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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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Erscheint täglich, Sonntags auSgenonrmen. PreiS mit Familienblättern monatlich 80 Pfg. in'S HauS gebracht, bei der Expedition nnd den Zweigstationen abgeholt 40 Pfg. Durch die Pol,

bczogen vierteljährlich 1,35 Mk. ausschließlich Zustellgebühr.

AnzeigenpreiS: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezeile 40 Pfg. Für hiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzeigen
an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anschlag der Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Zwlft m der Ordenskommission der franz.
Deputiertenkammer.

An vielün Orten im Lande, so schreibt man der „Köln.
Äg.", haben die aufgelösten 'N n t e r r i cht s o r d e n

Fortbestand ihrer Lehranstalten dadurch zu sichern ge-
Mcht, daß das Lehrpersonal die Ordenstracht ablegte, sich
stls säkularisiert bezeichnete und nun die Schulen als welt-
Hche Privatschulen neu anmeldete. Die Regierung und die
Drdenskommisston, die darin eine kluge Umgehung des
^ereinsgesetzes sahen, suchten nach einer Waffe dagege».
^Me Erweiterung des Art. 1<i des Bereinsgesetzes lag
^rn nächsten. Und so schlug der Ministerpräsident vor,
ssst diesen Artikel eine Bestimmung anzufügen, worin dem
chikularisterten Ordensmitglied verboten wird, in derselben
^emeinde, in der es bisher als Ordensmitglied geweilt
Äit, nach seinem Austritt aus der religiösen Genossenschaft
Zu unterrichten. Die sehr radikale und antiklerikale Mehr-
^eit des Ausschusses hielt einen solchen Zusatz sür nnge-
uügend und verlangte eine Fassung, wonach dem ehemali-
öen Kongreganisten nicht nur in der einen Gemeinde,
londern im ganzen Departement und in allen angrenzenden
^epartements das Recht zu unterrichten fürchie Dauer
^>n fiiilf Jahren abzusprechen ist. Gegen eine derartige
deschränkung der persönlichen Freiheit des einzelnen
^rdensmannes nach Auflösung seiner Genossenschaft er-
^ob die Minderheit der Kommifsion, darunter ihr Vor-
iitzender Buisson, lebhaften Einspruch, und letzterer er-
Ekärte ausdrücklich: Wir bckämpfen die 5kongregation,
^scht aber den .Kongreganisten. Schließlich einigten sich
chor von deni Ausschusse beauftragte Mitglieder nach einer
Ilnterredung mit dem Ministerpräsidenten, den Tert d-er
Lfehrtzeit dahin abzuschwächen, daß öas erwähnte Unter-
^chtsverbot nur für die betreffende Gemeinde und die
^achbargemeinden, und nur mehr während dreier Jahre
klolten solle. Ileber die so abgcänderte Ergänzungsvorlage
lollte her Äbgeordnete lMassä einen Bericht abfassen und ihn
"or Kommission vorlegen. AIs nnn Mass« seincn Bericht
^orlas, stießcn die beiden gegensätzlichen Strömungen in
^or Ordenskommission absrnials hart aufeinandec. Die
^ägeoi-dneten Hubbard, Charles Bos, Aubry u. a. ver-
chNgten nach heftigen Auseinandersetzungen, daß in dcn Be-
^cht eine Erklärung aufgenommen würde, worin die Min-
"orheit ihre grnndsätzlich ablehnende Haltnng gegen dre
^Plante Verletzung der Persönlichen Freiheit ausführt'nh
^ogründet. Dieser Forderung widersetzte sich die Mehrheit
biid beschloß, ganz auf den Bericht zn verzichten. Statt
^ossen will sie eine Erklärung veröffentlichen, worin sie be-
ont, daß es ihr darauf angekommen sei, der Regierung
Kiie Waffe gegen betrügerische 'Säkularisierungen in die
dand zu geben für die Zeit, während der die Trennung
^on Staat und Kirche, die allein eine endgiltige Lösung der
^'age bringen könne, noch nicht verwirklicht sei. Die
waltung der Minderheit hindere sie aber daran, und so
lalle auf diese allein alle Verantwortung zurück. Dieser
^ogative Ausgang der vieltägigen Kommissionsberatung
^dient beachtet zu werden. Schon der gereizte Ton der

Der Einsiedlev im Waldhause.

^otorisierte Uebersetzung des Romans von M. E. B r a d d o n.
(Fortsetzung.

