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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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https://doi.org/10.11588/diglit.11498#0799

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Gestes Blsrtt,


«rscheint täglich, SonntagS ausgenommrn. PveiS mit Familienbläüern monatlich 60 Psg. in'S Haus gebracht, bei der Expedition Mrd den Zweiganstalten abgeholt 40 PfS-

die Post bezogen vierteljährlich 1.35 Ml. auSschlietzlich Zustellgebühr.

«nzeigenp reis: 20 Psg. für die Ispaltige Petitzeile oderderen Raum. Reklamezeile 40 Psg. Aür Yiesige Geschäfts- und Privatanzeigen ermätzigt. — Für die Aufnahme von Anzejgen
an bestimrnten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übcrnommen. — Anschlagder Jnserate auf den Plakattafeln der Heidelb. Zeitung und den städt. Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

Polen und Zentrum.

Es wurde kürzlich darauf hmgewiesen, daß der Wahl-
kreis des gegenwärtigen Reichstagspräsidenten Grafen
B a l l e st r e m (Luüliuitz-Gleiwitz) iufolge der ablehnen-
den Haltung der n a t i o n a l P o l n i s ch e n Wähler sehr
gefährdet ist. Tie „Germania" drohte den Polen, falls
diese auf ihrer Halrling beharren sollten, niit „dem Zorne
des ganzen katholischen Volkes". Wie wenig ste, damit.je-
doch bei den grotzpolnischen Fanatikern Eindruck gemacht
hat, zeigt folgende, geradezu flegelhafte Anslassung 'des
in Oberschlesien erscheinenden Polnischen Blattes „Gor-
noslazak":

BaIlestr e m ist das Muster eines deutschen Kreuz-
ritters, der sich anf Polnischer Erde niedergelassen. Er
hat die Polen ins Gesicht schlagen lassen wollen; er unter-
stützt ofsen, wo er nur kann, die Germanisierungsarbeit,
?r verfolgt die Polen, denn er will uns nicht einmal einen
Saal zu einer Versammlung hergeben, er saugt die pol-
nischen Arbeiter aus — mit einem Wort, er ist das Jdeal
«nes richtigen dsutschen Räübers ... Jm Sinn der „Ger-
mania" sind wir eine so untergeordnete Nation, daß wir
nichl einen Funken von Nationalstolz besitzen, daß wir noch
die Hand küssen sollen, die uns ins Gesicht schlagen wollte,
daß die Ohrfeigen, die uns 'die knochige Hand des Grasen
austeilen wollte, für uns eine Ehre bedeuten. Es ist die
Zeit gekommen, wo dteser Krenzritterhochmut der
„D a i t s ch k a t o l i k e n" gezügelt, wo unserer schänd-
lichen Sklaverei ein Ende gemacht werden muß. Die Er-
k'lärung der „Germania" ist eine den Polen ausgeteilts
Dhrfeige. „Schlesisches Volk! Es wäre für uns die größte
Schande, wenn dieser Ballestrem von nenem mit polnischen
Stimmen zum Abgeordneten gewählt werden sollte. Schle-
fisches Bolk! Verteidige deine nationale Ehrs! Nicht eine
einzige potnische Stimme darf anf den Kreuzritter-Grafen
fallen. nnd wenn der Millionär Ballestrem auch alle seine
Reichtümer aus die Wahlagitation verwenden sollte, so
darf er nicht eine einzige polnische Stimme erlangen.
Zum Verräter an der nationalen Sache macht stch der-
jenige, der es wagen sollte, seine Stimme für Ballestrem
abzugeben."

Dieser Haltung der „Polen im Osten" entspricht voll-
kommen die der „Polen im Westen", deren Organ sich
vor knrzem in kanm wiederzugehender Weise über die
„d a i t s ch e n" Prie st e r ausließ.

Deutsches Reich.

— Der „Franks. Zeitung" wird mitgeteilt, daß Ver-
handlungen mit Rußland über die neuen Handel s-
Perträge schon ziemlich weit gediehen seien. Auch die
Verhandlungen mit Oesterreich und der Schweiz seien
bereits ziemlich weit vorgeschritten.

Deutscher Reichstag.

Berlin, 22. April.

Zunächst werden Rechuungssackien erledigt. — Bei Be-

Kleine Zeituna

— Przemsyl, 21. April. Das Militärgericht verur-
teilte den Landwehrosfizier Fuczek wegen Spio -
nage zur Degradation und 8 Monaten schweren
Kerker.

