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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0157

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«d-

«rscheint täglich. SonntagS misgenommen. PreiS mit FannlienLlättern monatlich 60 Pfg. in's HauS gebracht, bei d«r Expedition und den Zweiganstalten abgeholt 40 Psg. Durch

die Post b-zogcn vierteljährlich 1.35 Mk. ausschliehlich Zustellgcbühr

«ns.igenpreiS: 20 Pfg. für die lspaltige Petitzeile oder d-ren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts. und Privatanzeigen ermäßigt. - FUr di- Aufnahme von Anzeiger:
-n bestnnmten Tagen w.rd kerne Vevantwortlrchkest übernommen. — Anschlag der Jnscraie auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und d-n städt. Anschlagstellen. Fcnisvrecher 82

Rütorv üöer den Kaiser nnd üöer unsere
ausivärtige UoMik.

^ 7L>r haben zwar üüer dic Mirrwochsrede dcs Reichskanzlers
E ülow schon in Wrze berichtet und die Grundge
wiedergegebcn, wollen aücr, weil sie das dc
^«tte Perhälrnis zivischen jtaiser und Kanzler bctriffr urid di>
»»dlinien dcr Auswürtigeii Politik Deutschlands zeichnet
noch ausführlicher darauf eingehen

hie

^üeu, dah gcrade in Denrschla n d, tvie Herr v. K'ärdorff
hcn rr.^cht hervorgehoben hat, das llnrernehmcrturn viel geleister
ez .'i. die Hebung der unreren Klasscn (sehr richrigl), dasz
tz chüsächlich nritgewirkc hat an dcm Ausban unserec sozialen
lj ^Aiebung. Aber es licgt in der menschlichcn Nainc und es
schbf >m menschlichen EgoiSmus, dah hier dic eine Gcsellschafts-
„„M Opfer zugnnsren einer andern Gesellschafrsschicht nnr
und deshalb ist es die Pflicht des S t a sti e s
ch ^ cs die Pflichr der M o n a r chie, für auSglei -
d ud-s Recht zu sorgen, indem sie sich hnteri, Dinge zu
^ laiugeii, welche die Konkurrenzfähigckit der Nation anf dem
dj"lurarrk bceinrrüchtigen oder erschüttern könnten, aber auch
kxz-^tbeitgeber und die Unternehmer auffordert und ermahnt,
stiio 0 uiitzuwirken, damir die Klassendifferenzcn immcr mehr
!„x^iiie,ischrumpfcn, damir die ärmeren Klassen wohlhabender
i„ n, damit immer mehr cin Aufsreigen von den untercn
y,j, reichereu iiud ivohlbabciwcren Lchichtcn vcr Bevölkerimg,
fj„j. »»beren Worten, ein sozialer Aufs ch w u n g, statt-
Sl„.-K- Das >st mein sozialpolitisches Bekenntnis, das ist die'
NwMf.der verbündeten Rcgierungcn und die Ansicht, der Se.
z„ ststüt in dem Marginal Ausdruck gegebcn hat, das verlesen
ist>, '' »>ckst bedauere. Was nun die Schlutzbemerkun-
r, Richters angeht, so möchte ich mir rückhaltloser
1 1 darauf das Nachstehen.de erwidern. Jn jedem
Ijz,'?kurio!iellen Staat sind die M i n i st e r, urrd ist nament-
k. I der r»n——L--n d i b i d u a-

ünter uns allen,

Also Graf Bülow sagte: Jch bin weit entfernt

zu bc-

ljch'. kurronellen Ltaat jind die M r n i jt e r, urrd
lij - r leitende Staatsmann genötigt, mit dern!

