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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0402

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kass e. Jni Mgeardiretenhause hatte der beutsch-böh-
mische Abgeordnete Schücktar die teilweise polizeiwidrigcn
Machenschaften beleri-chtet, mit we'lchen die Tschechen ihrer
verkrachten Sankt Wenzelskasse nm jeden Preis wieder
aufhelfen wollten, und er hatte gegen Heranziehung von
Staatsgeldcrn zu diesem Zwecke Verwahrung eingelegt.
Dafür folgte nnn die R a ch e. Man versuchte, die böh-
mische Sparkasse in Prag, eine der grötzten und besten
Anstalten dieser Art, die es gibt, mit 280 Millionen' Kro-
nen Barcinlagen, deren Vermaltung ganz deutsch ist,
durch plötzliche Ueberrumpelung zu gefahrden. Durch
Tauscnde von Briefen und Telcgrammen und durch be-
stellte Hetzer wurden ungünstige Gerüchte über die SPar-
kasse verbreitet, so datz am Freitag^und Samstag 8807
Einleger, zumeist kleine tschechische Sparer aus Prag und
Umgegend, die Kasse bestürmten. Die tschechisch-klerika-
len Männer der Wenzelskasse suchen das Geld dillser zuzu-
leiten. Die Jungtschcchenblätter unterstützen den tücki-
schen Angriff der Verleumder, indem sie auf den Cha-
rakter der Sparkasse als.„Hort des Deutschtums" hin-
weisen. Tie Sparkasse zeigte sich zehnfach grötzern An-
forderungen gewachsen und sie hat sogar den materiellen
Vorteil, daß sie ältere Einlagen, die sie noch mit 4 Proz.
verzinste, äbstoßen kann. Das ts-chechische Manöver ist
Völlig gescheitert, zumal verschiedene grotze Banken der
böhmischen Spdrkasse schnell zu Hilfe kamen und auch
der Statthälter als ihr Oberkurator durch berittene Po-
lizisten eine beruhigende Kundgebung verteilen lietz.

Früiikrcuti.

Paris, 28. F-ebr. Der katholische Schriftsteller
Iean de Bonnefou schreibt im „Eclair" übcr den B rief
Ka i s e r W i l h e l m s II. an 2l d m iral v. H o l l -
mann: „Man mutz unnmlmunden sagen, Kaiser Wil-
helm II. hat eines dcr schönsten Blätter geschrieben, die
je aus dem Gedanken eines Menschen hervorgegangen
sind. Dieser Brief ist glanzerfüllt und leuchtet wie ein
Edelstein in allen Facetten und was das Wunderbarste
ist, der Philosoph hört nicht einen Augenblick auf, Kaiser
zu sein, und der Christ vergitzt nicht eine Sekunde lang
die Sprache des TeNkens." Rur an der Stelle über die
Osfenbarnng Gottes in den grotzen Männern der Mcnsch-
heit übt Bonnefou Kritik, indem er darauf hinweist, daß
der Kaiser weder einen Papft, noch einen Franzosen ge-
nannt bat. Von dem der Evscheinimg Chrisli gemidmeten
Absatze sagt Bonnefou: „Diese erhabenen Woille gehen
weit über ein Glaubensbekenntnis hinaus. sie sind
Chrislentum von jenem Christentum, dank dessen die
Mens-chheit feit fast zwei Jahrtausenden lebt."

