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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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4S. Wv»g. — M M.

-rscheint tägltch, Sonntags ausgenommen. Preis mlt Familienblättern monatlich S0 Pfa. in's Haus gebracht, bei ber Expedition und den Zweigstationen abgcholt 40 Pfg. Durch dlr V«8

bczogen vierleljährlick l.35 Mk. ausschlieblich Zustellgebühr.

Lnteigenpreis: 20 Pfg. für die Ispaltige Petitzeile oder deren Raum. Reklamezcile 40 Pfg. Für hiesige GeschäftS- und Prioatanzeigen ermäßigt. — Für die Aufnahme von Anzriz«
,n bestimmtcn Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Auschlag der Jnserate aus den Plarattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtischen Anschlagstsllen. Fernsprecher W.'

Die Wahrlieit über die Berabschiedrrnft des
prenßischen Krieqsminifters v. Gohler.

Es ist sicher, datz der Kriegsminister nach Ablauf sei-
nes Urlaubs nicht in sein Amt zurückkehren wird. Das
war vorauszusehen; dcnn derselbe ist vor Antritt des Ur-
laubs vonl Kaiser so auffällig ungnädig behandelt wor-
den, daß auch der Naivste nicht an eine Erholungsreise
des Ministers glauben konnte. Die norddeutsche offiziöse
Presse bemühte sich zwar teilweise, ihre Leser glauben zu
wachen, ein Grund für eine Verabschiedung v. Goßlers sei
° unerfindlich, aber Kenner der Verhältnisse mußten sich be-
reits seit langer Zeit sagen, daß v. Goßlers Entlassung
aus dem Amt eine zwingende Notwcndigkeit sei.

Jm vorigen Jahre erschien nämlich eine Broschüre:
»Verösfentlichung dcr geheimen kriegsgerichtlichen Akten
ini Falle Luthmer" von dem durch cinen Kanonenschuß
ins Gesicht erblindeten Hauptmann Lnthmer (Verlag
von I. Hörning, Heidelberg, Preis 1.50 Mk.), welches
fast von der gesamten Presse Deutschlands gllnstig bespro-
chen worden ist, nnd die kurze Zeit nach ihrem Erscheinen
im Reichstage Gegenstand einer Jnterpellation wurde.
Der Verfasser selbst ist niemals kriegs- oder ehrengericht-
kich zur Verantwortnng gezogen worden, sondern die
kriegsgerichtlichen Akten beziehen sich auf die Bestrafung
des Urhebers seiner Erblindung. Es ist kein trockenes
Aktenmaterial, welches dem Leser geboten wird, es ist
eine Geschichte, welche uns Zustände unseres Militärwe-
iens cntrollt, die geradezu unerhört sind. Die höchsten
Personen im Reich, nicht weniger als sieben Exzellenzen,
werden bei voller Namensnennung, sogar mit Angabe des
Wohnortes, züm teil der denkbar schwersten Verfehkungen
beschuldigt. Wisscntlich salsche Berichterstattung, Ver-
tuschungen, Unwahrhcitcn, wissentliche Unwahrheiten, so-
Oar erweislich salsche eidliche Aussagen werden mit allen
Einzelheiten mitgeteilt. Wir sind Uebertreibungen in der
Broschüren-Literatur gewohnt, hier aber handelt es sich
um gerichtlich erwiesene Tatsachen.

Der Kriegsminister mußte notgedrnngen zn so furcht-
bar schweren Anklagen Stellung nehme'n, als das Buch
im Reichstage zur Sprache gebracht wurde. Er beschränkte
fich auf wenige Sätze nnd crklärte genan das Gegenteil
eines abgedruckten gerichtlichen Urteils nnd fügte hinzu,
daß jm iibrigen dic Broschüre kein Jnteresse fsir den
Reichstag habe. Eine nngeschicktere Antwort war kaum
denkbar und doch wäre sie dem Kriegsminister auch dieses
Mal noch hingegangen, wenn nicht der bekannte Prosessor
^ehmann-Hohenberg der Kieler Universität diese Angele-
llenheit aufgegriffen und dem Kriegsminister öffentlich
Und dnrch Drnck „seine Verachtung" wegen dieses Ver-
baltens ausgesprochen hätte. Diese Beleidigung ist so
ichwer, daß Lehmann im Falle einer gerichtlichen Ver-
kolgung sicher mit mehreren Monaten Gefängnis bestraft
worden wäre. Verklagt wurde er aber nicht, einfach des-
balb nicht, weil es unvermeidlich gewescn wäre, den Fall
^uthmer durch die bürgerlichen Gerichte nochmals nach-
Vriifen zu lassen nnd dabei hätten sich doch gar zu arge
Tustände heransstellen können, die in der Luthmerschen
Broschsire bisher nnr angedentet sind. Schon damaks
bätte Herr v. Goßker besser daran getan, von seinem
Platz zu verschwinden, weil seine Person und seine Stel-
kung kompromittiert waren. Er tat es nicht, sondern
beranlaßte gegen Professor Lehmann cine Disziplinar-
vutersuchung. Das Disziplinargericht arbeitet bekannt-
l'ch nicht öffentlich nnd kann Beweisanträge ohne Grund-
^blehnen. Von dieser Befugnis wurde denn auch in wei-
kestem Umfange Gebrauch gemacht nnd Lehmann seineS
^mtes enthoben, ohne Pension und Titel. Der also ge-
vmßregelte Professor machte nun von seinem Rechtc der
^erufnng gegen dieses Urteil bcim prenßischen Staats-
vsinisterium Gebrauch und das Gesetz erfordert die Bestä-
^gung des Königs zu dem Endurteil.