se st ^ des M o n a rch e n zrr rechncn. Wie nnter _

es auch unter den Fiirstcn schwächere und stärkere Jn-
i>i,„,."?.stläteir. Je stärker imd je ousgevri grcr die Jndivi-
tzj,,,ltac eines Monarchen ist, nmsomehr wird er gcneigt sein,
äu gewinnen auf den Gang dec St a a t s g es ch ä f t e.
äich, . "durch einem veranrwortlichen Miiiister seine Aufgabe
t>ej,- "»mer erleichtert wird, dacin hat der Abgeordnete Richter
zijg^»»nen recht, nnd deshalb habe ich zn seinen hieraufbe-
Z^ichen Ausführuugeir genickt. Aber auf der a n d e r e n
gx„ !st e toollen wir doch nicht bergessen, dah eine stark aus-
und begabte Jndividualitür eines Fursten für seiu
tkch st > cht zu u ,iterschähen ist, von sehr großem Vor-
Tn Weim Sie sich davon iiberzcugen wollen, so gehen
daS A u s l a u d. Ich habe lange Jahre im Ausland
l'ehr »cht ,,„tz jch habe j„ ausgesprocheu parlamenrarisch,
!sx dnrlameistarifch rcgierten Ländern sehr vicle gerroffen,
!>k„ , .! einer ganz aiidcrn Haltung der Monarchie eiiwerstan-
>i„,^»»reii, sehr viel, die sich einen stärkcr akzentnierten Mo-
i>m.jfj» WLuschten. Urrd auch diejcnigen, die mit dem Gang
>iy„. Politik nicht einverstandcn sind, sollren doch nrcht so
>>„,,.sbcht stj„ fj,r das große tatkräftigeStreben
Kaiscrs, die sollren doch nicht nngcrccht sein für den
sej,»!» Zug in seinem Wesen, die sollten doch nicht ungerecht
Ä j j°»>ür, datz er. einen freien und vornrteilsfreien
^ir, ^ d»t. Dns fage ich ohne jeden Byzantinismus. Aber an

iikrf^stser ist nichts KlcittlicheS, imd was Sie ihm auch vor-
ejj^» Mügen, ein P h i l i st e r i st e r ii i ch t (Grotze Heiter-
. < - j„ diesem

rmd Beifall.) Mit
erwahruug dagegerr ein,
p r o n o n c i e r t e Angrifse, wie
rmd gewählter Form der Abgeordnete
ltellung machte, gerichtet werden gege.n
nicht gcgen die Minister. Das iimcrste

Zusrimmung), rind das ist sehr vicl
^i,j.s!st»>dert. (Arihstltcnde Hcitcrkeit rmd
^äenheit aber lcge ich V

d'L

Rriffe und so
sthr geschickter

Wesen des konstitutionellen Staates besieht darin, datz der
Monarch staatsrechtlich nicht verantwortlich ist. Wenn Sie
also Anfragen erheben wollen gegen irgend welche Hand-
lungen des Monarchen, fo sind dieselbcn zu richten an die
Person des verantworilichen Reichskanzlers. (Fischer-Berlin
ruft: Der Präsident erlaubt es ja nichtl) Jch wützie mich
nicht zu erinnern, dah ich mich dieser Verantwortlichkeir ent-
zogen hätte. Und wenn ich diese Berantwortlichkeit zu tragen
nicht mehr imstande wäre, nach den gegebenen Crklärungen
nicht mehr pro forma, sondern in Wirklichkcit nnd in dem
einzigen Bestreben, dem Lande zu dienen, wie es meine Schul-
digkeit ist, toiirde ich dem Z w i e s p a l t der Auffassung zwi-
schen dem Monarchen nnd inir dadurch ein Ende machen, datz
ich Se. Majestüt bäte, mich in Gnaden nwiiies Amtes zu erst-
heben. So lange ich aber an dieser Stelle stehe, bitte ich, fiir
etwaige Angriffe nicht die Allerhöchste Person zu wählen, son-
dern dic Angriffe g e g e n mich zu richten. (Lebhafter Bei-
fall.) Jch bin überzengt, datz, wenn Sie sich diese staatsrecht-
liche Aiiffasstmg aneigncn, der Gang der Gcschäfte nur gewin-
nen wird. Ganz kiirz möchte ich noch kornmen anf cine Be-
merknng dcs Abg. v. Licbermann odcr vielmehr auf eine
Aentzerung meines verchrten Freundes v. Kröcher, die er sich
zu eigen gemacht hai, nber die zu grotze Liebenswnrdigkeit
nnd zu grotze Freundlichkeit, soll wohl heitzen allzu große
«chiväche, unserer a u S w ü r t i g e n P v l i t i k. Merk-
tviirdig ist nnr, daß, wührend uns hier von manchen Seiten
diese Vorwürfe gemacht werdcn, wir wären zu liebcnswürdig,
in dcmselben Augenblick in auswärtigen Blüttern wir Berichke
zn lesen bekommen, wir wären im höchsten Grade unliebens-
wiirdig. EinS ist so imrichtig wie das andere. J-nsbesoiidere
isi es eine völlig falsche Auffasstmg, datz wir uns irgend jemand
a » den Kopf würfen. So hysterisch find wir gar nicht
angelegt. (Heiterkeit.) Wir haben anch gar nicht nötig, ir-
gendwo zu wcrben (Beifall), wir laufen niemand
n a ch. (Beifall.) Wir brauchen die andern nicht mehr, wie
sie uns brauchen (Beifall), und wir denken gar nicht daran,
nm irgend jemandcs schüner Augen willen irgendwelche realen
dcutfchen Jnieressen zn opfern. (Znstimmung.) Aber jeder
5kaufmann wird Jhncn sagen können, datz Geschäfte nicht
„otwendig mit fchlechten Maniercn geführt zu werden branchen.
(Le'bhafte heitere Znstimmung.) Grobheit ist noch nicht
Wiirdc, imd K r a tz b ü r st i g k e i t ist nicht Festigkeit. (Bei-
mll.) Ein ewiges Keifen und Schelten und Schimpfen übcr
daS Auöland, wie ich es hicr nnd da, glücklicherweise nur scl-
ten, in dcutschcn Blättcrn zn lesen bekomme, ist noch kein Be-
weis eincs richtigen Natioiialbewutztseins. (Lebhafter Beifall
links.) C h a u v i n i s m n s nnd V a t e r l a n d s l i e b e
sind nicht identische Begriffe. (Sehr richtigl bei den Sozial-
demokraien.) Wenn die Kunst cincs cniswärtigen Mmistcrs
darin gipfelte, von Zeit zu Zeit mit der^ Faust auf den Tisch
zu schlagen, dann kömste ja mancher Minister des Aeutzern sein.
(Srürmische Heiterkeit.) Wir können nicht als Jndianer
hernmlmifen, die bei jeder Gelegenheit den Tomahawk schwin-
gen und hente diesen, morgen jenen fremden Skalp verlangen.
(Heiterer Beifall.) Die Zeiten, wo die Deutschen im
Auslande dem Auskande gegenüber zu bescheiden auf-
traten, si»d Gott sei Tank voriiber, nnd Sie köimen versichert
sein, datz ich oiese Zeiten nicht wieder herbeiführen werde.
(Beifall.) Wir wollen aber auch nicht in den Fehler verfallen,
dcn tvir andern oft genug als Hochmut und llebermut vor-
geivorfen haben. Wir wollen, wie ich schon einmal, ich glaube iu
Bczug auf nnsere Politik in Ostasien gesagt habc, nir-
gen'dwo das Aschenbrödel spielen, aber auch
iiick, tdcnReno m m i st e n. (Beifall der Sozialdcmokra-
ten.) Den Grotzsprecher wollen wir auch nicht spielen (Sehr
gnt!), sondern den ruhigcn, festen Mann, der, wie es immer
gntc dentschc Art gewesen ist, ohne Schwanken, ohne un-
nötige Probokation und ohne Maulhcldentum die Seinen schiitzt.
(Lebhafter Bcifall.)

