Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0915
DOI Artikel:
Aus Ludwig Richters Dresdner Erinnerungen: Dresden, 1836-1847
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0915
AUS LUDWIG RICHTERS DRESDNER ERINNERUNGEN
wo jeder Teilnehmer eine Komposition mit-
bringen mußte, an welcher von allen die viel-
seitigste Kritik geübt wurde. Diesen Abenden
verdanken die bei Wigand erschienene „Ammen-
uhr“ und das „ABC-Buch Dresdener Künstler“
mit Text von Reinick ihre Entstehung. Durchs
Los wurde der zu illustrierende Stoff einem jeden
GAUKLER-ADLER. BRONZE. PAUL WALTHER-MEISSEN
zugeteilt, von der „Ammenuhr“ die Verse, vom
„ABC-Buch“ die Buchstaben des Alphabets.
Da Bendemann in dieser Zeit mit den Fresken
im königlichen Schlosse beauftragt war, so brachte
er seine Entwürfe dazu in unseren Kreis, während
die anderen Kompositionen zu beabsichtigten
Bildern vorlegten, die auf diese Weise schon vor
ihrer Ausführung das Läuterungsfeuer einer
scharfen Zensur passieren mußten. Die gesel-
ligen Abende gaben ein heiteres, vielseitiges, an-
regendes und fruchtbringendes Zusammenleben.
Durch die Berufung Bendemanns nach Düssel-
dorf, Thäters nach München, und durch den
Tod Rietschels, Reinicks, Otto Wagners und
Plüddemanns löste sich der viele Jahre bestandene
Verein von selbst auf.
*
Aus Ludwig Richters Briefen.
Dresden, den 6. Februar 1849.
Der Hang zur Reflexion hängt mit dem zur
Kritik zusammen. Sobald diese beiden Dinge
vorherrschend werden im Leben, in der Kunst
oder Wissenschaft, so lange wird man auch die
richtige Einsicht in das Wesen der Dinge ver-
lieren; Reflexion und Kritik ätzen und zersetzen
nur die Gegenstände, und damit habe ich nur
Fragmente des Dinges, aber seinen wahren
geistigen Inhalt gar nicht gewonnen. Etwas
anderes ist das selbstverleugnende, ruhige und
liebevolle Eingehen in das Objekt; da lerne ich
sein Wesen von innen heraus verstehen. Die
Schönheit einer Götterstatue lerne ich nicht da-
durch verstehen, daß ich sie zu Pulver zer-
klopfe, oder in Bruchstücke vereinzelt sie be-
trachte, sondern indem ich durch anschauendes
Hingeben und Eingehen das Kunstwerk aus sich
selbst verstehen lerne.
*
19. August 1849.
Ich möchte jetzt nur meine sächsischen Gegen-
den und Hütten malen, und dazu die Menschen,
wie sie jetzt sind, nicht einmal mittelalterliches
Kostüm. Ein Frühlingstag mit grünen Korn- und
gelben Rübenfeldern, jungbelaubte Linden- und
Obstbäume, den Bauer, der da ackert im Schweiße
seines Angesichts und auf Hoffnung von Gottes
Segen, und die kleinen, talkigen, unschuldigen
Bauerskinder, die dem Vater einen Trunk bringen
oder heiter spielen und Sträuße binden, da sie
noch im Paradieszustande der Kindheit leben,
während der Alte arbeiten muß; dazu Schwalben
in der Luft, Gänse auf der Wiese und Gold-
ammer im Gebüsch, der Hausspitz oder die Kühe
auch bei der Hand; das alles so recht treu,
streng, innig und lieblich wiedergegeben in
Memlings Sinn und frommer, einfältiger und
bebendster Weise, das hätte gewiß Interesse und
784
wo jeder Teilnehmer eine Komposition mit-
bringen mußte, an welcher von allen die viel-
seitigste Kritik geübt wurde. Diesen Abenden
verdanken die bei Wigand erschienene „Ammen-
uhr“ und das „ABC-Buch Dresdener Künstler“
mit Text von Reinick ihre Entstehung. Durchs
Los wurde der zu illustrierende Stoff einem jeden
GAUKLER-ADLER. BRONZE. PAUL WALTHER-MEISSEN
zugeteilt, von der „Ammenuhr“ die Verse, vom
„ABC-Buch“ die Buchstaben des Alphabets.
Da Bendemann in dieser Zeit mit den Fresken
im königlichen Schlosse beauftragt war, so brachte
er seine Entwürfe dazu in unseren Kreis, während
die anderen Kompositionen zu beabsichtigten
Bildern vorlegten, die auf diese Weise schon vor
ihrer Ausführung das Läuterungsfeuer einer
scharfen Zensur passieren mußten. Die gesel-
ligen Abende gaben ein heiteres, vielseitiges, an-
regendes und fruchtbringendes Zusammenleben.
Durch die Berufung Bendemanns nach Düssel-
dorf, Thäters nach München, und durch den
Tod Rietschels, Reinicks, Otto Wagners und
Plüddemanns löste sich der viele Jahre bestandene
Verein von selbst auf.
*
Aus Ludwig Richters Briefen.
Dresden, den 6. Februar 1849.
Der Hang zur Reflexion hängt mit dem zur
Kritik zusammen. Sobald diese beiden Dinge
vorherrschend werden im Leben, in der Kunst
oder Wissenschaft, so lange wird man auch die
richtige Einsicht in das Wesen der Dinge ver-
lieren; Reflexion und Kritik ätzen und zersetzen
nur die Gegenstände, und damit habe ich nur
Fragmente des Dinges, aber seinen wahren
geistigen Inhalt gar nicht gewonnen. Etwas
anderes ist das selbstverleugnende, ruhige und
liebevolle Eingehen in das Objekt; da lerne ich
sein Wesen von innen heraus verstehen. Die
Schönheit einer Götterstatue lerne ich nicht da-
durch verstehen, daß ich sie zu Pulver zer-
klopfe, oder in Bruchstücke vereinzelt sie be-
trachte, sondern indem ich durch anschauendes
Hingeben und Eingehen das Kunstwerk aus sich
selbst verstehen lerne.
*
19. August 1849.
Ich möchte jetzt nur meine sächsischen Gegen-
den und Hütten malen, und dazu die Menschen,
wie sie jetzt sind, nicht einmal mittelalterliches
Kostüm. Ein Frühlingstag mit grünen Korn- und
gelben Rübenfeldern, jungbelaubte Linden- und
Obstbäume, den Bauer, der da ackert im Schweiße
seines Angesichts und auf Hoffnung von Gottes
Segen, und die kleinen, talkigen, unschuldigen
Bauerskinder, die dem Vater einen Trunk bringen
oder heiter spielen und Sträuße binden, da sie
noch im Paradieszustande der Kindheit leben,
während der Alte arbeiten muß; dazu Schwalben
in der Luft, Gänse auf der Wiese und Gold-
ammer im Gebüsch, der Hausspitz oder die Kühe
auch bei der Hand; das alles so recht treu,
streng, innig und lieblich wiedergegeben in
Memlings Sinn und frommer, einfältiger und
bebendster Weise, das hätte gewiß Interesse und
784