«Ein grauer Nebel hatte sich auf die Wälder und die fernen
o^gel herabgesenkt; ich entbehrte meine Bücher nicht; ein schö-
fii^ 8rauenzimmer umgaukclte mich und blickte mir nnt ver-
Byrerischem Lächeln in die Augen. Durch die geöffneten
pshlter meines Zimmers drangen verschiedene Stimmcn zu
ivi - ^orauf. Von einer inneren Unruhe getrieben, begab ich
in das Gastzimmer, wo der Wirt mich mit wortreicher
^o^chkeit empfing; ich fragte ihn, wer im Nebenzimmer

r "Hier nebenan wohnt ein Edclmann, ein Herr von Cathe-
' erzählte er mir; „er ist seiner erschütterten Gesundhkit
Lon hergezogen, ganz wie Sie, Herr von Desmond."
ick "^nt Horr von Catheron eine zahlreiche Familie?" fragte
i init Icbhaftem Jnteresse weiter. —

^z/Aein", erwidcrte cr mir; „so viel ich weiß, hat er nur
^,oi Töchter, von welchen die eine irgendwo in Jndien ver-
ist, und eincn Sohn, einen Knaben, der ihn nur wäh-
nd der Ferien besucht."

steu^» ^rn Gastzimmer hatten sich mittlerweile die angesehen-
'"lute des Dorfes versammelt. Der Wirt lietz es sich nicht
mich ihncn vorzustellen. Die kleine Versammlung

sich mit der Erörterung öffentlicher Ereignisse, bis
Oür sich öffnete und cin Fremdcr eintrat.
e^Vporr von Catheron!" flüstcrten die Anwesenden ehr-

dy erkannte in ihm sofort den Vatcr meiner Angebcteten,
^,ihr sehr ähnlich war.

saw'fw/ großstädtischer Ungezwungenheit nahm er in der Ver-
bc^^ung Platz. „Jhr Gesicht ist mir neu", rief er, mich
rrkend, „obgleich nicht ganz fremd, dcnn ich sah Sie heut'

Schlußerklärung der Mehrheit läßt erkennen, wie scharf
die Gegensätze im Schoße des Ausschusses aufeinanderge-
Prallt sein müssen, und da die Mitglieder fast ausschließ-
lich dem mmisteriellen Block angehören, darf man eine
gleichartige, unüberbrückbare Kluft der Meinungen in der
nämlichen Frage auch in der regierungssreundlichen Kam-
mermehrheit annehmen. Tritt aber in einer Beratung
des Plenums. diese Spaltung offen zutage — und das
kann von heute auf morgen geschehen —, so ist die Gefahr
eines Bruchs da, die, von den Gegnern gcschickt ausge-
nutzt, zu einem Sturz des Kabinetts und zu einer neuen
Gruppierung der Parteien führen muß.

Zum Beschlusi der Eisenacher Konferenz.

Am 13. d. M. hat nach dreitägiger Beratung die Eise-
nacher Kirchenkonferenz den in der tetzten Zeit viel
erörterten Vorschlag des von ihr am 31. Mai v. I. einge-
setzten Ausschusses zur Bearbeitung der Angelegenheit des
engeren Zusammenschlusses der deutschen evangelischen
Landeskirchen mit einigen Abänderungen zum Beschluß
erhoben. Reuß ättere Linie war nicht vertreten; der Ver-
treter von Mecklenburg-Strelitz enthielt sich der Abstim-
mung; der Vertreter von Meiningen stimmte gegen den
Beschluß. Alle übrigen Vertreter waren einig. Die Zu-
stimmung der Kirchcnregierungen selbst ist mit Sicherheit
zu crwarten. So ist denn ein ständiges landeskirchen-
regimentliches VLrtretungsorgan zur Wahrnehmung der s
evangclisch-kirchlichen Jntcressen im deutschen Neiche ge-
geben. Die Zahl der evangelischen Reichsangehörigen in
den beteiligten Kirchengebieten beläuft sich auf 34 639 108
Seelen mit 17 139 geisttichen Stellen, während die bis-
her nicht beigetretenen Gebiete nur 421 878 Evangetische
mit 788 Dienststellen umfassen.

Deutsches Reich.

— Ueber die V e r u n g l ü ck n n g e n (Verlnste)
deuts ch er Seeschiff e in den Jahren 1900 und
1901 werden im 'Biertetjahrsheft zur Statistik des Deut-
fchen Reiches einige Zusammenstellungen veröffentticht,
ans denen sich folgendes ergibt: Jm Iahre 1900 (die An-
gaben für 1901 sind noch nicht vollständig) sind 86 deutsche
registrierte Seeschiffe mit einem Raumgehalt von 67 078
Registertons brutto und 44 720 Registertons netto v e r-
loren gegangen, und zwar sind 32 gestrandet, 2
gekentert, 14 gesunken, 11 infolge von Zusammenstößen,
9 infolge schwerer Beschädigungen verunglückt und 17
verschollen. Dabei büßten von 1073 an Bord gewesenen
Menschen (982 Mann Besatzung nnd 91 Passagieren)
289 Personen (286 Mann Besatznng, 3 Passagiere) ihr
Leben ein. Jm Bergleich zum Beftande der registrierten
deutschen Seeschisfe ani 1. Ianuar 1900 beträgt der
Schiffsverlust 2,21 Prozent.

