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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Schmülling, Ludwig: Der moderne Wohnhausbau: eine Studie zur Geschichte des Wohnungswesens
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0956

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DER MODERNE WOHNHAUSBAU

MAXIMILIANSBRUNNEN IN MÜNCHEN

Entwurf: ARCHITEKT A. HÖHRATH B. D. A. DRESDEN

tekten und das große Publikum haben sich
mit dieser Bauordnung abzufinden.

So groß die Nachteile der fünfstöckigen
Mietskaserne gegenüber dem Eigenheime oder
dem niedrigen Reihenhaus in volkswirtschaft-
licher, sozialpolitischer und ethischer Hinsicht
sein mögen, so fehlen doch auch die Vor-
teile nicht ganz. Daß durch die Anhäufung
der Stockwerke und die größere Wohndichtig-
keit die Entfernungen abgekürzt werden, daß
durch die sparsamere Verwaltung, die bessere
Heizbarkeit, die Verbilligung der Baukosten
große Vorteile in ökonomischer Hinsicht ent-
stehen, die trotz der gleichzeitigen Verteuerung
des Grund und Bodens nicht aufgehoben
werden, ist ohne Zweifel. Die Anordnung
sämtlicher Räume in einem Stockwerk, das
Wohnen in unmittelbarer Nähe des flutenden
Verkehrs- und Geschäftslebens bringt für viele
eine gewisse Unterhaltung und Annehmlich-
keit. Jedenfalls sind die Ansichten über die
Vorzüge des Eigenheims sehr geteilt, da die
damit verbundenen Pflichten und der Mangel
an Freizügigkeit nicht nach jedermanns Ge-
schmack sind. So sehr die hohen Ideale der
Bodenreformer anerkannt werden, so wünschens-
wert die patriarchalische Form des Wohnens
im eigenen Heim ist, so sehr wird andererseits
die Beweglichkeit und Freizügigkeit des Einzelnen
beschränkt, die für viele ein unerläßliches Be-
dürfnis bedeutet.

An eine plötzliche Änderung der bestehenden
Verhältnisse ist schon deswegen nicht zu denken,
weil jede weitsichtige Regierung sich der Ver-
antwortung bewußt ist, die sie durch einen
Eingriff in die Eigentumsverhältnisse, durch
eine Verschiebung der Bodenwerte und durch
die unausbleibliche Deroute des Hypotheken-
marktes auf sich laden würde.

Ohne daher die vom künstlerischen und
sozialpolitischen Standpunkt freudig zu be-
grüßenden Tendenzen der Bodenreform zu ver-
kennen, ist die künstlerische und praktische
Ausgestaltung der heutigen Mietskaserne eine
der Hauptaufgaben der Architekten.

Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen lag
die Beschäftigung mit der Mietskaserne seit
einem Jahrhundert in der Hand von technisch
und künstlerisch nicht immer geschulten Kräften.
In der Zeit des Barock fand der Mietshaus-
grundriß keine Förderung, da nur monumen-
tale Aufgaben reizten und die geschwungenen
Barockkurven wohl für Schlösser, Theater,
Kirchen und Paläste, aber nicht für die Miets-
kasernen paßten.

Die Zeit des Rokoko war zwar in den Formen
spielerisch, im Kern jedoch ernster, als man
gewöhnlich annimmt. Bereitete sich doch in
dieser Periode die große Umwälzung vor, die
dem Bürgertum und den Menschenrechten die
heutige dominierende Stellung einräumte.

In Deutschland entwickelte sich ziemlich

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