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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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Das blutige Drama in Velgrad.

Alle Welt ist sich darüber einig, daß König Alerander
!An schreckliches Ende durch seine Mißheirat herausbeschwo-
hat; Fran Dragw und ihr Anhang haben den König
^rhgßt gemacht, zumal sie oerstanden, ihn sür ihre Jn-
^ressen in einer Weise anzuspornen, die als Ungerechtig-
sdit und Willkür gegen andere empfunden wurde. Dazu
Hochmnt der Frau Draga und ihres Anhanges. Mit
dewalt wollte 'Frau Draga Achtung und Ehrerbietung
Erzielen: rachsüchtig verfolgte sie jeden, der sich ihr nicht
. ^ugte. Illl der Haß, den sie erregte, richtete sich auch gegen
König. Tas Schlimmste war, daß der König sich dazu
^rstand, süc den Bruder der Draga sich einzusetzen, damit
i'ieser zani Thronerben von der Nation angenommen
^erde. Ten rohen unbegabten Patron, der sich als
^chwager des Königs widerwärtig aufblähte, mochte nie-
sUand, den Brüd'er einer Draga, welcher sich die Türen
7^r europäischen Höfe verschlossen, erst recht niemand.
du Versuch des Königs, den Nikodem Ljunewica als
^hronerben proklanüeren zu lassen, schlug fehl; angesichts
"rr Stimmung der Volksvertretnng konnte der Plan nicht
uusgeführt werden. Dann soll nun der König seinen letz-
Staatsstreich gerade in der Absicht unternommen ha-
Urn, eine seinem Plan gesügige Skupschtina zusammen zu
i^ommen. Letzteres ist auch in der Tat eingetreten.
^fr Fall, daß Nikodem Ljunewica zum Thronfolger er-
^,art würde, war also erheblich näher gerückt. Jn diesem
^inne wird in Pest, wo man über serbische Angelegen-
hriten gut unterrichtet ist, erzählt:

^ Die geplante Ausrufung des Nik. Ljuncwica, des Bru-
Urrs der Königin Draga, zum Thronfolger wird allgemein
uis u n m i t t c I b a r e r Anlaß des Belgrader An-
Ahrges bezeichnet. König Alerander hatte vor wenigen
^gen diesen Plan einigen höheren Offizieren mitgeteilt
Uud hinzugefügt, die Ausrusung werde erfolgen, sollte
^uch über ganz Serbien der Belagerungszustand ver-
'hhugt werden. Ein hier lebender höherer serbischer Offi-
der das Heer unlängst verlassen hatte, erklärte, er
Uabe dies aus dem Grunde getan, weil voransznsehen war,
"aß die Erbitterung, die das Osfizierkorps über die Aus-
^ufung Ljunewicas als Thronerben, der als ein roher,
^ufähiger, niedrigen Leidenschaften fröhnender Offizier
uu Heere verhaßt war, sich dnrch einen Anschlag Luft
.uchen werde. Als treuer Anhänger Milans habe er an
Uueni Unternehmen gegen dessen Sohn nicht teilnehmen
^°Üen und daber das Heer verlassen.

5. üleber die Cinzelheiten des fürchterlichen Dramas be-
^chten die Belgrader Blätter vom 12. ds. folgendes:

'kL. ^ Offiziere aller Waffengattungen waren in das
T^beimnis eingeweiht, das streng zn wahren gelang. Eine
^oße Anzahl war im Lause der letzten Tage nach Belgrad
Mkommen, vorgestern Nachmittag berieten sie zuerst zu-
Uirnen im Stadtpark Kalimegdan, alsdann speisten sie
.^üieinsam ini Offizierkasino unter sortwährendem Auf-
büleu des Marsches der Königin Draga und des Kolo-
^Uzes, uin den Verdacht abzulenken, als seien sie Feinde
br Königin. Um 1 Uhr 40 Minuten drangen sie durch
us Schlcch in den Hof ein, nachdem sie die Wache ent-
^Pfnet hatten, wobei ein Gefreiter verwundet wurde.
Tynamit sprengten sie die Türen des Schlosses, wobei
Oberstleutnant Michailo Naumowitsch, dcr um die
^^richmörung wußte, umkam. Zunächst drangen sie in
Zimnier des iiberaus verhaßten Freundes der Kö-
Pm, des Generaladjutanten Lasar Petrowitsch. Dieser
ÜWe den Versteck des Königspaares auf dcm Boden des
t "u Schlosses zeigen. Ter König wollte nur hervor-
Uimen aus die Versicherung auf EhrMwort, daß ihm
ben Offizieren nichts geschehe, auch wollte er im An-
oficht Todes die in letzter Zeit über den Zwist mit
h ^önigin Draga verbreiteten Gerüchte widerlegen, wes-
^ w ex s i x dreimal küßte. Darauf krachten R e -
. ° i v e r s ch ü s s e, b e i d e s ch w a m m e n i m B l u t e,
^vrden hernntergezerrt und zum Fenster hinaus in den
ch^^on gemorfen. Als man die Leichen später von dort
> oas Schlobgebäude trug, soll der russische Gesandte
öchfikow zugesehen haben, was erklärlich ist, da die Ge-
"tschaft gegenüber liegt. Ueberall hatte man vorher,
fo^' Eüuigspaar snchend, die Gemächer und Säle durch-
ü icht; xj,i Hofbeamter hatte versucht, die Verschwörer
Zu führen durch die Behauptung, das Königspaar
^ '^^rschwniidcn. Der Koiumandant der Donaudivision,
Oberst Demeter Nikolitsch, wollte die TruPPen aus
b^uachbartcn Lager gegen Belgrad führen. Er wurde
^°u zwei Verschwörern, nämlich dem Hauptmann
"u Petrowitsch und dem Qberleutnant Gagowitsch,
u^urnt. Dabei wurden Revoloerschüsse gewechfelt uno
Vrei Osfiziere fielen außerhalb Belgrads im Feldlager.

Der Premierminister Zinzar Markowitsch wurde
unter Führung eines Offiziers in seiner Privatwoh-
n u n g aufgesucht unter der Ausrede, es riefen dringende
Geschäfte, er sei genötigt zu erscheinen. Beim Heraus-
treten durchbohrten ihn sechs Kugeln. Jn dieser Todes-
nacht wurde ihnr eine Tochter geboren, sein Schwiegersohn
kam um wie er selber. Gleichzeitig wurden die Chefs
aller Belgrader Polizeireviere durch Militärs erfetzt. Hart-
näckigen Widerstand leistete nur die dem Konak zunächst
gelegene Bkannschaft. Nach einigen Militärsalven salutier-
ten die Gendarmen und erkannten die neue Ordnung an.
Als Anführer der Verschwörer nennen die meisten Zei-
tungen außer dem Qberstleutnant Mischitsch jetzt noch den
Major Luka Lasarewitsch, also nicht mehr den Schwager
der KLnigin, Maschin. Die Brüder der Königin Draga
wollten zu Hilfe in den Konak eilen, wurden jedoch auf
dem Wege ergriffen und zum Platzkommandanten ge-
bracht und dort bald darauf auf Befehl des Majors Jowan
Pawlowitsch von zwei gemeinen Soldaten erschossen. Jhre
Leichen wurden in die Kapelle des Militärlazaretts ge-
bracht.

Ob diese Darstellung, wie fie von den Belgrader
Blältern gegeben wird, eine richtige und erschöpfendc ist
oder nicht, bleibe dahingestellt. Gewöhnlich Pflegt der volle
Sachverhalt erst nach und nach bekannt zu werden. Die
Leichen des Königspaares sollen arg verstümmelt aus-
sehen. Beiin Hinunterwerfen aus dem Fenster brach bei
dem König wie bei der Königin die Wirbelsäule, was ärzt-
lich festgestellt worden ist. Die S-chwestexn der Königin
leben; sie werden bewacht.

Die Leichen des Königspaares wurden nachts 11 Uhr
in der Familiengruft der Obrenowitsch in der Kapelle auf
d-em alten Friedhof zu St. Markus beigesetzt. Die
Emsegnung vollzogen sieben Geistliche. Die Trauerfeier,
die sich in aller Stille vollzog, dauerte von If^ Uhr bis 3
Uhr morgens. Die übrigen Opfer der Bluttat wurden
oder werden im Lauss dss Tages aus dem neuen Friedhof
eingebettet, nur der Oberstleutnant Naumowitsch soll ein
öffentliches Gegräbnis erhalten.