Badcn.

— Der „Schwäb. Merk." schreibt: Die anf Ansuchen
crfolgte Znrnhesetznng des ,Sennnardirektors Hofrat

Nachmittag von meinem Fcnster aus, als meine Tochter von
einem Spaziergang nach Hause kam."

Jch nannte ihm, meinen Namen.

„Ah — Desmond, eine vornehme alte Familie!" entgegnete
cr: „in meinem Regiment diente auch ein Desmond."

„Dies mutz mein Onkel Bruno von Desmond gewesen
sein."

„Ganz richtig, der jetzige reiche Gutsbesitzer in Aorkshire?
O, ich erinnere mich seincr sehr gut; wenn ich nicht irre, war
er zur Zeit, als ich ihn kannte, noch Junggeselle; hat er sich
vielleicht später verheiratet?"

„Ja, er war gar nicht mehr jung, als er heiratete."

„Und hat er auch Kinder?"

„Ja, drei Söhne, die gegenwärtig die Schule in Eton be-
suchen."

„Drei Söhne; das ist nicht gut für Sie, wenn Sie der
nächste Erbe des Familiengutes sind."

Jch antwortete ihm, ich sei allerdings der nächste Erbe,
hätte aber nicht die geringste Aussicht, Besitzer der Herrschaft
Desmond zu werden.

Beim Fortgehen drückte mir Herr von Catheron die Hand;
er sprach den Wunsch aus, mich bald wieder zu seheu, doch lud
cr mich nicht ein, ihn zu besuchen.

Der folgende Tag war ein Sonntag; ich ging in die kleine
Dorfkirche, in der ich Evelinc neben ihrem Vater sah. Beim
Heraustreten aus dem Gotteshause traf ich mit ihnen zu-
sammen.

Herr don Cathcron redete mich an, und einen Augenblick
später wurde ich seiner Tochter vorgestellt.

Sie lächelte anmutig und beantwortete alle meine an sie ge-
richteten Bemerkungen in der liebenswürdigsten Weise.

Diesmal forderte Herr von Catheron mich auf, wenn ich
nichts besseres, zu tun hätte, ihn am Abend zu besuchen. „Wir
sind ruhige Leute, meine Tochter und ich", sagte er, „aber da
Sie hier frcmd sind, finden Sie es vielleicht angenehmer, einen
Abend mit uns als für sich allein zu verleben."

Leutz ist nun amtlich bekannt gegeben; sie wurde schon
vor tängerer Zeit erwartet und eine Andeutung ist auch
im „Merkur" s. Zt. ersotgt. Vorgerücktes Alter und lei-
dende Gesundheit werdcn ats Gründe des Rücktritts ge-
nannt; aber sie haben bis jetzt keine so auffallende Wir-
kung geübt; daß man nicht noch das Vorhandensein an-
derec Gründe vermnten möchte, und diese könnten dadurch
gegeben sein, daß Direktor Leutz das neue System, welches
der Lehrermangel gezeitigt hat und das eine so große
N a ch sicht bei den Anfnahmen bedingt, nicht mehr mit-
machen wollte, weil er die Folgen voraussteht. Dies wird
im Publikum vietfach geglaubt, und man darf begierig
sein, ob es bestritten werden wird.

Auslarrd.

Ocsterrcich-Ungarn.