Gricchcnlimd-

Athen , 2 . Febr. Jn der K a m m e r Lrachte der
K riegs m inister LYmbriti s verschiedene Vor-
lagcn ein, welche die R e organisati o n der A r -
m ec bezweckcn. Dic Dienstzeit soll auf 16 Monate
herabgesetzt werden. Alljährlich im Mai werden 86 000
Mami rinter den F-ahnen stehen. Grotze Manöver sollen
slattsinden. Eine besondere Kasse zur Beschaffung von
Kriegsmaterial mit einer jährlich verfügbaren Snmme
'von zwei Millionen soll geschaffen werden. Ein Teil
dieses Betrages soll aus den Erträgnissen der Monopoli-
sierung des Sprengpulvers entnommen werden, welche
die Regierung dcr Kammer vorschlagen wird^ Eine an-
dere Vorlage bestimmt die Abschaffung der Stelle eines
Oberbefehlshabers der Armee, Lie nach dem Gesetz von
1900 der Kronprinz bekleidet. Der letztere s'oll Kom-
inandeur des einzigen zu bildeuden Armeekorps werden,
welches die drei bestehenden Divisionen uinsatzt. Der
Urmeekorpskommandenr kann gleichzeitig Generalinspek-
teur der Armee sein. Der .Kriegsminister bemeckte zu
dieser Vorlage. datz dur-ch die Jnstitution eines Ober-
befehlshabers der Arniee alle Rechte des Ministers unter-
drückt nnd damit die Armeeverwaltung unmöglich ge-
macht werde. Die Ausführungen des Ministers machten
grotzen Eindruck und wurden mit lebhaftem Beifall auf-
genomnien.

Asrika.

K a P st a d t, 28. Febr. Auf cineni Bankctt äutzcrte
gestern Abend C h amberIain , datz er nach sowohl
von Kolländern als von Progressisten erhaltenen Versi-
cherungen, sie wollten das Möglichste tun, um jede Mitz-
stiminung zu beseitigen, die Lage der Tinge in der Kap-
kolonie optimistisch betrachte. Chamberlain berührte die
Frage der Milde gegenüber den Rebellen und drückte 'dis
Hoffnung auS, datz bald im ganzen Lande eine so gute
Gesinnung herrschen werde, datz dic Kolüiiialregierung

es für angemessen erachten könne, alle nur wegen poli-
tis-ckicr Vergehen Gefangenen freizulassen.

Sind die ZsraeMen in Kgypten gewesen?