— Rigo Jancsi zu Hausc. Man schreibt der „Pester
Lloyd" aus Szelessehervar: Der Zigennerprimas Rigo
Jancsi, der Gatte der Prinzessin Chimay, jetzigen Ma-
dame Iancsi de Rigneau (!), war nach mehrjähriger Ab-
wesenheit wieder hier eingetroffen, um mit seinen in
Pakozd lebenden greisen Eltern das Osterfest zu verbrin-
gen. Rigo Jancsi, der direkt aus Paris kam, sieht recht
gut ans; nur aus dem interessant hagerenj Zigeuner
ist ein beleibter Gentleman geworden. Um seine Zukunfts-
Pläne befragt, gab Rigo an, daß er don. Sommer mit sei-
ner Gattin auf den Kanarischen Jnseln nnd in Madeira,
später in Portugal perbringen werde, da dieses LMma
seiner Gemahlin, die an Asthma leidet, von den Aerzten
verordnet wu>de. Wenn es später ihr Gesundheitszu-
siand erlauben wird, gedenkt das Paar einen Ausslug
Nach Ostinbien zu unternehmen. Ri-o spricht über alle
diese Dinge mit solcher Selbstverständlichkeit, als ob der
Besuch der sashionalbelsten Knrplätze des Planeten anf
dem regelmäßigen Programme seiner Jugendexkuvsionen
gestanden hätte. Der Zigeuner, der nicht mehr anssieht,
nls ob er den Fidelbogen so schwnngvsll handhaben
könnte, wie zurzeit, da er mit ihm daZ Herz Klara WardZ

ratung über die Einnahmen und Ausgaben des ostafri-
kanischen Schutzgebietes für 1900 weist Abg. Dasbach
(Zentr.) auf die Schwierigkeiten hin, die sich der Weiter-
führung der Usambarabahn entgegengestellt haben. Die
ablehnende Haltung gegenüber dem Zentralbahnprojekt
sei gerechtfertigt.

Bei Beratung des Entwurfs über die P h o s P h o r-
zündwaren berichtet Abg. Zehnte r (Ztr.) über die
Kommissionsverhandlungen und empfiehlt die unverän-
derte Annahme der Regierungsvorlage.

Präsident Graf Ballestrem teilt mit, datz ein Antrag
Pichler (Ztr.) und Genossen eingegängcn sei, wonach die Bc-
ratung der Vorlage so langc ausznsetzen sei, bis eine ausführ-
liche Statistik über die leichten und schweren Fälle der Nekrose
in den letzten Jahren festgestellt sei.

Abg. Wurm (Soz.) hält den Antrag Pichler für unge-
recht und bittet um Annahme eines sozialdemokratischen An-
trages, wonach das Gesetz schon 1904 statt 1907 in Kraft tritt
und der Verkauf von Zündern mit Phosphor vom 1. Januar
1905 statt vom 1. Januar 1908 an verboten wird.

Abg. Pichler (Ztr.) begründet seinen Antrag, wonach
Erhebungen über die Entschädigung von Fabrikanten ange-
stcllt werden sollen.

Nach weiterer Diskussion wird das Gesetz nach der Regie -
rnngsvorlage unter Ablehnung der AnträFe Pichler,
Wiemer und der sozialdemokratischen angenommen.

Morgen 1 Uhr: Krankcnkassennovelle.

Sachscn.

Dresde n, 22. April. Das „Dresd. Journal" mel-
det: Da nach den neneren Vorgängen die Wahrschein-
lichkeit vorliegt, daß die beteiligten deutschen Regierungen
demnächst in neue Verhandtungen über eine a l l g e-
m e i n e d e ii t s ch e P e r s o n e n t a r i s r e f o r m ein-
treten werden, hat das Finanzministerinm beschlossen, die
Durchführ u n g der von sächsischs r Seite ge-
planten Reformbis auf weiteres auszu-
setze n. Dem Eisenbahnrat ist in dcr Sack)e eine ander-
weite Vorlage zugegangen, wonach von einer Herab-
setznng der Preise für einfache Fahrkarten abge-
sehen wird. Dabei erachtet die Regierung es für an-
gängig, eine Steigerung der Preise der Rückfahrkarten
um die Hälfte des Preisunterschiedes zwischen den preu-
ßischen und sächsischen Rückfahrkarten, also um 6)^ pCt.
der sächsischen Preise, eintreten zu lassen.

