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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Hrsg.]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 15
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Glaser, Curt: Eine Galerie der Lebenden
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0307

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KUNSTCHRONIK UND KUNSTMARKT
HERAUSGEBER: GUSTAV KIRSTEIN
NR. 15 24. JANUAR 1919

EINE GALERIE DER LEBENDEN
VON CURT GLASER
DIE politifche Umwälzung der letzten Wochen, die auf allen Gebieten des
öffentlichen Lebens ihre Schatten vorauswirft, wird fich im Mufeums-
wefen hauptfächlich in einer veränderten Stellungnahme gegenüber den Er-
fcheinungen der jüngften Kunft äußern. Schranken find gefallen, die bisher
die ftaatliche Kunftpflege auf beftimmte Richtungen feftgelegt haben, und der
Aufnahme von Werken der Kunftrevolutionäre in die Sammlungen einer
Regierung, die felbft der Revolution ihr Dafein verdankt, fteht nichts mehr
im Wege. Man kann das begrüßen. Denn daß insbefondere die Berliner
Nationalgalerie durch das perfönliche Eingreifen’ des Kaifers unter fchweren
Hemmungen zu leiden hatte, kann keinem Zweifel unterliegen. Aber foll
die neue Freiheit wahrhaft genutzt werden, und foll nicht der erften Freude
bald eine bittere Enttäufchung folgen, fo muß man fich von vornherein darüber
klar fein, was überhaupt geleiftet werden kann, und was zu erwarten ift.
Eine Sammlung zeitgenöffifcher Kunft ift ihrem Wefen nach grundfätzlich
verfchieden von jeder hiftorifchen Galerie. Kein Mufeumsdirektor, und fei
er der weitblickendfte und trefffidierfte Kenner, vermag diejenige Auswahl zu
treffen, die erft von der Zeit felbft vorgenommen wird. Er wird immer dem
Urteil des Tages bis zu einem fehr hohen Grade unterworfen bleiben, und
es ift ein falfches Anfinnen, wenn von ihm verlangt wird, er folle nur folche
Kunftwerke einlalfen, die dem Urteil jeder Zukunft ftandzuhalten vermögen.
Man kann aus diefer Erkenntnis die Folgerung ziehen, daß die moderne
Kunft überhaupt nicht in die Mufeen gehöre, und wenn man unter dem
Begriff Mufeum nichts anderes als eine endgültige Galerie verliehen will, wie
fie in den Sammlungen älterer Kunft gegeben ift, fo beliebt diefe Anficht
ganz gewiß zu Recht. Man kann aber mit demfelben Recht die andere Fol-
gerung ziehen, daß eine Galerie der Lebenden ihrem Charakter nach grund-
fätzlich von einem Mufeum alter Kunft unterfchieden fein müffe, und es werden
fich aus der Definition felbft Forderungen ergeben, wie fie für eine folche
Galerie aufgeftellt werden müßen.
 
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