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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0736

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steuer nicht das genngste zn tun haben, wie z. B. des be-
kannten Roisdorser Mineralwassers, welches in den bes-
seren slämischen Wirtschaften sehr viel verkauft wird. Zn
meinem Nerger wurden in einer solchen Wirtschaft für ei-
nen Krng jenes Wassers mit einem male 60 Centimes
anstatt der früheren 40 abverlangt. Alles in Allem ge-
nonlmem dnrf mithin die obige Erhöhung der Brannt-
weinsteuer als eine recht lästige Störung des gesamten Er-
werbslebens bezeichnet werden, von der nur der Fiskus
einen wirklichen Vorteil hat. Eine tatsächliche Abnahme
des Geneverkonsums wäre nur dann zu erwarten ge-
wesen, wenn rnan jene Steuer nicht, wie dies durch das
erwähnte Gesetz geschehen, um 60 hCt., sondern gleich der-
artig erhöht hätte, daß es öor allem den G e w o h «-
h e i t s t r i n k e r n aris den arbeitenden Klassen g e-
radezu unmöglich geworden wäre, ihrer Lei-
denschaft in der bisherigen Weise weiter zn fröhnen. Zu
einer solchen radikalen Maßregel aber dürfte sich die Re-
gierung aus ökonomischen und fiskalischen Gründen
wohl schwerlich jemals verstehen.

England.

London, 10. April. Dis englischen Geheimpoli-
! zisten, die König Eduard nach Lissabon begleiteten, ent-
deckten dort, wie dem „Morning Leader" telegraphiert
wird, am Sonntag unter den Dienern des Prinzen AI-
^ fonso einen berüchtigten gefährlichen A nar ch i st e n.
Der Mann wursde. sogleich seftgenommen und weitere
Verhaftungen folgten. Ein furchtbares Verbre -
chen, das während der Gala-Vorstellung in der Oper
znr Ausführung kommen sollte, sei so verhindert
worden.

Asie».

S ch a n g h a i, Anfang März. Jn Gegenrwart des
.Vizekönigs Tschangtschitung haben bei Kiangyin, der Ein-
gangspforte zum Uangtsekiang, wo sich mehrere Forts
befinden, umfassende Manöver stattgefunden, an denen
mehr als 10 000 Mann Truppen und außerdem eine An-
zahl Kriegsschiffe teilnahmen. Sehr bezeichnend für
Tfchangs Vorliebe für die Japaner ist der Umftand, daß
er einige japanische Offiziere eingeladen hatte, sich die
Uebungen anzusehen und dann ihr llrteil davüber zu sagen.
Mie dieses ausgefallen ist, hat man bisher nicht gehört.
Wohl aber ist es nach der „Köln. Ztg." bekannt geworden,
datz die mehrtägigen Manöver Szenen zur Folge hatten,
>vie sie vielleicht nur in China möglich sind. Jn der Stadt
Kiangyin und an den Eingangstoven zum Lager der Trup-
pen waren nämlich zwar einige Anschlagzettel angebracht
worden, die auf die kommenden Ereignisse hinwiesen;
aber erstens waren sie lange nicht zahlreich genug, und
zweitens hatte man sie unverständigerweise in einem so
gelehrten Chinesisch abgefaßt, datz nur wenige sie lesen
konnten. Als sich nun immer mehr Soldaten um Kian-
gyin sammelten, da verbreiteten sich unter den chichtgläu-
bigen Landleuten allerhand Gerüchte, die mit unglaub-
licher Schnelligkeit weitergetragen wurden. Danach sollte
Tschangtschitung von dem General Li eine halbe Million
Taels verlangt haben und auf dessen Weigerung hin
mit der gesamten ihm zu Gebote stehenden Kriegsmacht
vor .Kiangyin erschienen sein, um die geforderte Summe
mit Gewalt emzutreiben! Ein panischer Schvecken be-
mächtigte sich der unwissenden Bauern. Die Preise für
alle Lsbensmittel fielen reitzend, doch zum Glück für die
Verkäufer fanden sich wenige Käufer. Manche Menschen
trieb die Verzweiflung zum S e I b st m o r d e, andere e r-
tränkten ihre kleinen Kinder, um auf der
Flncht nicht durch sie behindert zu sein. Ein Berichter-
statter der „North China Daily News" ritt an einem der
Manövertage durch eine Reihe von Dörfern und Weilern
bei Kiangyin, die er sast von allen Bewohnern verlassen
fand. Erst ganz allmählig legte sich die kopflose Panik.

