Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

DOI Artikel:
Détschy, Serafine: Kreuzwege, [9]: Roman aus der Bühnenwelt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0278

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

130

Eine tiefe Stimme schlug plötzlich an die Ohren der Einsamen da oben:
„Ah, sieh da — unser Abendstern thront hier oben am Himmel!“
Graf Liebenfels stand vor den Ueberraschten. „Welche Freude, seine
Sternguckerei so belohnt zu sehen! Ich suche Sie schon den
halben Abend, schöne Diva; ich wusste, an diesem Feste, das alles ver-
einigt, würden Sie nicht fern bleiben. Und da ich heute einmal durch
Unpässlichkeit der Majestäten ausserdienstlich sein darf, so hab ich es
mir in den Kopf gesetzt, diesen österreichischen Walzer mit einer Oester-
reicherin zu tanzen, vorausgesetzt, dass Ihr Kavalier nichts dagegen hat?“
Er grösste steif. Sarolta stellte die Herren vor.

Auf ein gepresstes „Bitte sehr“, das Alfred in stummer Wut hervor-
quälte, entführte der Graf Sarolta dem schmerzlich Nachblickenden, nach-
dem sie durch ein graziöses Theaterlächeln dem mächtigen Vorgesetzten
ihre Einwilligung gegeben.

Der Graf hatte seine kleine Sammetlarve wieder aufgesetzt, fasste
seine Tänzerin um die schmiegsame Taille und tanzte mit ihr in einen
kleinen Nebensaal, der an den Haupttanzsaal anstiess. Der Graf war
ein guter Tänzer und wirbelte in leidenschaftlichen Tempo mit Sarolta
dahin.

Mechanisch dem Paare folgend, stand Alfred, von den Portieren halb
verborgen, an der Thür des kleinen Saales und sah mit zusammen-
gebissenen Zähnen, wie eng der hohe Herr seine Tänzerin umfasste und
wie eigentümlich seine Augen glühten. Während einer ruhigeren Tanz-
figur sagte der Graf: „Wie selten ist es unsereinem vergönnt, nach
eigenen Wünschen und Neigungen zu leben! Wie segne ich den Zufall,
der mir heute gestattet, einmal nur Mensch unter Menschen zu sein, und
thun zu dürfen, wozu das Herz mich treibt!“ Er drückte seine Tänzerin
fest an sich und suchte ihre Augen mit seinen vielsagenden Blicken.
Doch die glänzenden Sterne blickten unbeweglich und kalt zum Kron-
leuchter empor, der sich in der schimmernden grauen Iris wie ein
Brillantenfeuer spiegelte. Um etwas zu erwidern sagte sie:

„Sie sind ein leidenschaftlicher Tänzer, Excellenz, und darum auch
ein vorzüglicher, wie ich bemerke.“

„Allein ich bin darin Gourmand; es ist mir nicht gleich, mit wem ich
tanze. Welch seltener Genuss für mich, mit einer schönen Frau im
Arm, einmal „unbefohlen“ tanzen zu dürfen — aber doch hoffentlich“ —
er stand einen Augenblick still — „hoffentlich nicht contre coeur — von
seiten meiner Tänzerin? Oder war ich vorhin ungeschickt? Störte ich
da vielleicht mal ä propos ein tetc-ä-tete?“

„Excellenz meinen wohl, dass nach der landläufigen Auffassung eine
Bühnenkünstlerin ohne Courmachen undenkbar sei?“

„Wie diplomatisch Sic meine Frage mit einer Frage umgehen? Ich
sage es ja, von den Frauen müssen die Diplomaten lernen, dass man die
Sprache nur hat, um seine Gedanken zu verbergen! Glauben Sie mir,
die Erinnerung an das kleine Plauderstündchen bei Ihnen, das ich meinem
Ueberfall verdankte, hat mir den Wunsch nach ,mehreren* erweckt. Wir
Salon- und Plofmenschcn werden zu Automaten, wenn nicht hie und da
ein anderes erfrischendes, fremdes Element unsere Gedanken und unser
Blut neu pulsieren macht. Sans faqons, schönste Diva — können wir
nicht öfter als bons amis verkehren?“ Der Tanz hatte aufgehört und der
Graf stand vor ihr, ein feines Lächeln auf den Lippen.

„Da Ihre Frau Gemahlin mir stets in so herzgewinnender Weise die
Pforten Ihres Salons öffnet, so kann es mir nur eine Auszeichnung sein,
so oft ich gerufen werde, in Ihrem Hause zu verkehren!“ Es entstand
eine Pause, in welcher der Graf sich sehr viel mit seinem stolzen blonden
Barte beschäftigte.

