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Heidelberger Zeitung (45) — 1903 (Januar bis Juni)

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an bestimmten Tagen wird keine Verantwortlichkeit übernommen. — Anichlag ber Jnierate auf dcn Plakattafeln der Heidelberger Zeitung und den städtifchen Anschlagstellen. Fernsprecher 82.

bhamberlains wivtschastspolitische Zdee vor
dem englischen Unterhause.

Chamberlains Gedanke, England sollte sich mit seinen
^olonien zn einem geschIossenen Wirtschafts -
öebiet vereinigen und danach seine Zollpolitik
einrichten, schreitet mächtig voran. Gestern hat stch auch
oer Premierminister BaIfour, der als ein Gegner
lener Jdee galt, für den Chamberlainschen Gedan-
ken, und zwar in öffentlicher Sitzung des Unterhauses
ausgesprochen. Es liegt hierüber folgender Vericht vor:

L London, 28. Mai. Premierminister Balfour be-
^ntragt eine Vertagung des Hauses bis 8. Juni. Jn
oer darauf folgenden allgemeinen Beratung
^irft DiIke (liberal) die Frage der Vorzugs-
^ ö11e auf und sagt, diese Politik bedeute einen großen
revolutionären Wechsel. Er frage an, welches die Haltung
oer lRegierung sei. Tie Politik der Regierung auf der
^olonialkonserenz sei schon gefährlich gewesen, aber die
Eürzlich verkündete Politik sei noch gefährlicher. Redner
öerweilt dann länger bei den Nachteilen, die England und
oern Reiche aus den Vorzugszöllen erwüchsen. Premier-
^inister BaIfour erwidert, er wünsche diese Frage ru-
Pg und wissenschaftlich zu erörtern. Der Minister er-
uinert an die aus der vorjährigen Kolonialkonferenz ange-
s'-ommene Resolution in Bezug auf die Vorzugszölle und
iagt: Jm Hinblick auf die Resolution sei Lhamberlain
öenötigt gewesen, die Frage setzt aufzuwerfen. Die fetzige
^age sei verschieden von der Lage im Jahre 1846. Nicht
eine zivilisierte Nation außer England habe den Freihan-
ool angenommen und kein Gemeinwesen zeige dic mindeste
^Meigtheit zu einer Abänderung seiner Politik. England
habe daher einem Zustand der Dinge entgegenzusehen, bei
öein mehr und mehr eine Mauer feindlicher Tarife gegen
^ngland errichtet werden wird, bei dem die auswärtigen
bkationen ihre Befugnisse zur Handhabung ihres Tarifs
Kun Nachteil Englands gebrauchen und bei dem England
ü'oniger und weniger ini Stande sein werde, in den zivili-
Üerten Ländern Rcarkt für seine Waren zu finden. (Bei-
sall bei den Ministeriellen.) Man nehme den Fall betref-
lond Rußlands. Tie Politik Rußlands sei mit Vorbedacht
oarauf gerichtet, dcn Tarif so zu handhaben, daß Ruß-
iond allmählich eine in sich abgeschlossene Gemeinschaft
ü>erde. Valfour fährt fort: Wenu die Tendenz die ist,
öaß es in den gegenwärtigen Verhältnissen weitergeht,
0chß die Zeit kommen, wo die Türkei, Jndien und unsere
digenen Protektorate die einzigen neutralen Märkte sein
^erden. England wird dann eine ungeheure Menge von
-mhrungsnütteln und Rohstoffen einzuführen haben und
ohrch eine Ausfuhr bezahlen miissen, welche unterzubringen
^ die größten Schwierigkeiten finden wird. Diese Folge
ü>ird gegenwärtig dnrch die Tatsache verhüllt, daß wir ein
gewaltiges Anlagekapital im Auslande besitzen, und es füp
sMs daher verhältnismäßig leicht ist, unseren Nahrungs-
oedarf nicht lediglich durch Ausfuhr unserer Fabrikate,
wndern auch durch Schuldzahlungen fremder Nationen zu
"cken, doch geht gegenwärtig die Tendenz nach der ent-
gogengesetzten Richtung. Ilnd soweit die Vereinigten Staa-

Der gestohlene Vräutii^am.