Aus Stadt und Land.

Mannheim. Die Vorbereitungen für das Volkskon-
zert, welches der Lehrergesangverein Mann-
heim-Ludwigshafen am Sonntag, den 26.
April im großen Saale der neuerbauten städtischen
Festhalle in Mannheim veranstaltet, sind nun soweit gedie-
hen, datz die Veröffentlichung des Progranims demnächst er-
folgen kann. An folistischen Kräften sind für die Veranstal-

tung gewonnen: Frau Anna Rocke-Heindl, Opernsän-
gerin in Mannheim, Herr Karl Gentner, Opernsänger in
Frankfurt a. M., sowie der Kgl. Hofschauspieler Herr Karl
B l a n k e n st e i u in Dresden. Der Beginn des Volkskon-
zertes ist auf nachmittags 4 Uhr festgesetzt. Eintrittskarten
zu einem niedrigen Einheitspreise, 40 Psg., werden demnächst
im Vorverkauf zur Ausgabe gelangen.

Badcn-Baden, 10. April. Für das Z u k u n f t s r e n n e n,
die klassiche Zweijährigen-Prüfung, welche diesmal volle zwei
Monate früher schlotz, als bisher, wurden, soweit bis jetzt fest-
steht, nicht weniger als 69 Unterschriften, wodurch der Nen-
nungsausschuß der beiden letzten Jahre nicht unwesentlich
übertroffen wird, abgegeben, nämlich 28 aus D e u t s ch l a n d,
34 aus Frankreich, 4 aus Oesterreich-Ungarn
und 3 aus E n g l a n d. Die deutschen Ställe, welche schon in
den letzten zwei Jahren sich der französischen Ueberlegenheit
auf dem Gebiete der Vollblutzucht haben beugen müssen,
scheuen auch dieses Jahr die Aufnahme des Kampfes um den
reich dotierten Preis nicht und nannten nach besten Kräften.
die 4 Nennungen aus Oesterreich-Ungarn entfallen mit je
zwei auf die Ställe des Grafen T. Festetics und des Herrn
Mautner von Markhof. Verblüffend wirkt das Massenauf-
gebot der fraNzösischen Ställe mit 34 Nennungen, eine Zahl,
wie sie für ein einzelnes Rennen unseres Meetings bisher noch
nie abgegeben worden ist. Diese 34 Unterschriften verteilen
sich auf 18 verschiedene Besitzer, unter denen sich die Herren
Eprusci und Caillault befinden, die das Zukunftsrennen 1901
und 1902 mit Alencon bezw. Mireille gewonnen haben. Wei-
tcr habcn stch noch alte und neuere Freunde unseres Platzes,
Baron Schickler, Vicomte d'Harcourt, de Saint Alarh, Veil-
Picard, Comte Le Marois, C. Blanc, wie auch solche Rennstall-
besitzer beteiligt, deren Farben in Psorzheim noch nicht vertre-
ten waren, so z. B. die Herren Sey,Comte de Bresson,Baronin
de Forest, Baron E. Rothschild, Baron Rothschild, W. K.
Vanderbilt, F. de Saint-Jayme u. U.

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Kleine Zeitunq.

— Zürich, 9. April. Das Schwurgericht in Zürich ver-
urteilte den aus Baden gebürtigen früheren Lehrer für
Musik und Gesang am Züricher Lehrerseminar in Küs-
nacht, Friedrich Rüde, wegen Anstiftung zuin Betrug
zu acht Mouaten Arbeitshaus und fünf Jahren Aus-
weisuug aus dem Gebiete der Schweiz. Eine Frau Sema-

sen? So unklug wirst du nicht sein, du würdest dann ja mit
allen Glocken ausläuten, wie sehr du dich über den Bruch är-
gerst. Wir müssen schweigen und den Leuten eine hettere
Miene zeigen, wenn wir vermeiden wollen, daß sie sich mit uns
beschäftigen."

