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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

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Schmülling, Ludwig: Der moderne Wohnhausbau: eine Studie zur Geschichte des Wohnungswesens
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https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0957

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DER MODERNE WOHNHAUSBAU

schnell der Grundrißtypus, wie wir ihn noch
heute vorfinden.

Das schmale, kleine Dreifensterhaus, wie es
in früheren Jahren üblich war, verteilte wegen
der Beschränktheit der Fläche die Räume über
verschiedene Etagen.

Das 19. Jahrhundert, daß sich durch den
Wahlspruch „time is money“ zu rein ökono-
mischen Grundsätzen bekannte, faßte die Dispo-
sition der Räume praktischer an. Die ganze
Wohnung wurde in ein Stockwerk verlegt,
meist mit einer anderen an einer Haupttreppe.
Wohn- und Speiseräume befinden sich gewöhn-
lich im Vorderhaus. Das sog. Berliner Zimmer,
welches übrigens international ist, legt sich in
den Winkel zwischen Vorderhaus und Seiten-
flügel. Im Seitenflügel selbst pflegen die Wirt-
schafts- und Schlafräume untergebracht zu werden.

Ursprünglich reihte man, wie beim Herren-
haus, die Wohnräume unmittelbar ohne Korri-
dor aneinander. Bald stellte sich jedoch das
Bedürfnis eines gemeinschaftlichen Flures ein,
dessen natürliche Form die Bandwurmform
war. Über die rein verstandesmäßige Nüchtern-
heit dieses ersten Grundrisses täuscht die zeich-
nerische Darstellung oft hinweg, die sich mit
liebevoller Geduld in der Eintragung von
minutiösen Decken - und Fußbodenmustern
verliert. Der einreißende Schematismus der

Grundrißbildung wurde durch das Überladen
der Außen- und Innenarchitektur mit einem
Allerlei von Motiven vertuscht. Durch die
modernen Fabrikationsmethoden konnten die
Architekturdetails der Akropolis von Athen, der
Fora Romana und der Renaissance-Bauten
in billiger Zinkblechausführung auf den Markt
gebracht werden. Es ist erklärlich, daß dem
einfachen Bürger solche Reminiszenzen an die
größten Zeiten der Weltgeschichte imponierten.
Mit der Erfindung der eisernen Träger wurde
die Herstellung der Erker, Loggien und Balkons
sehr billig und einfach. Die Vorhalle des Erech-
theion mußte oft für die Gestaltung der ersten
Loggien in den Mietskasernen herhalten. Es
scheint, als ob die ästhetische Kultur durch die
technischen Errungenschaften der Zeit auf dem
Gebiete der Be- und Entwässerung sowie Gas-
versorgung der Städte und Häuser erdrückt
wurde. Der Stolz auf diese sanitären Fort-
schritte entschädigte die Bewohner der Miets-
kaserne reichlich für die verlorengegangene
Gemütlichkeit des Eigenheimes.

Auch die Erfindung aller möglichen Surro-
gate auf dem Gebiete der Baumaterialien ge-
stattete eine billige und luxuriös scheinende Bau-
weise. Von der Zinkplastik war bereits die
Rede. Einen bedeutenden Einfluß auf die Ge-
staltung der Dachformen hatte auch die Erfin-

I- CAFE CORSO Entwurf: ARCHITEKT PAUL BENDER B.D.A. DRESDEN

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