahre später erhielt Oberst
Stoetzer das Jnfanterie-Regiment Nr. 32 in Meiningen.
1894 wurde er Generalmajor und Kommandeur der 31.
Jnfanterie-Brigade in Trier und 1898 Generalleutnant
und Kommandenr der 30. Division in Straßburg, von wo
er 1901 als Gouvernenr nach Metz tarn. Jn dieser Stsl-
lung rückte Exzellenz Stoetzer im Januar 1903 zum Ge-
neral der Jnfanterie anf.

— Der Reichskanzler Gras v. Bü l o w hat es schon
lange mit dem Bund der Landwirte verdorben.
Jn welchem Ton aber die Matadore dieses Bundes vom
ersten Beamten des Reiches zu reden belieben, ersieht man

merksam steht Jochen Hamann zu, wie der Mann mit den
früher einmal weiß gewesenen Handschuhen, deren Finger
in weiser Vorsorge aus den Zuwachs- angefertigt sind, das
seltsame Stoffgehängsel jedem Gemeindcmitglied hinhält
und wie die Mehrzahl der letzteren mit einem leisen Kopf-
schütteln dankend ablehnt. Endlich kommt der Mann auch
zu Jochen Hamann, 'der schon eine Weile unruhig auf der
harten Bank hin- und herrutschte und nun ebenfalls den
Kops schüttelt und dern Gabensammler verlegen znrnft:
„Min Mütz is't ok nich".

— London, 15. Mai. Die drei deutschen Seeleute,
die vor dem Schwurgericht in Liverpool unter der Anklage
standen, im Dezember vorigen Jahres den Kapitän und sechs
Leute von der Mannschaft der Barke „Veronika" ermordet
zu haben, wurden gestern der Tät schuldig befunden und zum
Tode verurteilt. Einer der Mörder, Monson, wnrde
in Anbetracht seiner Jugend und bisherigen Unbescholtenheit
der Gnade des Königs empfohlen.

— Mit dcm Kutscher der Familie cntslohcn ist in Lei-
cester eine reiche junge Dame, die im Hause ihres Onkels
wohnte, und hat sich in Bolton mit ihm trauen lassen. Der
Kntscher kam darauf selbst nach Leicester zurück, um seine
Sachen abzuholen. Er wird als ein angenehmer und in-
telligenter junger Mann geschildert, der in der Aeomanry
den Feldzug in Südafrika mitmachte. Er hatte der jungen
Dame Reitstunde gegeben, und bei dieser Gelegenheit war
ein Liebesverhältnis entstanden. Die Familie der Miß
Kaye, oder wie sie jetzt heißt, Mrs. Smith, versucht, die
Ehe des jnngen Paares rückgängig zu machen. Die junae

beispielsweise aus folgender Mitteilüng der „Freis. Ztg."r
Das Mitglied des Herrenhauses, Majoratsbesitzer v o rr
Burgsdorff hat in einer Versammlung in Pilgram
im Kreise Lebus erklärt, daß der Bund der Landwirte dockp
zu einem Reichskanzler kein Vertrauen haben könne, dessen
Kenntnisse in der Landwirtschaft nicht weiter reichen, als
'Laß man aus Gras Heu mache und einen Bullen nicht
melken könne.

Badcn.

Freiburg, 15. Mai. Welche Früchte die kon-
fessione lleVerhetzung der Ultramontanen zei-
tigen kann, zeigt wieder ein Vorkommnis, das uns von zu-
verlässiger Seite mitgeteilt wird. Zu einem bekannten
katholischen Buchbinder war von evangelischer
Seite ein Gesangbuch zum Einbinden gegeben worden.
Als nach wiederholtem Anfragen der Buchbindermeister
die Arbeit immer wieder auf die langs Bank schob, bat der
betreffende Austraggeber um Rückgabe 'Les Buches, damit
er die Arbeit einem anderen Geschäft übergeben könne.
„Ja, tun Sie das," erwiderte der Buchbinder, „eim
evangelisches Buch binde ich überhauptz
nicht!" Diese Aeußerung zeugt von einem bedauerlichen
retigiösen Fanatismus, der einem Geschäftsmann, welcher
viele Protestanten zu seiner Knndschaft zählt, ganz beson-
ders schlecht ansteht.

Karlsruhe, 17. Mai. Der Landesvorstand der
Jungliberalen Vereine Badens beruft die
Vertreter der dem Landesverband angehörigen Vereine
auf Donnerstag, den 21. Mai, vormittags halb 12 Uhr
zu einer Versammlung nach Karlsruhe in den oberen Saall
des „Krokodil".

Elsaß-Lothringen.

— Der Chef des Mlitärkabinetts v. Hülsen-
HäseIer ertitt während des Exerzierens eine Herz-
affettion und wurde in das Lazarett gebracht. Der Kaiser
besuchte mit dem General v. Stötzer den bisherigen kom-
mandierenden Gensral des 16.Armeekorps Grafen Häseter
und verweilte eine halbe Stunde. Nach dem Besuche bei
dem Grafen Häseler fuhr der Kaiser nach dem AmPhi -
theater, wo Bezirkspräsident Graf Zeppelin-Asch-
hausen und andere Persönlichkeiten bei dem Empfang
anwesend waren. Jn der Mitte der Arena war ein Tisch
aufgestellt, auf dem die Pläne des Amphitheaters ausge-
legt waren. Zunächst erklärte Major Schramm die Aus-
grabungsarbeiten des Amphitheaters bei der später in und
auf ihm erbauten Kapelle, der Festungsmauern usw. Nach
einstündigem Besuch in dem Amphitheater begab sich der
Kaiser nach dem Bahnhos und fuhr nach Knrzel, wo er
6 Uhr 30 Minuten abends eintraf und von dort in offe-
nem Wagen nach Schloß UroiIle fnhr. — Die Kai -
serin frühstückte nach der Parade auf deiy Uebungs-
platze bei Frascati bei dem Grafen nnd der Gräfin Zep--
pelin und fuhr sodann nach Schloß Urville.

— Vom 2. Juni ab kömmt auf einzelnen
Strecken dcr Reichsbahnen zur Erleichterung
der Abfertigung und Durchführung der Personenzügs

Kutschersfrau bringt ihrem Mann ein Vermögen von
40 000 Pfnnd Sterling mit.

— Von cincm Libcralcn dcr „Frcicn Stimme" gc-
widmct! Mit dieser Ueberschrift sendet dcr „Konst. Ztg."
ein Leser folgeüde Zeilen, die den 'Nagel auf den Kops
treffen:

„Bei Euer Seelen Seligkeit
Wählt nur nicht liberal;

Sonst mützt dort in der Ewigkeit
Jhr leiden Höllcnqual!" —

So jammert dreist die „Freie Stimm",

Sie weitz es ganz gewitz,

Datz keiner, der nicht Zcntrum wählt,

Je sieht das Paradies.

Doch richten wird bekanntlich nicht
Uns einst die „Freie Stimm",

Weil Christus ja ganz deutlich spricht,

Datz E r uns richten will.

Dann fragt Er nicht, ob liberal
Oder ultramontan,

Er fragt uns nur, ob wir als Christ
Auch unsere Pflichtgetan!

Was aber zählt zur Christenpflicht,

Das hat er oft gezeigt, '

Wenn Er von Feindesliebe spricht - '

Und von Friedfertigkeit.

Drum stellen wir das Richten auch
Nur Jhm allein anheim;

Von Jhm aus ist's gewiß erlaubt,

Auch liberal zu sein.
 
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