j Aer neue öfferreichisch-ungarische AoMarif

isi in mancher Bezstchnng de-m d e » t s ch e n ä h n lich ,
iiidem er somohl für indiistrielle wie immentlich fiir land,
imrtschaftisthe Erzengnisse wesentliche Zollerhöhiiiigen
bnngt iind chiir einzelne Positionen M i n d e st s ä tz e
einfiihrt. Soweit dec österreichische Äcinisterpräsident
Zahlen milgeteilt hat, sind die Zölle mif Lebensmittel in
jolgender Weise erhöht worden:

Neuer Bisheriger
Zollsatz Zollsatz

Weizen, Spelz n. Halbfrucht, 100 s

g. 7,00

ÖW

Roggen



Gerste

4 —

P79

Haser

6,—

l,70

Mais

1,—

l,l9

Hiilsenfruchte

4,5)0

2,38

P.'alz

5),40

3,57

R.'eyl

I5>,—

8.03

Trauben, anch Weinmaische

40,—

23,8 l

Taselobst

20 —

frei

Feines Tafelobst

20,—

ll.90

Niisse

20 —

11.90

Feines Taselgemüse

20 —

ll.90

Blninen

5>0,—

ll.90

Hopsen

70 —

23.8 t

Ochsen das Stiick

00 —

36,71

Ttiere

00,—

9.—

Kiiye

00,^

7,1P

Fnngviey

16,—

7.14

Kälber

6,—

3.—

«chafe rmd Ziegen

2_

1 —

Schweine nnter 120 Kq.

12 —

7,14

Schweine über 120 Kg.

22,—

7,14

Pferde iiber zwei Iähre

ll>0,—

23,8 l

Pferde nnter zlvei Jayren

5)0,—

23,81

Gefliigel, lebend, 100 Kg.

