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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 15.1902

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Preussische Krönungstage
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Détschy, Serafine: Kreuzwege, [9]: Roman aus der Bühnenwelt
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https://doi.org/10.11588/diglit.22227#0276

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MODERNE KUNST.

128

Stadtbehörden erwarteten. Bei dem feierlichen Einzug des Königspaares, der
Prinzen und Prinzessinnen in die Stadt bei Glockengeläut und Kanonendonner
ritten nach altem Herkommen die Mitglieder der Schlächterinnung an der Spitze,
zahlreiche fürstliche Gäste, Diplomaten, Minister, Volksvertreter trafen noch im
Laufe der nächsten Tage ein. Glänzende Feste, am Abend des 16. von den
Provinzialständen, am 17. von der Stadt gegeben, gingen der eigentlichen Krönungs-
feier vorauf, die am Morgen des 18. um 10 Uhr ihren Anfang nahm und programm-
inässig mit allem ceremoniellem Pomp celebriert wurde.

Am Portal der Schlosskirche wurde das Königspaar, das unter grossem
Vortritt und grösserem Geleit und, Gefolge von Prinzen, Prinzessinnen, hohen
Würdenträgern des Staates und Heeres bei Glockengeläut und den Klängen eines
von Meyerbeer dafür komponierten Marsches über den prächtig dekorierten Schloss-
hof geschritten kam, von der Geistlichkeit empfangen und zu den beiden, unter
Purpurbaldachinen an den Pfeilern zur Rechten und Linken des Altars errichteten,
Thronsesseln geführt. Nach der Liturgie, der Predigt, dem Gebet und Segen,
Gesängen des Domchors trat der König, der den Scharlachmantel der Ritter des
Schwarzen Adlerordens mit dem ihm angelegten Krönungsmantel vertauscht hatte,
zum Altar, auf dessen Stufen er zu stillem Gebet niederkniete. Dann nahm .er-
den Helm vom Haupt, ergriff die Krone, welche mit den andern Reichsinsignien
dort auf „Gottes Tisch“ von deren Trägern deponiert worden, setzte sie auf, fasste.
Scepter und Reichsschwert und hob beide gen Himmel empor, während Hof-
prediger Dr. Snethlage das Weihegebet sprach und draussen die Geschütze
erdröhnten, — ein Moment von hinreissendem, tief ergreifendem Eindruck auf
alle Anwesenden. Mit dem Hermelinmantel bekleidet, schritt, nachdem der
König das Schwert dem Oberburggrafen zurückgegeben hätte, Königin Äugusta
zu den Altarstufen. Ihr Gemahl setzte der sich vor ihm Neigenden die vom
Grafen v. d. Groben auf einem Kissen vorgetragene Krone aufs Haupt, worauf
das hohe Paar zu gemeinsamem Gebet niederkniete und den Segen empfing.

Dann kehrten die Majestäten zu ihren Sesseln zurück. Der Zug ordnete sich
in der vorigen Wreise. Bei Psalmengesang, Glockenklang und Geschützdonner
hielt er seinen Wiedereinzug ins Schloss. Im Thronsaal wurden vom Könige
und der Königin die Glückwünsche der katholischen Geistlichkeit wie der reichs-
unmittelbaren Fürsten und Grafen entgegengenommen. Auf der äusseren „Thron-
tribüne“ am Schlosse, zu der sich der König im feierlichen Zuge begeben hatte,
erfolgten die Ansprachen der Prinzen, der Präsidenten beider Häuser des Landtags
und des Vertreters der Landstände. König Wilhelm I. erwiderte mit einer
kurzen bedeutsamen Rede. Der Minister des Innern verlas die Urkunden der
Stiftung des Grosskreuzes des Roten Adlerordens, der des Kronenordens, eine auf
den Hohenzollern-Orden bezügliche, ein Amnestiedekret und verschiedene Standes-
erhöhungs-Ordres. Dann erhob sich der König, neigte das Scepter dreimal gegen die
Versammlung, und im Schlosshof rief der zu Pferde haltende Reichsherold: „Es
lebe der König Wilhelm!“ Während tausendstimmiger Jubel erbrauste, schritt der
königliche Zug zu den inneren Gemächern zurück. Am 21. verliess das Königspaar
und der Elof Königsberg und am 22. hielt er^seinen feierlichen Einzug in Berlin.