„Hast Recht", nickte er mit einem schweren Atemzuge, „der
Lotterbube wird triumphieren, daß ihm sein Werk so gut ge-
lungen ist."

Erna erhob sich, die Magd trat ein, um zn melden, datz das
Mittagessen fertig ist.

Das Mahl wurde heute schweigend eingenommen, sie hatten
es uoch nicht lange beendigt, als ein kleines Packet aus der
Apotheke gebracht wnrde. Es enthielt autzer einem Briefe den
Verlobungsring Wends und alle Geschenke, die Erna ihrem
Verlobten gemacht hatte.

Schweigend las Erna den Brief, die Schatten auf ihrer
Stirne wurden nicht finsterer, nur einmal blitzte es zornig
tn ihren blauen Augen auf, als sie die herben Worte las, mit
denen Wend ihr die heimlichen Geschäfte mit Lilienzweig vor-
warf.

Sie ballte das Papier zusamen und warf es in den Kamin,
dan zog sie ihren Verlobungsring vom Finger.

„Nun die Gewißheit da ist, fühle ich mich erleichtert," sagte
sie, dem Bruder, der voll Besorgnis sie anblickte, zunickend,
„dieser Brief hat den letzten Rest von Liebe in meinem Her-
zen getötet."

„Was entyielt er?" fragte er.

„Forsche nicht, es waren wohl dieselben beleidigenden Worte,
die er dir gesagt hat, ich habe sie schon vergessen."

„Der Bruch selbst darf dir keine Sorgen machen," sagte er
bernhigend, „es wäre gewitz eine gute Partie gewesen, aber
darauf brauchst du ja nun nicht mehr zu sehen. Meine Stellung
ist gesichert, wie auch der Prozetz gegen meinen Chef ausfal-
len mag, und ich darf hoffen, daß mir im Laufe der nächsten
Zeii eine GehaltSzulage bewilligt wird."

Erna war ans Fenster getreten, gedankenvoll blickte ste in
das Schneegestöber hinaus, die weitzen Ftocken wurden immer
dichter.

„Und ich falle dir dennoch zur Last," erwiderte sie, „dein
Einkommen ist so groß nicht, wir müssen mit den Pfennigen
rechnen, und für schlimme Tage, die selien ausbleiben, kannst
du nichts zurücklegen. Jch werde eine Stelle als Gesellschaf-
terin annehmen. und damit ist uns beiden geholfen."

„Nicht doch, damit ist uns keineswegs geholfen," sagte er,
„ich würde dich in meinem kleinen Haushalt sehr vermissen,
und du könntest dich als Sklavin nimmermehr wohl fühlen."

Sie trat vom Fenster zurück und strich mit der Hand lang-
sam über ihre Augen.

„Wir reden später noch darüber," entgegnete fie, „ich will
jetzt die Geschenke Wends zusammensuchen und sie samt dem
Ringe ihm zurückschicken."

Sie verlietz das Zimmer und ging in ihr Schlafgemach,
eine halbe Stunde später trat das Dienstmädchen den Weg zur
Apotheke an, einer Antwort hatte Erna den letzten Brief ihres
ungetreuen Verlobten nicht gewürdigt.

10. Kapitel.

Gefunden.

Der Rentner Schreiber hatte früher in den Diensten der
Geheimpolizei gestanden und als Beamter derselben der
rächenden Gerechtigkeit wichtige Dienste geleistet.

Mitzhelligkeiten mit einem Vorgesetzten einerseits und an-
dererseits auch ein günstiger Vermögensstand und das Bedürf-
nis nach Ruhe hatten ihn bewogen, sein Amt niederzulegen.