8 —

srei

Geslügel, tot,

25),—

14,29

Tleisch

:;o,—

14,29

^is-che

20,—

4,76

Eier

8 —

3,50

Honig

28 —

14 —

Käse

60,—

07,—

Bntter

05,-

23,84

Schweineschmalz

45 —

38,08

Lilör

170,—

142,86

Wein in Fässern

60,—

47.62

Wein in Flaschen

75,—

47.62

Lchanniwein

t60 —

l 19.05

Ausland.



Englaud.



Londou, 2l. Jan. Hente Vormittag begami vor
drei Richtcrn einschlicßlich des Lord Oberrichters, der
Hochvcrratsprozeß gegen das Parlameiitsmitglied
Lynch wegen seiner Teilnahme am Transvaalkriege. Ta
cS sich iim eiiicn politischen Prozcß handclt, iveicht das
Verfahren erheblich von dem gewöhnlichcn ab. Lynch er-
kläit sich sür nicht schnldig. Ter Gelieralstaatsanwnlt
fiihrtc zu Begimi dcr Vcrhaiidlnng aus, Lynch sei im
Jährc 1900 als britischer lintertan als Berichterstatter

18)

Um Geld.


Roman von F. Jlex.
(Fortsetzung.)

»bergk, der es wegen der Anwesenheit anderer sich ver-

^»der Gäsre nicht'ivagen dnrfte, dem Vater, der aller-
'st>r, '»äwischen wieder in den inneren Ränmen verschwunden
^ »ls einen Mick znznwerfen, kam sich vor wie aus-
stii n»,!' »ts hätie er Verrat nm Heiligsten verlibt, datz iw so
!!!» r»!!kOten Vaier in einer so unwürdigen Stellnng verkeug-

^e^astte, statt sich frei rmd osfen an seine Seite zu stellen

'?e-bjö . ,. _,,. , ,

^», er das Wahnsiiiiiige ciner solchci, Hant>lni>gsweise

^ Pm," üerade in der Natnrwidrigkeii, datz der Sohn frcmd
Nb-I. .ter voi-jjsve-i,-»,>,> NNI Iiiwt Geacintand eincs

^bekt^P!'?„»vrübergehen mnsste, nm nichi^Gegcnstand eincS
O8e, ^sstückes zu werden, darin lag der

Stachel der ganzen

^'»» allen diesen Vorstellnngen befangen, wankte Siein


"achdem er an der Tür des Vocgartens mit Sodhcn
st»e„^ P'snmmengerroffen war, derartig teilnahmlos neben
Ür r , gleiter dieser, der sich noch des Weiteren

^lrnziO'» bornehmen Bcdicnten" ausließ, der Trinkgelder ver-
a i»>erkk ichlsttzlich anf den Zustand seincs Freundes

^»»z ' tvurde. die Uri'achc desselben jedoch glücklicherweise

wurde, die Ürsache desselben jedoch glücklicherweis
i»!"H»n widers suchtc. „Nun, alter Sohn," sagte Sodhen,
Zl»ck i,,, ."aiils nehmend, „du schclnst dir anf dcin rasendes
j»l>e»i^"r» Abend schlietzlich noch etlvas die Nase begossen zn
tR , »,habe ich freilich noch gar nichts davon gemerkt,

stt ^enteii, jch habe mich im Stillen über deiiie Enthaltsam-

la^» ^ ^abe es mir dagegen lüchtig schmecken

k.?»K, »» habe mich erst beim Cotillon wieder nüchtcrn gc-

gehen wir aber noch ein Glas Bier-trinken, das

, »ri»Ikj' »»l> ?ann schläft man besser die paar Stunden, der
i„ . »och'a la wie so cinmal angebrochen! Wenn wir
»vtk finden, die paar eiiizigen, die da waren,

Durch die Redseligkeit des Freurides war Paul der Miihc des
Antworiens überhoben und fand inzwischen Zeit, seine Gedan-
ken, die in wilder Hast a»f ihn einstürmten, wieder etwas zu
sammeln, Jn beskimmtester Weise erklärte er, zu müde zn scin,
nm noch etwaI zu niiternehmen, und datz er auf alle Fälle ent-
schlosse» sei, zu Futze »ach Hanse zu gehen, da rhm der Gang
dnrch die frische Luft entschieden gnt tue, Am Schnittpimkte
der Wilhelmstratze nnd der Linden trennten sie sich daher, und
während- Sodhen eines der nahegelegenen Cafes aufsuchte, ver-
fokgkc Sreinbergk sciiien Weg durch die Luisenstratze nach
Hanse.