, Die Luthmersche Broschüre ist anch von uns s. Zt. de-
Wrochcn worden. Am Schlusse standen die Worte: „Das
'vüßte nnser Kaiser lesen!" Hat der Kaiser sie gelesen,
bat er sie erst jetzt gelesen? Leider erfährt der beschränkte
lkutertan nur zu ost nicht, ob bezw. wie weit die leitenden
^kellen in Dinge von großer Tragweite eingeweiht sind.
Hier handclt es sich um solche Dingc, die vorgebracht
'wd von einem Manne, dcr, weit entfernt von sozialdemo-
"atischen Ansichten, nur der Wahrheit dienen will. Fast
^bn Jahre spielt diese Angelegenheit nun schon, und es
6ewsiint den Anschein, als ob in der Luthmerschen Ange-
^genheit alles gedruckt werden kann: denn verklagt wird
nicht. Wenn die Regierung kein anderes Mittel
nndet als totznschweigcn, so sollte die unabhängige Presse
"wsen gröbsten aller Fehler in der inneren Politik nicht
^'stinachen. Das Volk hat ein Recht darauf zu wissen.

was die Negierung zu so schweren, öffentlich erhobenen
Anklagen sagt, und welche Maßregeln zur Abhilfe getrof-
fen werden oder sind.

Tatsache in der vorliegenden Angelegenheit ist, daß
Professor Lehmann in Kiel ruhig weiter doziert und daß
der Kriegsminister geht. Es liegt die Frage nahe: Jst an
der entscheidcnden Stelle erst jetzt die Erkenntnis der
Wahrheit gekommen? Herr v. Goßler ist nicht der erste
im Range einer Exzellenz, welcher den Lnthmcrschen Ver-
öfsentlichungen zum Opser gefallen ist und wer die ein-
gangs erwähnte Broschüre des erblindeten Verfassers ge-
lesen hat, wird sich der Erkenntnis nicht verschließen kön-
nen, daß das Buch auch in Zukunst eine furchtbare Waffe
für die Verteidigung der Wahrheit bleiben wird! Der
Aussall der Reichstagswahlen zeigt uns beredter als alle
Broschüren und Zeitungen, wie man im Volke denkt. Mit
Leisetrcterei und Totschweigen wird nie etwas Posttives
erreicht, darum nehmen wir keinen Anstand, über den Ab-
schied des Kriegsministers die volle Wahrheit Zu sagen.

6. L.

Deutsches Reich.

Hannover, 19. Juni. Der Kaiser folgte ge-
stren Abend einer Einladung des Grafen Waldersee
znni D i n e r, an dem auch das Gefolge tciliiahm. Wäh-
rend der Tafel konzertierten die Kapellen des Königs-
lllanen-Regiments nnd des Füsilier-Regiments „Prinz
Albrecht" anf der Straße vor der Villa. Um 11 llhr be-
gab sich der Kaiser na-ch dem Schlosse zurück. Honte Mor-
gen 7 llhr 16 Minuten fnhr der Kaiser bei regnerischem
Wetter nach der Vahrenwalder Haide, nm die Trnppen
der Garnison nnd das Militär-Reitinftitnt zn besichtigen.

Preichc».

—^'Berliiier Blätter mclden, daß der nächste pren-
ßische Etat ftarke Aufwendungen für die Volks-
s ch n l e n in O ü e r s ch I c s i e n bringen werde. Das ist
unseres Wissens richtig. Es war seit langen Jahren das
Bestreben des Oberpräsidenten Fürst Hatzfeld, wenigstens
Zn erreichen, daß in Oberschlesien auf einen Lehrer nicht
mehr als 60 Schüler komiiien.