— Ter v i e r t e K o n g r e ß d e r G e w e r k s chaf -
t e n O e st errei ch s tagte vom 8.—12. Juni in Wien.
Der zu dieser Gelegenheit von dcr Gewerkschaftskom-
misston erstattete, soeben erschienene Rechmschaftsbericht
gibt ein umfassendes interessantes Bild von dem Stand
der österreichischen Gewertschaftsbewegung. Danach ist
seit dem 1. Zanuar 1901 trotz der schweren KrisenjahrS
1901 und 1902 die Zahl der Zentralvereine von 32 aus
47, die der Mitglieder von 119 060 auf 135 178 gestiegen.
Als ein Mißstand wird der starke Wechsel in der Zahl der
Mitglieder hervorgehoben, der in den Gewerkschaften sich
am stärl'sten bemerkbar macht, die nur wenig ausgebaute
Unterstützungseinrichtungen haben, während ste in den
Organisationen, die ihren Mitgliedern viel bieten, aller-
dings auch verhältnismäßig große Opfer von ihtten wer-
langen, wie die Buchdrucker, die Hutmacher und andere,
geringer ist. Es bestandcn Ende 1902 79 Gewerkschaften,
39 allgemeine Gewerkschaften und 79 Arbeiterbildungs-
vereine mit einer Gesamteinnahme von 2 617 184 Kronen
und einer Ausgabe von 2 392 797 Kronen. Von den
Äusgaben entfielen 161 219 Kronen auf die Reiseunter-
stützung, 360 289 auf die Arb-eitslosenunterstützung„
485 764 auf .Kranken- uud Jnvaliditätsunterstützungen
und 65 514 auf Notfallunterstützungen. Die Zahl der
Streit's betrug in 1902 249 mit 36 600 Streitenden;,
hicrvon endeten 70 mit Ersolg, 75 mit teilweisem und 99
ohne Ersolg für die Arbeiter. Wenn der Bericht in der
Lage ist, auf ein entschiedenes Fortschreiten der Gewerk-
schastsbewegung zu verweisen, so ist eine der Hauptursachcn
in der teider noch immer anhaltendcn Stagnation der
österreichischen sozialpolitischen Gesetzgebung zu suchen, die
die Arbeitcr zwingt, zur Telbhilfe zu greifen, die s-e am
vollkommensten in der gewerkschaftlichen Organisation.
finden.

England.

— Die Lage der b r i t i s ch e n T r u P p e n in S o --
m aliland gibt wieder einmal Anlaß zn schlimmen
B e f ü r ch t n n g e n ,. und vielleicht das allerschlimmste
an der Sache ist, daß das englische Kriegsamt wie ,ge-
wöhnli'ch ganz nnvollkommen und schtccht unterrichtet ist.

Um sieben Uhc war ich auf dem Wege zu dem Häuschcn
Catherons. Ein Knabe von etwa vierzehn Jahren spielte in
dem Vorgärtchen und sah mich mit herausfordernden Blicken
an. Die Aehnlichkeit mit Eveline verriet mir, datz er ihr Bru-
der war. Ein Dienstmädchen führte rnich in das Wohnzimmer»
wo Herr von Catheron in seinem Sessel tief und friedlich
schlummerte.

Worte künnen meine Enttäuschung nicht beschreiben, als ich
Eveline in dem sehr ärmlich eingerichteten Zimmer nicht ent-
dcckte. Verstimmt und in tötlicher Verlegenhcit setzte ich mich
Herrn von Catheron gegenüber und erwartete sein Erwachen.
Das Gesicht des Mannes war sehr hübsch, abcr es hatte etwas
Geierartiges. Wenn ich meine Empfehlungsbriefe alle abge-
geben, wcnn ich mich ein Jahr lang durch dcn Verkehr mit der
Gesellschaft übcr die Welt, in der ich lebtc, unterrichtet hätte,
würde ich nicht ein so gefügiges Werkzeug in den Händen Ha-
rold von Catherons und seiner Tochter geworden sein!

Als Herr von Catheron crwachte, und seinen Gast bc-
merkte, bat er um Entschuldigung. „Meine Tochter ist in die
Kirche gegangen", sagte er. „Bitte, trinken Sie ein Glas
Sherrh mit mir; wcnn Lina nach Hause kommt, soll sie uns
eine Tasse Tce machen. Jnzwischen erzählen Sie mir vcm
Jhren Verwandten im Norden; Sie haben keine Vorstellung,
wie der Name Desmond mir die Erinnerung an meine Ju-
gend und an die Zeit zurückbringt, wo Bruno von Desmond
zu dcn Berühmtheiten des Londoner Westens gehörte. Als
Landedelmann zog er sich auf seine Güter zurück, heiratcte und
hat eine Familie! —- Sonderbar, — sehr sonderbar!"

Die Augenlider des Sprechendcn senkten sich und er Ichnte
sich wieder in seinen Sessel zurück, als ob seine Gedanken der
Vergangenheit zugewendet wären. Sinnend und ab und zu
als Zeichen der Zustimmung mit dem Kopfe nickend, lietz er
mich von meinem Leben im Elternhause und allen mcinen An-
gehörigen erzählen. Jmmer aber wutzte er das Gespräch auf
mcinen Onkel Bruno zu lenken.

Mit grötzter Aufmerksamkeit berichtete ich Harold von Ca-
 
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