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Kunstgeschichtliche Gesellschaft zu Berlin [Editor]
Kunstchronik und Kunstmarkt: Wochenschrift für Kenner und Sammler — 54.1918/​1919

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Nr. 24
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Meier-Graefe, Julius: Theodor Reinhart
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https://doi.org/10.11588/diglit.54677#0503

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Theodor Reinhart

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gehenden Gaftlichkeit. Dieter alte Mann bedurfte keiner Winkelzüge, um
die Wahrheit zu Tagen, und die Rückficht, die er nahm, entfprang nur der
Einficht in die ungeheure Vielteitigkeit des Problems. Es war gutes Europa.
Die Söhne waren inzwifchen zu reifen Männern geworden, und es fchien,
als hätten fich die Eigenfchaften des Alten in ihnen in befonderer Weite ent-
wickelt. Der eine fchrieb über Kunft, der zweite reifte in Gefchäften, der
dritte dichtete, der vierte hatte ein gefchmackvolles Haus mit einer gewählten
Sammlung. Im Haus auf dem Rychenberg hingen immer noch die altmodifchen
Bilder. Als ich darauf kam, fchlug man mir vor, in das neue Mufeum zu
gehen. Da fand ich den Saal mit den Hofers, die Kabinette mit den wunder^
vollen Werken der Franzofen und das Befte der jungen Schweizer Malerei.
Der Alte ftand ernft dabei. In mir begann es zu brodeln. Ich hatte fo
fchöne Dinge lange nicht gefehen. Während draußen altes drunter und drüber
ging, hatte man hier im Stillen gebaut, das Schöne aufgebaut, das einzig
Unzerftörbare, das die Menfdhheit noch zu machen verlieht. Der Alte nickte.
Nachher erfuhr ich, nicht durch ihn, daß er der wefentliche Stifter diefes neuen
Baues war. Es gab foviel des Koftbaren darin, daß man gut etwas hätte
entbehren können, um die altmodifchen Bilder des Rychenberg zu erfetzen.
Heute, wo der Alte tot ift, finde ich fein Verhalten natürlich, ohne recht
plaufible Gründe dafür angeben zu können. Vielleicht fehen diete fchroffen
Alten in der Kunft etwas Höheres als andere, die das Schöne um fich haben
müften. Vielleicht fürchten fie, es durch ihre Nähe zu profanieren. Oder
glauben fie, ihre Schroffheit könnte durch eine lichtere Umgebung an Wahr-
heit einbüßen? Er befuchte täglich fein Mufeum, wie fromme Leute in die
Kirche gehen.
 
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