Durch Adolf Menzel, der dem Krönungsakt, einer königlichen Einladung folgend,
beigewohnt hatte, um die von ihm beobachteten Hauptscenen des prachtvollen ge-
schichtlichen Schauspiels in einem grossen Gemälde zu schildern, ist diese Riesen-
aufgabe bekanntlich in einer ganz unvergleichlichen kunstvollendeten Weise gelöst
worden. Das herrliche Bild, welches den feierlichen symbolischen Akt und alle
dabei Anwesenden, im nächsten Vorgrunde die damaligen Minister, die Prinzen
und die Ritter des Schwarzen Adlers, — gleichsam den Extrakt der Gesamt-
heit des offiziellen Preussen der sechziger Jahre, — in wunderbarer lebendiger
Wahrheit und voller Realität darstellt, giebt unsere Reproduktion treulichst
wieder. Wird es die letzte Krönung gewesen sein, die ein preussischer Herrscher
an sich vollzieht? Mit Sicherheit voraus zu Sagen, was in künftigen Tagen ge.-chehen
oder nicht geschehen kann und wird,, ist jedem Sterblichen verwehrt. L. P


reuzwege.

aus der Bühnenwelt von Serafine Detschy.

[Fortsetzung.] -

ewiss Sarolta, Herr v. Bingen hat Recht. Eile thut not — lass es
geschehen, ich gehe sofort nach der Hausapotheke, um einen blut-
stillenden Verband zu holen. Also Herr v. Bingen, spielen Sie indes
Vampir! Aber seien Sie nicht zu blutgierig!“ Damit enteilte Jung-Siegfried.
Mit erstauntem Blick sah Alfred ihm nach. Er überliess ihm diesen Dienst.

Mit seinem feinen frischen Taschentuche trocknete er die sickernden
Tropfen, die an dem weissen Oberarm herabrollten; dann legte er an-
dächtig die Lippen an die kleine Wunde und in einem langen heissen,
inbrünstigen Kusse sog er die roten Perlen ein, die aus der weissen
Haut quollen, indess seine Augen mit einem Ausdruck unbeschreiblicher
Liebe auf den ihren ruhten, die wie gebannt zu ihm empor sahen.

„Sarolta“, flüsterte er und fühlte, wie sie sich leise an ihn lehnte,
als er sie an sich heranzuziehen strebte.

Da schrillte die Klingel, die die Künstlerin auf die Bühne rief.

XI.

Sarolta fuhr mit Frau v. Bingen, die sich -eben wieder von ihrer
Krankheit erholt hatte, durch die schmeichelnden Düfte des Vorfrühlings.
Vor ihren Augen schwebte noch die eben erlebte rührende kleine Scene,
wie die zitternde alte Dame so schwer die Treppen am Arme des Sohnes
herabkletterte und wie der starke junge Mann sein „kleines Mütterchen“,
wie er die noch Stattliche nannte, einfach wie ein Kind auf die Arme
genommen und zum Wagen hinabgetragen hatte.

„Damit Du nicht sagen kannst, Mama, dass ich Dich nicht auf
Händen trage“, scherzte er, als er ihr die Hand küsste.

„Ein guter Bub, mein Freddy“, hatte die glückliche Mutter leuchten-
den Auges zu Sarolta gesagt. „Der wird einmal auch sei Frau glück-
lich mache; und das möcht ich doch noch erlebe! Aber ich fürcht, wenn
er nit bald Ernst macht — so ischt’s für mich zu spät!“

„Aber liebe Frau Baronin —“ wehrte Sarolta die trübe Rede.