Wie in halber Bctäubiing schritt Paul dahi», so datz
mancher Vorübergehendc dem Schwankeiidcn mit der nötrgen
Schonung aus dem Wege ging oder verstündnisboll lächelnd
nachschaute. Rach nnd nach kühlte die feuchte Nachtluft seine
heitze Stirn, nrid seine Gedanken begannen sich a»s dem Chaos
widcrstreitender Gefühle wieder allmählich zu sammeln. Was
hatte er nicht hente Abcnd alles erlebtl Auf dcm Gipfel des
Erfokges — schon im Begriffc, die Hand nach der reichcn
Erbin anszustrecken, die ihm nnd den Seinen jenen unerträg-
lichcn Druck der Arinut und Entbehrung abnehmen sollte; die,
wenn anch nicht ganz dem Bikde entsprechend, wclchcs er sich in
stillen Stunde bon seincr zuknnftigen Frau gemacht, doch tvohl
das Opfer, das er seinerseits zu bringen hatte, verlohnte; die
nur auf ein Wort von seiner Seite zu ivarten schien — und
jetzt zurückgeschmettert i» das Nichtsl Das launische Schicksal
hat ihm die Fatcr Morgana greifbar nahe gerückt, um sie un-
mittelbar darauf im Wirbelsturm der schmerzlichsten Crfah-
rungcn wieder für immer verschwinden zu lassen. Denn nie,
das mnßte er sich sagen, würde die Tochter des reichen Hauses
dem Sohne eines Mannes die Hand reichen, der sich in solcher
Stellung in eben diesem Hause befunden. Und vor allem -—-
wormi er in dem Egoismus seiner Verzweiflung gar nicht
gedacht —, was mutzte der Vater durchgemacht, was gelitten
haben, datz er, der Sprosse eines alten, guten Adelsgeschlechts,
der ehemalige Offizier, der in all' seinem Tun und Lassen von

der laiiterjten, echtesten Bornehmheit dnrchdrungene Mann,
cine solche Stellung annehmen konnte?

Paul wutzte sich duiikel zu erinnern, einmal bon dritter
Seite gehört zu haben, datz der Bater seine militärische Lauf-
bayn anfgcgeben, weil er stch dnrch einen Borgesetzten in seinem
Standesbewutztsein verletzt gefühlt und besonderer Verhält-
»isse rvegen au einer Beschwerde oder Geimgtliiirig anderer Art
vcrhindcrt worden sei. Und dieser Mann, der ans solchen
^ Gründen eiiiem Berufe freiwillig entsagt, an dem er noch heute
mit allen Fasern hing, hatte cS nm sciner Familie willen über
sich vermocht, in die persönliche Dienstbarkeit eines Dritten zu
treten l Ganz abgesehen von den Dienstleistuiigcn, die mit einer
solchen Stcllung unweigerlich verbunden waren, ivie entsetzlich
unerträglich allein mntzte schon das Zusammenleben mit dem
übrigen Dienstpersonale sein, mit welchem er gleichgestellt und
auf das er in so bielfacher Beziehnng angewiesen war. Was
lag an ihm selbst, wenn cr imr den Vater mis dieser unwür-digen
Lage befreit wützte? Und doch hing die Bernichtuiig aller seiner
heuie erft schüchtern aufgesprotzten Hoffnungen leider nur zu
cng mit der Stellimg dcs Vaters zusmnmen. Verloren war
Mitzerdem damit die letzte Hoffmmg, den Schnldschein mn Ber-
falltage einzulösen! Mntzteii ihm denn anch alle Pläne fehl-
schlagcn? Alles, was er auch ansahte? —

Rechanisch hatte Panl den Weg nach seiner Wohiinng ge-
fimden, ebenso geistesablvesend seine kalte Stube erreicht, ivo
er sich unbekümmert wohin —- ohne Licht aiizuzünden — auf
den nächskcn Srnhl warf und wie vor körperlichcm Ichmerze
ivikd aiifstöhnend, das Gesichi in beide Hände vergrub. Lange
satz er so. Endlich sprang er anf, öffnete den klcinen armseligen
Schrcibiisch nnd entnahm demselben einen Rebolber, desseü
Kammer und Mzug er vorsichtig einmal spielen ließ, bevor
er ihn sorgfältig lud. Dann verschloß er daS Pult wreder und
eniledigie sich seines Paletots. Als er die Waffe, die er an dem
Blinken des kurzen Laufes in dem matt hereiiidämmernden
Schein der Straßenlaternen erkannte, wieder zur Hand neh-
men wollte, fiel ihnt ein, datz er, nm einem Fehlschnsse vor-
 
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