Mit dem Titel eines Jnspektors und dem wohlverdienteti
Rnhegehalt war er verabschiedet worden, er verlietz die Re-
sidenz und zog in die grohe Provinzialhauptstadt, wo niemand
setne frühere Tätigkeit kannte.

Jnbessen, es war noch kein Zahr verstrichen, als die Lang«
wrile des esntönigen Rentnerlebens ihn wünfcheU lietz« wieder

deni aus Chur hatte abergläubischen Leuten aus Zürich
Darlehen bis 2600 Franks, im ganzen etwa 4600 FrankK
abgeschwindelt, indem sie ihnen versprach, das 6. und 7.
Buch Mosis zu verschaffen und sie in eimm Geheim-
b u n'd zur Hebung verborgLner Schätze einAuführeu!;
diese geheime Gesellschaft, der Fürsten und hohe Geist-
liche, ja, selbst 4er Papst angehörten, habe ihre Zusammen-
kunft in einem unterirdischen Schloß, wo die reichsten
Schätze aufbewahrt seien. Dabei zeigte die Semadeni ein
Gewand der Gesellschaft, ein altes Mäskenkostüm. Sie
beteuerte weiter, der Beitritt erforderte unbedingtesten
Glauben, und um diesen zu erproben, müsse der Kaudidat
sein gauzes Barvermögen als Darleheu hergeben, das je-
doch wieder zurückerstattet werde. Einzelue Leute glaub-
teu diesem Humbug aufs Wori, gaben nach und nach ihr
gesamtes erspartes Geld her, uud selbst als Jrau Sema-
deui verhaftet worden war, schrieb ein um 2500 Franks
betrogener Lokomotivheizer, er sei gar nicht betrogen wor-
den, da er sein Geld deßhalb nicht zurückerhalten habe,
weil er mit den Einzahlungen noch im -Rückstande sei.
Frau Semadeni beschuldigie in der llntersuchung den
Seminarlehrer Rüde als Anstifter und als Empfänger der
Gelder. Seit sechs Jahren stand Rüde mit dieser Frau,
die Mutter von 13 Kindern ist, in Beziehuugen und ver--
sprach ihr die Ehe. Gleichzeitig unterhielt er mehrere
Dameubekanntschasten und geriet dadurch in Schulden.
Um stch zu helfen, gab er der Frau Semadeni Anleitung,
auf die geschilderte Art abergläubische Leute zu beschwin-
deln. Jn seinem Beruf war Rüde ein sehr begabter Mu-
siklehrer und ausgezeichneter Chordirigent.

- - Brügge, 4. April. Ein kaum glaublicher
VorfalI hat stch kürzlich in der Gemeinde Assebrouck
zugetragen. Dort war eiu Mann au den Pocken gestor-
ben und aus Furcht vor Austecknng wollte niemand die
Beerdigung des Toten überuehmM. Die übrigeu Be-
wohner des Hauses, in dem der Tote lag, schafsten sich uu-
ter diesen Umständen die Leiche einfach! anf die Weise vorn
Halfe, datz sie dieselbe durchs Fenster aus die Erde war-
fen, wo sie einstweilen liegen blieb. Endlich liehen sich
zwei Personen bewegen, die Leiche auf einem Hundewagen
nach dem Kirchhofe zu transportieren, und zwar gegen
eine Entschädigung von zwei im Voraus zu liesernden
Flaschen Genever. Diese Gelegenheit nun benutzten die
beiden Kerle, um sich einmal gründlich in ihrer Weise zu
amüsieren. Dan-k der ihnen gelieferten zwei Flaschen
Genever waren sie natürlich bald betrunken, aber trotzdeiN
zogen sie nocki von einer Kneipe nach der andern, wo sie
dann jedesmal „zum Scherz" den Wirt aufforderten,
ihrem draußen auf dem Wag-en liegenden. Kameraden auch
ein Gläschen hinauszutragen. Zuletzt waren beide so be-
trunken, daß ste den Wagen umwarfey, wobei der Sarg-
deckel absprang nnd der Tote über die Erde kollerte. Nun-
mehr hoben sie die Löiche auf und tanzten mit ihr untec
dem Absingen unfläthiger Lieder erst -eine Weile auf der
Straße herum, ehe sie weiter fuhren. Es war Mitter-
nacht, als sie auf dem Kirchhofe eintrafen, wo sie neben
der Leiche total betrimken zu Boden fielen und alsbald fest
einschliesen. Von der Staatsanwaltschafi in Brügge ist
wegen der skandalösen Vorgänge eine Untersnchung ein-
geleitet.