„Mein Gott — diesmal war es nicht weit davon, dass ich die Birke
da in der Allee nimmer grün werde g’sehn hätt! Und so kann’s wieder-
komme. Seit dem Tode von meinem Mann, will mei dumm’s Herz als
nicht mehr sei Pflicht thue. Vielleicht weil’s damals ein Sprung gekriegt
hat, wie sie ihn hinausg’trage habbe. Sehe Sie, solche Ehe, wie die
seiner Eltern, die wünsch’ ich mei’m Freddy; solche Lieb soll er einmal

-- [Nachdruck verboten.]

für eine Frau empfinde, wie sei Vater für mich, obwohl ich sechs Jahr
älter war als er. Erseht hab ich mich lang b’sonne, eh ich die Courage
g’funde hab; so ein’m viel jüngere Mann mein Jawort z’gebe.“

„Ja, das denke ich mir, dazu gehört ein seltener Mut“, meinte
sinnend Sarolta. „Denn die Frau verblüht rascher.“

„Nicht doch, Liebste! Wenn vor allem die Herzen und die Charaktere
zusämmenstimmen, wenn der junge Mann schon Welt und Lebe kennt,
so giebt das die glücklichste Ehe. Die Frau liebt ihn dann mit zärtlicher und
mit fast mütterlicher Fürsorge, quält ihn, wenn sie klug ist, nicht mit Laune
und Koketterie, wie dies die jüngeren thun. Oh ich wollte, mei Freddy nähm
solche Frau! Dabei fiel ein liebevoller Blick auf ihre schweigsame Begleiterin.

„Ich glaub“, fuhr die alte Dame fort, „ich glaub, sei Herz hat schon
die rechte Wahl getroffen —- bloss Courage hat der Jung keine!“

„Die Courage findet die rechte Liebe aber immer!“ lächelte Sarolta.
„Das kommt drauf an“, war die lebhafte Erwiderung. „Denke Sie
sich, wenn ei junger Mann, der bisher nur so alltäglich junges Mädel-
zeug g’sehe hat, plötzlich ein Weib kenne lernt, das über ihm steht, ihm
durch Geist und Charakter imponiert, ein selbständig Wese hat—ja, —
da wirbelt ihm als der Kopf; Gedanke und Gefühle kämpfe mit einander,
bevor er sich klar wird. Er schläft nicht, isst und trinkt nicht, sucht die
Einsamkeit und wird zum Schatte Vor Seelenqual. Und genau so geht
es jetzt meinem armen Bubbe. Ich sah oft noch drei bis vier Uhr morgens
Licht in seinem Zimmer, und da es nebe dem meinen liegt, hör ich ihn als
ämal zum Erbarmen seufze oder lang ruhelos auf- und abschreite; da ischt
Zerstreuung das beschte, — Bälle, Theater, — d. h. ins Theater da geht er
grad oft g’nug! Seit Sie hier singe, ischt er der reine Musiknarr g’worde.“
„Er hat mir auch neulich, als ich die Senta im ,Holländer‘ sang,
eine grosse Freude mit den entzückenden Blumen gemacht.“

„Aha“, lächelte die Baronin, „er hat Ihnen seine Begeisterung als
ämal wieder in der Blumensprache ausgedrückt! Hm ja“, seufzte sie,
„das kann er! Aber was ich sage wollt — nächstens ist Fastnacht-
Dienstags-Redoute. Hoch und Niedrig — alles geht hin —- da müsse Sie
aber auch hin! Meine Kinder gehe natürlich: nur der Freddy will noch
nicht recht. Wenn Sie nun gehe würde, so bietet er sich gewiss zu Ihrem
Kavalier an, das weiss ich, und so käm der arme Bub wieder einmal zu
etwas Erheiterung! Ach, mache Sie mir doch die Freud — ja?“ Sie
 
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