Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 1.1911-1912

DOI Artikel:
Schmülling, Ludwig: Der moderne Wohnhausbau: eine Studie zur Geschichte des Wohnungswesens
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27186#0958

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DER MODERNE WOHNHAUSBAU

düng der Dachpappe und des Holzzement-
daches. Neben dem Wasserklosett wurden all-
mählich auch Badeeinrichtungen selbst in den
kleinen und billigen Wohnungen eingeführt.

Im Gegensatz zu den malerisch bewegten
Städtebildern von früher gab es jetzt gesunde
und von Vernunftsgesetzen diktierte Stadtanlagen.
So kam es, daß sich eine ganz neue Wohnweise
fast innerhalb eines halben Jahrhunderts ein-
bürgerte und daß der Zug nach den Großstädten
und die Landflucht epidemisch wurden.

Wie ist diese Landflucht zu erklären, wie ist
es möglich, daß sich die an Freiheit und Natur
gewöhnten Menschen in einer engumgrenzten
Wohnfläche wohl fühlen konnten?

Zunächst lockten die erstklassigen Existenzbe-
dingungen in den Großstädten mit ihrem Handel,
ihrer Industrie, ihren Vergnügungen. Dann bot
eine moderne Mietswohnung derartige Bequem-
lichkeiten, daß der Reiz eines Eigenheimes auf
dem Lande wie etwas Altfränkisches anmutete.
Wie leicht, wie bequem, wurde z. B. einem
jungen Ehepaare die Gründung eines eigenen
Heimes gemacht! Die Abzahlungsgeschäfte
lieferten die nötigen Möbel, die Hauswirte boten
alle möglichen Vergünstigungen. So konnte
sich ein junges Paar mit geringem Einkommen
ein eigenes Nest bauen, wo es Hausrecht besaß.

Die wohlhabenden Kreise schätzten die neuen

Quartiere vor den Toren, wo der Verkehr
flutete, und durch Theater und Sehenswürdig-
keiten für Unterhaltung gesorgt wurde.

Die ersten modernen Großstadtanlagen und
Wohnungen leisteten an Nüchternheit Unglaub-
liches. Allmählich, nachdem die Massensug-
gestion verschwunden war, kamen die Natürlich-
keit und der gediegene Geschmack wieder zu
ihrem Recht.

Man war des Wohnens in pomphaft auf-
frisierten Mietspalästen satt und sehnte sich
nach bürgerlicher Einfachheit und Gediegenheit.

In der architektonischen Auffassung über die
Grundriß- und Aufrißgestaltung der Wohn-
häuser trat ein völliger Umschwung ein.

Was zunächst den Grundriß betrifft, so ver-
suchte man vom Schema loszukommen und in
das Konglomerat von meist willkürlich an-
einandergereihten Räumen System zu bringen.
Strenger wie früher schied man drei Gruppen
von Zimmern, Wohn- und Repräsentations-
räume, Wirtschaftsräume, Schlafräume. Jede
dieser Gruppen konzentrierte man um einen
besonderen Flur, der bei den Wohnräumen die
Gestalt einer Diele, bei den Wirtschaftsräumen
die einer Anrichte und bei den Schlafräumen
die eines Schrankgelasses annahm. Durch zweck-
mäßig verteilte Licht- oder Nebenhöfe brachte
man Licht und Luft auch in die Flure und nahm

BIBLIOTHEKSHOF Entwurf: ARCHITEKT PAUL BENDER B. D. A. DRESDEN

824
 
Annotationen