Es.wird der „Frkf. Ztg." geschrieben: Jn dem SchreiLcn,
das Kaiser Wilhclm übci^ dcn O f f c n b a r » n g s g l a u -
bcn nn den Admiral Hollmann gerichtct hat, heitzt es an
einer S-telle: „Jn der egyptischen Gefangenschaft zersplittert,
ivcrden die zertci'ltcn Stücke (d. h. dcs Volkcs Jsrael) von
Vkoses zum zwciten Mal zusammcugeschweitzt, immer noch bc-
strebt, ihren Monotheismus festzuhalten. Es ist das direlte
Eingreifen Gottes, das dieses Volk wiedererstchen lätzt." Der
Kaiser schcint hicrnach dcr Ansicht zn sein, datz es ein israeliti-
sches Volk (aus eincr grötzeren Reihe von Stämmen geeint)
sehon vor dcr Eroberung des gclobten Landes gcgeben habe.
Diese Ansicht ist längst als irrig crwiescn. Bor allem aber
steht die Anschauung auf schr schwachen Fützen, dah Israel
in Eghpten gewesen s e i. Höchstwahrscheinllch ift das
nicht der Fall, und allcs, was über die vor Saul liegendc
Zeit in den alttcstamentlichen Schriftcn mitgcteilk wird, Sage,
uitkontrollicrbare Heroensagc. Zunächst — und daS ist sehr
auffällig — lassen uns die alteghptsichen Oucllen hicr völlig
im Stich. Jn eghptischen Jnschriftcn wird Jsrael als Volks-
name nur einmal erwähnt, nämlich unrer dcm Königc Mc-
rcnptah (1250—1240), der darum auch als Pharao des
Auszugcs bezeichnet wird, aber als bcreits in Kanaan
wohnendcs Volk; cs wird dort „Jsiral" genannt. Die
Eroberii'Ng der Landschaft Judäa gcschah erst durch David,
und zwar vo» eincm im Süden davon liegcnden Lande
M u h r i aus, Mnhri ist allcrdings Name für Eghpten, aber
auch Namc sür eiucn Teil Nordarabiens, in dem der erobernde
Stamm sah, etwa Edom. Die Sage erfahte später dieses
Mutzri äls Eghptcn, uud dcren weitere Ausschmiickung zu der
Form des „Auszugs", dic -heute noch immer das Mäntelchcn
gcschichtlicher Zuverlässigkcit trägl, crgab sich dann von sclbst.
Dah das Mnhri dcr altestamcntarischcn Sage n i ch t Eghpten,
sondern cin Judäa im Süden nahe benachüartes Gcbiet ist,
e.rgibt sich u. A. — worauf der Berliner Assyrologe W i n ck -
ler aufmerksam gemacht hat — aus dem Deborähliede, wo äls
Sitz des Gottes Davids, Jahve's, das Gebirge Edoms genannt
wird; das Sinaigebirge wurde erst daraus, als für Mutzri
Egtiptcn gcsctzt ivurde. Run lvird in cincr cghptischen Oucllc,
dem um 200 v. Chr. cutstandenen „Schema" des griechisch ge-
bildeten Obcrpricsters Mänethon von eincm Auszug aus
Eghpten erzählt. U. a. hat F -lavius Iosep 'hus diese
Ouelle benutzt. Jener Vorgang bezieht sich nach Joscphus
auf die „Hirteu", o. h. die Hyksos, die etwa 200 Iahrc lang
— frühcr nahm man 500 Jahre an — in Egypten h errsch -
t c n. Manethon's Aufzcichnungcn, die sich auch in ihren ech-
tcn Teilen als nicht zuver'läissig erwiescn 'haben, sind grötzten-
teils stark vcrbällhornt auf nns gekommen. Nach Manethon-
Jvsephus nahmen die Hhksos in Eghpten eine herrschcnde
-Siellnng ein, nicht cinc dicnendc, wie die Jsraeliten nnch dcm
Attcn Tcstamcnt, dic Egyptcr cmpörtcn sich im 16. Jahrhun-
dcrt gegcn dicse Fremdherrschaft, und im Verlaufe eincs die
Hyksos schwer bedrängeäden Kampfcs erlangten jene das Recht
auf frcien Abzug. Sie ging in einer Zahl von 240 000 nach
Syrien, erbauten einc Stadt und nannten sie I e r u s a l e m.
Das letztcre ist offeubar ein Zusatz dcs Josephus, uud man
wcitz hcutc überdics aus ciner einwandfrcien Quclle, dah
auch der Rest der Schilderung den Tat'sachen nicht entspricht.
Mithin künntc man höchstens dann eine Anwesenheit Jsraels
in Egyptcn zugcben, wenn man dieses Volk mit den Hyksos
idcntifiziert. Abcr auch das ist kaum angängig; denn die
Hvksos ivarcn, wic gcsagt, nicht Bedrückte, sondern Bedriicker,
Frcmdhcrrscher in Egppten, und sie kamen überdies nicht ans
Palästina, sondcrn weit aus dem Jnnern Asiens; äls „K a s -
sitc n" dürftcn sie im 18. Jährhundert auch Babhlo n cr-
obert haben. Tic Einzclheitcn der ältestamentlichcn Sage,
so dic Erzählung von der Aussetznng und Rettung des jungen
Moscs, haben die Fnden, wie sc> vieles Andere, bon den Babh-
lonierii.

GeschSftliches.

Der „'Schncllhcfter" ist durch bedeutende und immer stei-
gcnde Einführung dcs Einzel-Ablege-Systcms in dcr kauf-
männischcn Briefablage zn cincm für jcdes Gcschäft unentbehr-
lichen und bewährtcn Hilfsmittel fiir „Vercinfachte Rcgistra-
tur" geworden. Tie mamügfachen Uebelstände des alten Sy-
stems machtcn cs indcsscn zur Notwendigkeit, einen verbcsserten
Schncllhcfter zu schaffcn, ivclchcr nuu im „Fortschritt-Schnell-
hefter" a-si den Markr gekommen ist. Dieser Hefter hat folgende
wcscntlichc Vcrbcsscrungcn: 1. 30 Prozent schncllcres Einhcf-
ten der Briefe; 2. dic Briefe sind ln einem Doppelpsalz gehäl-
ten, daher kein Umbicgcn dcr Eckcn mehr; 3. vicl bcssere Bcweg--
lichkeii dcr cingchcftctcn Schriftstücke; 4. keinc besondere
Amtsheftung crforderlich, wodurch die Mappcn cincn verkaufs-
fähigcn Preis bchaltcn (speziell für Rechtsanwälte). Die
Firma C. A. Voit hat den Allein-Vertrieb und Lager dieses
Schncllheftcrs übcrnommcn, ebc-nso hält diesclbe eine ständige
Ausstclliitig in „modernen Burcau-iBköbeln", Fabritat Fr.