Aus der Karlsruher Zeituug

— Seine Königkiche Hoheit der Großherzog haben
den ordcntlichen Professor der Geschichte an der Universität
Heidelbcrg, Geh. Rat Dr. Dietrich Schäfer, auf sein An-
suchcn seiner Stellnng als ordentliches Mitglied der Badischen
Historischen Kommiffion cnthoben.

— Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben
den Vorstand der Gewerbeschule in Ettlingen, Gewerbelehrer
August Straub, auf sein Ansuchen unter Anerkennung sei-
ner langjährigen treugeleisteten Dienste auf Schlutz des lau-
fcnden Schuljahres in den Ruhestand versetzt.

— Dein Gewerbeschulkandidaten Emil Brommer an der
Gewerbeschule in Freibnrg wurde die etatmätzige Amtsstelle
eines Gewerbelehrers (Gehaltsklasse 2) an der Gewerbeschule
Eberbach übertragen.

K arts r u h e, 22. April. Heute Vormittag 10 Uhr
besuchte die ErbprinZessin Anhalt die Höchsten Herrschaf-

gewvnnen, liebt es, den blasierten vornehmen Herrn zu
spielen. Doch die Pakodze-Zigeuner lassen sich nicht im-
pcnieicn, nnd als Rigo Jancsi es ablehnte, einem Stam-
mesgenvssen lausend Kronen zu leihen und er bei seinec
Weigernng beyarrte. als dieser soine Fordernng allmäbiich
auf 1, sage erne Krone reduzierte, wurde er von dein
Pumplustigen nnd dessen Familienangehörigen mit Fiü-
chen und Verwünschungen überschüttet, wie fie reicher or-
nameniiert weder auf den Kanarischen Jnseln, noch in
Portugal, ja nicht einmal in Ostindien zu haben sind.

— Wie man seinc Bekanntcn vorstellen soll. Bei keiner
Gelegenheit benimmt die Mehrzahl der jnngen Damen sich
so linkisch als bei der Zerenionie der Vorstellnng. Wie
gnt sie auch in Sachen der Ettkette instruiert sein mögen,
wenn die Zeit komnit, wo sie zwei ihrer Bekannten mit
einander bekannt machen sollen, so werden sie ungeschickt,
obgleich sie wahrscheinlich bei ihrer eigenen Vorstellung
eine tadellose Haltung bewahren. Man soll den Herrn der
Dame vorstellen nnd die jüngere Person der älteren. Na-
mcn sollten lant und deutlich ausgesprochen merden, denn
nichts ist peiulicher als wenn man sich vergevens bemüht,
ein gemurmeltes etwas M verstehen, das einen Namen vor-
stellen soll, aber eben so gut eine hindustanische Phrase
sein könnte. Durch undeutliche Aussprache geht der Zweck
der Vorstellung vollständig verloren, ebenso falls man die
Vorstellung anf solgende Weise nnterniinmt: „Vater,
ich möchte Dir meme Freundin vorstellen", wobei der
Vater den Namen derselben raten kann. Sehr unange-
nehm für alle Beteiligten ist es, wenn „meine Kousine

ten. Von 11 Uhr an nahm der Großherzog den Vortrag
des Präsidenten Dr. Nicolai entgegen. Von halb 1 Uhr
an meldeten sich eine Anznhl Ofsiziere. An der Jrüh-
stückstafel nahmen die Prinzessin Wilhelm, die Fürskin
zur Lippe und die Erbprinzesstn von Anhalt, sowie der
Erbgroßherzog teil. Nachmittags von 3 Uhr an hörte
der Großherzog die Vorträge des Geheimerats Dr. Frei-
herrn von Babo, des Geheimerats Dr. Wielandt, des
Generalintendanten Dr. Bürklin nnd des Legakionsrats
Dr. Seyb. Danach empfing Seinc Köiiigliche Hoheit
den Wirklichen OLer-Konstistorialrat D. Freiherrn von
der Goltz,,welcher sich zur Zeit in Waden aufhält. Morgen
srüh halb 10 Uhr nnternehmen der Grotzherzog und die
Großherzogin eine Reise nach der südtichen/Schweiz.
Dieselben beabstchtigen einen Erholungsaufentha'lt von et-
wa 8 Tagen in Ouchy am Genfersee zn genießen und da-
selbst in deni Hotel Beaurivage zn wohnen. Die Höchsten
Herrschaften sind begleitet von der Hosdame Freiin von
Rotberg, dem Oberhofmarschall Grafen von Andlaw nnd
dem Legationsrat Dr. Seyb.