„Hm; — es wird mir stets eine Freude sein, — wo immer es sei —
einer so — geistvollen Dame, so oft als möglich zu begegnen“, war die
rasch gefasste Erwiderung. „Allein der Tanz ist zu Ende“, er reichte ihr
galant den Arm, „ich darf Sie Ihrem Kavalier nicht zu lange entziehen.“
- „Um so mehr, als ich der Gast seiner Mutter bin, welche wünscht,
dass ihr Sohn mir diese Karnevalsherrlichkeit zeige!“

„So so — ah — le voilä! Sieht er nicht aus wie eine Wetterwolke?“
scherzte der Graf, indem er Sarolta mit tadelloser Galanterie dem un-
geduldig Harrenden zuführte. Einen Augenblick vor ihm stehen bleibend
und mit raschem Blick die ganze Erscheinung des jungen Mannes über-
fliegend, sagte er:

„Sie sind ein Abkömmling des Feldzeugmeisters v. Bingen — des
verstorbenen Freundes unseres Königs?“

„Es war mein Grossvater, Excellenz!“

„Hm, — so. Und Sie selbst? Weihen sich wohl der diplomatischen
Carriere — was, — wie? —“

„Leider nein, Excellenz!“

„Schade! Hätten hier famose Gelegenheit, diplomatische Studien bei
solcher Meisterin zu machen! Bon soir! Auf Wiedersehen, schönste der
Frauen!“ Er zog Saroltas Fingerspitzen an die Lippen, sah ihr tief
in die Augen und setzte leiser hinzu: „Ich führe den Wahlspruch im

Schilde: Festina lente!“ Mit einer lächelnd herablassenden Verbeugung

entschwand er.

„Sie sind so blass, — was haben Sie?“ fragte Alfred, erregt die
Hand pressend, die sich wie eine Stütze suchend fest auf seinen Arm legte.

„Nichts!“ presste sie hervor. „Die Luft ist ungesund hier, kommen
Sie fort von da!“

Und wieder ertönte lockend vom Orchester der Kusswalzer.

Fragend blickte Alfred seine Begleiterin an.

„Wenn Sie nicht so leidend aussähen — ich würde nun meinerseits
dieselbe Gunst erbitten, die Sie Graf Liebenfels gewährt — aber Sie sind
angegriffen —“

„Nein, nein, — cs ist vorüber, kommen Sie, — es wird mir gut thun!“

Und während er in freudiger Erregung den Arm um sie schlang,
schmiegte sie sich an seine Brust, wie ein schutzsuchendes Kind und
schloss tiefatmend für einen Augenblick die Augen. Wie fühlte sie sich
da geborgen an diesem heftig klopfenden Herzen, das an das ihre
hämmerte, als wollte es dessen Gruft sprengen, in der es aus dem Todes-
schlaf nach und nach erwachte. Und dazu diese Musik! —

Alfreds Sinne wirbelten, als er den schönen Körper des geliebten
Weibes «o hingebend in seinen Armen fühlte und in den feuchtschim-
mernden Augen eine Thräne glänzen sah. Sie glitt ihre Wange hinab
und rollte auf die Rosenknospe ihres Busenstrausses. Das Paar war eben
im Begriff, von dem einsamen Saale hinauszutanzen, — da hielt er an
und bat in heissem Flüstern: „Schenken Sie mir die Knospe da aus

Ihrem Strauss — bitte!“

„Oh, sie ist ja geknickt —“

„Nein, eben diese — nur diese will ich; bitte, bitte!“

Sie löste die Blüte, er küsste sie und barg sie in seiner Brusttasche. .

„Ah endlich“, hörte er aus dem Hauptsaale Julius Stimme, der
ihm von rückwärts die Hand auf die Schulter legte. „Wir suchen die
Herrschaften seit einer Stunde und darüber. Martha und der Doktor
bewachen unsern Tisch, den ich in einer herrlichen Epheulaube reserviert
habe, — ein famoses unbelauschtes. Eckchen, das wir bisher wie die Löwen
verteidigt!“

Sie folgten ihm. Auf einer tribünenartigen Erhöhung war zwischen
den Säulen eine Laube durch dichte Epheugitter und künstliches Rosen-
geranke hergestellt. Dort war ein Tisch für vier bis fünf Personen ge-
deckt und ein silberglänzender Eiskübel mit einigen goldbehelmten Flaschen
stand erwartend an der Seite.

Bald perlte der Sorgenbrecher in den Kelchgläsern und die Fröh-
lichkeit erreichte ihren Gipfel.

Es war drei Uhr morgens, als Bingen Sarolta in den Wagen hob.
Das rotleuchtende, weinselige Gesicht des biederen Rosselenkers, an
dem die Fastnacht nicht spurlos vorübergegangen zu sein schien,
flösste Alfred gerechte Besorgnis ein. Er bat daher um die Erlaubnis,
mitfahren zu dürfen, was ihm nach kurzem Zögern gewährt wurde.

So rollten sie, im Takte des schlaftrunkenen Gaules, mitsammen
durch die stille Frühlingsnacht. Beide schwiegen — denn beiden zitterte
das Herz. Alfred hatte sich nicht neben die geliebte Frau, sondern be-
scheiden ihr gegenüber gesetzt. Nichts, als sein rasches Atmen verriet
seine Gegenwart. Und Sarolta blieb regungslos in ihre Ecke gedrückt,
und wagte durch keine Bewegung den süssen Traum zu zerstören, den
sie seit Stunden träumte. Sie fühlte sich geliebt, — mit einer reinen
Liebe, wie sie noch nie geliebt worden. Vorsichtig, wie eine Schlaf-
wandelnde, ging sie mit diesem Traumbild um, — nur kein Wort, nur
keine Bewegung, nur kein Herabstürzen aus der reinen Höhe in gemeine
Tiefen!-Der Wagen hielt — sie war zu Hause. [Fortsetzung folgt.]
 
Annotationen