Rahn, welches sich durch gediegene Ausführungen bci billigeM
Prcis einen Weltruf errungen hat.

Kegen die MospHorrrekrose.

S. R. Tis verhccren'dsn Wiisiuugen der Phosphor-
nekröse, der die in Zündwarenfabriken üeschäftigten Per-
soucn ausgesetzt sind, wurden o'ft genug geschildert. Em
wirklicher und intensiver Schutz der Arbeiter gegen diese
entsetzliche Berufsbrankheit ist nur dann zu erreichen,
wenn der in der letzten Tagung der internationalen Ver-
einigung für Arbeiterschutz gefaßte Beschluß, in inter-
nationalem Wege das Verbot der Verweuduug des wei-
ßen Phosphors in der Zündwarenfa'brikatwu durchzu-
setzeu, den gewünfchten Erfolg hat. Jn einigen Staa-
ten. tvie in Dänemark, der Schweiz, den Niederlan'den,
ist die Verwenduug des weißen Phosphors bereits uuter-
sagt, in alleu anderen Läudern, wie in Rußland, w-erden
phosphorhaltige Zündhölzer höher besteuert, iu Frank-
reich ivurd-e die Verweuduug des weitzcn Phosphors iu
deu skaatlichen Zündmarenfabriken eingestcllt und auch
das deutsche Reich hat einen Gesetzentwurf vorbereitet,
uach welchem die Verwendung des wcitzen Phosphors in
Zün'dwarenfabrikcn verboten werden soll.

Nun beginnt au-ch Oesterreich, wie wir aus zuverlässi-
ger Onelle erfahreu, diefer wichtigcn Nngelegcnheit seine
Äufmerksamkeit zuzumenden. Oesterreich beabsichtigt zru
nächst, den allerdings langwierigen Weg internationaler
Verhandlnngen zir beschreiten, da die österreichische Re-
gierung von der Voraussetznng ansgeht, datz das Verbot
der Verwendung des wcitzen Phosphors für Oesterreich
nur dann zulässig ift, wenn die Nachbarstaaten sich zu
einem gleichen Vorgehen entschließen. Jedenfalls wird
diese Haltung-Qesterreichs'die Verabs-chiedung des deut-
schen <Äese1;entwurfs erleichtcrn.

Srmelnüen, vedöraen etc.

welch«

hohe Erträge erzielen wolle«,

ist die Jnsertion

von Schafwaide- und Iagd-Verpachtunge«,
Holj-Dersteigeruugen rc. in diesem Blatte
unentbehrlich.

Schon öfters wurden bei einer in der Heidelberger
Zeitung (alleiniges Amts- u. Kreisverkündigungs-
blatt für das Amt und den Kreis Heidelberg)
inseriertcn Vcrpachtung oder Vrrsteigerung

«e z—4fache Zunim

gegen früher erlöst.

Kleine Zeitung.

— Kvln, 26. Febr. Ein reicher Amerikaner war auf
der Reise na-ch hier gekommen, um sich den Kölner Kar-
neval anznsehen. Zwei elegant gekleidete Gauner ge-
sellten sich zu ihm und erboten sich, ihm Köln zu zeigen.
Man besuchte verschiedene Restaiirants nnd am späten
Abend schlies der Amcrikaner in einem Eafe ein. Seinö
neue Be'kanntschaft schnitt ihm während dieser Zeit dis
Hose auf und' entnahm daraus ein Portemonnaie mit
über 1800 Mark Jnhalt. Auch stahlen sie ihm seine
goldene Uhr mit Kette und suchten dann das Weite. Die
Kriminalpolizei verfolgte die Spur der Spitzbuben und
v-erhaftete sie in einem Restaurant. Der größte Teil des
Geldes fand sich noch bei ihnen vor.