Die „Nationalztg." veröffentlicht eine Unterredung
ihres Belgrader Korrespondenten mit dem Oberstleutnant
M i s -ch itsch , einem der Hauptverschwörer. Dieser äu-
ßerte: Wir waren unserer viele. Ob ich od-er ein anderer
zuerst schoß, darüber bestehen eigentlich nur Vermutungen.
Uns ist die Hauptsache, daß unser Werk gelungen ist. Wir
leisteten dem Vaterlande einen ungeheuren Dienst und sind
befriedigt von unserem Erfolg. Gegen den Adjutanten
Lazar Petrowitsch feuerte der als vorzüglicher Schütze be-
kannte Hauptmann Milko Ristitsch den ersten Schuß. Er
traf Petrowitsch in die Stirns, sodaß er sofort tot war.

Für die Auffassung der Schreckenstat durch die Bel-
grader Presse ist eine Auslassung von „Moli Jouran"
bezei-chnend: 'Dieses Blatt verherrlicht die Ermordung des
-Sohnes des serbischen Neros, Milans, der Serbien vor
aller Welt erniedrigt habe. Der blöde Sohn dieses serbi-
schen Neros sei von der Hand serbischer Offiziere gefallen
und das habe er verdient.

Eine Freundin der Königin Natalie von Serbien er-
zählte einem Berichterstatter, daß die Königin, als sie die
Belgrader Schreckenstat erfuhr, ausgexufen habe: „Mein
unglücklicher Sohn, warum mußte er dieser verhängnis-
vollcn Frau begegnen!" Dann wurde ste von einer schreck-
lichen Nervenkrise befallen, sodaß sie den Bericht über die
Ereigniss-e von Belgrad nicht bis zu Ende hören konnte,
obgleich er ihr mit aller Schonung mitgeteilt wurde.

Am Montag nimmt die Skuptschina die Königswahl
vor. Es unterliegt kaum einem Zweifel, daß die Volks-
verlretung der Wahl, welche die Armee schon getroffen hat,
zustimmen wird und Peter Karageorgiewitsch
zum König von Serbien proklamieren wird.

Eine Bedrohung des Kaisers von Oester-

reich.

II Wicn, 12. Juni. Als der Kaiser heute nachmit-
tag um 6 Uhr mit d-em Flügeladjutanten Major Drian-
kourt von der Hofburg nach Schönbrunn fuhr, trat dem
Kaiser in dcr Mariahilferstraße ein Mann mit drohend
erhobenem Tolch entgegen. Der Kutscher der Hofeguipage
versctzte ihm mit der Peitsche einen Schlag über die Hand.
Unterdessen nahmen Passanten und ein Si-cherheitswach-
mann den Mann fest. Auf dem Polizeikommissariat wurde
festgestellt, daß der Mann 27 Jahre alt und irrsinnig ist,
Jakob Reich heißt, Handelsagent ist und b.ereits in einer
Jrrenanstalt interniert war, und gegenwärtig ohne Be-
schästigung ist. Derselbe ist bereits am 2. Januar d. I.
mittags im Zeremoniendepartement der Hofburg erschie-

nen und erklärte dem Beamten, er möchte ihn iu einer für
das Reich Hochwichtigen Angelegenheit sprechen. Man er-
kannte ihn schon damals als irrsinnig, insbesondere als er
ans Befragen erwiderte, er sei Gottes Sohn und habe dem
Kaiser höchst wichtige Mitteilungen über die Affäre der
Prinzessin Luise von Sachsen zu ma-chen. Damals wurde
er nach der psychiatrischen Klinik verbracht und befand sich
bis jetzt im städtischen Versorgungshaus.

Aus dieser Darstellung ergibt sich, daß der Sache eine
politische Bedeutung nicht innewohnt, sondern daß man
cs mrt der Demonstration eines GeistLskranken zu tun hat
und daß die Gefahr für den Kaiser keine sehr ernste ge-
wesen ist.

Zur Wahlbewegurig.

86 Pforzheim, 12. Juni. Die sozialdemokra-
tische Presse verbreitet mit durchsichtiger Tendenz die Mär,
der nationalliberale Reichstagskandidat Albert Wittum
sei schwer e r k r a n k t. Jn Wahrheit ist aber Herr
Wittum körperlich gesunder wie j e. Seine
Freunde sind erstaunt, mit welch außerord-entlicher körper-
licher und geistiger Frische er unermüdlich unseren Wahl-
kreiZ bereist, bald im Murgtal, bald an der Pfinz und
Enz und Würm seine Wahlreden und Wahlbesprechungen
abhält, um unseren Wahlkreis von der Sozialdemokratie
zurückzuerobern. Wenn das, was man in unserem Kreise
unter Mitwirkung sehr vieler aufopferungsfähiger Männer
an intensiver Wahlarbeit leistet, von keinem Erfolg be-
gleitet sein sollte, dann kann nichts mehr helfen. Die
Aussichten, daß unser Kandidat in die Stichwahl kommt,
sind aber sehr günstig.