Jn dem gelobten Lande jenseits des Atlantischen Mee-
ows, jn dem Originalität nach und nach alle anderen
^enschlichen Tugenden zu überwuchern scheint, kommt es
Uniner mehr in Mode, daß einem Bräutigam oder einer
^oaut, womöglich aber beiden unmittelbar vor ihrer
di.oreinigung noch ein Streich gespielt wird, den die 2lus-
whrenden als „Scherz" bezeichnen, der leidende Teil bei
.hr Sache aber natürlich als etwas ganz anderes. Die
?wgste Novität auf diesem Gebiete ist nun das „Stehlen

Bräutigams" — „lliännppiuA", lautet das schöne
ssglische Wort dasür. Manchmal ninimt die Sache nun
üerdings einen glücklichen Ausgang, aber immer bereitet
or „Scherz" zum mindesten der Braut und dcm Bräu-
'gam einige unangenehme Minuten oder gar Stunden.

. Dor noch gar nicht langer Zeit fand in Pompon Lakes
öo Hochzeit statt, bei der das Hindernis glücklich über-
E isrrden wurde. Der Bräutigam war einer der bekcmn-
sten Rechtsanwälte der Stadt, namens Allen Chalmers,
nd die Braut, Bliß Eleanor Morgan, die Tochter eines
öesehenen Mitgliedes der Stadtverwaltnng. Die Hoch-
st follte, wie man zu sagcn Pflegt, eine „große Sache"
orden, und es waren über tausend Gäste geladen. Die
^disten derselben waren schon in der Kirche, und auch der
^^tigam wartete bereits in der Sakristei auf die Braut
n ? ?en Pfarrer, als ein Herr an ihn herantrat und ihm
^wttnnisvoll zuflüsterte, es wünsche ihn draußen jemand
Iprechen. Er trat hinaus, war aber nicht wenig er-

ten von Amerika in Betracht kommen, so besteht jetzt eine
Bewegung, die dahin zu zielen scheint, uns zu dem Schuld-
ner zu machen. Jch sage nicht, daß die Tendenz die von
den Ministern der Kolonien vorgeschlagene Politik recht-
fertigt, doch ist es eine Möglichkeit, die man ohne Unruhe
ins Auge fassen kann. Jch frage, ob die Angelegenheit
von der öffentlichen Erörterung ausgeschlossen werden
sollte, und ob wir nicht in Selbstverteidigung die Politik
zu erwägen gezwungen sind, daß wir die Einkünfte für
andere Zwecke als die der Staatsausgaben erhöhen. Jede
andere Nation tut das. Sind wir in unseren Grenzen
mit einer Läge zufrieden, die uns den fremden Ländern
gegenüber mit Bezug auf Tarifunterhandlungen vollkom-
men hilflos läßt? Jch gehe Weiter und sage, wenn von
irgend einem fremden Lande der Versuch gemacht worden
ist, zu erklären, wir seien so getrennt von unseren Kolo-
nien, daß diese mit Re-cht als besondere Nationen behandelt
werden dürsen, so werden wir durch den Patriotismus der
öffentlichen Meinung, wie durch die Rücksicht auf uns selbst
und unsere Kolonien gezwungen sein, uns dem zu wider-
setzen un'd wenn nötig, uns Vergeltungsmaßnahmen im
Steuerwesen zu widersetzen. (Beifall.) Sind die Kolo-
nien mit Selbstverwaltung von den Vorteilen auszu-
schließen, die den unter vollständiger Kontrolle der Zen-
tralverwaltung ftehenden Kolonien anderer Nationen ge-
währt werden? Wir würden niemals unsere Zustimmung
zu einer solchen Anschanung geben, aber es kann denselberi
kein hinreichender Widerstand geleistet werden, wenn wir
nicht z o l I p o I i t i s ch e Waffen zur Hand haben,
durch welche diejenigen, die das Reich in seinem Bestand
zu lockern suchen, entsprechender Widerstand geleistet wer-
den tanu. Ein zweiter Grund, eine solche Politik einzu-
schlagen, ist der, das Reich enger zusammenzuschließen.
(Beifall.) Das Volk dieses Landes ist nicht gewillt, einen
Nahrungsmittelzoll anzunehmen außer als Teil einer gro-
ßen Politik, welche es von Herzen auf sich nimmt, wenn
wir durch das Mittel eines Nahrungsmittelzolls die ganze
politische, ja reichspolitische Stellung des Landes auf eine
abweichende und bessere Grundlage stelleir würden. Jst
es sicher, daß die arbeitenden Klassen den Vorschlag ableh-
nen werden? (Beifall) Jch weitz es nicht. Aber wenn die
Frage nicht hier und in den Kolonien erörtert wird, wie
können wir zu einem Beschluß in der Angelegenheit kom-
men? Jch gebe die Schwierigkeiten zu, die durch die über-
lieferte Abneigung der Bevölkerung gegen Lebensmittel-
zölle geschaffen sind, und durch die traditionellen Vorteile
der Kolonien für Schutzzölle. Wenn wir diese Schwierig-
keiten nicht überwinden können, können wir keinen Plan
dieser Art aufstellen. Wir müssen die wirkliche wirtschast-
liche Lage erwägen, in der wir uns befinden. Es besteht
kein Widerspruch zwischen meinen Ansichten und denjenigen
Chamberlains. Wenn selbft angenommen wird, daß Cham-
berlain seine eigene Politik dargelegt habe, so besteht doch
kein Grund, ihn preiszugeben.