AuS der Ke-rlSr'ubex .Zeirung.

— Betriebssekretär Philipp Leibrecht in Bretten wurde
zur Verschung dcr Güterexpeditorenstclle nach Jagstfeld ver-
setzt und Betriebsassistent Ludwig Haselwander in Frie-
senheim zum Stationsverwalter daselbst ernannt.

— Dem Nevidenten Aug. Z i e g l e r bei der Landesversiche-
rungsanstalt Baden wurde die etatmätzige Amtsstelle eines
Revisors bei dieser Austalt übertragen.

— Hauptamtsassistent R. Weitz in Singen wurde nach
Basel versetzt.

Karlsruhe, 19. Jnni. Die Großherzogin ist heute
Vormittag gegen 10 Nhr von Schloß Bäden nach Karls-
ruhe gereist und gedenkt heute Abend 8 llhr wieder in Ba-
den einzutreffen. Der Groszherzog nahm heute Vormittag
von 10 llhr an den Vortrag des Geh. Rats Dr. Freiherrn
yon Babo entgegen nnd arbeitete sodann mit dem Major
von Wohiia. Danach meldete sich der Oberstleutnant Block
beim Stabe des Jnfanterie-Regiments Markgraf Ludwig
Wilhelm (3. Ba-dischen) Nr. 111 als befordert zn diesem
Tienstgrad nnd Oberleutnant Rittcr vom glcichen Regi-
ment nach Beendigung seines Kommandos zum Bau von
Bahnen in Südafrika. Zur Frühstückstafel erschien die
Prinzesstn Wilhelm. Hiernach setzte Major von Woyna
seinen Vortrag bei Seiner Königlichen Hoheit dem Groß-
herzog fort.

Die Reichstaqswahlen.

Stuttgart, 19. Juni. Der weitere Landesaus-
schnß der Deutschen V o I k s P a r te i für Württem-
berg hat beschlossen, in den Wahlkreisen 3 (Heilbronn),
4 (Böblingen) und 6 (Eßlingcn) den Kandidaten des
Bauernbundes, im 6. (Reutlingen) und 11. (Ulm) den
Kandidaten der Volkspartei, im 10. (Gmimd) dem Kan-
didateip des Zentrums die Stimmen der deutschen Partei
zu geben. (Das bedeutet überall llnterstützung der bür-
gerlichen Kandidaten, wo ein Sozialdemokrat mit in der
Stichwahl steht. Red.).

Karlsr u h e, 19. Juni. Die „Kölnische Zeitung"
läßt sich berichten, daß im weekreis diesmal 2000
Stimmen weniger für den nationalliberalen Kandida-
ten abgegeben worden seien, als im Jahre 1898. Dies ist
ein Jrrtum, der augenscheinlich auf die falschen Ziffern
in Nnmmer 163 der „Karlsrnher Zeitung" zurückzuführen
sst, wo die Stimmenzahl des Herrn v. Bodman auf 6030
angegeben ist, während sie bekanntlich 8632 beträgt. Die
nationalliberale Partei hat im ersten Wahlkreise einen
Zuwachs von 1600 Stimmen erhalten.

Das Zentrum u. das allgemeine Wahirecht.

Tas Zentrnm, mit dem grotzen Wahlspruch: Für
Wahrheit, Freiheit mid Necht, hat iu den letzten Iahren
gern die Rolle der Volkssreunde gespielt, indem es sich
als den treuen Hüter des allgemeiiien, direkten nnd ge-
heimen Wahlrcchts hinstellte. Dasz es großen Vorteil aus
diesem Rechte, daß die liberale Zeit Deutschland einmal ge-
bracht hat, gezogen hat nnd zieht, ist imzweifelhaft; aber
niemand, der dieNatnrgeschichte desZentrums kennt, tonnte
dnrch diese Maske der Volksfreundschaft getäuscht werden.
Schon die letzten Nachrichten, über den Verlauf der jüngsten
Wahljchlacht können aber den Vertrauensseligen die Augen
öffnen; denn jeder Mann, der in diesen Tagen in unserm
Oberlande sich anshielt, 'bringt nene Mär über den Wahl-
betrieb der Ultramontanen.