— Uebcr ciue Futzwandcrung »ach Bcrlin schreibt man
dem „Düss. Gen.-Anz." aus Kreseld: Ein 56jährigec
hiesiger Herr, der im Jahre 1896 als 'Kriegsveteran AUi'
Teilnahme an,dem Slppell vor dem Kaiser die Reise nach
Berlin in einer Woche auf dem Rade machte, hat nunmehc
denselben Weg zu Fuß ausgeführt. Dem Marsch lag fol-
gender Plan zu Grnnde: Duisburg, Bochum, Unna, Er-
witte, Paderborn, Brakel, Stadtaltendorf, L>eesen, Bör-
sum, Aschersleben, Magdeburg, Genthien, Brandenburg,
Potsdam, Berlin. Der Marsch begann am Samstag,
den 14. März, morgens 6 Uhr, vom Bahnhof Duisburg
aus nnd endete nach einer Dauer von 1214 Tagen aM
26. März, mittags 2 Uhr, am Brandenburger Tor in
Berlin. Bedenkt man, d-aß der 'Wanderer in dieser Zeit
den verschiedensten Mtterungseinflnssen, von sommerliH
warmen Tagen bis zu Regen nnd Sturm, ausgesetzt war,
und außer dem Schirm einen 13 Pfund schweren Ruck-
sack zn tragen hatte und schließlich in bester Verfassnng

in Tätigkeit gesetzt zu werden, und nachdem er eine Weile dar-
über nachgedacht hatte, stellte er sich der Polizeibehörde unv
dem Gericht zur Verfügung, und von beiden wurde er fremiv-
lich aufgenommen. ,

Jn der Untersuchungssache gegen Hugo Röder hatte der
Untersuchungsrichter ihn mit der Ueberwachung des Kaul-
manns und den damit verbundenen Nachforschungen beauf-
tragt, er war dadurch mit Konrad Wildx bekannt geworden,
dessen zukünftiger Schwager nun seinen Verdacht erregte-

Er wutzte, datz Gerhard Steinthal noch vor Kurzem em
armer Dienstmann gewesen war, der aus Mangel an genügeN-
den Einkünften seine Braut nicht heimführen konnte.

Nun war dieser Mann plötzlich gewiffermatzen über Naast'
ein reicher Mann geworden, und hielt die Ursache diese»
Glücksfalls Jedem, sogar seincr Brant geheim. .

Er behauptete allerdings, datz er geerbt habe; aber Konra
Wilde habe dem alten Herrn gesagt, die verstorbene Tanw
müffe wohl im Mond gewohnt habcn, er habe früher nie em
Ahnung von ihrer Existenz gehabt, und Steinthal wollte uve
dcn Wohnsitz der Tante mit der Sprache nicht herausrucken-

Andercn Leutcn gegenüber hatte Steinthal erklärt, cc
habe in der Lotterie gewonnen, und bei einer dritten GelegeN''
heit sagte er, die Familie seiner Braut habe die ErsparMM
ihm anvertraut, damit er sclbständig werde und heiraten
könne.

Diese dritte Bchauptung war eine grobe, handgreisliche
Lüge, dcnn die Familie der Braut hatte nie einen Psennis
übcrflüffig gehabt, und Steinthal gab für dic LerschönerilN«
seincr Wirtschaft recht grotze Summen aus.

Wahrscheinlicher klang es, datz er das Geld in der Lottecn
gewonnen haben wollte, und wenn er Bedenken trug, weitercn
Aufschlutz darüber zu gebcn, so war auch das erklärlick.

IFortsetzuns solgt.)
 
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