Soweit der Londoner Bericht. Er lehrt, daß Balfour
sich Chamberlain unterworfen hat. Ehamberlain braucht

staunt, als er sich in demselben Augenblick von sechs der-
ben Fäusten gepackt und in einen bereitstehenden Motor-
wagen gehoben sah, der gleich därauf mit Volldampf vor-
aus losfuhr. Unterdessen war die Hochzeitsgesellschaft in
der Kirche vollzählig, die Braut erschien am Arm ihres
Vaters, der G'eistliche, und englischer Sitte gemäß hinter
ihm der Chor, kamen feierlich vor den Altar, aber vom
Bräutigam war nichts zu sehen. Der Organist, in dem
lobenswerten Bestreben etwas zur Ueberwindung der pein-
lichen Szene beizutragen, intonicrte die feierlichen Klänge
des Trauungsliedes. Ein Vers folgte dem andern, aber
erst als beim sechsten Berse die Gäste sich anschickten, das
Gotteshaus zu verlassen, ging ein Flüstern von Bank zu
Bank, der Vräutigam sci nicht sreiwillig abwcsend, sondern
werde gewaltsam zurückgehalten. Diese Nachricht brachte
die Braut, die nahe daran war, den Verstand zu verlieren,
wieder zur Besinnung, und es wurden sofort Boten nach
allen Richtungen gesandt, um den gestohlenen Bräutigam
zu suchen. Gerade eine geschlagene Stunde nach der Pro-
grammäßig festgesetzten Zeit fuhr ein großes Automobil
vor, die Kirchentür wurde gewaltsam aufgerissen und der
Bräntigam stürzte atenllos vor Hast und Wut in die Kirche,
auf dem Wege zum Altar seine Kravatte und Weste zurecht-
rückend, die deutliche Spuren eines Kampfes trugen.

Nachdem schließlich alles noch einen verhältnismäßig
glücklichen Ausgang genommen, vergäb der Bräutigam
auf die Bitten der Braut hin seinen „Freunden", aber er
wartet jetzt sehnsüchtig daraus, daß sich einer von ihnen
Verheiratet, damit er sich an ihm rächen könne.

also nicht mehr bei Rosebery und Bannerman anzuklopfen
und zu fragen, ob diese liberalen Führer vielleicht bereit
seien, den Augenblick wahrzunehmen und die Göttin der
Gelegenheit beim Schopf zu fassen. Balfour stellt ihm die
konservative Partei mit Einschluß seiner eigenen Person
zur Verfügung. Der Bericht läßt ferner erkennen, worauf
Chamberlain und Balfour die Agitation für die neue
Jdee stützen wollen, nämlich auf die patriotische Abneigung
der Briten gegen den Deutschen, den unbequemen Kon-
kurrenten und lästigen Mahner, der sich sogar erlaubt,
in Kanada auf Grund der Verträge die gleichen Zollbe-
günstigungen in Anspruch zu nehmen, wie der Brite selbst.
Man will also, um den wirtschaftlichen Widerstand gegelk
den neuen Gedanken zu besiegen, das Nationalgefühl in
den Kampf führen. Sehr interessant — für Deutschland
aber recht beschämend — ist, daß Balfour selbst auf die
Unterstützung des englischen Jndustriearbeiters für eine
nationale Politik rechnet, Lie dem Lande u. a. Getreide-
und Fleischzölle bringen würde.