Wie fassen sie das allgemeine Wahlrecht auf?
Ter Pfarrer geht ganz allgemein in alle Hänser und gibt
allen den Wahlzettel für das Zentrum, klärt jeden einzel-
nen noch einmal anf, daß, wer unserm Herrgott aus Erden
he'Ifen will, für das Zentrum stimmen musz, er predigt
ganz allgemein den .^reiizzug gegen die nnselige» Libe-
ralen.

llnd das direkte Wahlrecht? Ter Pfarrer predigt
den Kreuzzug nicht mehr allgemein gegen lliiglauben, son-
dern direkt gegen den .Ztandidaten der Gegner.

llnd das gehcime Wahlrecht? Der Pfarrer benutzt
seinen Einslusz auf die Frauen, die sollen insgeheim noch
einmal den Mäiinern die Hölle heisz machc», daß sie nimmer
Ruhe und Frieden daheim haben, wenn sie znm Schaden
ihrer .llirche einen aiideren ivählen als den Zentrnms-
mann.

Und die Rechnnug stimmt, die gutgezogenen HauSväter
wählen, wie-ihlien Pfarrcr imd Fran vorschreiben, nnd
dami rnsen sie: Es lebe die Freiheit!

Diese Partci, die also den mierhörtesteii Gewissens--
zwang aiisübt, ist anch nicht blöde, mit maleriellen Mit-
teln zu arbeiten.

Es koiniiit kaum einer ans dem Oberland, der nicht auch
die ständige Klage vorbrächte, wie regelmäßig die Kapläne
den liberalen Toktor aus dem Orte hinausbugsieren und
dem liberalen Wirte die Gäste wegnehm^i nnd ins nltra-
montane Lokal hmnberziehcn usm. Und diese Partei
k'lagt iiber den Druck des Regierungsapparats! Man mutz
sich an die Worte eiiniierii, dic Lvr grotze britische Dichter
Richard dem Tritten leiht, dieseni llrbild politischer
Heuchclci:

Fch tn das Böse, mid ich schrei selbst zuerstl

llnd anch daS stimmt, wenn er am Ende seiner wohl-
gellingcneii Intrignen rnft:

^oinmt, gehii wir wieder an das heil'ge Wcrk.

So gehört es zu den sländigen Klagen der nltramon.
tanen Presse, däß von den Gegnern der Friede gestört
werde, daß von ihnen dic nnseligen Zeitcn des 30jährigen
Krieges heranfbeschworen würdeii — trotz des jüngst viel-
zitierten Kaiserwortes. Hier einige Proben diessr Fried.
seligkeit ans iinserin Heidelberg:

Ans dem Rohrbacher Viertel erzählt man unS, dasz
katholischen Kindern verboten sei, mit protestantischen anf
der Straße zn spielen, weil die Eltern am Fronleichnams-
tage ihr Haus nicht geschmückt. (jn diner Töchterschnle
wird öffentlich ein Mädchen, dessen Mutter an einer yual-
vollen Krankheit gestolchen, darauf hingewiesen, daß das
die Folge von gemischter Ehe sei. Allgemein Hören wir
ivieder nnd wicder die Klagc übcr dic Art und Weise, wis
maii die Frage der gemischten Ehe sast sportmäszig be-
handclt. Das nennt man in Liebe fiir niiser großes hei-
liges Vaterland arbeiten, das ncnnt man Frieden predigen.
Seltcn macht man so deutlich die Eriahrimg, dasz Fana-
tismus, die sogenannte Klrcheiigläubigllit, cinen unglanb-
lichen Grad von härtester Lieblosigtcit iin Gefolge hat,
ivährend echter Glanbe immer an den Frnchten weither-
ziger Liebe zu erkemieii ist.

Es ist Zeit, daß der dentsche Michel anfwacht.

Wir bitten liberale Mämier, derartigc Beispiele mis
iingescheut zur Kenninis zu bringen, sie werden mir zn
einer nenen nnd ermeiterten Anflage der Geschichte nltra-
montaner Toleranz nene Beiträge bieten.

Aus Stadt mrd Land.

Heidelberg 20. Jiml.

— Zirkus Corty-Alttzoff. Das Heidelberger Publikum hat
bekanntlich eine Motze Freude an Zirkusausführungen. und
so pilgerten gestern große Scharen nach dem Metzplatz hinaus,
um die Eröffnungsvorstcllung des Zirkus Corth - Althoff als
eine sehr schätzenswerte Abwechslung in dem Einerlei des M-
tagslebens zu begrützen. Dem Zirkus geht ein sehr guter Ruf
voraus und mit Recht, denn was er bietet, sind alles Vorfüh-
rungen ersten Rangcs. Nach amerikanischer Art wurde das
18 Nummern enthaltene Programm ohne Pause durchge-

Die heutige Nummer umsuyl drei Vlätter, zusammen
 
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