— Das Gefangnis alS ParäKeS. Jn Trier hat sich der
sondcrbcirc Fall ereignct, das; das Gericht von eincm Angcklag-
ten förmlich gcöeten wurde, ihn mit ciner möglichst hohcn
Strafc zu bclcgen. Vor der Strafkammer hatte sich der Hirten-
knecht Gooßmann aus O'berkiru, dcr wegen vorsätzlicher Brand--
stiftung zu drei Jahrcn Gefängnis berurteilt wurde, uoch wcgeN

und daher in erster Linie hättc in Aufregung gesetzt werden
müssen. haue — auch bci dcn waghalsigstcn Einsällen — Icin
anderes Wort, äls die Umgebung für Alles und Jedes beran-
wortlich zu machen. „Das Kind ist eben ein Kind, und damit
nichts geschieht, dafür wcrden die Leute gehalten und bezahlt",
war das Mildestc, üms sie auf die bescheidensten Borstellungen
Hedwig's zu autworten pflegtc.

Als Paul ciumal wieder Zeuge einer solchen Szene war,
wie dcr Jimge stürmisch nach der hell durch die Marienglas-
fenster scheinenden Flamme,des Ofens -perlangte, und zur
Warnung und Belehrung für den Kleinen diesem — scheinbar
auf den Wunsch eingehend — mit aller Borsicht das Fingerchen
in den Wirkungskreis des begehrten -Gegenstandes Lrachte,
überschüttete Giscla ihren Gatten wegen der dabei bewiesenen
Grausamkcir mit cincr solchcn Flut von Vorwürfen, daß Paul
von nun an auf diese präktischc Erziehungsmethode Verzicht lei-
stete und um des lieben Friedens willen schwieg. Was hätte
es ihm auch genützt, der erzürnten Mutter auseinanderzn-
setzen, das; es gerade bei der Hilflosigkeit ihres Zustandes von
großter Wichtigkeit sei, das Kind — so früh und nachdrücklich
wie möglich — auf die es 'bedrohenden Gefahren aufmerksam
zu machen, zumal es sich doch nicht immer vermeiden lassen
würde, daß die Mutter mit dem Sohne einmal allein gelasfen
werden müßte?

Trotz zeitweisc wiedrrkehrender äußerst schmcrzhafter An-
fälle zeigte -Gisela doch allmählich wieder mehr Anteilnahme
an der Außenwelt und vor allem an der Leitung ihres eigenen
Vermögens, das sic wieder mit gewohnter Umsicht und Tatkraft
in die Hand nahm, sobald sie sich nur einigermaßen kräftig ge-
nug dazu fühlte. Paul 'hatte in der gewissenhaftesten Weise,
als Stellbertreter seiner Frau, Buch über alle Einnähmen und
Ausgaben geführt und war daher im Standc, nach jeder Rich-
tung die genauest stimmende Rechnung abzulegen. -Er hatte
den Wunsch Giseläs nach Abrechnung nicht erst abgewartet,
sondern war, sobald die Kranke ihr Jntcresse einmak geäußert
hatte, der immer'hin peinlichen Aufforderung zuvorgekommen.

Richt wie der Gleich-, sondern wie der Angestellte, hatte er
alle Bclege und Ncchnuugen zur Stelle gebracht; sah sich dann
abcr auch für seinc Sorgfalt durch ein freundliches Lächeln —-
das erste scit so viclcn Monatenl — belohnt.

Seit Paul's Rückkehr vom Manöver, seit jcner Bcgrüßung
mit Fräulcin Vocking, war in Giseläs Seele der Samen
des Mihtrauens gefällenl Sie fing bon diesem Momente an,
das Benehmen der Beiden im gegenseitigen Verkehre zu be-
obachtcn. Wcnn auch Hedwig sich sast dcn ganzen Tag über
in der nüchstcn Umgcbung der Lcidendcn ücfand, so konnte
es doch nicht fehlen, daß täglich, schon während der gemeinsamen
Mahlzeitcn — die, mit Gisela's -Rühezeit zusammenficlen —
Momente, ja -Stunden eintraten, wo Paul mit Fräulein Vocking
allein war. Diese -Stunden wurden Gisela zur Qual, ob-
gleich sie auch nüht den leisesten Anhalt für ihren Verdacht aus
dem beiderseitigen Benehmen, welches nicht über den Ausdruck
einer gewissen achtungsvollen, formellen Höflichkeit hinausging,
bis jctzt hätte schöpfen können.