Auslarrd.

Ocsterrcich-Ungarii.

— Aus der sestlichen Unterhaltung, die nach der
Truppenschau iin Lager von El Kreider dem P r ä s i-
denten von den Arabern geboten wurde, stnd noch einige
interessante Einzelheiten nachzutragen. Vor dem Ehren-
zelt Herrn Loubets erschien u. a. ein arabischer Jäger aus
dem Süden, der Hasen und Trappen in Freiheit setzts
und dann abgerichtete Falten ausstiegen ließ, die nach kur-
zem Kreisen auf ihre Opfer niederschossen und sie töteten.
Einen prächtigen Anblick bot etwas später ein Anritt der
arabischen Gnms ans der Ferne. Jn einer einzigen
2 Kilometer langen Linie lösten sich vom Horizonte die
Reiter ab, die' dann in rasendem GaloPP plötzlich nach
vorn sprengten und dabei Salven abgaben. Eine Wolkc
von Sand hüüte sie vollständig ein und machte sie nn-
sichtbar; man sah nur das aufblitzende Feuer der Ge-
wehre: ein großartiges Schauspiel in seiner Lebhaftigksit
auf dem starren Hintergrunde der gewaltigen Wüsten-
natur bei brennender Sonnenglnt.

Frankrcich.

W i e n, 21. April. Der Olmiützer Erzbischof Kohn
hatte denPfarrer Okasec in dem P r i e st e r g e f a n g e n-
h ause Kremsier eingesPerrt, weil der Pfarrer ver-
meintlich nnter dem Namen „Rektor" in dem tschechischen
Pozor einen Streitartikel gegen den Erzbischof geschrieben
hatte. Jetzt meldet sich der Kaplan Pater Hofer in Za-
breh als der wirkliche Verfasser. Der Pfarrer Okasec
wurde sreigelassen.

Zur Wahlbewegunq.

M ü n ch e n, 22. April. Tie „Neuest. Nachr." mel-
den aüs dem Reichstagswahlkreise Erlangen-Fürth, daß
die Konservativen und Bauernvereinler beschlossen haben,

Anna" jemanden vorgestellt wird, der nicht weiß, ob die
Dame Fränlein Schnlz, Meier oder Aküller ist. Eine takt-
volle Dame wird stets den Titel der vorzustellenden Person
nennen falls ein solcher existiert, und so der zweiten Per-
son zn verstehen geben, daß sie eine Persönlichkeit vou
Rang kennen lernt.

— Einc cigentümlichc Rnckkchr von Hnnstiercn zur
Wildheit berichtet die „Revue Scientifiqne". Vor einigen
Jahren ließ man zur Unterstützung der Hirten beim Hüten
der Herden schottische Schäferhnnde nach Patagonien kom-
men. Die Tiere waren gutmütig, vortresflich dressiert
und sehr gelehrig, so daß eine Zeiilang alles in besrie-
digender Weise verlief. Neuerdings aber erheben die pa-
tagonischen Hirten lante Klagen, indem die Schäferhunde
die Herden, statt zn schützen, ansfressen. Die Hirten haben.
im Lause der Zeit zahlreiche Nachkömmlinge der Hunde
im Dickicht sich selbst überlassen; die Tiere wuchsen heran
und vermehrten sich, wurden aber wegen Manigets an
Zucht dnrch den Menschen wieder wild und beansprnchen
daher auf die Herden diefelben Rechte wie dieser. Sie
fallen, sobald sie hungrig stnd, über das Weidvieh her,
zu welchem Zwecke sie sich zu Banden vereinigen und
förmliche Jagden abhalten. Dabei ist es nicht selten, daß
selbst Hirten ihnen erliegen. Die Patagonier erklären
die schottischen Schäserhunde sür schlimmer als Wölfe, da
sie diesen an Stärke nichts nachgeben, sie aber an Klugheit
und Dtnt übertreffen.
 
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