Deutsches Reich.

— Die deutsche Soz ialdemokratie hat
ein Jubiläuin gefeiert. Am 23. Mai waren 40 Jahre
verflossen, daß Lassale in Leipzig den Allgemeinen Deut-
schen Arbeiterverein, die erste sozialistische Organisation
in Deutschland, gründete. Man denllt bei dieser Gelegen-
heit daran zurück, daß die Sozialdemokratie unter Lassale:
und' unter Schweitzer durchaus national gesinnt war, bis
sie von Marx, Bebel und Liebknecht ins internationale
Fahrwasser gelenkt wurde. Wie wird es mit ihr in dieser
Hinsicht nach weiteren 40 Jahren bestellt sein?

Badcn.

86 Karlsruhe, 28. Mai. Jn den Staatsvor-
anschlag für 1904-06 sollen, wie man hört, die Mittel füv
etwa achtzig weitere Stellen für Volks-
schulhauptlehrer eingestellt werden. Ueber die
Hälfte dieser Stellen werden von den Städten Mannheim
und Karlsruhe, sowie von den übrigen größeren Städten
mit Städteordnung beansprucht, die freilich den ganzen
Gehalt ihrer Lehrer selbst bezahlen, sodaß dem Staat
aus diesen Stellen erst in späterer Zeit die Kosten für dis
Ruhegehalte erwachsen werden; der Rest der Stellen soll
auf Landorte fallen, wo nach den gesetzlichen Vorschriften
allein etwa achtzig etatsmäßige Hauptlehrerstellen Mehr
vorhanden sein sollen. Auf Grund genauer und durchaus
einwandfreier Feststellungen fehlen in Bäden zur Zeit an
den Volksschulen etwa hundert Lehrkräfte.

.. ....— -

Aus der Knriäruher' Aeitung

— Stationsverwalter Johann Dörsam in Friedrichs^
feld wurde unter Ernennung zum Betriebssekretär zur Zen»
tralverwaltung und Betriebsassistent Achilles Bernhard in
Ueberlingen wurde nach Basel versetzt.

Karlsruhe, 28. Mai. Der Großherzog
empfing heute Vormittag bis 11 Ilhr verschickdene Per-
sonen und hörte sodann bis 12 llhr den Vortrag Les Prä-
sidenten des Evangelischen Oberkirchenrats, Geheimrats

Nicht ganz so befriedigend war das Resultat eines
solchen geistreichen Scherzes in New-Jersey, bei dem
gleichfalls die beiden „kontrahierenden Parteien" in der
ganzen Stadt bekannt waren. Unglücklicherweise war
nämlich in diesem Falle die Zeremonie schon einmal auf
Bitten des Bräutigams verschoben worden. Der letzters
stand fix und fertig in seinem Zimmer, als einige seiner
Freunde eintraten und ihn baten, in dem nächstgelegenen
Hotel noch einmal mit ihnen „wie früher" ein Glas zu
leeren. Alle stiegen miteinander in eine bereitstehende
Droschke, und sobalL sich diese in Bewegung gesetzt hatte,
wurde der Unglückliche an Händen und Füßen gebunden,
ein Knebel wurde ihm in den Mund gezwängt, und dis
„Freunde" legten den Gebundenen in ein leerstehendes
Haus, das man zu diesem Zwecke für einige Stunden ge--
mietet hatte. Nach etwa 20 Minuten erschienen die scherz-
haften jungen Leute wieder und setzten ihren Gefangenen
in Freiheit. Er erreichte die Kirche zwei Stunden zu spät
und fand selbstverständlich alles zu. ZitternL vor SchaM
und Wnt eilte er nach dem Hause seiner Braut, wo ihm
von einem Diener gesagt wurde, daß die Herrschaften ihn
nicht zu empfangen wünschten. Zu Hause schrieb er damr
einen ausführlichen Bericht des Herganges, der von allen
sechs Beteiligten mit unterzeichnet und bestätigt wurde,
und senLete ihn an die Eltern seiner Braut, empfing abec
keine Antwort. Er ist bis heute noch Junggeselle.

Den merkwürdigsten Ausgang hatte aber eine solche
Entführung in Lonisville. Jn diesem Falle hatte dev
Bräutigam nicht nur den Verlust seiner Braut infolgs
 
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