Während Gisela sich in den langcn Monaten ihres Sicch-
tums, wo sie äber schon wieder Anteil an ihrer Umgebung
nahm, kaum um ihren Gatten bekümmert 'hatte, am wenigsten
jedenfalls darum, wie und wo er scine dienstfreie Zeit zu-
brachte, zeigte sie mit einm Male dafür das lebhafteste Jn-
teresse. Sie wollte gar nicht glauben, daß Paul außer dem
Dienste kaum einen Schritt aus de'm Hause setzte, daß er nicht
nur ihr anfopferndster, nnzertrennlichster Pfleger in den ersten
kritischcn Tagcn nach dcm verhängnisvollen Sturze geweseu,
sondcrn daß er auch jetzt noch seine freie Zeit in seincm Arbeits-
zimmer oder in der Kinderstube verbringe. Hedwig, die Ber-
mittlerin dieser Nachrichten, war äbsichtslos bei der Schilderung
bon Paul's opfcrwilligcr Pflege und seiner beharrlichcn Wei-
gerung, sich auch ein Mal eine kleine Zerstreuung zu gönnen —-
besonders nachdem Gisela offen den Wunsch geäußert, ihn
liebcr scltener um sich zu sehen —, in einen etwas wärmeren
Ton verfallen. Giseläs Argwohn fand dadurch erneute Näh-
rung I

Mit dem Augenblicke, wo Giscla bcfürchtcn mußte, die
Liebe ihres Mannes — ein Gut, das zu erhalten sie sich keins
Mühe gegeben hatte — zu -verlieren, gewann es in ihren Augeä
an Wert. Sie konnte sich 4n wildester Eifersucht verzehren,
wcnn sic daran dachte, daß Paul anderwärts einen Ersatz
suchcn 'könnte für das, was sie ihm bis jctzt eigcntlich noch nie
gewährt — für eine durch Liebe verschönte Häuslichkeit. Sie
fühlte, ohne sich vielleicht selber darüber klar zu werden, daß
sie ihren Gatten noch immer licbte; freilich nach ihrer Art,
mehr als ein ihr gehörigcs Gut, datz sie keiner Andcren göi^ite,
tvie als Sondcrwcscn mit glcichbercchtigten Wünschcn und
-Willen. Sie hatte den stattlichen Mann mit -dem vornehin
klingenden Namen geliebt als Ergänzung dessen, was ihr fehlte,
und gewitz wäre sie auch glücklich mit ihm geworden, wenn ei>
nur um ein Weniges leichtlebiger gewesen wäre.

Sie hatte sich damals, als Ohrenzeugin von- Sohden's Be-
merkung an jenem ersten Ballabend, ein ganz anderes Bild
von Paul gemacht. Sie glaubte eher einen „kleinen Durch-
gänger" an ihm zu gewinneu, dem man hin und wicder den
Daumcn auf's Auge uud die Hand aus die Geldbörse legen
mützte, und fühlte sich im Notfallc beiden Anforderungen bis
in dic äußersten Konsequenzen gewachsen. Allcin statt desscn
cntpuppte sich der flotte Offizier als kleinlicher Nörgler, der
mit seiner philisterhaften Sorgc, „aüfzufallen" oder „Anstoß
zu crrcgen", wedcr sie, noch sich selbst zu einem ruhigen Lc-
bcnsgemisse kommen ließ.

(Fortsehung folgt.)

— Bal parh. Suse: „Na, MM. schon recht viele Erobe-
runge-n gemacht?" — Milli: „Ach, latz mi aus! Wannst wirkli
amäl Ein' kennen lernst, der's aufrichtig meint, dann is er
verheirat't!" (Münch. Jugend.)
 
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