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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Détschy, Serafine: Kreuzwege, [9]: Roman aus der Bühnenwelt
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MODERNE KUNST.

129

reichte so herzgewin-
nend Sarolta die Hand
und sah ihr mit ihren
treuherzigen blauen
Augen so lieb ins Ge-
sicht, dass ein Ableh-
nen unfreundlich ge-
wesen wäre.

Verstand sie auch
ganz gut die etwas
deutlichen Anspielun-
gen der alten Frau, so
lächelte sie doch im
Stillen darüber. Die
scheue, warme Anbe-
tung des jungen Man-
nes glitt wie ein Son-
nenstrahl in ihr kaltes
freudenarm (?s Leben.

Fröhlicher, wärmer
fühlte sie seitdem das
Blut durch ihre Adern
eilen, ja manchmal sich
vorlaut auf die Wan-
gen drängen.

Ihr Herz? Nein,
das war und blieb tot.

Das schlief in seinem
steinernen Sarg; ihr
Herz hatte mit diesem
Liebesspiele nichts zu
thun. Aber ihre Seele
fröstelte; was sollte
sie ihr den Frühlings-
sonnenschein miss-
gönnen? Paul Heyses
Terzinen im „Sala-
mander“ fielen ihr ein:

„Wer friert, der fragt nicht
viel, womit das Feuer
Genährt wird, das verspricht
ihn warm zu halten,

Und weiss cr's auch, zuletzt
bezahlt er’s teuer!"

Und so gab sie der
kleinen Intrigue der
guten alten Frau nach,
die so mütterlich lieb
für sie fühlte und ging,
von Alfred geführt, auf
den Fastnachtsball. Einfach gekleidet, in ein lang herabfliessendes
schwarzes Atlaskleid, den schönen Kopf in eine reiche schwarze Spitzen-
mantilla gehüllt, welche den hässlichen Domino -Capuchon ersetzte
und ihr das Aussehen einer Spanierin gab; entzückende frische Thee-
Rosen, die Alfred gespendet, im Haar, leicht das Spitzentuch raffend,
und vorne am Busen, dessen Decollete nur verräterisch durch die leicht
geschlungene Mantilla zu ahnen war, so betrat sie an Bingens Arm
den Saal.

Die beiden Gestalten fielen auf.

Seine hohe, elegante Figur, das eigentümlich rotgoldige Haar, die
blauen Augen, der blühende Teint machten ihn zu einer ausgesprochen
germanischen Erscheinung.

Seine Begleiterin, hoch und graziös, verband Ueppigkcit der Süd-
länderin mit schlankem Wüchse und war mit ihrem blauschwarzen
Lockenhaupt sein effektvolles Gegenbild.

„Ein schönes Paar“, murmelte ihnen mancher auf ihrem Wege nach.
Dann erglühte Alfred noch mehr, sein Arm zitterte, der den ihren
stützte, wenn im Gedränge ihre runde weisse Schulter ihn berührte, wenn

der Veilchenduft, der
ihren Kleidern ent-
strömte , seine Sinne
traf. Dann raste er mit
ihr durch den Saal, als
wolle er mit ihr flüch-
ten, — fort — wohin?
In die Einsamkeit —
um allein mit ihr, die
kostbarenMinuten ver-
traulicher Nähe zu ge-
messen, — Minuten,
von denen er vorher
Tag und Nacht ge-
träumt, in zitternder
Freude. Für diesen
Abend, wo er ihr
Schützerund Cavaliere
servante sein durfte,—
war sie sein, — sein,—
niemand hatte An-
spruch an sie.

Sarolta liess ihn
lächelnd gewähren und
durchflog mit ihm den
Saal, bis sie oben im
ersten Range landeten,
von wo man einen
Uebcrblick über den
Saal unten hatte. Hier
oben war es noch
einsam.

In vollen warmen
Tonwellen klangen die
lockenden Töne eines
Straussschen Walzers
zu den beiden herauf,
die hochaufatmend hier
in die Stühle sanken.
Beide noch schweig-
sam. Beide ganz mit
dem eigentümlichen
Ringen ihrer Innenwelt
beschäftigt.

Dass in ihm ein
Strom von Leiden-
schaft tobte, wusste sie
nun. Sie sah es in
seinem Auge, das die
geliebte Gestalt mit glühender Zärtlichkeit umfaste, sie fühlte es am
Beben seiner Hand. Und sie selbst? War es nicht oft, als hauche ein
weicher warmer Luftstrom über sie hin, der die Erstarrung des Herzens
löse, sein Eis aufthaue zu einem linden Strom, dessen Wellen sie lockend
umspielten? Und sie glitt langsam tiefer, tiefer hinein in das Liebesmeer,
dass sie umbrandete, das ihr die brennenden Wunden des Lebens wusch,
heilte und sie stärkte zu neuer Lebenskraft. Oh wie süss war dies Hin-
eingleiten in die wonnigen Liebeswellen!

Ein warmer Blick aus Saroltas Auge streifte den neben ihr Sitzenden,
der träumend in das Gewühl des Saales schaute und diesen Blick em-
pfindend, plötzlich aufsah, die liebevollen Augen überraschte, die eben über
seine männlich schöne aristokratische Erscheinung glitten. Freudestrahlend
blickte er in diese tiefen Augensterne, und ein heisser Kuss auf den runden
Arm, der neben dem seinen auf der Brüstung ruhte, war sein Dank.

„Ach nur kein morgen!“ murmelte er, „nur ein heute, das nie endet!
Oh, so fortträumen können und nie erwachen müssen!“

Doch dem Traume folgt stets ein Erwachen — und nicht immer ein
angenehmes.

Frl. Hatto von der Pariser Grossen Oper in „Iphigenie in Tauris".

XV. 33.
 
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