80 Karlsruhe, 12. Juni. Die Stimmen des
ultramontanen Volkes! Das. Konstanzer Zeiitrnmsblatt
berichtet von d-er Z e n t r u m s v e r s a m m I u n g in
-Obernhldingen: „Die trefslichen Ausführungen des Herrn
Psarrver w eser Farrenkopf-Ludwigshafen, KaP -
l a n Weber-Pfullendorf, P f a r r v e r w e s e r Heim-
burger-Seefelden fanden lebhafte Zustimmung. Die Ver-
sammlung war offenhar ein Konzil en ininiaknrk!

Mosbach, 12. Juni. Es wird erlaubt sein, so
schreibt die „Bad. Neckarztg.", heute darau zu erinnern,
daß vor bald drei Wochen Herr Kandidat Michaely
der „Neckarzeitung" eine Erklärung cinsandte, wonach er
dem Zentrum gegenüber keine Zusagen gemacht hab ö.
Wir haben darauf im Jnteresse der gesamten Wählerschaft
an Herrn Michaely einigc Fragen gerichtet, insbesondere
bezüglich seiner Stellung zum Ie s u i t e n g e s e tz, die
bis auf den heutigen Tag ohne Antwort gebliö-
ben sind. Ja, in einer Versammlung im Bezirk Eberbach
erklärte Herr Neureuther: der Herr .Kandidat werde d e r-
artige Anfragen n i ch t b e a n t w o r t e n. Herr
Michaely sekbst soll geäußert haben: er verweigere die Ant-
wort, weil er kein imperatives Mandat annehme. Wir
glanben an diese Aeußerung nicht, weil sie ein barcr lln-
sinn wäre. Ilnter einem imPerativen Mandat
versteht man die Uebernahme der Verpflichtung seitens des
Kandid-aten, nur so zn stimmen, wie es seine Wähler ihm
vorschreiben, also seine Ueberzeugung der ihrigen unter-
zuordnen. Das hat ja aber von Herrn Michaely noch gar
kein Mensch verlangt; man will nur wissen, was seine
freie U e b e r z e u g u n g, was seine Absicht ist
in Bezug auf eine sehr wichtige F-rage, um darnach ihm die
Stimme zu geben oder nicht zu geben. Die Weigerung des
Kandidaten, in so brennender Frage Rede zu stehen, ist
aber mehr als bedenklich. Und die Art, mit der eigenen
Ueberzeugung (denn Herr Michaely hat doch wohl eine
solche) hinter dem Berg zu halten, verdient — milde aus-
gedrückt — den Borwurf -der Zweideutigkeit. Stimmen
müßte ja Herr Michaely im Reichstag, wenn das Jesuiten-
gesetz auf die Tagesordnuiig komint. Stimmt er gegen
dieIesuiten, dann verstößt er gegen die Erwartung
eines großen Teiles der katholischen Wähler, stimmt er
sür die Iesuiten, dann empört er die erdrückende
Mehrheit der übrigen, insbesondere der protestantischen
Wähler. Neutral sind ja in dieser Frage nur sehr wenig
Lente unter d-ein Landvolk. Das Stillschweigen bedeutet
also eine Täuschung des einen o'der des anderen Teiles
und viele Anzeichen sprechen dafür, daß dies Hinhalten,
diese Täuschung auf Absicht beruht. Man will sich damit
die Wahlhilfe des Zentrums sichern. Es ist
jetzt schon, wie uns aus verschisdenen Dörfern gemeldet
wird, unter den d-ortigen Zentrumsleuten
ausgemacht, im e r st e n W -ahlgang für Mi -
chaeIy einzutreten. Ja, aus einem paritätischen
Ort berichtet man uns, daß der katholische Herr Pfarrer
für Herrn Michaely wirke. Das kann dieser Geistlichs

nicht ohne Z e n t r u m s g e n e h m i g u n g. Das Zen-

Die heutige Nummer umfuyt vier Vlätter, zusammen 16 Seiten.
 
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